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Über „Die Stadt, das Geld und der Tod“ von Frank Göhre

Da ist die Stadt. Hamburg. Oder genauer Hamburg Anfang des 21. Jahrhunderts. Und da ist der Tod, zumindest der erste: der 16-jährige Sohn von Ivo stirbt an einer Überdosis im Park. Das Geld aus dem Titel von Frank Göhres Kriminalroman könnte nun natürlich das Drogengeld meinen, das diesem Tod unweigerlich vorausgegangen ist. Aber Geld ist hier letztlich die Triebfeder für alles und jeden.

Es ist dieser erste Tod, der das feinmaschige Netz der Geschäftsbeziehungen zwischen Hamburger Halb- und Geschäftswelt ins Wanken bringt: Ivo hat noch im Gefängnis erfahren, dass sein Sohn gestorben ist, und will nach seiner Freilassung herausfinden, wen er für diesen Tod verantwortlich machen kann. Denn irgendwo muss er hin mit seinen Gefühlen. Ivo ist auch der getreue Gefolgsmann des Immobilienunternehmers Nicolai Radu, der wie Ivo aus Rumänien kommt. Radu ist eine Größe des organisierten Verbrechens wie der feinen Gesellschaft. Aufgestiegen ist er im Kiez, dann hat er die Tochter eines Kaffeegroßhändlers geheiratet und nun spielt er Poker mit Männern mit Beziehungen. Nicolai weiß, wie Ivos Sohn gestorben ist. Aber allen Treueschwüren zum Trotz wird er es Ivo, der immer für ihn geschwiegen hat, nicht sagen. Es steht seinen Geschäftsinteressen entgegen. Im Verbrechen wie im Kapitalismus gelten dieselben Regeln: Freundschaft und Loyalität gibt es nur, solange sie nicht verhindern, noch mehr Geld zu machen.

Diese Austauschbarkeit von Geldadel und Kriminalität ist der Subtext dieses Romans. Korruption, Gier und Egoismus sind in dieser Gesellschaft keine Sensationen mehr, sie sind Fakten. Verbrechensromantische Vorstellungen werden oberflächlich noch bedient, dienen lediglich als Schmiermittel, das den Laden am Laufen und manche kleineren Lichter bei der Stange hält.

Göhre erzählt in seinem einzigartig konzentrierten, präzisem Stil die Geschichte eines Gangsters – typischer Noir-Stoff also – die aber so nur im Hamburg der Gegenwart spielen kann. Alles ist großartig verdichtet und exakt beobachtet – von der Montage des Finales bis zur Wahl der Radiosender der jeweiligen Figuren mitsamt der Musik, die dort gespielt wird. Oder die präzise Beschreibung „Pinkeljazz“ (die zumindest ich fortan in meinen aktiven Wortschatz übernehme). Dazu kommen diese besonderen kleinen unvergesslichen Momente, in denen zwei Menschen, die ein wenig am Rand stehen und von anderen für selbstverständlich genommen werden, eine für sie ideale Bindung eingehen, eine Art Nähe erleben und sei es auch nur für kurze Zeit. Das alles ist Teil des einzigartigen Göhre-Sounds.

Frank Göhre: Die Stadt, das Geld und der Tod. Culturbooks 2021. 159 Seiten. 15 Euro.

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Sturmflut-Nacht – Über „Dammbruch“ von Robert Brack

(c) Ellert & Richter Verlag

„Ein Sturmflut-Thriller“ steht auf dem Cover vom Robert Bracks „Dammbruch“ – und ja, diese Geschichte spielt in der Hamburger Sturmflut 1962. Doch bitte, dieses Buch ist doch deshalb kein „Sturmflut-Thriller“. Das klingt nach Maulwurf-Krimi, Blockchain-Thriller und Bodensee-Roman. Aber für dieses Etikett kann das Buch nur wenig. Tatsächlich nämlich ist „Dammbruch“ ein atmosphärisch dichter Roman, der von zwei verbrecherischen Menschen in Hamburg im Jahr 1962 erzählt. Lou Rinke plant seinen nächsten Einbruch und Betty ihren nächsten Mord. Sie ahnen beide nicht, dass das heranziehende Sturmtief Vincinette ihre genau geplanten Vorhaben nicht vereiteln, aber erschweren und in dieser Nacht zueinander führen wird.

Robert Brack braucht keine langen Erklärungen für den Hintergrund oder seine Figuren, sie sind einfach da und entstammen vor allem ihrer Zeit: Lous Eltern sind väterlicherseits Verbrecher, mütterlicherseits Kommunistin (was in der BRD auf das Gleiche hinausläuft), er versucht, seinen Einbrüchen zumindest etwas Klassenkämpferisches abzugewinnen. Und Betty. Betty ist geflohen. Betty hat Fürchterliches erlebt. Betty pflegt nun ehemalige Wehrmachtssoldaten und tötet sie. Das ist ihre Rache, eine Rache, die allzu verständlich ist, ohne dass ihre Erlebnisse jemals detailliert ausgeführt werden. Das müssen sie gar nicht, man weiß auch so, was passiert ist.

Das Sturmtief nun spült diese beiden Menschen mit anderen zeitweilig Geretteten einen Rohbau. Sie trauen einander nicht, sind aber doch aufeinander angewiesen. Mit ihnen treffen dann auch Lous romantischen Verbrechensvorstellungen auf Bettys harte Erfahrungen. Das ist spannend, düster und in dem Ausgang erstaunlich zufriedenstellend.

Robert Brack: Dammbruch. Ellert & Richter 2020. 240 Seiten. 12 Euro.

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Über „Mexikoring“ von Simone Buchholz

Frühmorgens kam der Anruf. „Ein brennendes Auto. Schon wieder. Wir müssten das mit den brennenden Autos mal langsam in den Griff kriegen, hieß es. Die brennenden Autos interessieren mich nicht besonders. Du weißt genau, warum deine Autos brennen, Hamburg.“ Doch dieses brennende Auto ist anders. Es brannte eben nicht aus Wut oder Zorn oder Dummheit. In diesem brennenden Auto war ein Mensch.

(c) Suhrkamp

Da ist er, gleich auf den ersten Seiten von „Mexikoring“ von Simone Buchholz, der Unterschied, der bei Gesprächen über Gewalt aus linken oder rechten Ecken oft vergessen wird. Es ist ein Unterschied, ob jemand aus Wut Autos anzündet oder Menschen. Der Fall, die Geschichte, führt zu anderen Verbrechen, da wird es um Clankriminalität, organisiertes Verbrechen und Familienfehden gehen. Aber dieser Anfang ist ein Beispiel dafür, dass in diesem Buch auf jeder Seite eine Haltung gegenüber der Welt zu erkennen ist, die nicht ausgestellt oder gar ausbuchstabiert werden muss. Schon deshalb lassen sich die Bücher von Simone Buchholz nicht einer Kategorie zuordnen – sie sind keine Lokalkrimis, keine St. Pauli-Romane oder Hamburg Noirs. Das sollte doch schon dadurch klar werden, dass die Handlung in diesem Buch zu weiten Strecken in Bremen (of all places) spielt. Verortung ist wichtig, AutorInnen brauchen ein Gefühl für den Handlungsort haben, sie sollten wissen, warum sie ihre Handlung dort und nicht woanders ansiedeln. Aber bei guter Kriminalliteratur – und „Mexikoring“ ist das zweifellos – ist der Handlungsort eben nur ein Aspekt, ein Teil, aber sicherlich nicht die Kategorie, in die man diese Reihe einsortieren sollte (wie man ohnehin vorsichtig mit Kategorien sein sollte). Hier ist jedoch das ganze Gegenteil der Fall: Simone Buchholz beweist mit jedem Buch ihrer Reihe noch mehr, dass es in der deutschsprachigen Kriminalliteratur sehr viel mehr gibt als Regional- und Tourismuskrimis. Und bei all dem Regen, bei all den düsteren Verbrechen, bei aller Desillusion steckt in den Chastity-Riley-Büchern auch viel zu viel Hoffnung für einen Noir. Das mag jetzt kitschig klingen, bei Simone Buchholz ist es das aber nicht. Vielmehr ist es die Hoffnung, die die Realität, Schmerz und Traurigkeit nicht verleugnet, die die Tapferkeit betont, die Weiterleben oftmals braucht, und gerade dadurch erkennen lässt, dass es irgendwie weitergeht. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Die drei Leben des Feng Yun-Fat“ von Robert Brack

(c) Edition Nautilus

(c) Edition Nautilus

Explosiv beginnt der neuen Roman von Robert Brack: Auf die Detektivagentur von Lenina Rabe und Nadine Adler wird ein Anschlag mit einer Granate verübt, der die Ermittlerinnen schockiert zurücklässt. Das haben sie nun davon, dass sie im Auftrag des Besitzers ihres Stamm-Chinesen Feng Yun-Fat nach dessen verschwundenem Koch Wang Shou gesucht haben. Brutal wird es bei Robert Brack aber dennoch nicht. Vielmehr wird in der Folge aufgeklärt, wie es zu dem Granatenangriff kommen konnte, indem sich seine Protagonistinnen mit ihren Gegenspieler einige schlagfertige Wortgefechte und nur selten einen Kampf mit Händen und Füßen liefern.

In Bracks Kriminalroman geht es um einen verschwundenen Koch, Kriegswaffen, die in den Mittleren Osten verschifft, Schrott, der Afrika geschickt, und Autos, die nach China verladen werden. Dazwischen stecken Anspielungen und Verweise auf kriminalliterarische Vorgänger, so diskutieren Nadine und Lenina, ob Raymond Chandler Taoist gewesen sein könnte, nutzen die Seite anti-pinkerton.org und tun, was sie tun müssen. Im Gegensatz zu ihren wortkargen männlichen Kollegen ernähren sie sich gesund, trinken Bier, aber noch mehr Tee und reflektieren beständig ihr Handeln sowie das Verhalten der Gegenspieler. Bisweilen wünscht man sich ein wenig mehr Realität. Jedoch ist die Vorstellung, dass sich die Lohnsklaven in den Küchen, Fabrikhallen und anderen Orten tatsächlich organisieren, allzu verführerisch. Denn in ihm steckt immer noch ein Fünkchen Hoffnung auf ein gerechteres System, auf Gegenwehr und auf Engagement.

Robert Brack: Die drei Leben des Feng Yun-Fat. Edition Nautilus 2015.

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Veranstaltungshinweis: Der Krimi ist politisch II

Letztes Jahr fand im Herbst in Hamburg bereits die Veranstaltungsreihe „Der Krimi ist politisch“ statt, die nun in die zweite Runde geht. Hamburgs unabhängige Krimi- und Noir-Verlage haben sich zusammengeschlossen und stellen an vier Abenden und vier Stadtteilbuchhandlungen den politischen Kriminalroman in den Mittelpunkt. Würde ich in der Nähe von Hamburg wohne, verpasste ich keinen Abend.

1. Abend
Krimis als Fenster zur Welt
Maghreb/Levante: arabische Länder
Jörg Walendy und Alfred Hackensberger
Dienstag, 9. September, 19:30 Uhr
Buchhandlung Seitenweise, Hammer Steindamm 119, 20535 Hamburg

2. Abend
Wahrheit und Lüge
Wem gehört die Geschichte?
Dominique Manotti mit Iris Konopik
Montag, 6. Oktober, 19:30 Uhr
Büchereck Niendorf Nord, Nordalbinger Weg 15, 22455 Hamburg

3. Abend
Die Stimme am Drücker
Ein verrückter irischer Krimi und eine literarische Herausforderung
Declan Burke mit Robert Brack und Ulrich Pleitgen
Donnerstag, 13. November, 20 Uhr
Buchladen Osterstraße, Osterstr. 171, 20255 Hamburg

4. Abend
Der sanfte Thrill des „ganz Normalen“:
Milieuscharfe Schreibkunst, die das alltägliche Verbrechen beleuchtet
Anne Goldmann und Matthias Wittekindt
Donnerstag, 4. Dezember, 20 Uhr
Buchhandlung Recht-Ullrich, Fuhlsbüttler Str. 386, 22309 Hamburg

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