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Über einen Serienmörder erzählen (2) – Ted Bundy, Zac Efron und „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“

Vor kurzem habe ich noch geschrieben, dass ich fast nur noch gucke, was ich gucken will. Und dieses Wochenende habe ich mich um das „fast“ in diesem Satz gekümmert. Denn natürlich gibt es Filme, die ich nach meinem Empfinden gucken sollte/müsste, weil sie direkt in mein Arbeitsgebiet fallen. Mit solchen Filmen ist es bei mir oft so: Ich schiebe sie jahrelang vor mir her, dadurch werden sie gefühlt unglaublich groß – und wenn ich mich dann endlich aufraffe, sie zu gucken, stelle ich erstaunt fest, dass es ja doch nur ein Film ist. (Hier ließe sich auch problemlos das Wort Film durch Buch ersetzen).

Dieses Wochenende habe ich nun endlich „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“ geguckt. Kurz zusammengefasst: Der Ted-Bundy-Film mit Zac Efron. Ähnlich wie „Bright Young Women“ setzt der Film einerseits darauf, dass man weiß, wer Ted Bundy war – und versucht andererseits Spannung mit seiner Geschichte aufzubauen.

Der Film lehnt sich an das Buch von Elizabeth Kendall an, die jahrelang mit Ted Bundy eine Beziehung hatte. Gleich zu Anfang des Films begegnen sie einander in einer Bar. Er mag sie, obwohl Liz (Lily Collins) eine alleinerziehende Mutter ist. Sie verbringen bald Weihnachten miteinander, sind in diesem schnellen Zusammenschnitt ein auf den ersten Blick glückliches und normales Paar. Doch dann wird Ted Bundy bei einer Verkehrskontrolle angehalten: Er hat zwei Stoppschilder überfahren, als der Polizist ihn kontrolliert, entdeckt er, dass sein Name im Zusammenhang mit dem Verschwinden zweier Frauen auf einer Verdächtigenliste steht. Fortan wird sich ein Muster wiederholen: Ted Bundy beteuert seine Unschuld. Doch ihm werden immer mehr Taten vorgeworfen. Zweimal entkommt er aus dem Gefängnis, ehe es zum berühmten Prozess in Florida kommt. Der Titel des Films ist – abermals ähnlich zu „Bright Young Women“ – ein Zitat aus dem Urteilsspruch.

Zu keinem Zeitpunkt ist im Film klar, welche und wessen Geschichte eigentlich erzählt werden soll: Liz Kendalls? Also die einer Frau, die mit einem Serienmörder zusammenlebte, mit ihm ein Kind großziehen wollte, und die einerseits früh ahnt, dass er möglicherweise etwas verbirgt, es andererseits aber nicht wahrhaben will. Dieser hochinteressante Aspekt – sie war es, die seinen Namen erstmals gegenüber der Polizei erwähnte – wird gegen Ende „enthüllt“ und ist doch ein so spannendes, dass man ihm viel ausführlicher hätte nachgehen können, vielleicht sogar sollen. Stattdessen wird Liz ab Bundys Verhaftung hauptsächlich in verschiedenen Stadien des Leidens gezeigt. An keiner Stelle können sich Drehbuchautor Michael Werwie oder Regisseur Joe Berlinger entscheiden, ob Liz nun eigentlich eine nützliche Idiotin, tatsächlich eine Ausnahme oder doch ein weiteres Opfer Bundys ist. Diese Uneindeutigkeit zeigt sich auch bei Carole Ann Boone (Kaya Scodelaria), die Bundy heiratete und ein Kind von ihm bekam. Oder den Frauen im Gerichtssaal, die immer wieder wie Groupies wirken und der Film will sie nicht verurteilen, weil er ihre Bewunderung zur Untermauerung von Bundys behaupteten Charisma braucht, macht sich aber doch auch etwas lustig über sie.

Will der Film also die Geschichte Ted Bundys erzählen? Weiterlesen

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Über einen Serienmörder erzählen – Jessica Knoll und “Bright Young Women”

Sein Name wird im Buch nicht genannt. Eine bewusste Entscheidung, betont die Autorin Jessica Knoll. Zu viel wurde bereits über ihn erzählt. Zu bekannt ist er, der Täter, im Gegensatz zu seinen Opfern. Allein: Auf dem Buchumschlag steht sein Name. Der Paratext stellt sicher, was der Text nicht tut: Dass wirklich jede*r Leser*in weiß, dass der Täter, der im Roman „der Angeklagte“ genannt wird, Ted Bundy ist. Wobei: Kann man wirklich davon ausgehen, dass nicht sowieso klar ist, um wen es geht? Der ‚berühmteste Serienkiller der USA‘ hat eine seit Jahrzehnten andauernde mediale Präsenz. Jede Generation „ihre“ Ted-Bundy-Geschichte. Ist die Idee, den Namen nicht zu nennen, nur ein Marketing-Aufhänger? Oder freundlicher formuliert: Ein gutgemeinter Gedanke, der nicht ganz zu Ende gedacht ist? Und: Funktioniert das Buch überhaupt, wenn man die Geschichte von Ted Bundy nicht kennt?

Ohne diese Folie ist „Bright Young Women“ ein leidlicher spannender Roman. Jessica Knoll erzählt hauptsächlich aus zwei Perspektiven, deren Stimmen sich kaum unterscheiden: Pamela, eine Studentin, die nur durch Glück überlebt, als „der Angeklagte“ im Januar 1978 in ein Studentinnenwohnheim in Floria eindringt, und zur Hauptzeugin gegen ihn wird. Dazu kommt Ruth, eine junge Frau, die ihre unglückliche Ehe hinter sich gelassen hat. Sie besucht eine Selbsthilfegruppe, lernt emanzipierte Frauen kennen und beginnt, sich von ihrer übergriffigen Familie – vor allem ihrer Mutter – zu lösen. Bis sie an einem Sommertag eine fatale Entscheidung trifft.

In diesen Geschichten erzählt Knoll viel über die alltägliche Misogynie der 1970er Jahre – und darin steckt auch eine Erinnerung daran, dass wir in der Gegenwart – allem Backlash zum Trotz – weitergekommen sind. Spannung stellt sich indes kaum ein. Das liegt vor allem daran, dass sie von Knoll lediglich durch redundante Vorausdeutungen und Cliffhanger aufgebaut wird – und die ersten zwei Drittel des Buchs viel zu langatmig sind.

Erst im letzten Drittel zeigt sich das Potential der Geschichte. Hier konzentriert sich Knoll auf die Frauenfeindlichkeit innerhalb der Justiz, der Polizei und letztlich auch der medialen Berichterstattung. Genau dann aber zeigt sich abermals: Selbst falls Knoll tatsächlich Bundy den medialen Nachruhm verweigern wollte, profitiert sie von genau dem medialen Hype, den sie kritisiert.

Keine Besprechung kommt ohne den Verweis auf. Schon der Titel spielt auf den berühmt-berüchtigten Urteilsspruch gegen Bundy an. Die Namen der Opfer stimmen überein. Nicht alle, aber viele. Sogar die vermeintlich fiktionale Perspektive hat ein reales Vorbild. Was aber Fakt, was Fiktion ist, wird nicht kenntlich gemacht. Wie gut man es erkennt, liegt am Wissen über Bundy – und seinen medialen Nachruhm. Warum aber dieses Spiel? Warum nicht eine rein fiktionalisierte Version schreiben?

Knoll betont: Ted Bundy war eben nicht der „bright young man“ als den ihn der Richter betitelte. Ihre Argumente? Vor allem der formale Bildungsgrad Bundys. Dieser klassistische Hauch schmälert die beste These des Buches: Dass es nicht die Genialität der Täter ist, die Serienmörder so schwer zu fassen macht. Sondern die Unfähigkeit der Ermittlungsbehörden. Im Falle Bundys – und vieler anderer Täter – geprägt von der Misogynie der Ermittler. Dafür aber hätte sie mehr Argumente gebraucht.

Jessica Knoll: Bright Young Women. Aus dem Englischen von Jasmin Humburg. Eichborn 2024. 461 Seiten. 18 Euro.

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