Er zieht seinen Revolver nur, um zu töten. Dieser Maxime folgt US Marshal Raylan Givens, geschaffen von Elmore Leonard in seinem Roman „Pronto“, verfeinert in „Riding the Rap“ und der Erzählung „Fire in the Hole“, Hauptfigur der Fernsehserie „Justified“ und nun abermals Titelfigur in Elmore Leonards 45. Werk „Raylan“. An dieser Figur lässt sich nicht nur Elmore Leonards Talent zur Charakterisierung zeigen, sondern auch die Flexibilität des Autors hinsichtlich seiner Figuren – und die Schwierigkeiten, die bisher jede Adaption eines Werks von Elmore Leonard begleitet haben.
Rückblick: Raylan in „Pronto und „Riding the Rap“
Bei seinem ersten Auftritt in „Pronto“ versucht Raylan Givens, den Buchmacher Harry Arno vor der Mafia zu schützen und zugleich einen eigenen Patzer auszugleichen: Genau dieser Harry Arno ist ihm bereits zweimal entwischt. Dabei erweist sich der US Marshal als eine geradlinige Figur, die tut, was getan werden muss. Ist er gezwungen, einen Mann zu töten, quälen ihn hinterher keine Gewissensbisse, aber er ist auch kein Revolverheld. Stattdessen hat er die Lage stets unter Kontrolle, wenngleich sein mitunter trotteliges Verhalten etwas anderes aussagen könnte. Doch das ist ein Trugschluss. Außerdem steht Raylan zu seinem Wort. Daher meint er auch das Ultimatum an den Killer „The Zip“ ernst: Wenn er innerhalb von 24 Stunden nicht die Stadt verlässt, wird er ihn töten. In „Riding the Rap“ konfrontiert ihn nun vor allem seine neue Freundin Joyce mit Gewissensfragen. Sie kann nicht verwinden, dass er einfach einen Mann erschossen hat – und zweifelt daran, dass Raylan die Situation tatsächlich im Griff hatte. Raylan irritieren, ja, nerven diese Zweifel, allerdings stellt Joyce diese Fragen zurecht. Vor allem aber wird Raylan durch dieses Buch immer mehr zu einem Westernhelden, der mit seinem Hut und seinen Schießkünsten in einer Kriminalgeschichte steckt.
Der Serienauftakt: „Fire in the Hole“
Es ist die Kurzgeschichte „Fire in the Hole“, die letztlich dazu geführt hat, dass Raylan Givens als Fernsehfigur geschaffen wurde. Elmore Leonard hat diese Geschichte dem Produzenten Graham Yost angeboten, der daraus eine Pilotfolge entwickelt hat. Dabei folgt die erste Episode der Serie „Justified“ der Geschichte eng: Raylan Givens wurde in seine alte Heimat Kentucky strafversetzt und muss nun in Harlan County seinen Dienst versehen. Dabei stößt er durch einen Mordfall und einen Anschlag auf eine Kirche auf seinen alten Bergwerkkumpel Boyd Cowder, der sich Neo-Nazi-Gruppe angeschlossen hat. Letztendlich ist Raylan nahezu gezwungen, Boyd Cowder zu töten. Damit schließt diese Kurzgeschichte an die bisherigen Geschichten über Raylan Givens an, aber für die Serie entschloss sich Graham Yost zu einigen klugen Abweichungen.
Die erste Folge von „Justified“ beginnt mit einer Anspielung auf „Riding the Rap“: Raylan Givens hat einem Gangster in Florida ein Ultimatum gestellt, das nun abläuft. In der Serie sind Ort und Umgebung schicker, außerdem fehlt das mögliche persönliche Motiv – in „Riding the Rap“ ist „the Zip“ für die Ermordung von Raylans Gehilfen verantwortlich – und an dessen Stelle wird eine Folter angeführt, der Raylan zusehen musste. Die Konsequenzen sind gleich: Raylan wird nach Harlan County, Kentucky, strafversetzt. Hier wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert und trifft schließlich auf Boyd Cowder (gespielt von Walton Goggins). Doch dieser stirbt nicht am Ende der ersten Folge – und damit haben die Serienmacher eine der besten Entscheidungen getroffen. Mit Boyd haben sie einen steten Gegenpart zu Raylan und eine der interessanten Figuren der Serie geschaffen.
Durch Boyd wird anfangs Raylans Aufrichtigkeit, später aber auch seine Sturheit betont. Er ist eine der Figuren, die das Serienpersonal und damit auch mögliches Konfliktpotential erweitern. Dazu gehört auch Raylans Ex-Frau, die – in Abweichung zu Leonards Kurzgeschichte – als Gerichtsschreiberin arbeitet. Sie haben keine Kinder und sie lebt nun mit einem mit einem Immobilienmakler zusammen. Am Ende der ersten Folge bricht er in ihr Haus ein, um ihr zu erzählen, dass er nie wusste, wie zornig er ist. Daraufhin betont sie, dass er der zornigste Mensch sei, den sie kenne. In Elmore Leonards Geschichten war Zorn bisher eine Eigenschaft, die Raylan nicht zugeschrieben werden konnte, aber sie ist ein guter Ansatzpunkt für die Erklärung seines Verhaltens. Zudem zeigt dieses Zusammentreffen von Raylan und Winona, dass bei ihnen durchaus noch Gefühle im Spiel sind. Damit ist sie – neben Ava (Joelle Carter), die in der ersten Folge ihren gewalttätigen Mann erschießt – ein weiteres love interest für Raylan. Dadurch erhält Raylan eine private Seite, die in der ersten Staffel vor allem durch seine Hin- und Hergerissenheit zwischen Ava und seiner Ex-Frau bestimmt wird. Außerdem ist auch Raylans Vater noch am Leben und wurde bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten und Trickbetrügereien inhaftiert. Fast immer ist ihm sein Jähzorn zum Verhängnis geworden – und dass deutet daraufhin, dass Zorn der Familie Givens ein grundlegende Motiv sein wird.
Nah bei Elmore Leonard – aber eigenständig genug
Bereits in meinem Beitrag für die Januar-Ausgabe des Magazins BÜCHER habe ich etwas über die wechselseitigen Beeinflussungen zwischen Elmore Leonards Werk und der Serie geschrieben. Tatsächlich ist die erste Staffel der Serie (die zweite Staffel habe ich noch nicht vollständig gesehen) ein hervorragendes Beispiel, wie das Werk eines Autors in eine Serie einfließen kann.
Beispielsweise spielt der Beginn der zweiten Folge auf „Riding the Rap“ an. Hier bringt Raylan am Anfang des Romans einen Inhaftierten ins Gefängnis und wird dann überfallen. In der Serie überstellt er ebenfalls einen Gefangen, gerät aber in den Gefängnisausbruch eines Bankräubers. Auch die dritte Folge orientiert sich an „Riding the Rap“. Raylan soll sich mit dem Informanten Arnold Pinter treffen, der nicht nur ebenso nervig ist wie Harry Arno in den Büchern, sondern sich zudem in Kentucky vor möglichen Racheakten der Mafia versteckt. Hier sind die Parallelen deutlich – und zudem wird erklärt, wie er nach Harlan County gekommen ist. Auch in der vierten Folge lassen sich Parallelen zu der Figur Harry Arno erkennen. und insbesondere der Buchmacher ist ebenso nervig wie Harry Arno in den Büchern. Da er aber in der Serie als Raylans Informant dient, ist zugleich erklärt, wie er nach Harlan County gekommen ist. Doch nicht nur hier sind Züge von Harry Arno zu erkennen: Raylan erkennt in einem Zahnarzt in Los Angeles einen ehemaligen Mafia-Buchhalter, der von der Justiz und der Mafia gejagt wird. Die Handlung hat Parallelen zu „Pronto“ und nach einer Verfolgungsjagd erleiden die Mafia-Killer auch ein ähnliches Ende. Vor allem aber zeigt diese Folge, dass die Drehbuchautoren aus der Roman-Figur Harry Arno mehrere Serienrollen entwickelt haben.
Im zweiten Teil geht es weiter mit Timothy Olyphant, der Frage, was Elmore tun würde und der Wiederkehr von Raylan Givens.
Elmore Leonard im Zeilenkino:
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Jack Foley kehrt zurück – „Road Dogs“ von Elmore Leonard
Der erste Auftritt von Raylan Givens – „Pronto“ von Elmore Leonard
Der zweite Auftritt von Raylan Givens – „Riding the Rap“ von Elmore Leonard
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