Schlagwort-Archive: Krimi

Alles beim Alten in Oxford

Am Anfang ein Geständnis: Ich habe alle Folgen von Inspector Lewis gesehen. Mehrfach. Nicht weil ich sie für herausragendes Fernsehen halte. Aber sie boten mir ein bisschen Eskapismus mit Mord. Gefühlt war zu 75 Prozent immer eine Frau die Täterin – aber sogar darüber konnte ich lachen. Ich war noch nie in Oxford, aber ich stelle es mir wie ein elitäres Disneyland vor, in dem man an jeder Ecke über schlaksige, blasse junge Männer stolpert, die Keats zitieren oder Tolkien erklären.

(c) Goldmann

Die Serie hat aber auch ein gewisses Interesse für Oxford-Krimis geweckt – und ich mochte Cara Hunters Reihe recht gerne. Deshalb war ich sehr gespannt auf Simon Masons „Mord im November“. Die Grundkonstellation ist: DI Ray Wilkins und DI Ryan Wilkins müssen einen Mordfall aufklären. Ja, sie heißen wirklich so, ich habe mich nicht vertippt. Ray Wilkins ist gebildet, kultiviert, Oxford-Absolvent, charmant, gutaussehend, mit vollendeten Manieren ausgestattet und Schwarz. Ryan Wilkins sieht aus wie ein Teenager, kommt mit Joggingshose und Basecap zum Dienst, ist in einer Trailersiedlung in Oxford in einer kaputten Familie aufgewachsen, hat ein ausgeprägtes Aggressionsproblem und ist weiß.

Das soll vermutlich witzig sein, aber von Anfang an hatte ich Unbehagen. Denn: Setzt diese Konstellation voller Gegensätze setzt nicht auch voraus, dass es weiterhin „überraschend“ ist, wenn ein Schwarzer kultiviert und Oxford-Absolvent ist? Und als ich den Kriminalroman dann las, hatte ich recht schnell den Gedanken: Wäre Ryan schwarz, wäre er schon längst im Gefängnis. Niemand würde es ihm dieses Verhalten durchgehen lassen, egal, welche Ermittlerfähigkeiten er hätte. Denn natürlich ist der Proll der Geniale in dieser Kombination. Vermutlich als lustiger Take auf die Morses und Lewis‘ gedacht, wo immer der Kultivierte auch der Cleverere war, ist das einfach nicht zu Ende gedacht. Und auch als Kommentar auf den Klassismus und Rassismus der britischen Gesellschaft ist greift es zu kurz.

Aber Mason vertraut voll auf diese Grundidee, denn der Kriminalfall hätte auch in einer Inspector-Lewis-Folge erzählt werden können: Es gab ein Mord im altehrwürdigen Barnabas College. Im Büro des Provost wird eine Frau (natürlich) aufgefunden. Im Folgenden gibt es das übliche Figuren-Arsenal: einen seltsamen Pförtner, einen egozentrischen Gelehrten usw. Außerdem einen reichen arabischen Mann, der möglicherweise Geld für das College bedeutet. Das ist mit das Interessanteste an diesem Buch: Oxford wird hier nämlich als internationaler Standort gezeigt, der längst von ausländischen Investitionen und Studierenden abhängt. Alles andere aber ist Oxford-Krimi-Standardware.

Simon Mason: Ein Mord im November. Übersetzt von Sabine Roth. Goldmann Verlag 2025. 396 Seiten. 17 Euro.

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Über “Das Nest” von Sophie Morton-Thomas

Vögel sind die Leidenschaft von Fran. Schon morgens schleicht sie sich aus ihrem Wohnmobilheim an der Küste Norfolks, um sie zu beobachten. Dann muss sie nicht mehr darüber nachdenken, warum sich ihr Mann in seine Arbeit vergräbt oder ihre Schwester kaum noch mit ihr spricht. Warum ihr Sohn Bruno keine Freunde findet, stattdessen seiner gleichaltrigen Cousine Sadie hinterherläuft, die so viel reifer ist als er. Und ob ihr Schwager wieder trinkt.

Von Anfang ist in Sophie Morton-Thomas‘ Debütroman „Das Nest“ klar, dass etwas nicht stimmt. Aber man bekommt nicht zu fassen, was es ist. Warum ist das Verhältnis zwischen Fran und ihrer Schwester so angespannt? Warum will Frans Ehemann, dass sich ihr Schwager von ihrem Sohn Bruno fernhält? Überhaupt Bruno – er ist ein merkwürdiges Kind. Ständig betonen Fran und ihr Mann, wie sehr sie ihn lieben, wie kindlich er im Vergleich zu seinen Mitschülern ist, wie unschuldig. Sie wollen ihn unbedingt beschützen. Doch vor was?
Morton-Thomas nimmt sich etwas zu viel Zeit, um dieses Setting und die Atmosphäre zu etablieren. Dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig, die diese fragile Routine stören: Roma errichten ihr Lager auf einem Feld direkt neben dem Campingplatz, den Fran verwaltet. Innerhalb kurzer Zeit verschwinden erst die Vertretungslehrerin ihres Sohnes, dann ihr Schwager. Außerdem tauchen toten Vögel auf, denen die Köpfe abgerissen wurden.
Erzählerisch bleibt Sophie Morton-Thomas überwiegend in der Perspektive von Fran, die ständig mit ihren Vögeln beschäftigt ist. Vor allem das titelgebende Nest der seltenen Seeschwalbe dominiert ihre Gedanken, es wird regelrecht zu einer Obsession. Doch es wird immer klarer, wie sehr sie mit allen überfordert ist – und dass sie manche Gedanken, Sorge, Bedürfnisse nicht aussprechen kann. Wie so einige Menschen in ihrer Umgebung. Dadurch entwickelt sich unter dieser simplen Oberfläche ein komplexes Familiendrama, in dem die Nuancen fein aufeinander abgestimmt sind. Man muss aufpassen und sorgfältig lesen, um sie nicht zu verpassen.
Das Ende enthält sicherlich eine Spur zu viel Großherzigkeit. Aber die Subtilität der psychologischen Spannung überzeugt.

Sophie Morton-Thomas: Das Nest. Aus dem Englischen von Lea Dunkel. Pendragon 2025. 302 Seiten. 22 Euro.

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Krimibestenliste 2022 – Die zehn besten Kriminalromane des Jahres

Jeden Monat stimme ich bei der Krimibestenliste ab und einmal im Jahr dann stimmen wir über das ganze Jahr ab. Heute wurde sie veröffentlicht, die Krimibestenliste des Jahres 2022. Eine kommentierte Liste mit mehr Informationen und ein PDF zum Herunterladen gibt es im Blog von Jury-Sprecher Tobias Gohlis.

(1) Riku Onda: Die Aosawa-Morde. Aus dem Japanischen von Nora Bartels. Atrium 2022. 568 Seiten.

(2) Sybille Ruge: Davenport 160×90. Suhrkamp 2022.

(3) Christoffer Carlsson: Was ans Licht kommt. Aus dem Schwedischen von Ulla Ackermann. Rowohlt 2022. 492 Seiten.

(4) Åsa Larsson: Wer ohne Sünde ist. Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger, Holger Wolandt. Bertelsmann 2022. 590 Seiten.

(5) Jacob Ross: Die Knochenleser. Aus dem Englischen von Karin Diemerling. Suhrkamp 2022. 376 Seiten.

(6) Oliver Bottini: Noch einmal sterben. DuMont 2022. 476 Seiten.

(7) Andrej Kurkow: Samson und Nadjeschda. Aus dem Russischen von Johanna Marx und Sabine Grebing. Diogenes 2022. 367 Seiten.

(8) Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen. Suhrkamp 2022. 265 Seiten.

(9) Cherie Jones: Wie die einarmige Schwester das Haus fegt. Aus dem Englischen von Karen Gerwig. CulturBooks 2022. 325 Seiten.

(10) Dror Mishani: Vertrauen. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Diogenes 2022. 351 Seiten.

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Covers in distress – „Sie sind ein schlecher Bulle, gnädige Frau“ von Lydia Tews

Anfang der 1980er Jahre gab es so einige Autorinnen, die mit Ermittlerinnen auf dem deutsch- und englischsprachigen Krimi-Markt Bücher in Erscheinung traten. Cover- und Titelgestaltung sind wichtige Paratexte und gerade im Hinblick auf die (intendierte) Rezeption dieser Bücher eine wahre Fundgrube. Deshalb starte ich hiermit eine lose Reihe. Den Anfang macht:

Lydia Tews: Sie sind ein schlechter Bulle, gnädige Frau. Erscheinen bei Knaur 1982.

Lydia Tews war eine der ersten Autorinnen, die eine Krimi-Reihe mit einer Polizistin hatte und so ist eine Frau auf dem Cover zu sehen. Allerdings frage ich mich, was genau diese Frau eigentlich in dem Auto – ein wirklich hübscher R4 – macht. Tot ist sie nicht, denn ihre Füße sind klar angespannt. Sucht sie etwas? Warum hat sie dann ihren linken Schuh verloren? Und es sieht auch so aus, als würde sie eher auf dem Rücken liegen bzw. maximal auf der Seite. Hatten R4s überhaupt Handschuhfächer? Liegt sie in dem Auto, um sich auszuruhen? Wartet sie auf jemanden? Nochmal: Warum hat sie nur einen Schuh an? Meine erste Assoziation war, dass sie so halb im Auto liegt, weil sie eigentlich nur auf einen Mann wartet, der sie küsst. Deshalb auch der sinnlich verlorene Schuh. Nichts von dem passt zu einer professionellen Ermittlerin. Eine weitere Interpretation ist, dass das Cover eine Polizistin zeigt, die nachts ein verdächtiges Auto durchsucht, das von innen ziemlich hell beleuchtet ist. Dann sorgen die Beine und der elegant-leicht-lasziv-verlorene Schuh dafür, dass diese Frau möglichst feminin wirkt – und zwar trotz ihrer Arbeit.

Der Titel ist für mich eine klare Anspielung auf P.D. James „An unsuitable job for a woman“, im Original 1972 erschienen, wurde des bereits ein Jahr später von Heyne in der Übersetzung von Dietlinde Bindheim unter „Kein Job für eine Dame“ herausgebracht.

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Über „Müll“ von Wolf Haas

Im Grunde genommen lässt sich „Müll“ von Wolf Haas mit einem Satz besprechen: Wer die vorherigen acht Brenner-Romane mochten, wird auch diesen Roman mögen.

Die etwas längere Version geht folgendermaßen: Auf einem Wiener Mistplatz (in Berlin sagen wir dazu Recyclinghof) wird ein menschliches Knie gefunden. Es folgen weitere Leichenteile, nur das Herz fehlt. Die herbeigerufene Polizei hat schnell eine mögliche Erklärung gefunden: die Ex-Frau des Toten hat ihn getötet, entsorgt und ist nun auf der Flucht. Das sieht die Tochter des Paares aber anders – und nicht nur sie: der neue Mistler war mal bei der Polizei. Und deshalb sieht sich Simon Brenner die Sache etwas genauer an.

„Müll“ hat alles, was einen guten Brenner ausmacht: Zuallererst die Erzählstimme, die durch diese Geschichte führt und für allerhand Charme und bösen Witz sorgt. Die eigenwillige Mischung aus Verknappung und Ausführlichkeit. Dazu ist insbesondere der Anfang dieses Romans auf dem Mistplatz schlichtweg großartig: Mit wenigen Sätzen und originellen Charakteren schafft Haas eine so dichte, unwiderstehliche Atmosphäre – das muss man erst einmal können. Dazu gibt es diesem Roman so manche Witze, die nur funktionieren, weil man sich so bereitwillig auf die Erzählstimme einlässt: dass Kommissar Kopf immer aus dem Bauch heraus entscheidet. So geschrieben klingt es fast albern. Aber es ist bei Haas tatsächlich lustig.

Deshalb lese ich Haas einfach gerne – es gibt nicht viele, die einen so eigenen Sound und Stil haben, der niemals manieriert oder nur noch routiniert abgespult wirkt. Für die Krimibestenliste, bei der ich ausnahmsweise mitkommentieren durfte, habe ich es so formuliert: Gewohnt beiläufig. Gewohnt komisch. Gewohnt gut.

Wolf Haas: Müll. Hoffmann und Campe 2022. 288 Seiten. 24 Euro.

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Über „Tote ohne Namen“ von Louisa Luna

Es sind zwei Tote ohne Namen, mit denen es die Privatdetektivin und gelegentliche Kopfgeldjägerin Alice Vega in Louise Lunas Kriminalroman zu tun bekommt: zwei mexikanische Mädchen, zwischen 12 und 14 Jahren alt, zu Lebzeiten zur Prostitution gezwungen, nach dem Tod einfach abgeladen. Alter, Todesart und die Seriennummer der eingesetzten Spirale verbindet sie – und letztere verrät noch mehr: Es muss außer ihnen noch vier weitere Mädchen geben. Weil nun eine der Toten einen Zettel mit dem Namen von Alice Vega in der Hand hält, kommt die Polizei auf die Idee, sie zu engagieren – unter der Hand versteht sich, bar bezahlt.

Tatsächlich lässt sich Vega darauf ein und lässt noch einen Kollegen von der Ostküste nach San Diego einfliegen: Max Caplan ist anders als sie. Ein ehemaliger Polizist, geschieden, hat eine Tochter und denkt über einen ruhigen Job als Detektiv für eine Anwältin nach. Die beiden haben eine Vergangenheit – „Tote ohne Namen“ ist der zweite Teil einer Reihe –, aber es gut, dass erst dieser Teil erscheint: dass diese Geschichte hier nur angedeutet wird, dass diese Figuren bereits einen Schritt weiter sind in ihrer Entwicklung und Beziehung, verleiht ihnen etwas angenehm widerspenstig-brüchiges. (Außerdem scheint dieser erste Fall auch mit einer Gefährdung von Caplans Tochter Nellie zu enden, das ist sehr oft ein recht überflüssiges und einfaches Mittel, um die Dramatik zu steigern.)

Vega und Caplan beginnen nun also mit den Nachforschungen und versuchen, die noch lebenden vier Mädchen zu finden und die Hintermänner auszumachen. Von Anfang ist ihnen klar, dass weder der verantwortliche Detective Roland Otero noch die zwei Männer von der DEA mit offenen Karten spielen. Deshalb stecken sie schon bald in einem Schlamassel aus Korruption, Drogenhandel, Erpressung, Menschenhandel und Zwangsprostitution. Aber Vega vertraut auf die Waffe, die sie in ihrem Kofferraum hat – ein gelungener Running Gang, der dann erst auf Seite 188 mit viel Understatement aufgelöst wird – und ihrem Kampfgeist. Sie ist eine gelungene Figur, es ist klar, dass auch sie einige Traumata in der Vergangenheit hat, aber sie wird dadurch nicht zu einer überlebensgroßen Rächerin. Vielmehr vertraut sie auf sie sich selbst und die Hilfe anderer. Zusammen mit Max Caplan – der hier der bodenständigere von beiden ist – ergibt sie ein gutes Ermittlungsduo, von dem ich mehr lesen möchte.

Louisa Luna verbindet in „Tote ohne Namen“ sehr gute hardboiled-Unterhaltung mit gesellschaftspolitischen Untertönen: Kinderhandel von Lateinamerika in die USA ist ein großes Problem, die Kinder werden verschleppt – und die Gleichgültigkeit der US-Behörden ist groß. Die zeigt sich in „Tote ohne Namen“ nicht nur in dem Verhalten vieler Figuren, sondern vor allem in der kurzen Schilderung des Besuchs in einem Lager, in dem Kinder mit unklarem Aufenthaltsstatus „verwahrt“ werden. Die Ausbeutung von Kindern wird regelrecht hingenommen, sogar von Jugendlichen, die aufgrund ihrer eigenen Privilegien aus Langeweile und Überheblichkeit wohl kaum mehr wissen, was richtig ist – und deren Eltern ihnen da offensichtlich auch keine Hilfe sind. Dazu kommt ein Durcheinander an Zuständigkeiten von Behörden, eine Einwanderungspolitik, die ihren Namen nicht verdient – und immer wieder Gleichgültigkeit, bei der man nicht weiß, ob sie aus Abgestumpftheit oder tatsächlicher Verachtung kommt. Aber letztlich es auch egal. Es geht hier um Menschen, um die sich niemand kümmert. Deshalb fiebert man mit Luna und Caplan unweigerlich mit, die zumindest einigen Mädchen helfen wollen.

Louise Luna: Tote ohne Namen. Übersetzt von Andrea O’Brien. Suhrkamp 2021. 444 Seiten. 15,95 Euro.

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