Morris Akins, der von allen Shug genannt wird, lebt in den Ozarks Mountains im Süden von Missouri. Seine Mutter Glenda ist eine verblühende Schönheit, die ihren Tee – Cola mit Rum – trinkt und ihrem Sohn zärtlich zuneigt ist. Sein Vater Red ist ein drogenabhängiger Schläger, der Shug mit Vorliebe Fettsack nennt und auf seine Raubzüge mitnimmt, damit er Alten und Kranken Medikamente klaut. Die grenzenlose Liebe seiner Mutter und die Angst vor seinem Vater sind die Konstanten in Shugs trostlosem Leben. Doch dann taucht der joviale Jimmy Vin Pearce in seinem grünen Thunderbird auf – und bringt diese Welt ins Wanken.
Ausweglosigkeit und Folgen der Erfahrung
Wie schon in seinem Roman „Winters Knochen“ erzählt Daniel Woodrell auch in „Der Tod von Sweet Mister“ ohne moralischen Gestus und mit viel Sympathie für seine Hauptfigur eine düstere Coming-of-Age-Geschichte, die schon auf den ersten Seiten gefangen nimmt. Mühelos taucht man in diese fremde Welt in dem vergessenen Landstrich der USA ein, sieht das bunte Haus am Friedhof vor sich und spürt den unterdrückten Zorn des Ich-Erzählers Shug. Dass Shug nicht wie Ree Dolly auf sich allein gestellt ist, erweist sich nicht unbedingt als Vorteil. Seine Mutter kommt nicht einmal auf die Idee, ihrem Sohn eine Alternative zu bieten oder ihren Mann zu verlassen. Das Leben in ihren Augen ist einfach so, also bringt sie ihrem Sohn lieber bei, in dieser Welt zu überleben. Dafür muss er immer hellwach sein und darf Red niemals verraten. Wie sehr seine Erziehung und Erfahrung Shugs Wahrnehmung prägt, macht Daniel Woodrell auf brutale Weise deutlich. Wenn sich Jimmy seiner Mutter nähert, droht er ihm Schläge an – das ist die einzige Reaktion, die er von Red kennt. In einem erschütternden Moment fasst er seiner Mutter an den Hintern – weil es jeder tut. Diese Verhaltensweisen sind feste Bestandteile von Shugs Welt, die Daniel Woodrell mit den sprachlich eingeschränkten Möglichkeiten seines Ich-Erzählers erschütternd und eindringlich schildert. Dabei erinnert die desillusionierende Ausweglosigkeit und Härte an Jim Thompson, wenngleich Daniel Woodrells Stil mitfühlender und poetischer ist.
Wenn der Zorn obsiegt
Schon im ersten Kapitel bekennt Shug: „Die Schreie, die ich damals und in all den anderen ähnlichen Momenten wie in Flaschen verkorkte, warteten und warteten nur darauf, wieder herausgelassen zu werden, und der Zeitpunkt sollte kommen. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass nichts von alledem passiert sei.“ Erst am Ende dieses intensiven Romans wird diese Flasche voller unterdrückter Aggressionen, Schmerzen und Demütigungen entkorkt.. Lange sieht man das Unheil auf sich zu kommen, lernt mit Shug dem Frieden zu misstrauen – allzu oft hat sich Sicherheit in seinem Leben als trügerisch herausgestellt – und erkennt die fatalen Folgen, die Reds Erziehung und Glendas Versagen gebracht haben. Dennoch trifft einen der Ausgang mit voller Wucht. Und am Ende ist man alleine mit seiner erschöpften Empörung über die Ungerechtigkeit des Lebens.
Daniel Woodrell geht im September auf Lesereise:
12.9.: Harbour Front, Hamburg
13.9.: English Theatre Berlin / Hammett
15.9.: Unna / Mord am Hellweg
16.9.: Dortmund / Mord am Hellweg
18.9.: Krimi Nacht Wien
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