Krimi-Kritik: „Die Stadt der Toten“ von Sara Gran

Claire de Witt ist die beste Privatdetektivin der Welt – zumindest nach eigener Aussage. Ihre Methoden sind ungewöhnlich, ihr Charakter mehr als eigenwillig und sie hatte bereits einen Nervenzusammenbruch, den sie aber vor ihren Auftraggebern als Wellness-Seminar im Ashram ausgibt. Nun beauftragt Leon Salvatore sie, das Verschwinden seines Onkels Vic aufzuklären, der in New Orleans Staatsanwalt war. Eigentlich dachte Leon, Vic gehöre zu den Vermissten durch den Hurrikan Katrina, aber nun hat er erfahren, dass er nach dem Sturm noch gesehen wurde. Für Claire bedeuten die Ermittlungen eine Rückkehr nach New Orleans, der Stadt, in der sie ihr Handwerk von ihrer Mentorin Constance Darling gelernt hat und durch deren Tod einen schweren Verlust erlitten hat. Aber Claire weiß, dass sie die Zeichen deuten muss. Darauf weist Jacques Silette, dessen Buch „Détection“ ihre Bibel ist, immer wieder hin.

Eine eigensinnige Ermittlerin mit sonderbaren Methoden

Sara Gran © Deborah Lopez

Mit „Die Stadt der Toten“ hat Sara Gran einen ungewöhnlichen Kriminalroman geschrieben, der voller überzeugender Eigenarten steckt. Trotz anfänglicher Redundanzen – wie beispielsweise der mehrmalige Verweis, dass sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft gerade in New Orleans nicht zusammenarbeiten und korrupt sind oder auch das Alter von Vic – lohnen die leichten Mühen bei dem Einstieg in die Handlung. Sara Gran hat einen dichten Plot entwickelt, in dem sich manche anfangs störende Eigenheiten wie die wiederholende Zusammenfassung am Beginn mancher Kapitel als Griff erweisen, die verschiedenen Ebenen der Handlungen im Überblick zu behalten. Claire de Witt untersucht nicht nur Vics Verschwinden, sondern wird in New Orleans von ihren Erinnerungen an ihre Mentorin heimgesucht. Sie trifft einen ehemaligen Kollegen, der schwer unter seinem Leben leidet – und träumt immer wieder von ihrer besten Freundin Tracy, die eines Tages verschwunden ist. Weder Claire noch ihre Freundin Kelly konnten dieses Verschwinden aufklären. In ihrem aktuellen Fall begegnet sie einem ähnlichen Freundes-Dreierbund, der in ein Verbrechen involviert ist. Aber Andray, Terrell und Trey hatten in New Orleans niemals eine echte Chance. Sie sind mit der falschen Hautfabre und in der falschen ökonomischen Schicht geboren. Diese Ebenen berühren und vermischen sich im Verlauf der Geschichte, setzen Ereignisse in Gang und hinterlassen zu deutende Spuren. Dabei behält Sara Gran aber die Fäden stets in der Hand.

Eine weitere wichtige Rolle spielt Jacques Stilette, dessen Buch „Détection“ an überraschenden Orten auftaucht. Außerdem hält sich Claire an seine rätselhaften Ratschläge, um den Fall aufzuklären. Sie greift auf Traumdeutungen und I-Ging-Münzen zurück, nimmt Drogen, trinkt und verliert sich bisweilen in ihren Träumen und Heimsuchungen. Dabei ist sie überzeugt, dass sie die Ermittlungen nicht vorantreiben kann, sondern der Fall sich letztlich selbst lösen wird. Tatsächlich ist die Auflösung dann nicht allzu überraschend, aber sie bewahrheitet einmal mehr Claires Auffassung, dass kaum jemand an der Lösung des Rätsels wirklich interessiert ist.

Ein Porträt von New Orleans

(c) Droemer

Darüber hinaus zeichnet Sara Gran mit scharfen Blick ein Bild der Stadt New Orleans, die spätestens mit dem Sturm – so nennen hier alle den Hurrikan Katrina – ihre Schattenseiten offenbart hat. Das gescheiterte Katastrophenmanagement, gekennzeichnet durch eine selektive Bevorzugung der Reichen, die Inkompetenz und das Profitstreben haben diese Stadt weiterhin im Griff. Das System hat sein Scheitern längst begriffen und frisst sich selbst auf. Dazu gehört unter anderem, dass New Orleans die höchste Mord- und niedrigste Aufklärungsrate hat. Die meisten Mörder gehen lediglich für 60 Tage ins Gefängnis – solange können sie dort ohne Verurteilung festgehalten werden. So ist das Leben in New Orleans. Und ein Junge wie Andray kennt es zu genau. Er ist die zweite spannende Figur des Romans. Da „Die Stadt der Toten“ aus Claires Perspektive in Ich-Form erzählt ist, begegnet der Leser Andray lediglich im vermittelten und subjektiven Blick. Dadurch wird er rätselhafter, zugleich schimmern aber auch seine Narben durch, die im Vergleich zu Claires Verwundungen und oftmals verschrobenen Ansichten allzu realistisch wirken. Hier erweist sich Sara Grans Talent für nuancierte Charakterzeichnung.

Wenn Steinfest auf Paretsky trifft
Insgesamt ist Sara Grans „Die Stadt der Toten“ ist ein lesenswertes Krimi-Debüt, das sicherlich nicht jedermanns Geschmack treffen wird. Beim Lesen fühlte ich mich an die frühen Kriminalromane von Heinrich Steinfest und an Sara Paretskys V.I. Warshawski erinnert. Wer sich also von dem quietschbunten Cover nicht abschrecken lässt, sondern ein Herz für skurrile Ermittler, ungewöhnliche Methoden und mitunter schräge Wirklichkeitsdeutungen hat, die mit einem Schuss hardboiled versetzt sind, wird dieses Buch mögen.

Sara Gran: Die Stadt der Toten. Ein Fall für beste Ermittlerin der Welt. Übersetzt von Eva Bonné. Droemer 2012.

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