Schlagwort-Archive: Besprechung

Krimi-Kritik: „In der Nacht“ von Dennis Lehane

(c) Diogenes

(c) Diogenes

Ohne Emma Gould, so konstatiert der Protagonist zu Beginn von Dennis Lehanes „In der Nacht“, wäre „sein Leben – im positiven wie im negativen Sinne – nicht halb so bemerkenswert verlaufen“. Da er gerade mit seinen Füßen in einem Block Zement steckt und sich auf einem Schlepper im Golf von Mexiko befindet, ist allein dieser Gedanken schon bemerkenswert. Aber wie in jeder guten Gangstergeschichte, die in den USA der späten 1920er Jahre beginnt, muss eine Frau den Helden ins Verderben oder zumindest in eine Krise führen. Hier ist der Held Joseph „Joe“ Coughlin, ein junger Mann aus gutem Haus, der ein Leben als Gesetzloser führt. Er begegnet Emma Gould bei einem Überfall auf ein Speakeasy, bei dem er entgegen seiner Annahme nicht nur ein paar „müde Gestalten“ ausnimmt, sondern einen Handlanger von Albert White, dem Gangsterboss von Boston. Damit scheint sein Schicksal besiegelt, aber Joe ist klug genug, lediglich die offen liegende Beute mitgehen zu lassen und nicht noch den versteckten Tresor auszuräumen. Weniger schlau verhält er allerdings bei Emma, die dort als Kellnerin arbeitet und in die er sich auf den ersten Blick verliebt. Selbst als er erfährt, dass sie sich auch mit Albert White trifft, umwirbt er sie weiterhin und schafft sich damit einen mächtigen Widersacher.

Eine klassische Gangstergeschichte

Dennis Lehane / Foto: Gaby Gerster (c) Diogenes Verlag

Foto: Gaby Gerster (c) Diogenes Verlag

Mit seinem knapp 600 Seiten langen Buch über den Aufstieg und Fall eines Bostoner Kriminellen bedient Dennis Lehane sämtliche Klischees über Gangster, auch verläuft Joes Leben in den zu erwartenden Bahnen. Dass dieses Buch dennoch von Anfang bis Ende fesselt, liegt vor allem an Lehanes lässig-ironischem Erzählstil. Er verleiht den Figuren nicht mehr Dramatik als nötig und behandelt sie zwar distanziert, aber nicht lieblos. Zudem ist Joe Coughlin ein moderner Gangster, der Verbrechen als Möglichkeit sieht, Geld zu verdienen und Bedürfnisse zu befrieden, die das Gesetz verbietet. Weiterlesen

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Wie schreibe ich einen spannenden Roman? Über „Spannend schreiben” von Christian Schärf

Noch bei der Tagung „Krimis machen“ im April in Berlin hieß es, dass es nie einfacher gewesen sei, einen Spannungsroman zu veröffentlichen als derzeit. Tatsächlich gibt es gefühlt keinen Ort mehr in Deutschland, der keinen eigenen Ermittler hat, und an allen Enden sprießen Kriminalromane aus dem Boden. Dennoch ist es nicht einfach, einen spannenden Roman zu schreiben. Ganz im Gegenteil: Bei manchen Büchern wünschte ich mir, die Autoren hätten vorher diesen Ratgeber gelesen.

Aufbau und Beispielsaufgabe

(c) Dudenverlag

Aufgebaut ist „Spannend schreiben“ von Christian Schärf in fünf „Textprojekte und Schreibaufgaben“, in denen jeweils erzählerische Techniken erläutert werden. Dazu gehören Elemente der Angst, des Schauers und Grauen, Konstellation für die Aufklärung eines Verbrechens und der Aufbau eines Plots. Schreibaufgaben am Ende der jeweiligen Abschnitte sollen das soeben Gelesene praktisch vertiefen. Dabei wird sehr deutlich, dass es zwar bestimmte Techniken gibt – jeder Roman ist zu einem gewissen Teil auch Handwerk –, wer aber keine Ideen hat, wird sie auch hier nicht finden. Vielmehr hilft dieses Buch dabei, das Geschriebene analytisch zu durchdringen. Weiterlesen

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Von der Serie zum Buch – „Raylan“ von Elmore Leonard

Timothy Olyphant als Raylan Givens (c) SPHE

Ausführlich habe ich mich bisher hier im Zeilenkino mit der Figur Raylan Givens beschäftigt, da sie ein hervorragendes Beispiel für die wechselseitigen Beeinflussungen von Literatur und Film/Fernsehen darstellt. Und in diesem Fall geht die Zusammenarbeit sogar weit über eine bloße Verfilmung hinaus. In Interviews haben die Macher von „Justified“ mehrfach erklärt, dass sie bei den Drehbüchern zu der Serie immer wieder eine Frage weiter gebracht habe: „What would Elmore do?“. Deshalb bleibt die Serie mit ihren Perspektivwechseln und der Konzentration auf die Charaktere sowie dem Dialog dem Stil Leonards treu. Für heutige Sehgewohnheiten ist das ungewöhnlich und oft etwas langatmig. Einigen Folgen fehlen Höhepunkte und auch die Handlung ist mitunter für eine Episode etwas dünn. Dadurch wird „Justified“ aber auch zu einem sehr guten Bespiel für eine Serie, die von ihren Charakteren vorangebracht wird. Allein die Entwicklung von Boyd, den die Serienmacher glücklicherweise nicht sterben ließen, ist ein gutes Beispiel. (Vergleiche Teil 1). Deshalb wird „Justified“ zudem von den Beziehungen stark beeinflusst, die Raylan Givens zu den anderen Figuren hat. In der ersten Staffel ist es – neben Boyd – vor allem das Verhältnis zu Ava und seiner Ex-Frau Helen sowie zu seinem weitgehend abwesenden Vater. In der zweiten Staffel rückt dann seine Beziehung zu Mags Bennet in den Mittelpunkt. Hier drücken sich verschiedene Facetten seines Charakters aus, spiegeln sich seine Vergangenheit und seine Entscheidungen wider. Die Idee zu der Figur Mags Bennett stammt indes von Elmore Leonard selbst. Weiterlesen

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New Orleans und Katrina – „Zeitoun“ von Dave Eggers

(c) Kiepenheuer & Witsch

„Zeitoun“ von Dave Eggers steht schon eine ganze Weile auf meiner Leseliste. Nach jeder Folge „Treme“ denke ich, dass ich es lesen wollte. Nun ist Dave Eggers aktuelles Buch „Ein Hologramm für den König“ recht präsent in den Medien und er saß – so meine ich jedenfalls – auf dem Flug zur Leipziger Buchmesse hinter mir. Also habe ich über die Osterfeiertage endlich „Zeitoun“ gelesen. Es hat mich nach der Lektüre fassungslos zurückgelassen. Als ich anschließend im Internet ein wenig zu Dave Eggers und seinem Buch las, kam jedoch eine weitere Frage hinzu, die wohl jeden Kulturinteressierten immer wieder beschäftigt: Welche Rolle spielt die Wirklichkeit bei der Bewertung von Kunst. Aber zunächst zu dem Buch – und meinem Entsetzen. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Bloodman“ von Robert Pobi

(c) Ullstein

Als Jugendlicher hat Jake Cole seine Heimat in Montauk, New York und seinen egomanischen Vater Jacob Coleridge verlassen und hat auf der Straße gelebt, zu viel getrunken und alle möglichen Drogen genommen. Er hatte sogar einen viermonatigen Blackout, währenddessen er sich Verse auf die Haut tätowieren lies. Aber er ist wieder auf die Beine gekommen und arbeitet nun als Sonderermittler für das FBI. Jake ist Experte für Tatorte und liest sie wie kein zweiter. Als sein Vater mit der Diagnose Alzheimer in eine Klinik eingeliefert wird, nachdem er versucht hat, sich selbst zu verstümmeln, kehrt Jake nach Montauk zurück. Und mit ihm ein grausamer Mörder, der seinen Opfern die Haut abzieht. Für Jake gibt es keinen Zweifel, dass dieser Mann vor Jahren seine Mutter auf ebenso grausame Weise tötete. Deshalb will er ihn dieses Mal unbedingt stellen.

Die Handlung von Robert Pobis Thriller „Bloodman“ klingt spannend und beginnt auch vielversprechend: Jake ist gerade in Montauk angekommen, als die zwei gehäutete Leichen gefunden werden. Damit wird ein hohes Tempo suggeriert, allerdings hat der Autor zahlreiche unnötige Verzögerungen eingebaut, die den Fluss hemmen. Weiterlesen

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Leben in den Ozarks – „Der Tod von Sweet Mister“ von Daniel Woodrell

Morris Akins, der von allen Shug genannt wird, lebt in den Ozarks Mountains im Süden von Missouri. Seine Mutter Glenda ist eine verblühende Schönheit, die ihren Tee – Cola mit Rum – trinkt und ihrem Sohn zärtlich zuneigt ist. Sein Vater Red ist ein drogenabhängiger Schläger, der Shug mit Vorliebe Fettsack nennt und auf seine Raubzüge mitnimmt, damit er Alten und Kranken Medikamente klaut. Die grenzenlose Liebe seiner Mutter und die Angst vor seinem Vater sind die Konstanten in Shugs trostlosem Leben. Doch dann taucht der joviale Jimmy Vin Pearce in seinem grünen Thunderbird auf – und bringt diese Welt ins Wanken.

Ausweglosigkeit und Folgen der Erfahrung

Daniel Woodrell (c) Bruce Carr

Wie schon in seinem Roman „Winters Knochen“ erzählt Daniel Woodrell auch in „Der Tod von Sweet Mister“ ohne moralischen Gestus und mit viel Sympathie für seine Hauptfigur eine düstere Coming-of-Age-Geschichte, die schon auf den ersten Seiten gefangen nimmt. Mühelos taucht man in diese fremde Welt in dem vergessenen Landstrich der USA ein, sieht das bunte Haus am Friedhof vor sich und spürt den unterdrückten Zorn des Ich-Erzählers Shug. Dass Shug nicht wie Ree Dolly auf sich allein gestellt ist, erweist sich nicht unbedingt als Vorteil. Seine Mutter kommt nicht einmal auf die Idee, ihrem Sohn eine Alternative zu bieten oder ihren Mann zu verlassen. Das Leben in ihren Augen ist einfach so, also bringt sie ihrem Sohn lieber bei, in dieser Welt zu überleben. Dafür muss er immer hellwach sein und darf Red niemals verraten. Weiterlesen

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„Gier“ von Arne Dahl – Buchbesprechung und Lesungsbericht der lit.Cologne

Lesung mit Anne Bubenzer, Arne Dahl und Gerd Köster (v.l.) auf der lit.Cologne

Am gestrigen Abend stellte Arne Dahl seinen neuen Thriller „Gier“ im Rahmen der lit.Cologne auf dem Literaturschiff RheinEnergie vor. Und der Abend mit dem schwedischen Krimiautor hat mir sehr gut gefallen. Das Gespräch mit Anne Bubenzer fand überwiegend auf Deutsch statt, da Arne Dahl zeitweise auch in Berlin lebt. Zwischendurch las Gerd Köster sehr hörenswert aus dem Thriller, dabei fühlte ich mich mal wieder in meinem Ansinnen bestärkt, dass Bücher am besten von professionellen Sprechern vorgelesen werden sollte. Insgesamt stimmte die Mischung aus Vorlesen und Gespräch, zumal Arne Dahl einige interessante Ansichten über die Wirtschaftskrise, Europa und dem Kriminalroman im Allgemeinen äußerste. Außerdem bekannte er, dass er vor einiger Zeit in Kerstin Holm – eine Ermittlerin seiner A-Gruppe – verliebt gewesen sei. Aber angesichts von „Rosenrot“ hat mich das nicht so sehr gewundert. 😉

„Gier“, das A-Team und neue Ermittler
Im Mittelpunkt standen natürlich die Kriminalromane von Arne Dahl. Ich bin eine Leserin der ersten Stunde, lese also schon seit 2003. Überzeugt hat mich damals bei „Misterioso“ auch der Gedanke, dass diese Reihe von vorneherein auf zehn Bände festgelegt sein sollte. Damit stellte sich Arne Dahl in eine Tradition mit der Kommissar-Beck-Dekalogie von Maj Sjöwall und Per Wahlöö, vor allem aber hoffte ich, er würde der Versuchung widerstehen, die Reihe immer weiter fortzuschreiben, obwohl die Figuren auserzählt sind. Weiterlesen

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