Ohne Emma Gould, so konstatiert der Protagonist zu Beginn von Dennis Lehanes „In der Nacht“, wäre „sein Leben – im positiven wie im negativen Sinne – nicht halb so bemerkenswert verlaufen“. Da er gerade mit seinen Füßen in einem Block Zement steckt und sich auf einem Schlepper im Golf von Mexiko befindet, ist allein dieser Gedanken schon bemerkenswert. Aber wie in jeder guten Gangstergeschichte, die in den USA der späten 1920er Jahre beginnt, muss eine Frau den Helden ins Verderben oder zumindest in eine Krise führen. Hier ist der Held Joseph „Joe“ Coughlin, ein junger Mann aus gutem Haus, der ein Leben als Gesetzloser führt. Er begegnet Emma Gould bei einem Überfall auf ein Speakeasy, bei dem er entgegen seiner Annahme nicht nur ein paar „müde Gestalten“ ausnimmt, sondern einen Handlanger von Albert White, dem Gangsterboss von Boston. Damit scheint sein Schicksal besiegelt, aber Joe ist klug genug, lediglich die offen liegende Beute mitgehen zu lassen und nicht noch den versteckten Tresor auszuräumen. Weniger schlau verhält er allerdings bei Emma, die dort als Kellnerin arbeitet und in die er sich auf den ersten Blick verliebt. Selbst als er erfährt, dass sie sich auch mit Albert White trifft, umwirbt er sie weiterhin und schafft sich damit einen mächtigen Widersacher.
Eine klassische Gangstergeschichte
Mit seinem knapp 600 Seiten langen Buch über den Aufstieg und Fall eines Bostoner Kriminellen bedient Dennis Lehane sämtliche Klischees über Gangster, auch verläuft Joes Leben in den zu erwartenden Bahnen. Dass dieses Buch dennoch von Anfang bis Ende fesselt, liegt vor allem an Lehanes lässig-ironischem Erzählstil. Er verleiht den Figuren nicht mehr Dramatik als nötig und behandelt sie zwar distanziert, aber nicht lieblos. Zudem ist Joe Coughlin ein moderner Gangster, der Verbrechen als Möglichkeit sieht, Geld zu verdienen und Bedürfnisse zu befrieden, die das Gesetz verbietet. Weiterlesen