Schlagwort-Archive: Kritik

Einige Anmerkungen zu Gillian Flynn – „Cry Baby“ und „Finstere Orte“

Gillian Flynn (c) Heidi Jo Brady

In Vorbereitung auf „Gone Girl“, das im August bei Fischer in deutscher Übersetzung erscheinen wird, habe ich letzte Woche „Cry Baby“ und „Finstere Orte“ von Gillian Flynn gelesen. Beide Bücher haben eine äußerst kaputte Hauptfigur: In „Cry Baby“ lebt Camille Preaker als Journalistin in Chicago, hat den Tod ihrer jüngeren Schwester nicht verwunden und ritzt sich. Libby Day aus „Finstere Orte“ hat mit sieben Jahren einen Angriff auf ihre Familie überlebt, bei dem ihre Mutter und ihre beiden Schwestern starben. Damals hat sie gegen den Täter ausgesagt, den sie zu sehen geglaubt hat: ihren Bruder Ben. Nun müssen sich sowohl Camille als auch Libby ihrer Vergangenheit stellen. Camille erhält den Auftrag, über die Ermordung und das Verschwinden zweier Mädchen aus ihrer Heimatstadt Wind Gap zu berichten. In der Zeit soll sie bei ihrer Mutter wohnen. Libby hingegen ist das Geld ausgegangen, mit dem sie sich bisher über Wasser gehalten hat – Spenden, von wohlmeinenden Gutmenschen – so dass sie auf die Idee kommt, ihre Geschichte und Erinnerungsstücke an andere Interessierte zu verkaufen. Da sich mittlerweile Zweifel an der Schuld ihres Bruders mehren, soll sie außerdem gegen Bezahlung mit Menschen sprechen, die womöglich nur ihr die Wahrheit sagen würden. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Danach“ von Koethi Zan

(c) S. Fischer

„In den ersten zweiunddreißig Monaten und elf Tagen unserer Gefangenschaft waren wir dort unten zu viert. Und dann, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung, waren wir nur noch drei.“ Sarah Farber hat Unfassbares überlebt: Über drei Jahre war sie mit drei anderen Mädchen in einem Verlies eingesperrt, sie wurde gefangen gehalten und gefoltert. Sie verlor ihre beste Freundin Jennifer. Dann gelang ihr die Flucht – und seither führt sie ein Leben in Angst. Ihre Wohnung in New York wagt sie kaum zu verlassen, sie arbeitet von zu Hause aus und ist zehn Jahre später weiterhin in Therapie. Zu ihren Mitgefangenen Tracy und Christine hat sie keinen Kontakt. Nun muss Sarah ihre Routine verlassen: Zwar wurde der Täter damals gefasst und verurteilt, doch seine Bewährungsanhörung steht bevor. Er hat gute Chancen, freigelassen zu werden, da ihm die Ermordung von Sarahs bester Freundin niemals nachgewiesen werden konnte und er eine Verlobte hat, die ihm ein stabiles Umfeld bieten wird. Deshalb bittet FBI-Agent McCordy Sarah, erneut gegen ihren Peiniger auszusagen. Anfangs kann sie es sich kaum vorstellen, ihm abermals gegenüberzutreten. Aber dann begibt sie sich auf die Suche nach der Frau, die ihren Entführer nun heiraten will. Dabei führen sie ihre Nachforschungen unweigerlich zurück in die Vergangenheit – und auf die Spur weiterer Verbrechen. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Das Ende der Welt“ von Sara Gran

(c) Droemer/Knaur

Im letzten Jahr gehörte Sara Grans „Die Stadt der Toten“, der ersten Teil mit Claire de Witt, der besten Ermittlerin der Welt, zu meinem ganz klaren Krimi-Highlights: Claire ist eine angenehm andere Detektivin, die ihre Fälle mit Spürsinn, I-Ging-Kugeln und den esoterisch angehauchten Wahrheiten des Buches „Detéction“ von Jacques Stilette löst. Ihr zweiter Fall ist nun ungleich persönlicher: Ihre große Ex-Liebe Paul wurde ermordet. Sie hat ihn längst nicht vergessen, deshalb will sie den Mörder finden – und verliert sich beinahe in dem Fall.

Schon auf den ersten Seiten bemerkte ich, dass mir bei „Das Ende der Welt“ etwas Entscheidendes fehlte: die Stadt New Orleans, die mit ihrer Abgestumpftheit und Abgerissenheit, ihren Verwüstungen und Verfehlungen so gut zu Claire de Witt passte. Dieses Mal ermittelt sie in San Francisco und verarbeitet Pauls Tod vor allem mit Kokain. Dem vielen Koks ist es vielleicht auch zuzuschreiben, dass ihre Ermittlungen weitgehend vor sich hin plätschern: Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Opfer“ von Cathi Unsworth

(c) Suhrkamp

Privatermittler Sean Ward reist im Auftrag einer Anwältin an die Küste im Nordosten Englands, um einen 20 Jahre zurückliegenden Fall wieder aufzurollen. Damals wurde die junge Corrine Woodrow verurteilt, einen Ritualmord begangen zu haben. Seither sitzt sie in der Psychiatrie – und selbst ihr Therapeut ist von der Aussicht, dass sie wieder an die Tat erinnert wird, wenig begeistert. Aber DNA-Proben weisen darauf hin, dass sich mindestens noch eine zweite Person am Tatort befunden haben muss. Deshalb lässt sich Sean Ward nicht abwimmeln und nimmt mithilfe der örtlichen Zeitungsredakteurin Francesca Ryman die Ermittlungen auf.

„Opfer“ von Cathi Unsworth ist ein spannender Kriminalroman, der vor allem zwei Stärken hat: Detailliert und atmosphärisch dicht beschreibt Cathi Unsworth das Leben in der kleinen Stadt Ernemouth, so dass die Enge, die Rebellionsversuche und die Hilflosigkeit einiger Bewohner fast zu spüren ist. Da sie die Handlung auf zwei Ebenen erzählt – die 20 Jahre zurückliegenden Ereignisse im Sommer 1984 und die gegenwärtigen Ermittlungen von Sean Ward – entsteht ein dichtes Panorama des kleinen Ortes. Weiterlesen

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Von der Serie zum Buch – „Raylan“ von Elmore Leonard

Timothy Olyphant als Raylan Givens (c) SPHE

Ausführlich habe ich mich bisher hier im Zeilenkino mit der Figur Raylan Givens beschäftigt, da sie ein hervorragendes Beispiel für die wechselseitigen Beeinflussungen von Literatur und Film/Fernsehen darstellt. Und in diesem Fall geht die Zusammenarbeit sogar weit über eine bloße Verfilmung hinaus. In Interviews haben die Macher von „Justified“ mehrfach erklärt, dass sie bei den Drehbüchern zu der Serie immer wieder eine Frage weiter gebracht habe: „What would Elmore do?“. Deshalb bleibt die Serie mit ihren Perspektivwechseln und der Konzentration auf die Charaktere sowie dem Dialog dem Stil Leonards treu. Für heutige Sehgewohnheiten ist das ungewöhnlich und oft etwas langatmig. Einigen Folgen fehlen Höhepunkte und auch die Handlung ist mitunter für eine Episode etwas dünn. Dadurch wird „Justified“ aber auch zu einem sehr guten Bespiel für eine Serie, die von ihren Charakteren vorangebracht wird. Allein die Entwicklung von Boyd, den die Serienmacher glücklicherweise nicht sterben ließen, ist ein gutes Beispiel. (Vergleiche Teil 1). Deshalb wird „Justified“ zudem von den Beziehungen stark beeinflusst, die Raylan Givens zu den anderen Figuren hat. In der ersten Staffel ist es – neben Boyd – vor allem das Verhältnis zu Ava und seiner Ex-Frau Helen sowie zu seinem weitgehend abwesenden Vater. In der zweiten Staffel rückt dann seine Beziehung zu Mags Bennet in den Mittelpunkt. Hier drücken sich verschiedene Facetten seines Charakters aus, spiegeln sich seine Vergangenheit und seine Entscheidungen wider. Die Idee zu der Figur Mags Bennett stammt indes von Elmore Leonard selbst. Weiterlesen

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Die dritte Staffel von „Kommissarin Lund” – Eine großartige Serie, ein schlimmes Ende und die DVD-Box

Fassungslos saß ich am Ende der letzten Folge der großartigen Serie „Kommissarin Lund“ vor dem Fernseher. Dreißig Folgen – drei Staffeln lang – war Sarah Lund (Sofie Gråbøl) eine famose Ermittlerin mit Macken und Stärken. Sie wurde als Figur sehr gut entwickelt, einzig ihr Pullover blieb in den Folgen immer gleich. Sie hat ihre Partner überlebt, mehrere Trennungen durchgemacht und sogar ertragen, dass sich ihr Sohn von ihr distanziert. Und dann wählen die Serienmacher das schlimmste aller möglichen Enden.

Vorweg: Eine starke dritte Staffel

Noch vereint: Robert Zeuthen (Anders W. Berthelsen) mit seinen Kindern

Über neun Folgen lang bot die dritte Staffel von „Kommissarin Lund“ fast alle Stärken der ersten Staffel: einen spannenden Fall, Verwicklungen in der Politik und – eine sehr gute Entscheidung – in die Wirtschaft. Dadurch wurde der Bogen weiter gespannt als bei der schwachen zweiten Staffel, die unter der zu frühen Preisgabe des Täters gelitten hat. (Oder hatte da jemand noch Zweifel, nach (SPOILER) der Name genannt wurde?) Außerdem hat Sarah Lund erstmals die Möglichkeit, ein Opfer zu retten: Die Tochter des reichen Robert Zeuthen (famos: Anders W. Berthelsen) wurde entführt. Der Entführer verlangt, dass Robert Zeuthen selbst festlegen soll, welche Schuld er für seine Tochter begleichen will. Und in Zeiten einer Finanzkrise denkt vorerst außer dem Zuschauer keiner daran, dass es ihm um etwas anderes als Geld gehen könnte. Dadurch entspinnt sich schätzungsweise 555 Minuten lange spannende Unterhaltung, die wieder einmal beweist, warum „Kommissarin Lund“ eine gute Krimiserie ist. Weiterlesen

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„Beraubt“ von Chris Womersly

(c) DVA

Vor Jahren musste Quinn Walker die heimatliche Kleinstadt Flint verlassen, als er für den Mörder seiner jüngeren Schwester gehalten wurde. Die Bewohner, sein Onkel und sogar sein Vater sind seit damals von seiner Schuld überzeugt, weil er blutbesudelt mit dem Messer über ihrer Leiche gefunden wurde. Nun ist er aus dem Großen Krieg zurückgekehrt; zerlumpt, traumatisiert und verwundet. Er hält sich in den Bergen in der Nähe von Flint versteckt und will seiner Mutter die Wahrheit gestehen: Er hat seine Schwester nicht getötet, aber er weiß, wer ihr Mörder ist. Noch immer hegen sein Vater und sein Onkel, der mittlerweile das Gesetz in Flinn vertritt, Rachegelüste und wollen ihn hängen sehen, also muss er sich vorsichtig verhalten. Da seine Mutter an der Spanischen Grippe leidet und unter Quarantäne steht, schleicht er sich heimlich zu ihr hin und erzählt ihr von seinem Leben und seinen Erinnerungen. Ist er nicht bei ihr, streift er durch die Berge. Dort trifft er auf das Waisenmädchen Sadie Fox. Seit ihre Mutter gestorben ist, wartet sie in einer einsam gelegenen Hütte auf die Rückkehr ihr Bruders und hält versteckt sich ebenfalls t vor Quinns Onkel, der sie in Waisenhaus bringen will. Sadie ist ein merkwürdiges Mädchen: Sie spricht mit Tieren und Pflanzen und ist erstaunlich hellsichtig. In ihr findet Quinn – anfangs widerwillig, später willkommen – eine ideale Begleiterin. Es scheint fast, als würde sie seine dunkelsten Geheimnisse kennen.

Australien im Jahr 1919 ist ein ungewöhnlicher Schauplatz für eine packende Rachegeschichte. Chris Womersley nutzt die Nöte und Schrecken des Krieges als Folie für die Traumatisierung eines jungen Mannes und schildert die Folgen des Krieges, der Grippewelle und der allgegenwärtigen Not so eindringlich, dass man beim Lesen die Sehnsucht der Hauptfigur nach einer Orange fast teilt. Dabei spiegelt sich die Grausamkeit eines weltumspannenden Krieges in der Rachsucht und Ignoranz einer kleinen Dorfgemeinschaft, treffen die Schrecken und Tötungen des Krieges auf einen psychopathischen Polizisten, der das Dorf kontrolliert. Es sind verstörte und verunsicherte Gesellschaften in Europa – und in Australien. Weiterlesen

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