Archiv des Autors: Zeilenkino

Linksammlung

Passend zu Halloween, Allerheiligen, Herbst im Allgemeinen: Stephen King schreibt in seinem Vorwort zu einer Ausgabe von Daphne Du Mauriers Kurzgeschichten, dass sie die gruseligsten Anfänge schreibt. Und wenn das jemand beurteilen kann, dann ja wohl er:

Neues Lebensziel: Einfach ein bisschen mehr mit dem Blickwinkel von Wole Soyinka durchs Leben gehen.

Ich schaue sehr gerne NBA (Go Knicks!) und als es die ersten Schlagzeilen gab, dass es einen „gambling scandal“ in der NBA gibt, hatte ich als ersten Reflex, dass es endlich mal wieder einen Skandal gibt, bei dem es nicht um Leben und Tod geht. Zumal anfangs alles vielversprechend war – alleine die Namen der involvierten Cosa-Nostra-Familien klingen als kämen sie direkt aus „Der Pate“!. Aber schon beim Lesen des ersten Artikels ahnte ich, dass hier etwas nicht stimmt. Es ist kein NBA-Skandal. Von den bisher 33 Angeklagten haben drei Verbindungen zur NBA: Ein Ex-Spieler, ein Trainer und ein weiterer Spieler.

Was ist passiert? Nun, FBI-Direktor Kash Patel hat es als NBA-Skandal geframt, anfangs sind so einige Medien (auch hierzulande) bereitwillig dieser Deutung gefolgt. (Übrigens hat auch kaum ein Medium vergessen zu erwähnen, dass der Ex-Spieler mit LeBron James befreundet ist.) Mittlerweile wird das Framing des FBI hinterfragt. Aber der Schaden ist angerichtet. Und warum macht er das bloß, bei einer Liga, die aktiv die Black-Lives-Matter-Bewegung unterstützt und in der sich viele der Superstars gegen Trump positioniert haben? Fraglos sind die Wettmöglichkeiten ein Problem, das haben MLB und NFL genauso (wenn nicht sogar größer). Und da geht er hin, der Skandal, an dem ich einfach nur Spaß haben wollte …

Wie der Alltag unter Trump in Chicago gerade aussieht, darüber schreibt Dan Sinker in seinem Blog. Vielleicht sollten wir uns alle schon einmal Notizen machen …

Gisèle Pelicot ist kein Einzelfall – und ganz bestimmt kommen diese Fälle nicht nur in Frankreich vor.

Jordan Harpers „Die Rache der Polly McClusky“ (OT: She rides shotgun) wurde verfilmt und es gibt einen Trailer.

In diesem Jahr jährt sich die Helsinki-Schlussakte zum 50. Mal – und passend dazu gibt es einige Fotos, wie sich Helsinki in diesen Jahren verändert hat. Ich mag solche Stadtbilder …

Forscher können anhand Störungen des WLANs erkennen, welche Person sich in einem Raum befindet – ohne dass diese Person das WLAN nutzen muss. Mal abgesehen von der Privatsphärenkatastrophe – ich rieche hier Thrillerpotential!

LLM – popular known as KI – sind gerade in aller Munde. Ich sehe das alles sehr kritisch (und nein, ich glaube nicht, dass die KI mir meinen Job wegnehmen wird). Viele meiner Vorbehalte teilt offenbar Christian und hat sie in seinem Blog mal gesammelt veröffentlicht.

Im Jahr 1947 hat eine Sekretärin bei RKO Pictures das erste lesbische Magazin veröffentlicht – eine Wahnsinnsgeschichte.

Und falls Sie – wie ich – gelegentlich auch einfach mal etwas Niedliches sehen wollen – auf den finnischen Fernsehsender Yle ist Verlass. Dort gibt es gerade einen Live-Stream von einer englischen Spanielhündin mit ihren elf Welpen. Bitte unbedingt den Ton anschalten!

Diesen Beitrag teilen

Verschwundene überall – „Hard Girls” von J. Robert Lennon.

Momentan verschwinden in vielen Kriminalromanen wieder sehr häufig Menschen. Meistens sind es Frauen, sehr junge Frauen oder Teenagerinnen. Im September hatte ich im CrimeMag bereits über zwei Titel geschrieben – „So ist das nie passiert“ von Sarah Easter Collins und „The Return von Ellie Black“ von Emiko Jean. In beiden verschwindet die Schwester einer der Erzählerinnen, beide Male ist es die Wildere, die Mutigere der Schwestern, die verschwindet – und die Brave, die Angepasste ist diejenige, die unter dem Verschwinden leidet und es dann später aufklärt.

Der Topos des Verschwindens von Mädchen ist nicht neu, sein Reiz liegt an der Kombination aus (angenommener) Unschuld und Verbrechen – und natürlich lädt so ein Verschwinden regelrecht dazu ein, hinter die Fassaden vermeintlich „normaler“ Familien oder auch Gesellschaften zu blicken. Aber es schwingt oftmals auch noch etwas anderes mit, gerade weil es oft die Rebellinnen sind, die verschwinden – eine Warnung, die mir Unbehagen bereitet: Solche Dinge passieren denjenigen, die sich auflehnen, die feiern wollen, die etwas mehr vom Leben haben wollen als das, was ihnen die Kleinstadt geben kann. Pass also auf, dass Du immer schön brav und zufrieden bleibst – sonst passiert Dir das auch.

Glücklicherweise passen nicht alle Bücher in dieses Muster – wie man mit dem Verschwinden auch umgehen kann, zeigt „Hard Girls“ von Robert J. Lennon. Einst ist die Mutter der Schwestern Jane und Lila Pool verschwunden. Eine erwachsene Frau, damit ist von vorneherein mehr Spielraum für eigene Entscheidungen gegeben. Und sofort entsteht eine Frage: Warum verlässt eine Mutter ihre Töchter? Ein ungeheurer Entschluss, selbst für eine Frau wie die Mutter von Jane und Lia, die schon immer anders war als andere Mütter. Unzuverlässiger, rastloser, schöner. Sie wollte genau das nicht, was angeblich alle Frauen wollen: Gebraucht werden. Und das hat sie ihren Töchtern von Geburt an überaus deutlich zu verstehen gegeben. Lange Zeit dachte Jane daher auch, ihre Mutter sei einfach mit irgendeinem Liebhaber abgehauen. Dann platzt in ihr unglückliches Leben in einer Kleinstadt eine verschlüsselte Nachricht ihrer Zwillingsschwester. Lila ahnt, wo ihre Mutter ist. Jane weiß, dass ihre Schwester meistens Ärger bedeutet. Aber dennoch ist sie neugierig. Und sehnt sich insgeheim auch nach etwas Abenteuer und Abwechselung in ihrem Leben als Angestellte in einer College-Verwaltung und Mutter einer Teenager-Tochter.

Mehr will ich über die Handlung gar nicht verraten: Sie ist abwechselungsreich, es macht Spaß, von diesen Entwicklungen überrascht zu werden – und es gibt es Ende, das abenteuerlich und für lange Zeit unvorhersehbar ist. Nur so viel: Das Verschwinden der Mutter ist tatsächlich ein freiwilliger, völlig selbstsüchtiger und wahnwitziger Entschluss.

Damit verweist Lennon auch darauf, dass tatsächlich viele Menschen freiwillig verschwinden. Gerade in den USA, wo es aufgrund des anderen Meldegesetzes einfacher ist, ein neues – oder auch zweites – Leben anzufangen. Interessant ist zudem, welche Motive er in seinem Krimi noch aufgreift, ohne dass eines klar im Vordergrund steht: Da ist zunächst einmal ein deutliches Spionageelement. Von Anfang an deutet sich an, dass der Vater von Jane und Lila möglicherweise getarnt als College-Professor für die CIA gearbeitet hat. Er war während der Hochzeit des Kalten Krieges am College, ist dort aufgefallen und wurde von einem geheimnisvollen Mann angesprochen. Wohin dieser Handlungsstrang führt, ist in seiner ätzenden Banalität recht komisch – und sagt zugleich sehr viel über jene Jahre und ihre Folgen aus.

Und dann die Beziehung der Schwestern. Anfangs scheint es, als hätten sie sich als Erwachsene aus den Augen verloren. Aber schon bald stellt sich heraus, dass es alles nicht so einfach ist. In Rückblicken wird von der Kindheit und Jugend der Schwestern erzählt, dem Leben mit einer unglücklichen Mutter und einem zerstreut-abwesenden Vater, von geheimen Spielen und Codes, einer Zeit als Ausreißerinnen in besetzen Häusern und freiwilligen Gemeinschaften. Das alles ist mit lakonischen Sätzen durchzogen, es gibt viele Wendungen, einige Action.

Außerdem dieses unglückliche Leben von Jane. Sie war im Gefängnis, hat dort ihre Tochter bekommen, danach ihren Jugendfreund geheiratet und ist nun sehr unglücklich. Eine ganze Weile dauerte es, bis ich verstehen konnte, warum sie bei ihrem Mann und in ihrer Ehe bleibt. Aber Lennon liefert tatsächlich einen Grund, einen sehr nachvollziehbaren Grund. Am Ende deutet sich dann an, dass es weitergehen wird mit dem Poole-Schwestern. Es scheint in eine eher vertraute Richtung zu gehen – aber wer weiß: Schon in diesem Buch dachte ich oft genug, ich wüsste, worauf es hinausläuft und wurde doch überrascht.

J. Robert Lennon: Hard Girls. Aus dem Englischen von Stefan Lux. Suhrkamp 2025. 416 Seiten. 18 Euro.

Diesen Beitrag teilen

Alles beim Alten in Oxford

Am Anfang ein Geständnis: Ich habe alle Folgen von Inspector Lewis gesehen. Mehrfach. Nicht weil ich sie für herausragendes Fernsehen halte. Aber sie boten mir ein bisschen Eskapismus mit Mord. Gefühlt war zu 75 Prozent immer eine Frau die Täterin – aber sogar darüber konnte ich lachen. Ich war noch nie in Oxford, aber ich stelle es mir wie ein elitäres Disneyland vor, in dem man an jeder Ecke über schlaksige, blasse junge Männer stolpert, die Keats zitieren oder Tolkien erklären.

(c) Goldmann

Die Serie hat aber auch ein gewisses Interesse für Oxford-Krimis geweckt – und ich mochte Cara Hunters Reihe recht gerne. Deshalb war ich sehr gespannt auf Simon Masons „Mord im November“. Die Grundkonstellation ist: DI Ray Wilkins und DI Ryan Wilkins müssen einen Mordfall aufklären. Ja, sie heißen wirklich so, ich habe mich nicht vertippt. Ray Wilkins ist gebildet, kultiviert, Oxford-Absolvent, charmant, gutaussehend, mit vollendeten Manieren ausgestattet und Schwarz. Ryan Wilkins sieht aus wie ein Teenager, kommt mit Joggingshose und Basecap zum Dienst, ist in einer Trailersiedlung in Oxford in einer kaputten Familie aufgewachsen, hat ein ausgeprägtes Aggressionsproblem und ist weiß.

Das soll vermutlich witzig sein, aber von Anfang an hatte ich Unbehagen. Denn: Setzt diese Konstellation voller Gegensätze setzt nicht auch voraus, dass es weiterhin „überraschend“ ist, wenn ein Schwarzer kultiviert und Oxford-Absolvent ist? Und als ich den Kriminalroman dann las, hatte ich recht schnell den Gedanken: Wäre Ryan schwarz, wäre er schon längst im Gefängnis. Niemand würde es ihm dieses Verhalten durchgehen lassen, egal, welche Ermittlerfähigkeiten er hätte. Denn natürlich ist der Proll der Geniale in dieser Kombination. Vermutlich als lustiger Take auf die Morses und Lewis‘ gedacht, wo immer der Kultivierte auch der Cleverere war, ist das einfach nicht zu Ende gedacht. Und auch als Kommentar auf den Klassismus und Rassismus der britischen Gesellschaft ist greift es zu kurz.

Aber Mason vertraut voll auf diese Grundidee, denn der Kriminalfall hätte auch in einer Inspector-Lewis-Folge erzählt werden können: Es gab ein Mord im altehrwürdigen Barnabas College. Im Büro des Provost wird eine Frau (natürlich) aufgefunden. Im Folgenden gibt es das übliche Figuren-Arsenal: einen seltsamen Pförtner, einen egozentrischen Gelehrten usw. Außerdem einen reichen arabischen Mann, der möglicherweise Geld für das College bedeutet. Das ist mit das Interessanteste an diesem Buch: Oxford wird hier nämlich als internationaler Standort gezeigt, der längst von ausländischen Investitionen und Studierenden abhängt. Alles andere aber ist Oxford-Krimi-Standardware.

Simon Mason: Ein Mord im November. Übersetzt von Sabine Roth. Goldmann Verlag 2025. 396 Seiten. 17 Euro.

Diesen Beitrag teilen

Serienkiller und ich

„Du mit deinen Serienkillern!“, sagte kürzlich der geschätzte Kollege Alf Mayer zu mir – und nun ja, was soll ich sagen, mit den Serienkillern und mir ist das wirklich so eine Sache. Angefangen hat es in Teenager-Jahren mit der weit verbreiteten Faszination, gespeist durch TV-Serien wie „Profiler“ oder später „Criminal Minds“, die Kay-Scarpetta-Romane, natürlich der Verfilmung von „Das Schweigen der Lämmer“ und wasweißichnochalles. Mittlerweile sehe ich das alles viel kritischer – und bin vielmehr von der Faszination an sich fasziniert. Zumal ich denke, dass es seit einigen Jahren wieder eine „Rückkehr der Serienkiller“ in der Kriminalliteratur gibt – was zu einem großen Teil damit zusammenhängt, dass mittlerweile auch Autorinnen Serienkillerromane schreiben. Für Deutschlandfunk Kultur habe ich mir diese Wiederkehr der Serienkiller einmal genauer angesehen – und das hat mich in den vergangenen Monaten sehr beschäftigt. Am Freitag ist das Feature gelaufen (und wenn ich ehrlich bin, hätte ich noch ausreichend Material und Gedanken für mindestens weitere 30 Minuten). Weiterhin anhören lässt es sich unter diesem Link

Diesen Beitrag teilen

Helsinki Notes

Ich bin derzeit in Helsinki und war gestern beim Sibelius-Monument. Und direkt daneben habe ich noch ein weiteres Monument gesehen, das sehr genau meinen Humor trifft. Daher dachte ich, ich teile es hier:

(Es ist eine Werbe-Aktion für die Happy Paws Tour, die heute und morgen stattfindet. Ich habe damit nichts zu tun – außer einer generell großen Sympathie für Hunde, Pfoten und gute Werbeideen.)

Diesen Beitrag teilen

Über “Das Nest” von Sophie Morton-Thomas

Vögel sind die Leidenschaft von Fran. Schon morgens schleicht sie sich aus ihrem Wohnmobilheim an der Küste Norfolks, um sie zu beobachten. Dann muss sie nicht mehr darüber nachdenken, warum sich ihr Mann in seine Arbeit vergräbt oder ihre Schwester kaum noch mit ihr spricht. Warum ihr Sohn Bruno keine Freunde findet, stattdessen seiner gleichaltrigen Cousine Sadie hinterherläuft, die so viel reifer ist als er. Und ob ihr Schwager wieder trinkt.

Von Anfang ist in Sophie Morton-Thomas‘ Debütroman „Das Nest“ klar, dass etwas nicht stimmt. Aber man bekommt nicht zu fassen, was es ist. Warum ist das Verhältnis zwischen Fran und ihrer Schwester so angespannt? Warum will Frans Ehemann, dass sich ihr Schwager von ihrem Sohn Bruno fernhält? Überhaupt Bruno – er ist ein merkwürdiges Kind. Ständig betonen Fran und ihr Mann, wie sehr sie ihn lieben, wie kindlich er im Vergleich zu seinen Mitschülern ist, wie unschuldig. Sie wollen ihn unbedingt beschützen. Doch vor was?
Morton-Thomas nimmt sich etwas zu viel Zeit, um dieses Setting und die Atmosphäre zu etablieren. Dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig, die diese fragile Routine stören: Roma errichten ihr Lager auf einem Feld direkt neben dem Campingplatz, den Fran verwaltet. Innerhalb kurzer Zeit verschwinden erst die Vertretungslehrerin ihres Sohnes, dann ihr Schwager. Außerdem tauchen toten Vögel auf, denen die Köpfe abgerissen wurden.
Erzählerisch bleibt Sophie Morton-Thomas überwiegend in der Perspektive von Fran, die ständig mit ihren Vögeln beschäftigt ist. Vor allem das titelgebende Nest der seltenen Seeschwalbe dominiert ihre Gedanken, es wird regelrecht zu einer Obsession. Doch es wird immer klarer, wie sehr sie mit allen überfordert ist – und dass sie manche Gedanken, Sorge, Bedürfnisse nicht aussprechen kann. Wie so einige Menschen in ihrer Umgebung. Dadurch entwickelt sich unter dieser simplen Oberfläche ein komplexes Familiendrama, in dem die Nuancen fein aufeinander abgestimmt sind. Man muss aufpassen und sorgfältig lesen, um sie nicht zu verpassen.
Das Ende enthält sicherlich eine Spur zu viel Großherzigkeit. Aber die Subtilität der psychologischen Spannung überzeugt.

Sophie Morton-Thomas: Das Nest. Aus dem Englischen von Lea Dunkel. Pendragon 2025. 302 Seiten. 22 Euro.

Diesen Beitrag teilen

Ross Thomas – Abschluss der Werkausgabe

25 Bände in 20 Jahren! In diesem Jahr wurde die 25-bändige Werkausgabe des Amerikaners Ross Thomas (1926-1995) im Alexander Verlag mit dem Roman “Stimmenfang” abgeschlossen. Ross Thomas ist einer der wichtigsten Politthriller-Autoren des 20. Jahrhunderts – und einer meiner Favorites. Für SWR Kultur habe ich mit Verleger Alexander Wewerka gesprochen – und erzählt, warum man gerade jetzt Ross Thomas lesen sollte. Nachhören und -lesen lässt sich der Beitrag unter diesem Link.

Diesen Beitrag teilen