Schlagwort-Archive: Daniel Woodrell

„Tomato Red“ von Daniel Woodrell

Der Herumtreiber Sammy erwartet nicht mehr nicht viel von seinem Leben. Er ist gerade nach West Table in Missouri gezogen und hat einen Job in der Hundefutterfabrik angefangen. Am Zahltag ist er auf der Suche nach neuen Bekanntschaften und stößt auf einen Platz mit Wohnwagen und Trailern. Er schließt sich dem bunte „Haufen von Taugenichtsen“ an, trinkt mit ihnen, nimmt Speed und lässt sich schließlich zu einem Einbruch überreden. Aber seine neuen Freunde lassen ihn schnell im Stich – und so begegnet er der neunzehnjährigen Jamalee Merridew mit ihren tomatenroten Haaren und ihrem wunderschönen Bruder Jason. Sie leben mit ihrer Mutter Bev in Venus Holler, einem heruntergekommenen Viertel von West Table, und bieten Sammy den erhofften Familienanschluss: „Ich wollte immer nur dazugehören, irgendwo, und hier waren Leute, die mich wollten.“ Er zieht bei ihnen ein, nimmt alles klaglos hin und unterstützt sie in ihrem Versuch, aus Jasons Aussehen Kapital zu schlagen. Endlich fühlt er sich wohl, wenngleich er fürchtet, seine Zufriedenheit könnte nicht von Dauer sein. Und da „Tomato Red“ ein country noir ist, liegt er damit auch richtig.

West Table in den Ozarks

Big Sugar Creek in Südwest-Missouri (cc) Ozarkhighlands

West Table ist – nach „Stoff ohne Ende“ – abermals der Handlungsort in einem Roman von Daniel Woodrell. Diese Stadt, angelehnt an Woodrells Wohnort West Plains, liegt in den Ozark Mountains. Dort gibt es Familien-Clans, die sich wegen einer Marihuana-Ernte gegenseitig umbringen, Crystal-Meth-Küchen, Armut, korrupte Polizisten und dumme Reiche. Dass „Tomato Red“ aber trostloser ist als „Stoff ohne Ende“, liegt vor allem an dem Erzähler Sammy. Er hat vor einiger Zeit entschieden, dass er nicht mehr versuchen wird, sein Leben zu verbessern und er hat auch keine Ziele. Weiterlesen

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„Stoff ohne Ende“ von Daniel Woodrell

Blick auf die Saint Francois Mountains der Missouri Ozarks (cc) Wikipedian Kbh3rd

Nachdem seine „Im Süden“-Trilogie kommerziell nicht erfolgreich war, begann Daniel Woodrell mit „Stoff ohne Ende“ über die Ozark Moutains in Missouri zu schreiben, jener Welt, die er kannte. Dorthin kehrt Doyle Redmond – Hauptfigur und Erzähler – zurück, um sich vor der Polizei zu verstecken und seinen Bruder Smoke davon zu überzeugen, sich der Polizei zu stellen. Eigentlich waren die Redmonds „noch nie die Art Familie, die ihre Leute so ohne weiteres in den Knast wandern lässt. Es gehört zu den Unverrückbarkeiten unseres Hillbilly-Selbstverständnisses, zu unserer Tradition und zu unserem angeborenen Verhalten, daß wir nicht vor der Staatsmacht kuschen“. Aber seit die Cops in Kansas City bei den Eltern zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen und einfach vorbeikommen, gehen sie ihnen zu sehr auf die Nerven. Also macht sich Doyle auf den Weg in die Ozarks, „die perfekte B-Seite eines Großstadtmolochs“. Dort gibt Hügel, Wälder und alteingesessene Familien-Clans, die sich gegenseitig umbringen. Die meisten verdienen ihr Geld mit Drogen – Marihuana wird angebaut, Crystal Meth gekocht und alles verkauft. Die Zugehörigkeit zu der Familie bestimmt hier, wer du bist. Also besucht Doyle erst seinen Großvater, der ihm dann verrät, wo sich Smokey versteckt. Und so begegnet Doyle der Hillbilly-Schönheit Niagra und ihrer Mutter Big Annie, die mit Smoke zusammenlebt. Er fühlt sich dort zu Hause, zieht in einen Wohnwagen neben der Verenda und überlegt, wie er seiner Schriftstellerkarriere neuen Schwung geben kann. Außerdem hilft er seinem Bruder bei dem heimlichen Anbau von Marihuana, das sie insbesondere vor den Dollys (man denke an „Winters Knochen“) verstecken müssen. Weiterlesen

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Lesungsbericht: Daniel Woodrell liest bei „Mord am Hellweg“

„Mord am Hellweg“ ist Europas größtes internationales Krimifestival und versammelt zumeist eine interessante Auswahl an Lesungen von internationalen Krimiautoren. Beim Lesen des Programms stach mir in diesem Jahr besonders die Lesung von Daniel Woodrell ins Auge, den ich ja bekanntermaßen sehr schätze. Glücklicherweise las er zudem in Dortmund, also nur eine gute Stunde entfernt.

Daniel Woodrell (c) Bruce Carr

Der Abend begann bereits vielversprechend mit der Frage an Daniel Woodrell, ob er sich jemals vorgestellt hat, er würde in Dortmund aus seinem Buch lesen. Die gut gelaunte Antwort lautete, dass er sich zwar vorgestellt habe, in Unna zu lesen (dort war er am Tag zuvor), aber nicht in Dortmund. Danach erzählte Daniel Woodrell von seinem Leben als Schriftsteller, das er am ehesten mit einem Hippie-Dasein vergleichen würde: Seine Frau und er lebten von dem, was sie im Jahr zuvor eingenommen hatten. Die meiste Zeit seines Lebens hat er in Missouri verbracht, dem Handlungsort seiner Geschichten. Dabei spielen insbesondere die Ozark Mountains eine wichtige Rolle in seinen Romanen, die seiner Einschätzung nach selbst für Amerikaner schwer zu beschreiben und zuzuordnen seien: Sie gehören zum nördlichen Süden, den Anfang des Westens, das Ende des Nordens – und eigentlich zu keiner Gegend richtig. Es ist schwer, dort Geld zu verdienen, da es nur wenig Jobs und kaum Industrie gibt. Daher erwidert er auch auf die Frage, ob er die Bezeichnung „white trash“ für die Bewohner der Gegend benutzte oder „working poor“ vorziehe, dass er von „working poor“ spräche, sofern es dort Arbeit gebe. Aber insgesamt lehne er solche verallgemeinernden Einschätzungen ab, da auf diese Weise sehr viele individuelle Schicksale zusammengefasst werden. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Cold Hard Love“ von Frank Bill

(c) Suhrkamp

Wenn auf der Rückseite eines Buches Donald Ray Pollock mit den Worten zitiert wird: „Einer der wildesten Trips, auf die man beim Lesen eines Buches überhaupt gehen kann“, dann werden Erwartungen geweckt. Immerhin hat Donald Ray Pollock mit „Das Handwerk des Teufels“ einen harten, brutalen und tieftraurigen noir-Roman geschrieben, der für mich weiterhin zu den besten Büchern des Jahres gehört. Auch „Cold Hard Love“ von Frank Bill ist ein düsterer Southern Noir. Dennoch – gerade im Vergleich zu Pollocks großartigem Buch – ist Frank Bills Geschichtensammlung nicht von dieser düsteren Aussichtslosigkeit geprägt, die diese Stilrichtung ausmacht.

In seinem Buch versammelt Frank Bill 17 Geschichten mit teils wiederkehrenden Charakteren. Alle spielen im Süden von Indiana in der Nähe des Blue River. Sie erzählen von einem Großvater, der seine Enkelin in die Prostitution verkauft, von Chrystal-Meth-Junkies, Kriegsveteranen, untreuen Ehefrauen und Cops. Getreu des Originaltitels „Crimes in Southern Indiana“ handeln sie von Gewalt und Verbrechen. Weiterlesen

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Leben in den Ozarks – „Der Tod von Sweet Mister“ von Daniel Woodrell

Morris Akins, der von allen Shug genannt wird, lebt in den Ozarks Mountains im Süden von Missouri. Seine Mutter Glenda ist eine verblühende Schönheit, die ihren Tee – Cola mit Rum – trinkt und ihrem Sohn zärtlich zuneigt ist. Sein Vater Red ist ein drogenabhängiger Schläger, der Shug mit Vorliebe Fettsack nennt und auf seine Raubzüge mitnimmt, damit er Alten und Kranken Medikamente klaut. Die grenzenlose Liebe seiner Mutter und die Angst vor seinem Vater sind die Konstanten in Shugs trostlosem Leben. Doch dann taucht der joviale Jimmy Vin Pearce in seinem grünen Thunderbird auf – und bringt diese Welt ins Wanken.

Ausweglosigkeit und Folgen der Erfahrung

Daniel Woodrell (c) Bruce Carr

Wie schon in seinem Roman „Winters Knochen“ erzählt Daniel Woodrell auch in „Der Tod von Sweet Mister“ ohne moralischen Gestus und mit viel Sympathie für seine Hauptfigur eine düstere Coming-of-Age-Geschichte, die schon auf den ersten Seiten gefangen nimmt. Mühelos taucht man in diese fremde Welt in dem vergessenen Landstrich der USA ein, sieht das bunte Haus am Friedhof vor sich und spürt den unterdrückten Zorn des Ich-Erzählers Shug. Dass Shug nicht wie Ree Dolly auf sich allein gestellt ist, erweist sich nicht unbedingt als Vorteil. Seine Mutter kommt nicht einmal auf die Idee, ihrem Sohn eine Alternative zu bieten oder ihren Mann zu verlassen. Das Leben in ihren Augen ist einfach so, also bringt sie ihrem Sohn lieber bei, in dieser Welt zu überleben. Dafür muss er immer hellwach sein und darf Red niemals verraten. Weiterlesen

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