Archiv des Autors: Zeilenkino

Über die Serie “Rivals”

Auf meiner immerwährenden Suche nach Unterhaltung, die in dem für mich genau richtigen Maß ablenkt, habe ich „Rivals“ auf Disney+ gesehen. Mit den ersten Folgen hatte ich viel Spaß: Hemmungslose 1980er-Jahre-Frisuren! Blauer Lidschatten. Schnurbärte. 1980er-Jahre-Musik! Eine so weit ab von der Realität abgerückte Handlung! Jedoch ist es genau dieses Verhältnis zwischen Realität und Fiktion, die mich über diese Serie nachdenken lässt.

„Rivals“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Dame Jilly Cooper – von dem ich vorher noch nie gehört hatte. „Rivals“ ist der zweite Teil der sogenannten Rutshire Chronicles, benannt nach dem fiktionalen Landstrich Rutshire im Südwesten Englands. Diese Reihe war in den 1980er Jahren in Großbritannien sehr, sehr erfolgreich, wurde aber nicht ins Deutsche übersetz. Alle Teile spielen in der englischen Upper Class und sind sogenannte „Bonkbuster“. Ein Label, zusammengesetzt aus „bonking“ und Blockbuster. Bonkbuster wurden in jenen Jahren vor allem von Autorinnen geschrieben und war sehr erfolgreich, sind aber ein wenig aus dem popkulturellen Bewusstsein verbunden. Es sind Romane, in denen es seeehr viel Sex und ziemlich übertriebene Plots gibt.

So auch in „Rivals“: Lord Tony Baddingham ist ein Emporkömmling. Sein Vater ist irgendwann reich geworden, dadurch ist Tony Teil der Upper Class geworden, hat gut geheiratet und betreibt nun einen privaten Fernsehkanal in Rutshire. Dort wohnt auch Rupert Campball-Black, ehemaliger olympischer Springreiter, mittlerweile Tory-Abgeordneter, der aus einer alteingesessenen Familie stammt und deshalb priviliegiert aufgewachsen ist. Er hat alle Privatschulkontakte, die Baddingham gerne hätte. Anfangs verbringt er seine Zeit aber vor allem damit, Sex mit Frauen zu haben. Dazu kommen in der Serie noch allerhand andere Figuren, die alle in Rutshire leben. Es sind vor allem reiche Menschen, die sich vor allem mit Klatsch und Sex die Zeit vertreiben – und zwar vornehmlich nicht mit den eigenen Ehepartner*innen. Interessant ist, dass es auch in der Serienadaption viele Sex-Szenen gibt. Zwei Dinge fallen da auf: Es gibt keine der derzeit popkulturell so populären Varianten von BDSM, sondern vor allem heterosexuelle Vögelei. Und es gibt zwar einige Brüste, sonst aber gar nicht so viel zu sehen. Die Serie läuft eben bei Disney+.

Die Handlung ist absolut lächerlich und vorhersehbar, genau das hatte ich erwartet, aber: Ausstattung und Schauspiel sind gut. Weiterlesen

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Trotzdem Tatort?

Vor drei Wochen habe ich entschieden, dass ich fortan mal wieder „Tatort“ gucken werde. Ich hatte vor einigen Jahren eine ausgeprägte „Tatort“-Phase, die ließ irgendwann nach, zuletzt guckte ich höchsten noch die Tukur-Murot-Folgen. Aber seit drei Wochen bin ich sonntagsabends dabei: „Ad Acta“ (Freiburg) war langweilig. Bei „Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n“ (Frankfurt) haben mich die letzte Einstellung und einige gewollt-prätentiös-überzogenen Bilder halbwegs darüber hinwegtrösten können, dass den Drehbuchautoren offenbar entgangen ist, dass eine Folge in einer Krimireihe vielleicht auch so etwas wie einen Hauch Spannung plus Kriminalfall haben sollte. Und seit gestern („Trotzdem“; Franken) frage ich mich, ob das vielleicht ein Trend beim Tatort ist: Der Kriminalfall als notwendiges Pflichtelement, das mit so wenig Zeit wie nötig abgehandelt wird.

Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller

Die Geschichte ist simpel: Ein Mann sitzt wegen einer Tat im Gefängnis, die er nicht begangen hat – und stirbt dort. Seine Schwestern suchen daraufhin den Mann auf, der die Tat eigentlich begangen hat, und schubsen ihn vom Balkon. Daraufhin will der Vater dieses Mannes sich an den Schwestern rächen – und beauftragt einen alten Freund, der wie er einst im Gefängnis saß. Ein Rachedrama also, sogar sorgfältig gedoppelt: die Schwestern wollen Rache, der Vater will Rache, und Rache, dass wissen wir, führt nur selten zu etwas Gutem, sondern vor allem zu viel Gewalt. Auch steht es offenbar nicht gut um die Resozialisierung, selbst nach Jahrzehnten der Wiedereingliederung.

Vielmehr wird aus dem Fall nicht gemacht. Obwohl es viele interessante Fragen gibt: Ein Brief am Anfang deutet daraufhin, dass sich der Bruder im Gefängnis umgebracht hat, warum wird nicht untersucht, wie das möglich ist? Die Schwestern haben sich jahrelang für eine Wiederaufnahme eingesetzt, woran ist sie gescheitert? Warum schaut sich die Polizei den Fall nun neu an? Und warum ruft der Polizeipräsident erst an, wenn ein reicher Unternehmer – der Vater des zweiten Opfers – in den Fall verwickelt ist? Wie ist eigentlich das Opfer der ersten Tat – der Ursprungstat sozusagen – gestorben? Welches Motiv gab es da, einfach nur Eifersucht, weil sie in einem Jahr Beziehungen mit verschiedenen Männern hatte? Und steckt darin nicht ein hochinteressanter Fall? Warum wählen drei Unternehmersöhne, die offenbar sehr privilegiert aufgewachsen sind, Gewalt als Ausweg?

In der Inszenierung bleiben ähnlich viele Fragen: Warum zieht sich Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) am Ende aus? Ist es nur die Symbolik à la ‚wer nackt ist, kann keine Waffen tragen‘? Und warum singt sie „The Sound of Silence“? (Hier hoffe ich, es gibt eine Begründung innerhalb der Reihe, die ich nicht kenne.) Warum werden die gestelzten Drehbuchsätze so oft geflüstert? Das zieht sich durch die drei Tatorte, die ich bisher gesehen habe: Da werden Sätze, die nur nach Drehbuch klingen, so gesprochen, dass sie nach Drehbuch klingen. Dagegen können auch Lina Beckmann (diese Woche) oder Matthias Brandt (vorige Woche) nur wenig ausrichten. Zudem waren alle drei Folgen eher langsam inszeniert – und zumindest die letzten beiden mit bewusstem Einsatz künstlerischer Stilmittel. Ist das ein Trend: Künstlichkeit als Stilprinzip? Oder Zufall?

Vier Folgen gebe ich meinem Vorhaben noch. Danach werde ich überlegen, ob ich auf diese Weise wirklich meine Zeit verbringen will.

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Über den Film “Goodbye Julia”

„Goodbye Julia“ ist der erste Film aus dem Sudan, der bei den Filmfestspielen in Cannes gelaufen ist. Dort er 2023 den Freedom Preis in der Sektion „Un Certain Regard“ gewonnen. Und nun ist er in einigen deutschen Kinos zu sehen.

Mit wenigen Bildern etabliert Regisseur Mohamed Kordofani in „Goodbye Julia“ die Situation im Sudan 2005: Mona (Eiman Yousif) hat ihrem Ehemann Akram (Nazar Goma) das Frühstück zubereitet und sitzt mit ihm am Tisch, als von draußen Geräusche in die Ruhe des Hauses hineindringen. Wütende Demonstranten ziehen durch die Straßen von Karthum. Mona schaltet den Fernseher ein, es kommt die Meldung, dass der Vize-Präsident des Landes – John Garang – bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen ist. Garang war Mitgründer der Sudan People’s Liberation Army, im Januar 2005 hat die SPLM das Naivasha-Abkommen mit der sudanesischen Regierung geschlossen, mit dem der 21-jährige Bürgerkrieg im Südsudan beendet wurde. Es gewährte dem Südsudan Autonomie innerhalb des Sudans und war Grundlage das Unabhängigkeitsreferendums im Südsudan 2011. Der Tod Garangs bedroht diesen erst seit wenigen Monaten bestehenden fragilen Waffenstillstand – und Akram, ein muslimischer Nordsudanese, fühlt sich von den südsudanesischen Demonstranten bedroht, er agiert voller Angst, herrscht seine Frau an, sie solle bloß in der Wohnung bleiben.

Mona aber fühlt sich eingeengt in der Wohnung, in der Ehe. Früher war sie eine Sängerin, ihrem Ehemann zuliebe hat sie aufgehört, heimlich besucht sie weiterhin Konzerte, singt in ihrem Auto. Auf dem Rückweg von einem dieser Ausflüge wird sie abgelenkt, verursacht einen Unfall und fährt den fünfjährigen Danny an. Voller Panik verlässt sie den Unfallort. Aber Dannys Vater Santiago (Paulino Victor Bol) hat den Unfall mitbekommen, er verfolgt sie mit seinem Motorrad bis zu ihrem Haus. Dort will er sie zur Rede stellen. Aber Akram glaubt, dieser Mann aus dem Südsudan bedroht seine Ehefrau und erschießt ihn. Weiterlesen

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Von Serienmördern erzählen – Oates und Lee

Detroit, 1976/77. Ein Serienmörder ermordet junge weiße Kinder, in der Regel Jungs, und stellt ihre nackten, gewaschenen Körper zur Schau. Die Presse hat ihm den Namen „Babysitter“ gegeben. Er wird nie gefasst.

New York, 1976/77. Ein Serienmörder ermordet in der Bronx und in Queens heterosexuelle Liebespaare in ihrem Auto. Die Presse gibt ihm erst den Namen „44 Caliber Killer“ – wegen der Waffe, die er bevorzugt benutzt. Später dann beginnt er, Briefe an die Polizei und Zeitungen zu schreiben, die er mit „Son of Sam“ unterzeichnet. Im August 1977 wird David Berkowitz verhaftet: Ein Parkticket hat die Polizei auf seine Spur gebracht.

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Zwei Serienmörder, die ungefähr zur selben Zeit morden. Beide haben Ende der 1970er Jahre in Detroit und New York für Angst, Panik und Paranoia gesorgt. Von den Folgen dieser Atmosphäre in Detroit erzählt Joyce Carol Oates in ihrem gerade erschienenen Roman „Babysitter“ – und 1999 hat Spike Lee in seinem Film „Summer of Sam“ von dieser Zeit in New York erzählt. Weiterlesen

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Links 01/2024

Tracy Chapman ist seit Teenagerzeiten eine Konstante meines Musikhörlebens und deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass sie bei den Grammys aufgetreten ist. Offenbar war dieser Auftritt für einige Menschen die erste Berührung mit Tracy Chapman – und wozu das in verschiedensten sozialen Medien geführt hat, hat Alex Abad-Santos bei Vox sehr launig und bissig zusammengefasst und kommentiert. Dieser Artikel passt recht gut zu dem, was mich an sozialen Medien oft nervt – dazu kommt: Offenbar liegt Neugier nicht mehr hoch im Kurs. Ich finde neue Dinge superinteressant und versinke dann schon einmal in einem Rechercheloch. Aber auf die Idee, dass ich dann der Welt diese neue Entdeckung erkläre, bin ich noch nie gekommen. Ich halte es da mit Jane Fonda: Ask questions. Stay curios. It’s much more important to be interested than to be interesting.

Bei Slate haben Hillary Frey, Laura Miller und Cheyna Roth den Versuch unternommen, einen „True Crime Canon“ zusammenzustellen – bestehend aus Magazinbeiträgen, Podcasts und Dokumentationen. Die Liste ist sehr US-zentrisch und interessant: sie verbindet Titel, auf die sich vermutlich alle einigen können wie Capotes „In Cold Blood“ mit Podcasts wie bspw. das von mir sehr geschätzte „Bear Brook“. Den Titel hätten sicherlich weniger hier erwartet als bspw. das weit berühmtere „Serial“, das nicht auf der Liste ist. Genau hier wird dann aber – wie bei jedem Titel schwierig: der popkulturelle Einfluss von „Serial“ ist unbestritten, müsste es also in einem Kanon vorkommen? Eine Frage, die ich mir zudem stelle: „True Crime“ ist ein sehr US-amerikanisches Phänomen – wie sehr beeinflussen die US-Produktionen die Sachen aus anderen Ländern? Ist das eine globale „True-Crime-Ästhetik“ oder gibt es da regionale Unterschiede?

Seit kurzem versuche ich herauszufinden, warum in Hannover ein Denkmal zu Walter Rathenau steht. Eine Erklärung habe ich bisher nicht gefunden, das liegt aber vermutlich daran, dass ich bei der Suche andauernd über interessante Dinge stolpere, denen ich dann nachgehen muss. Das ist okay, es ist ja Privatvergnügen. Gefunden habe ich die Erinnerungen von Theodor Lessing, der über den Umgang Hannovers mit berühmten Persönlichkeiten zu treffend konstatiert: „Es war recht komisch, als man um 1890 in Hannover entdeckte, daß man zwar nach Leibniz eine Straße, einen Platz und eine Keksfabrik benannt und ihm ein Denkmal errichtet, aber seinen Namen fälschlich »Leibnitz« geschrieben habe.“ Und ehrlich gesagt: dass sowohl Friedrich und August Wilhelm Schlegel als auch August Wilhelm Iffland ebenfalls in Hannover geboren sind, wusste ich vorher nicht. Und ich wette, nur wenige wissen, dass Hannah Arendt in Hannover geboren wurde.

Passend zu meiner Beschäftigung mit meiner Heimatstadt: Im Blog von Anke Gröner stieß ich auf den Hinweis, dass 100.000 Fotos der Photothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte aus München bei Google Arts and Culture hochgeladen sind. Deshalb suchte ich dort nach Hannover – und entdeckt u.a. ein Foto vom Café Kröpcke von Otto Goetze aus dem Jahr 1869. Ohnehin ist Google Arts and Culture eine wahre Fundgrube – insbesondere wenn man gerade sehr erkältet auf dem Sofa herumliegt.

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Jahresrückblick 2023

Januar
Das Jahr beginnt mit einem Wort, das ich neu lerne: Dauergebäck. Das ist es oft, was ich beim Bäcker am liebsten mag.

In der ersten Staffel von „Only Murders in the Building“ gibt es die wohl lustigste Scrabble-Szene, die ich jemals gesehen habe.

Das Knirschen und Krachen der Häuser und Körper in Megan Abbotts „Aus der Balance“ lässt mich nicht mehr los.

Februar
Ich weine wegen einer Ziege namens Destiny. Verantwortlich: NoViolet Bulawayo in „Glory“

Das Tolle an Freundschaften, die man im Erwachsenenalter schließt: manchmal entdeckt man ungeahnte Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel dass man so gut wie jedes Lied mitsingen kann, das Mary J. Blige in den 1990er Jahren veröffentlicht hat.

Percival Everetts „Die Bäume“ erscheint. Es wird sehr schwer werden, das Buch vom Platz 1 meiner Top-Listen zu verdrängen.

Ausgeprägtes Ross-Thomas-Lesen.

März
Nach über drei Jahren wieder im Theater – Elfriede Jelineks „Angabe einer Person“. Ich lache fast zwei Stunden, zwanzig Minuten lang. So böse, so witzig, so klug. Nur das Ende war ein bisschen drüber.

Mein großes, großes Podcast-Projekt „Auf Weltempfang“ startet.

James Kestrels „Fünf Winter“ erscheint. Kontroverse Meinung: die erste Liebe ist schöner als die zweite.

Nach Ross Thomas‘ „Am Rand der Welt“ erfolgt mein zweiter literarischer Philippinen-Besuch: „Last Call Manila“ von Jose Dalisay. Faszinierendes Land, ich will mehr darüber erfahren.

April
Nina Simones „Little Baby Blue“ am Ende von Saint Omer zerstört mich. Überhaupt: Nina Simone.

„Weißt Du, wer es ist?“ – Kim Koplins „Die Guten und die Toten“ löst ein Pseudonym-Rätseln aus. Viele sagen, Kim Koplin sei eine Autorin. Ich sage: ein Autor. (Aber ich weiß es nicht.)

Neue Nationalgalerie, Kunst der Sammlung 1900-1945. Christian Schad porträtiert 1927 die typische Berlinerin, die den Prototyp der unabhängigen modernen Frau verkörpern soll. Das Bild heißt: Sonja.

NBA-Playoffs: Jimmy Butler wirft 56 Punkte, so dass die auf Platz 8 gesetzten Miami Heat in Führung gegen die auf Platz 1 gesetzten Milwaukee Bucks gehen. Im nächsten Spiel wirft er 0.5 Sekunden vor Schluss zwei Punkte, erzwingt eine Verlängerung und die Heat ziehen in die zweite Runde ein. Nur die Knicks hätten sie nicht unbedingt rauswerfen müssen.

Mai
Ich treffe Leila Aboulela in Frankfurt. Am nächsten Tag besuche ich die Niki Saint-Phalle-Ausstellung in der Schirn.

Mit Marie Vieux-Chauvets „Tanz auf dem Vulkan“ tauche ich in haitianische Geschichte ein – es ist ein Schmöker im besten Sinne: leidenschaftliche Lieben, Gewalt, Tod, Aufopferung und eine differenzierte Darstellung der Gesellschaft vor der haitianischen Revolution.

Mehr Karibik: Mit Astrid H. Roemer geht es nach Suriname. Kolonialgeschichte, Familiengeschichte, Frauengeschichte.

Neue Erfahrungen sind wichtig. Deshalb sitze ich eines Abends in Berlin einer Taiwanischen Tee-Oper.

Juni
Meine erste Begegnung mit Seidenhühnern. Mein Leben wird niemals sein wie vorher. Nun muss ich nur noch jemanden mit Garten überzeugen, sich Seidenhühner anzuschaffen, damit ich sie besuchen und fotografieren kann.

Ich lese Lauren Groff, treffe Lauren Groff, rede über Lauren Groff. Am Ende steht ein Feature über Lauren Groff, das im Juli ausgestrahlt wird.

Jacob Ross‘ „Die Knochenleser“ hat mich schon begeistert, mit „Shadow Man“ legt er mehr als überzeugend nach. Miss Stanislaus ist meine aktuelle Lieblingsermittlerin.

Juli
Premiere von: Abweichendes Verhalten – Der Talk in Berlin. Thomas Wörtche, Matthias Wittekindt und ich schwitzen und schwatzen gemeinsam.

Yasmin Angoes „Echo der Gewalt“ lässt mich im Radio den Satz sagen: „Ihr Name ist Knight, Nena Knight“.

August
Große Werkschau das japanischen Fotografen Daido Moriyama im C/O Berlin – er hat sich viel mit Menschenwürde im Zusammenhang mit Fotografie und Medien auseinandergesetzt und bemerkt zu der Berichterstattung über die Entführung und den Tod eines Kindes: „Der übliche Realismus der Berichte und auch der falsche und naive Humanismus lösen das Problem in keinster Weise.“ Er veröffentlicht stattdessen Standbilder aus dem Fernsehen, die eine kriminalistische Ermittlung andeuten.

Novuyo Rosa Tshumas „Haus aus Stein“ fasziniert mich: sie verbindet die Geschichte einer Familie mit der Geschichte Simbabwes, hinterfragt, weile Rolle historische Narrative für die Identitätsbildung spielen und lässt alles von einem manipulierenden Erzähler erzählen. Klug und komisch.

September
Howard W. Frenchs „Afrika und die Entstehung der Welt“ verrückt mein Bild von der Welt abermals – und lässt mich zum wiederholten Male fragen, wie es sein kann, dass ich trotz ausgeprägten historischen Interesses, trotz Geschichts-LK und Geschichtsstudium so viel nicht wusste.

Victoria Kiellands „Meine Männer“ regt ein erneutes Nachdenken über den medialen Umgang mit Serienmörder*innen an.

Nach Bora Chungs „Der Fluch des Hasen“ betrachte ich meine Toilette mit ganz neuen Augen.

Welch ein Krimi-Monat: Frank Göhres neuer Roman, Regina Nösslers neuer Roman. Monika Geiers neuer Roman. Sara Grans neuer Roman!

Hinsichtlich Fotobearbeitung habe ich dieses Jahr so gut wie alles erreicht.

Oktober
Secessionen-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie. Ich bemerke ein neues Interesse an Druckgraphiken und Lithografien. Ich mag neue Interessen.

„Total Trust“ von Jialing Zhang liefert Einblicke in das gegenwärtige Leben in China – und wenn man glaubt, man könnte sich vorstellen, wie das Leben in einem „modernen“ Überwachungsstaat ist, sollte man sich diesen Film anschauen. Man kann es nämlich nicht.

In diesem Haushalt wird die beste zweite Liga aller Zeiten gesehen. Fortuna Düsseldorf liegt am 21.10. zur Pause 0:3 zurück. Endstand 4:3

November
Nach der Munch-Ausstellung in der Berlinischen Galerie kaufe ich mir die Werkausgabe von Dagny Juel. Und zwei Bücher über das Rathenau-Attentat.

Abdelaziz Baraka Sakins „Der Messias von Darfur“ haut mich um – wie klug und böse kann man über Geschichte schreiben! Müsste ich mich auf ein Thema festlegen, das mich in diesem Jahr am meisten beschäftigt hat, dann wäre es die Frage, wie man die Geschichte eines Landes erzählen kann, das von Gewalt, Kolonialismus und Diktaturen bestimmt ist.

Auf einer Veranstaltung fällt das Wort „Wonnegrusel“ – ich weiß leider nicht mehr, wer es sagte – und ich denke, es beschreibt ziemlich gut die Rezeptionshaltung vieler, die Kriminalromane zur Unterhaltung lesen.

Don Mee Chois „DMZ Kolonie” verbindet Gedichte, Fotos, Zeichnungen, Überlegungen zu Kolonialismus, Korea, Übersetzungen und Sprache. Ein großartiges Buch!

Düsseldorf führt zur Pause 3:0 und gewinnt am Ende knapp mit 5:3. Diese Spiele machen mich fertig. Und ich bin nicht der Fortuna-Fan in diesem Haushalt.

Aki Kaurismäki zeigt mit „Fallende Blätter“, worauf es im Kino wirklich ankommt. Und ich verstehe erstmals einen vollständigen finnischen Satz, gesprochen von einer Finnin (im Kino).

Dezember
Pirkko Saisios „Das rote Buch der Abschiede“ lässt klar erkennen, wie wichtig der Teil Fiktion bei dem Wort Autofiktion ist.

Die zweite Staffel von „Somebody, somewhere“ ist auf andere Weise doch genauso ehrlich, schräg und gemein-liebevoll wie die erste Staffel.

Achtelfinale DFB-Pokal. Es steht in der 90. Minute 1:1. Endstand nach 92. Minuten: 1:2 für Fortuna Düsseldorf. 10 Tage später: Fortuna Düsseldorf liegt zur Pause 0:2 zurück. Endstand: 3:2. Diese Mannschaft. Und manche Menschen fragen sich, warum ich gerne Sport gucke.

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Linksammlung 12/2023

Seit einiger Zeit hadere ich mit sämtlichen sozialen Medien und probiere deshalb verschiedene Dinge aus: von Twitter bin ich seit einiger Zeit weg, bei Instagram mache ich Pause, auf FB und Mastodon bin ich nur noch selten. Damit geht es mir derzeit recht gut, vielleicht lege ich auch auf FB eine längere Pause ein, mal sehen. Mir fehlt dadurch aber ein Ort, an dem ich interessante Links sammele (abgesehen von Pocket) und auch teile – ich bin ja noch in dem Internetalter, in dem man sage „sharing is caring“. Deshalb nehme ich noch einmal einen Anlauf, diesen Blog dazu zu nutzen.

True Crime und Serienkiller
Es scheint wieder die Zeit im Jahr zu sein, in dem sich Menschen mit True Crime beschäftigen – in dem Podcast „Läuft“ spricht Alexander Matzketi mit Torsten Körner, der einige interessante Gedanken zu den Aufgaben der Produktionsseite hat. Durch den Podcast bin ich auf ein Special des Weißen Ring gestoßen, die verschiedene Interviews und Beiträge zu True Crime versammeln (die sind unter dem Beitrag verlinkt).

Außerdem hat die Doku von Regina Schilling über “Aktenzeichen XY” zwei interessante Beiträge hervorgebracht – von Thomas Groh beim Perlentaucher und im CrimeMag macht sich Thomas Wörtche Gedanken über den „Quellcode von True Crime“.

Und in der NYT gibt es ein Porträt der Tochter des B.T.K.-Killers, der auch in „Mindhunters“ eine wichtige Rolle spielt.

Vor etwas längerer Zeit gab es auch um Guardian einen Beitrag über zwei Menschen, die Verbrechen überlebt haben – und dann ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit gerückt sind. Weiterlesen

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