Archiv des Autors: Zeilenkino

Nachdenken über True Crime

Gelegentlich führe ich Gespräche über True Crime – worüber ich mich immer sehr freue – und wie es bei Gesprächen so ist, komme ich da manchmal auf Überlegungen, die ich vorher für mich so nicht ausformuliert habe, und bei denen ich noch ein bisschen weiter nachdenken möchte. Und dafür gibt es ja diesen Blog.

1. Menschen mögen True Crime, weil es Ordnung in einer unübersichtlichen Welt gibt

Es gibt viele Erklärungen und Hypothesen, warum Menschen True Crime hören – und vermutlich ist es eine Gemengelage aus diesen Ansätzen. Aber ein Aspekt wird meines Erachtens sehr häufig vernachlässigt: True Crime bietet eine Erzählung von einer Welt, die sich nicht verändert. Verbrechen gab es immer und wird es immer geben, egal, was sich sonst verändert. Sogar die Art der Verbrechen, von denen die meisten True-Crime-Erzählungen seit Jahrhunderten handeln, sind gleich geblieben: insbesondere Gewaltverbrechen, insbesondere gegen Frauen und Kinder. Die Erzählungen von diesen Verbrechen geben ihnen eine Struktur und eine Ordnung. Am Ende dann kommt heraus, dass das „System“ doch funktioniert: der Täter wurde gefasst. Dadurch bietet True Crime Sinn bei auf den ersten Blick „sinnlosen“ Taten. Und genau das ist gefährlich: True Crime suggeriert, dass Verbrechen, das Gewalt nicht nur erzählbar ist, sondern man diesen Taten auch einen Sinn verleihen kann. Dabei erzeugen sie nicht nur Angstfantasien und Wahrnehmungen, sondern bestätigen sie auch, also z.B. Frauen sind Opfer, Männer sind Täter.

2. True Crime ist mehr als eine Erzählung von „wahren Verbrechen“

Nicht jeder Artikel, nicht jeder Podcast, der sich mit „wahren Verbrechen“ beschäftigt, ist True Crime. Vielmehr ist True Crime wie ein Label, eine Bezeichnung, mit der bestimmte Erzählungen bezeichnet werden: Erzählungen von wahren Verbrechen, bei denen dokumentarische und fiktionale Mittel verwendet werden und es eine subjektive Erzählinstanz gibt. Außerdem setzt True Crime darauf, Emotionalität zu erzeugen. Durch Erzählstrategien, die Spannung erzeugen – der Täter wird erst am Ende genannt, obwohl es ein „wahres“ Verbrechen ist; durch sprachliche Muster wie „das ist ja schrecklich“, durch Bilder, durch Musik usw.

3. Warum müssen die Verbrechen wahr sein?

An dieser Frage überlege ich schon seit längerem herum – und eine Antwort habe ich bisher nicht gefunden. Sicherlich erhöht die Tatsache, dass diese Taten tatsächlich stattgefunden haben, den Reiz des Spektakels, die Sensationslust, den Voyeurimus, das Gefühl, die Wirklichkeit besser zu verstehen. Aber ist das wirklich so? Oder liefert das häufig genannte soziologische oder psychologische Interesse nicht einfach nur einen akzeptablen Vorwand, seine Neugier zu befriedigen?

4. Warum gibt es True-Crime-Merchandise?

Es gibt immer wieder Dinge, die mich verwundern – mein Lieblingsbeispiel bei True Crime: es gibt zwar in Hamburg Stadttouren zu Fritz Honka, aber Fatih Akin musste ordentlich Kritik dafür einstecken, dass in seiner Verfilmung von „Der goldene Handschuh“ die Morde so unappetitlich waren. Aber dazu kommt ja noch mehr: es gibt Escape-Spiele zu wahren Verbrechen. Es gibt Merchandise-Artikel zu True-Crime-Podcasts. Beispielsweise Socken zu dem „Mordlust“-Podcast oder einen schwarzen Kapuzenpulli mit dem Logo von „Zeit Verbrechen“. Sicherlich bezieht sich das mehr auf die Hosts und das Format als das Verbrechen. Oder vielleicht hoffe ich das auch nur.

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Podcast – Auf Weltempfang

Bereits seit vorigem Jahr arbeite ich mit Litprom an einem Podcast-Konzept und nun ist Mitte März die erste Folge von “Auf Weltempfang” online gegangen. Einmal im Monat spreche ich mit Übersetzer*innen und meine Jury-Kolleg*innen des Weltempfängers über einen Titel, der auf der Weltempfänger-Bestenliste empfohlen wurde. Im Zentrum stehen dabei die Herausforderungen beim Übersetzen von Literatur aus dem globalen Süden, die Arbeit der Übersetzer*innen und die Bücher, die hier erscheinen. Hören lässt sich der Podcast hier und bei allem gängigen Podcatchern.

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Der Hammett-Fehler

Gelegentlich machen soziale Netwerke auch Spaß. So bin ich durch ein FB-Posting der Krimi-Buchhandlung Hammett bin darauf aufmerksam geworden, dass beim Diogenes-Verlag, nun ja, etwas schief gelaufen ist:

(c) Hammett Buchhandlung

Zunächst habe ich darüber sehr gelacht und es geteilt, aber dann ist mir aufgefallen, dass die Cover der Titel ansonsten genauso aussehen wie immer – dieselben Bilder, nur die Größenverhältnisse haben sich verändert. Wie kann so etwas passieren? Und ich meinte das nicht als rhetorische Frage, zumal es ja offensichtlich ist, dass ein Fehler vorliegt. Also habe ich Susanne Bühler vom Diogenes Verlag angeschrieben und sie einfach gefragt, wie es passiert ist. (Mittlerweile hat sie auch in meinem Kommentar-Thread bei FB erklärt.)

Per Mail hat sie mir geantwortet, dass die bisherigen Umschlagdaten von uralten QuarkXPress-Dateien auf InDesign umgebaut wurden, wozu die InDesign-Datei komplett neu aufgebaut werden musste, „Und obwohl grundsätzlich alles bei uns vor die Augen unseres Korrektors kommen sollte, ist es bei diesen beiden Umbauten offensichtlich nicht passiert.“ Das alles tue einigen Leuten im Verlag auch weh.

Das verstehe ich gut – zumal ich selbst bei Dashiell Hammett dem Kontrollzwang unterliege, stets zu kontrollieren, ob ich seinen Namen richtig geschrieben werde, weil ich befürchte, so ein Fehler würde mir um die Ohren gehauen werden. Ähnlich ist es bei Philip Marlowe, was aber nur daran liegt, dass ich mal einen Phillip kannte … Und nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Philip Marlowe ist natürlich der harte Kerl von Raymond Chandler, nicht von Dashiell Hammett. Der heißt Sam Spade. (Das beide in den 1940er Jahren von Humphrey Bogart gespielt wurden, trägt sicherlich nicht dazu bei, dass sie einfach zu auseinanderhalten sind.) Aber letztlich ist es ja so: Fehler passieren. Auch zwei Fehler passieren. Und auch wenn es für Diogenes sicherlich kein Trost ist: ich hatte an dieser Geschichte wirklich viel Vergnügen.

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Über “Reckless” von Ed Brubaker und Sean Phillips

An manchen Büchern gibt es kein Vorbeigehen – dazu gehörte kürzlich „Reckless“, eine Graphic Novel von Ed Brubaker und Sean Phillips, deren „The Fade Out“ ich sehr gerne mochte. Und auf dem Buchrücken von „Reckless“ stehen all die Worte, die mich derzeit ansprechen: „former Sixties radical“ und „Weather Undergrund days“, deshalb habe ich Teil 1 im Comicladen meines Vertrauens gekauft.

„Reckless“ spielt Anfang der 1980er Jahre in Los Angeles, Hauptfigur ist Ethan Reckless, der optisch dem 1970er-Jahre-Robert-Redford – also der beste Redford – sehr ähnlich sieht und in einem blutigen Schlamassel steckt. Sein Geld verdient er nämlich damit, dass er Menschen hilft, die in Schwierigkeiten stecken. Aber dieses Mal scheinen die Schwierigkeiten weitaus größer zu sein als er dachte. Als er nun blutüberströmt einem anderen Typen gegenübersteht, beginnt eine lange Rückblinde, in der erzählt wird, wie er in dieser Situation gelandet ist und wer eigentlich Ethan Reckless ist. Und diese Hintergrundgeschichte ist bemerkenswert: Sie referenziert sehr geschickt und in aller Knappheit wichtige Ereignisse in der Geschichte des Weather Underground, aber auch dem Vorgehen des FBI gegen die radikalen Gruppierungen. Dazu gehört eine Bombe, die versehentlich explodiert, die an die Ereignisse in Greenwich Village 1970 erinnert. Bei dem erwähnten Bankraub musste ich an den Überfall auf die Nanuet Mall 1981 denken. Dazu wird früh erzählt, dass Ethan Reckless eigentlich ein Undercover-FBI-Agent war und als er seinen früheren Kontaktmann trifft, beschwert er sich darüber, dass dieser einen früheren Zugriff verweigert hat, weil er unbedingt den Weather Underground mit den Black Panthers in Verbindung bringen wollte – was der damaligen FBI-Taktik entsprochen hat. Auch im weiteren Verlauf wird das Agieren von FBI und CIA immer wieder eine Rolle spielen, dadurch bekommen Geschichte und Charakter eine spannende Grundierung, die Reckless in diesem ersten Band über die eher altmodische Anlage eines ermittelnden Rächers, der sich für andere einsetzt, heraushebt. Und hier wird auch die Zeit, in der die Handlung spielt, wichtig: Als Ronald Reagan 1981 Präsident der USA wurde, dachten viele Linke in den USA, ihre Welt würde zusammenbrechen. Es war ein herber Rückschlag – und es ist ein Grund für Reckless zu tun, was er tut. Und er erzählt all das, was Anfang der 1980er Jahre in Los Angeles passiert ist, ebenfalls aus einer Zukunft, in der – wie wir wissen – dieses Gefühl abermals weit verbreitet ist.

Ich bin gespannt und angesichts des Endes ein bisschen skeptisch, ob diese zeitgeschichtliche Grundierung in den folgenden Bänden beibehalten wird. Aber dazu kommt noch, dass Reckless‘ Hauptquartier ein altes Kino namens „El Ricardo“ (wohl ein Verweis auf Lucy und Ricky Ricardo) ist, in dem er regelmäßig „The Night of the Hunter“ spielen lässt, obwohl niemand kommt. Ohnehin erinnert vieles an die 1950er und 1960er Jahre in diesem Buch, vor allem an die Detektivromane dieser Zeit. Brubaker schreibt im Nachwort selbst, dass er von der Comic-Adaption von Richard Starks „Parker“ daran erinnert wurde, dass er so etwas machen wollte. Aber „Reckless“ ist eine modernere Version, ohne Rassismus, mit mehr Introspektion (obwohl es immer ein pulpiger Crime Comic bleibt) und sogar mit interessanten Frauenfiguren – da hoffe ich sehr, dass die Punkrockerin Anna, die in Reckless‘ Kino arbeitet, mehr Raum bekommen wird. Und natürlich wird diese Welt des Noir und des Pulp auch in den Bildern beschworen: es gibt explodierende Autos, strömendes Blut, dazu kommt das Los Angeles der früheren 1980er Jahre in Gelb und Pink. Das alles hat mir schon sehr große Lust auf Band 2 gemacht.

Ed Brubaker, Sean Phillips: Reckless. Image Comics 2020. 144 Seiten.

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Über “Glory” von NoViolet Bulawayo

Jidada „mit einem da und noch einem da“ ist ein fiktionales Land auf dem afrikanischen Kontinent, das seit über 40 Jahren vom Alten Pferd und seinen Getreuen der Jidada Partei beherrscht wird. Einst haben sie die Unabhängigkeit erkämpft, aber heute ist Jidada durch Korruption, Skrupellosigkeit und Egoismus zu einem der ärmsten Länder des Kontinents geworden. Dürre, Armut und Stromausfälle sind ebenso an der Tagesordnung wie Wahlfälschungen, ethnische Säuberungen und Folterungen. Aber nicht das wird das Alte Pferd stürzen, sondern die Ambitionen seiner Ehefrau, der Eselin Marvellous. Als sie offensichtlich seine Nachfolge anstrebt, haben sein Vize und die Anführer der Defenders -– eine brutale Armee aus bissigen Hunden – genug und setzen ihn mit einen unblutigen Coup ab.

(c) Suhrkamp

Pferde, Esel, Hunde, Katzen, Kühe und Schafe – in ihrer bissigen, zornigen und aufwühlenden Parabel „Glory“ arbeitet die simbabwische Autorin NoViolet Bulawayo mit dem satirischen Mittel des Anthropomorphismus, um von einem korrupten Regime zu erzählen, das deutlich an Simbabwe erinnert. Das Alte Pferd ist Robert Mugabe, sein Nachfolger wird das Pferd Tuvy sein, das immer einen Schal trägt – so wie Mugabes Nachfolger Mnangagwa. Eine kollektive Erzählstimme erzählt vom Ende des Alten Pferdes, der Hoffnung auf eine neue Zeit unter neuer Führung. Dann tritt im zweiten Drittel des Romans eine zentrale Figur zum ersten Mal auf: die Ziege Destiny kehrt nach 10 Jahren im Exil wieder nach Jidada zurück und stellt sich ihren Traumata und denen ihrer Mutter, vor allem die ethnischen Massaker an den Nbebele, die das Alte Pferd und seine Getreuen in den 1980er Jahren anrichten ließ (Gukurahundi). Die Perspektive verschiebt sich noch stärker von den Herrschenden zu den Beherrschten und zu dem hochkomischen, bisweilen ätzenden Spott kommt eine schmerzhafte, fast poetische Erzählung von Leid, wiederholt enttäuschter Hoffnung und einem langsam entstehenden, sehr, sehr kaltem Zorn. Er ist es, der ein hoffnungsvolles Ende erlaubt – aber viel mehr noch macht NoViolet Bulawayo damit deutlich, dass Frauen bzw. „Waipchen“ weder in einem patriarchalen, autoritären Staat noch in einer politischen Satire an den Rand gehören.

Die Vielfalt Bulawayos erzählerischer Register ist beeindruckend: es gibt vordergründige Witze wie der Verweis auf den twitternden Pavian aus den USA, der dort 2018 Präsident ist. Oder Schimpfworte wie „Deckschwester“ für jede Frau, die etwas verlangt. Mit einem Wort wird die Frauenverachtung in Jidada deutlich – und das ist nur ein Beispiel für die gelungene Übersetzung von Jan Schönherr, die die verschiedenen Tonfälle trifft. Sei es die bissige, aber wohltuend komplexe Abrechnung mit dem politischen System. Oder auch die tiefvergrabene Trauer und vielen Traumata angesichts des brutalen Vorgehens der Defenders gegen Demonstranten und Oppositionelle und den Gedanken an die Fünfte Brigade, die in den 1980ern die Ndebele ermordet haben. Dazu verbindet NoViolet Bulawayo gekonnt orale Erzähltraditionen nicht nur mit der politischen Satire, sondern auch mit Social-Media-Narrativen. Das zeigt sich beispielsweise an dem Wort „Tholukuthi“, das beständig wiederholt wird. Es verweist auf das Geschichtenerzählen – es ist ein Ndebele-Wort, das Überraschung ausdrückt – und ist zudem ein Hinweis auf einen Social-Media-Moment: Der Song „Tholukuthi Hey!“ war ein großer Hit zu der Zeit als Mugabe abgesetzt wurde. Auch werden Tweets nicht nur wiedergebeben, sondern es wird auch erzählt, dass es zwei Jidadas gibt: Den realen Ort, das „Land Land“, und das andere Land im Internet, in dem sich die Bewohner von Jidada aufregen, austauschen und mutig Kritik üben. Denn eines zeigt dieses Buch auch sehr deutlich: wie beherrschend die Angst ist in einem Leben in einer Diktatur.

„Glory“ ist ein großer Roman, der weit über die Geschichte Simbabwes, ja, sogar die Geschichte vieler afrikanischer Länder herausreicht. Denn das Versprechen von freien Wahlen und dem Wiederherstellen der „Größe“ von Nationen, die Mechanismen von Genoziden, die Prinzipien von Unterdrückung, ethnischem Hass, Korruption, Ausbeutung und Bereicherung finden sich überall auf der Welt.

NoViolet Bulawayo: Glory. Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Suhrkamp Verlag 2023. 464 Seiten. 25 Euro.

Dies ist die längere Textfassung eines Rezensionsgespräches bei DLF Kultur, nachzuhören unter diesem Link.

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Übers Bloggen (und Twitter)

Seit ungefähr drei Jahren nehme ich mir regelmäßig vor, wieder häufiger und dafür kürzer zu bloggen – mit offensichtlich wenig Erfolg. Das hat Gründe: Mittlerweile werde ich meist dafür bezahlt, dass ich über Krimis schreibe, und ich will diesen Blog nicht zur reinen Zweitverwertungsstelle machen. Außerdem habe ich insbesondere im vergangenen Jahr so viel gearbeitet, dass für den Blog einfach keine Zeit mehr geblieben ist.

In den vergangenen Monaten habe ich nun viel über die und meine Kommunikation im Internet nachgedacht. Anlass war die Übernahme von Twitter durch einen größenwahnsinnigen, gefährlichen Milliardär. Sie hat mich zunächst dazu gebracht hat, meinen Twitter-Account nicht mehr zu nutzen. Ich war gespannt, wie das für mich wird, Twitter war immer „mein“ soziales Netzwerk. Ich habe so einige Menschen darüber kennengelernt, mit denen ich teilweise mittlerweile auch Kontakt im Offline-Leben habe und befreundet bin. Gerade bei Festivals war es toll, dadurch mit Leuten ins Gespräch zu kommen, das habe ich erst voriges Jahr beim African Book Festival erlebt. Dazu war Twitter eine meiner Nachrichtenquellen und Plattform zum Bewerben eigener Inhalte. Ich habe dort viel gelernt über die Welt, meine Perspektive hat sich fraglos erweitert – und das finde ich toll.

Aber schon vor dem Verkauf hatte sich einiges verändert: Weiterlesen

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