Am gestrigen Abend stellte Arne Dahl seinen neuen Thriller „Gier“ im Rahmen der lit.Cologne auf dem Literaturschiff RheinEnergie vor. Und der Abend mit dem schwedischen Krimiautor hat mir sehr gut gefallen. Das Gespräch mit Anne Bubenzer fand überwiegend auf Deutsch statt, da Arne Dahl zeitweise auch in Berlin lebt. Zwischendurch las Gerd Köster sehr hörenswert aus dem Thriller, dabei fühlte ich mich mal wieder in meinem Ansinnen bestärkt, dass Bücher am besten von professionellen Sprechern vorgelesen werden sollte. Insgesamt stimmte die Mischung aus Vorlesen und Gespräch, zumal Arne Dahl einige interessante Ansichten über die Wirtschaftskrise, Europa und dem Kriminalroman im Allgemeinen äußerste. Außerdem bekannte er, dass er vor einiger Zeit in Kerstin Holm – eine Ermittlerin seiner A-Gruppe – verliebt gewesen sei. Aber angesichts von „Rosenrot“ hat mich das nicht so sehr gewundert. 😉
„Gier“, das A-Team und neue Ermittler
Im Mittelpunkt standen natürlich die Kriminalromane von Arne Dahl. Ich bin eine Leserin der ersten Stunde, lese also schon seit 2003. Überzeugt hat mich damals bei „Misterioso“ auch der Gedanke, dass diese Reihe von vorneherein auf zehn Bände festgelegt sein sollte. Damit stellte sich Arne Dahl in eine Tradition mit der Kommissar-Beck-Dekalogie von Maj Sjöwall und Per Wahlöö, vor allem aber hoffte ich, er würde der Versuchung widerstehen, die Reihe immer weiter fortzuschreiben, obwohl die Figuren auserzählt sind.
So ganz erfüllt hat sich die Hoffnung leider nicht. In Schweden ist bereits ein elfter Band erschienen, außerdem ist sein neues Thriller-Quartett, das mit „Gier“ den Anfang nimmt, auch eine Weiterführung der A-Gruppe. Hier begegnet man allerhand bekannten Charakteren: Paul Hjelm ist der Leiter der OpCop-Gruppe bei Europol, einer geheimen operativen Einheit, die – einfach gesagt – als europäisches FBI verstanden werden kann. Neben Hjelm arbeitet auch Arto Söderstedt dort, darüber hinaus sind neun weitere Polizisten aus verschiedenen europäischen Ländern Teil der Einheit. Anstatt also eine völlig neue Ermittlergruppe zusammenzustellen, greift Arne Dahl auf einige bekannte Charaktere zurück – später stoßen noch Jorge Chavez, Sara Svenhagen und Kerstin Holm auf verschiedene Weise zu den Ermittlungen hinzu. Dadurch entsteht auf der einen Seite ein Gefühl der Vertrautheit, des Wiedererkennens. Aber auf der anderen Seite erschwert diese Bindung ausgerechnet den Einstieg in die Geschichte. Erst nach gut 50 Seiten entsteht Spannung, so dass sich durchaus die Frage stellt, ob es nicht besser gewesen wäre, einen komplett neuen Anfang zu wagen. Abgesehen davon drängt sich zudem der Verdacht auf, dass diese neue Reihe auch ein Ausweg ist, das vor Jahren angekündigte Ende der A-Team-Reihe zu umgehen.
Bei der Beschreibung der neuen Mitglieder hält sich Arne Dahl zudem an bekannte Klischees: der elegant-weltmännische, aber etwas steife Spanier Felipe Navarro richtet stets seine Krawatte, die Deutsche Jutta Beyer Jutta Beier braucht klare Regeln und Strukturen, die Bulgarin Lavinia Potorac war früher Turnerin, der Italiener Fabio Tebaldi wird von der kalabrischen Mafia bedroht. Eine Entwicklung ist am ehesten noch der Figur Jutta Beyer vergönnt. Dabei ist es gerade angesichts des etwas zu langen Endes schade, dass Arne Dahl hier den schwedischen Charakteren nochmals einige Ausführungen einräumt, anstatt den neuen Figuren mehr Historie zu geben.
Eine europäische Einheit – ein internationaler Fall
In „Gier“ entfaltet Arne Dahl auf 504 Seiten einen Fall mit globalen Ausmaß, der beeindruckend konzipiert ist. Im Verlauf der Lektüre entsteht niemals das Gefühl, dass Arne Dahl den Überblick über die verschiedenen Handlungsteile verliert. Diese eindrucksvolle Komplexität wird eigentlich nur dadurch geschmälert, dass die Figuren gerade am Ende ständig betonen, wie komplex der Fall sei. Sicherlich wäre der Thriller noch besser, wenn die Handlung an einigen Stellen etwas kürzer und weniger stilisiert ausgefallen wäre. So wären die E-Mails der Insiderin, die bei einer amerikanischen Bank arbeitet und den 11. September miterlebt hat, nicht nötig gewesen. Dadurch wäre auch die mythische Überhöhung durch die Verweise auf Ariadne und den Minotaurs weggefallen. Aber vor den Augen des Lesers entwickelt sich im Verlauf der Lektüre ein Fall, der immer weitere und trotz allem Realismus auch erschreckende Ausmaße hat. Zumal ich mir gut vorstellen kann, dass es solche Verbrechen gibt.
Andere Themen klingen nur am Rande an – beispielsweise die Gefahr, die von einer solchen europäischen Einheit ausgehen kann. Solange dort aufrechte Polizisten wie Paul Hjelm arbeiten, ist eine international agierende Ermittlergruppe ein Weg, die internationale Kriminalität zu bekämpfen. Aber es ist auch gespenstisch, wenn innerhalb weniger Sekunden auf der ganzen Welt Informationen über Einzelpersonen verfügbar sind.
Insgesamt ist „Gier“ ein guter Thriller, der auf die stetig komplexer werdende Welt und damit auch dem neuen Charakter von Verbrechen verweist. Dazu passt bestens – so viel sei hier verraten –, dass am Ende kein Superschurke alle Fäden in der Hand hält. Und ich bin sehr gespannt, wie die Arbeit der OpCop-Gruppe weitergeht!
Tipp: Am 31. März findet ab 20:00 Uhr die 7. Kriminacht beim Funkhaus Europa statt. Dort ist die gestrige Lesung von Arne Dahl zu hören, außerdem Jeffrey Deaver, John Hart, Roberto Saviano und der famose Heinrich Steinfest!
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