Am 10. September 1991 hat sich mein Leben für immer verändert: Freitagabend, ich saß auf dem Sofa im Wohnzimmer meiner Eltern, hatte mir erkämpft, dass RTLplus laufen darf. Aber ich erwartete den Start einer neuen Krimiserie(sic!), über die ich in der Programmzeitschrift gelesen habe, die ich zu dieser Zeit stets sorgfältigst studiert habe. Dann ging es los: einige Töne, ein Vogel auf einem Baum. Ich war vom ersten Moment an gefangen: diese Klänge, diese Bilder, diese Schauspieler*innen und dieses Etwas, was ich nicht greifen, nicht benennen konnte. Eine Serie, die mich fasziniert, ein bisschen verstört, Angst macht. Die Szene, in der Leo ein Stück Seife in eine Socke steckt, diese Socke schwingt und auf seine Frau Shelly losgeht, hat mir wochenlang Alpträume beschert.
Im Rückblick erstaunt mich, dass es von all den unheimlichen Szenen in „Twin Peaks“ diese Alltagsgewalt ist, die mir am meisten Probleme gemacht hat. Wahrscheinlich aber liegt es daran, dass mir „Twin Peaks“ damals mit 14 Jahren eine Welt eröffnet hat, die mich bis heute fasziniert: eine Welt des grotesken Unterbewussten, des faszinierenden Unheimlichen. Viele Jahre später war ich in Brühl in einer Ausstellung der Bilder von David Lynch. Und sie hatten denselben Effekt auf mich, den ich nun besser verstand: Das Unheimliche des David Lynch beunruhigt mich nicht. Es drückt etwas aus, was ich schon damals empfand und weiterhin empfinde.
Anfang der 1990er Jahre tat ich, was ich bis heute tue, wenn ich etwas verstehen will: Ich begann zu lesen. Nicht nur Laura Palmers geheimes Tagebuch, sondern Bücher, Artikel über David Lynch, über die Filme, die er referenziert. Ich begab mich auf die Suche nach David Lynchs Filmen, begriff allmählich, dass das etwas ist, was ich machen könnte, was ich studieren könnte. So war es immer: Ich wollte Filme verstehen. Niemals machen.
Tatsächlich kamen mir dann „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“ einige Male im Medienwissenschaftsstudium unter. Bis heute denke ich bei Chris Isaaks „Wicked Game“ an eine nächtliche Asphaltstraße, sehe Naomi Watts in einem Theater vor mir. Als schließlich 2017 die dritte Staffel von „Twin Peaks“ lief, hatte ich ein wenig Angst. Ich war keine 14 Jahre mehr, ich schaute weniger naiv – mein Blick auf Filme, auf Serien hat sich grundsätzlich gewandelt. Umso größer war meine Erleichterung, dass die Faszination noch da ist. Sicherlich sehe ich heute viel deutlich, dass es in David Lynchs Welt vor allem weiße Menschen gibt, dass sein Frauenbild nicht unproblematisch ist. Aber immerhin verheimlicht er es nicht.
Noch heute läuft für mich bei jedem weißen Gartenzaun leise „Blue Velvet“ im Hintergrund. Ist das erste Gesicht, an das ich beim Schreiben über tote Mädchen denke, das der toten Laura Palmer. Ohne „Twin Peaks“, ohne David Lynch wäre mein Leben sehr wahrscheinlich anders verlaufen. So: Farewell!
Über die dritte Staffel von „Twin Peaks“ habe ich damals bei Kino-Zeit über die ersten zehn Folgen und im CrimeMag über die ersten 13 Folgen und schließlich die gesamte Staffel geschrieben.