Gedanken zu „Wüste der Toten“ von Urban Waite

(c) Droemer Knaur

(c) Droemer Knaur

Es ist die Aussichtslosigkeit, die dieses Buch bestimmt. Als Ray Lamar vor zehn Jahren entschieden hat, für das Drogenkartell von Memo zu arbeiten, hat er damit seinem Leben – und dem seiner Familie – eine Wendung gegeben, die sich weder umkehren noch korrigieren lässt. Er hat seine Frau verloren, seine Heimatstadt und seinen Sohn verlassen, doch er ist seither von dem Wunsch getrieben, wieder zurückzukehren. Und nach zehn Jahren nutzt er dafür einen wahnwitzigen Vorwand: Ein letzter Job für Memo, der ihm das nötige Geld für einen Neuanfang einbringen soll. Von der ersten Minute an ahnt Ray, dass die Sache schief gehen wird. Aber seine Hoffnung bringt alle Zweifel zum Schweigen – und als er schließlich erkennt, dass es keinen Weg zurück mehr gibt, bleibt ihm nur noch Rache.

Rays Cousin Tom hat sich hingegen niemals für das Leben als Verbrecher entschieden. Er war Sheriff dieser Stadt, bis er sich zu einer Tat hinreißen ließ, die sein Leben veränderte. Diese Tat hing natürlich mit seinem Cousin zusammen, und doch hat Tom diese Entscheidung getroffen und will nicht einsehen, dass weder er noch Ray Gelegenheit bekommen, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben.

„Wüste der Toten“ ist kein Kriminalroman in dem Sinne, dass ein Verbrechen geschieht und aufgeklärt wird. Vielmehr erzählt Urban Waite von dem Scheitern, das nach Entscheidungen beinahe zwangsläufig eintritt, der Perspektivlosigkeit und einem Landstrich, in dem mexikanische Drogenbarone die treibende Wirtschaftskraft sind. Es ist eine Gegend ohne Perspektiven, ebenso trostlos wie die Wüste, hier kreisen bereits die Aasgeier, die im Original den Titel geben. Deshalb kann es in Rays Leben nur eine Richtung geben: bergab. „Wüste der Toten“ ist daher ein trostloses, ein staubtrockenes und knurrig-gutes Buch.

Urban Waite: Wüste der Toten. Übersetzt von Marie-Luise Bezzenberger. Droemer Knaur 2014.

Nachbemerkung: Abgesehen davon, dass Urban Waites Autorenseite ein schönes Intro hat, ist dort auch ein Autorenfoto von ihm zu finden. Normalerweise mache ich mir über das Aussehen von Autoren keine Gedanken, ich würde auch nur wenige Autoren erkennen. Aber da ich mir unter Urban Waite einen etwas jüngeren, aber mindestens 50-jährigen Cormac McCarthy vorgestellt habe, war ich doch überrascht.

Diesen Beitrag teilen

Gelesen Mai 2014

13 Bücher habe ich im Mai gelesen – und in Anbetracht meines Besuchs beim Filmfest Emden, einem zweitätigen Hamburg-Aufenthalt und die alljährliche Mai-Häufung von Familien-Feierlichkeiten bin ich damit sehr zufrieden. Zumal es ein Monat mit vielen guten Büchern war.

GelesenMai

André Georgi: Tribunal
Ein durchaus spannender Thriller, der allerdings sein Potential nicht voll ausnutzt.

Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat
Ein großartiger Kriminalroman, der einmal beweist, dass einen guten Krimi so viel mehr ausmacht als Spannung.

Urban Waite: Straße des Todes
Zwei Männer, die nicht einsehen wollen, dass sie auf der Verliererseite stehen und ihr Leben an die Wand gefahren haben. Düster, karg und blutig.

Malcolm Mackay: Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
Sehr unterhaltsamer Kriminalroman aus Schottland.

Jörg Walendy: Tag der Unabhängigkeit
Eine deutsch-algerische Journalistin will einen Mord aufklären und verstrickt sich in der algerischen Gegenwart aus vorgeblicher Versöhnung und altem Hass. Jörg Walendy kennt sich offensichtlich gut aus in Algerien, etwas mehr Hintergrundinformationen hätte ich mir dennoch gewünscht.

Eberhard Nembach: Gypsy Blues
Ein Reporter kommt auf dem Balkan einem Organ- und Kinderhändlerring auf die Spur und bringt sich selbst in große Gefahr, um einen kleinen Jungen zu retten. Insbesondere anfangs spannend, allerdings reihen sich am Ende die Zusammenstöße der verschiedenen Parteien zu sehr aneinander.

M.J. Arlidge: Eene meene
Jeweils zwei Menschen werden entführt – und wenn einer den anderen tötet, wird der Überlebende freigelassen. Perfide Ausgangsidee, leider zu glatt ausgeführt.

Arthur Schnitzler: Fräulein Else
Gerade in Verbindung mit der interessanten Verfilmung von Anna Martinetz beweist Arthur Schnitzlers Novelle ihre Aktualität.

Adrian McKinty: Die Sirenen von Belfast
Adrian McKinty seine Belfast-Trilogie um Sean Duffy fort – und leider ist der zweite Teil aufgrund des schwächeren Kriminalplots nicht ganz so gut wie der sensationelle Vorgänger „Der katholische Bulle“, aber immer noch ein sehr guter Kriminalroman.

A.K. Benedict: Die Eleganz des Tötens
Abermals geistert ein zeitreisender Serienkiller umher – allerdings bekommt der Mörder es bei A.K. Benedict mit einem ebenfalls zeitreisenden Jäger zu tun. Einige gute Ideen, insgesamt aber zu ausführlich und überfrachtet.

A.S.A Harrison: Die stille Frau
A.S.A. Harrison erzählt eindringlich, wie eine ruhige, beherrschte Frau in einen emotionalen Ausnahmezustand schlittert – und einen Mord begehen wird.

Charlotte Otter: Balthasars Vermächtnis
Eine Kriminalreporterin untersucht den Tod eines NGO-Mitarbeiters, der sie kurz vor seiner Ermordung angerufen hat. Und schon bald steckt sie mitten in einem Sumpf aus Rassismus und Missbrauch. Ein fulminantes Debüt, in dem ich tief in die Atmosphäre von Südafrika eintauchen konnte.

Alissa Nutting: Tampa
Vollständig aus der Perspektive einer 26-jährigen Lehrerin erzählt, die sich an ihrem 14-jährigen Schüler vergeht, ist „Tampa“ quasi eine moderne Variante von „Lolita“, die abgesehen der kalkulierten Skandalmomente auch deutlich macht, dass sexuelle Übergriffe auf Minderjährige je nach Geschlecht des Täters anders bewertet werden.

Diesen Beitrag teilen

Nordic Film Festival in Luxemburg

Vom 2. Juni bis 6. Juni findet in Luxemburg erstmalig ein Nordic Film Festival statt, in dessen Verlauf sechs Filme zu sehen sein werden – allesamt in der Originalfassung mit Untertiteln. Da ich abgesehen von einem Film, der ausgerechnet an meinem Geburtstag gezeigt wird, alle Filme gesehen habe, werde ich nicht hinfahren. Aber vielleicht ist ja für andere interessant. 🙂 Besonders empfehlen kann ich Lukas Moodyssons „Vi är bäst“, der hierzulande noch nicht im Kino lief oder auf DVD erschienen ist.

Das Programm im Überblick

nff-logo

2. Juni um 19:30 Uhr im Utopolis Kichberg
„Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“

3. Juni um 20 Uhr in Kulturfabrik, Esch-sur-Alzette
„Clownwise“ (zum Trailer)

4. Juni um 19:00 Uhr im Ciné Utopia
„Pioneer“ (zum Trailer)

4. Juni um 21:30 Uhr im Ciné Utopia
„The Deep“

5. Juni um 21:30 Uhr im Ciné Utopia
„Erbarmen“

6. Juni um 19:00 Uhr im Ciné Utopia
„Vi är bäst!“ („We are the best“) (zum Trailer)

Weitere Informationen und ein Link zur Ticketreservierung sind auf der Seite der British & Irish Film Season zu finden.

Diesen Beitrag teilen

Verbrechen in Glasgow – „Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter“ von Malcolm Mackay

(c) S. Fischer

(c) S. Fischer

Glasgow ist Schauplatz von Malcom Mackays „Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter“, Auftakt seiner Trilogie um ein schottisches Verbrechersyndikat. Im Mittelpunkt steht Calum MacLean, freischaffender Auftragskiller mit gutem Ruf und Hang zur Einsamkeit. Deshalb arbeitet er am liebsten alleine und hat sich bisher keiner Organisation angeschlossen. Als nun aber der beste Auftragskiller der Branche, Frank MacLeod, aufgrund einer Hüftoperation verhindert ist, bekommt e vom aufstrebenden Gangsterboss Peter Jamieson den Auftrag, Lewis Winter zu ermorden – und damit auch die Gelegenheit, sich ihm anzuschließen.

Aus verschiedenen Perspektiven entfaltet sich im Folgenden die Handlung, in deren Mittelpunkt der titelgebende unvermeidliche Tod des Lewis Winter steht. Calcums Vorbereitungen des Mordes, die letzten Tage des Lewis Winters und schließlich die Ermittlungen von DI Michael Fisher werden gut und spannend geschildert. Besonders interessant ist dabei, dass Malcolm Mackay nicht von den großen Bossen, sondern aufstrebenden Partizipierenden des Verbrechens erzählt: Jamieson und seine rechte Hand Frank Young leiten zwar bereits eine Organisation, aber sie gehören noch nicht zu den ganz Großen, sondern haben sich erst einigen Respekt und ein eigenes Revier erarbeitet. Calum MacLean weiß, dass er in seiner Arbeit gut ist, er sucht und akzeptiert die Einsamkeit als Teil des Jobs und schätzt am meisten seine Freiheit: Jedoch wäre eine Bindung an eine Organisation der nächste Schritt. DI Fisher ist ein erfahrener und integerer Cop, ein ehrgeiziger Ermittler, der die großen Bosse gerne überführe würde, sich aber mit den Realitäten und somit den kleinen Fischen abfinden muss. Daneben gibt es weitere Nebenfiguren, die sich allesamt auf unterer bis mittlerer Ebene befinden und somit ist in diesem ersten Teil vor allem das Wachsen der Organisation, das Entstehen der Verbindungen zu erkennen, die – so lässt es die Leseprobe am Ende hoffen – in den weiteren Teilen ausgebaut wird.

Bemerkenswert ist zudem die Unaufgeregtheit – nicht zu verwechseln mit Lakonie, denn Mackas Sätze sind zwar kurz, aber er erzählt äußert detailliert –, mit der von der Welt des Verbrechens erzählt wird. MacLean ist ein typischer Selbständiger, der sich fragen muss, ob er lieber freischaffend mit allen Risiken bleibt oder sich in Festanstellung in die Absicherung eines Syndikats begibt, unterdessen ist MacLeod etwas weiter und denkt nach seiner Hüftoperation über den Ruhestand nach. Außerdem sind Mackays Figuren allesamt rational in ihren Handlungen, hier gibt es keine Psychopathen oder geniale Verbrecher, sondern Amateure, Einsteiger und Profis, die ihr Handwerk beherrschen. Die guten Akteure des Verbrechensmarktes überdenken ihre Handlungen und deren Folgen, die Ungeschickten ignorieren sie – und die Tragischen nehmen sie in Kauf. Denn Verbrechen, so erscheint es letztlich bei Mackay, ist ein Geschäft wie jedes andere.

Malcolm Mackay: Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter. Übersetzt von Thomas Gunkel. S. Fischer 2014. Der zweite Teil folgt nach Verlagsangaben im Frühjahr 2015.

Diesen Beitrag teilen

Den Haag und Serbien – Über „Tribunal“ von André Georgi

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Die besten Krimis blicken über den eigenen Rand hinaus, sind – auf verschiedenste Weise – gesellschaftskritisch und regen zum Nachdenken an. Auf den ersten Blick scheint das alles auf „Tribunal“ von André Georgi zuzutreffen. Seine Hauptfigur ist die Polizistin Jasna Brandic, die seit zwei Jahren für den Schutz des Serben Marco Kovac zuständig ist. Kovac soll in Den Haag beim Kriegsverbrechertribunal der Prozess wegen des Massakers von Višegrad (dort führt Ivo Andrc’ „Brücke über die Drina“) gemacht werden, bei dem er mit 15 Mitgliedern seiner paramilitärischen Einheit „Die Wölfe“ über 4000 Moslems vergewaltigt und ermordet haben soll. Aber die Beweislage schwierig: Noch vom Gefängnis aus hat Kovac gute Verbindungen, wird vermutlich von Teilen der serbischen Regierung geschützt, viele Zeugen sind eingeschüchtert und haben Angst, gegen Kovac auszusagen. Außerdem droht ständig ein Anschlag, deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen sehr hoch. Dennoch kommt es zu einem Attentat und einem Zwischenfall im Gerichtssaal. Daraufhin droht der gesamte Prozess zu platzen. Jasna muss noch einmal nach Serbien reisen, um dort einen von Kovac‘ Komplizen zu finden, der angeblich bereit ist, gegen ihn auszusagen.

Der erste Teil von „Tribunal“ ist mit kurzen Sätzen, schnellen Perspektivwechsel und viel Action sehr temporeich. Durch diesen filmischen Erzählstil wird auch die Spannung langsam aufgebaut – hier schreibt also fraglos jemand, der sein Handwerk versteht. Allerdings bleibt es bei dieser oberflächlichen Spannung, denn André Georgi in seinem Thrillerdebüt nicht in die Tiefe, sondern entscheidet sich im Zweifelsfall immer für Action statt Psychologisierung. Nun könnte das im Thriller prinzipiell funktionieren, wenn nicht Jasna zunehmend persönlich in den Fall involviert wäre. Ohnehin bin ich keine große Freundin von persönlichen Verwicklungen ermittelnder Staatsbeamter in die Fälle. Als Motivation für private Ermittler mag ein persönliches Motiv notwendig sein, aber Jasna Brandic macht in erster Linie ihren Job, den sie bereits mit Besessenheit erfüllt. Außerdem stammt ihre Familie aus Serbien und so hat sie eine zusätzliche Motivation, diese Verbrechen aufzuklären. Dann stellt sich jedoch heraus, dass sie nicht nur mit einem, sondern mit zwei gesuchten Kriegsverbrechern verwandt ist. Hieraus ergeben sich viele spannende Fragen, die im Rahmen dieses Thrillers zu verhandeln möglich gewesen wäre. Wenn ich mir vorstelle, ich riskierte mein Leben, damit ein Massenvergewaltiger und -mörder vor Gericht kommt, ich habe so viele Zeugenaussagen über begangene Gräueltaten gelesen, dass mein eigenes Sexualleben darunter mehr als leidet, und erfahre, dass mein totgeglaubter Vater und Bruder an diesen Taten beteiligt waren, dann wäre ich verstört, würde mich fragen, was mit ihnen nicht stimmt – und ob mit mir vielleicht auch etwas nicht stimmt. Die Erklärung, dass sie nach dem Aufdecken der Vertreibung und Ermordung ihrer Großmutter und Tante Selbstjustiz geübt haben und sich einer Miliz angeschlossen haben, mag damals in der Situation dem Bruder und Vater als Rechtfertigung ausgereicht habe, aber auch der Tochter, die ihr Leben dem Kampf gegen solche Männer gewidmet hat? In „Tribunal“ anscheinend ja. Deshalb wird diese komplexe psychologische Situation nicht erkundet, sondern André Georgi bleibt bei äußeren Ereignissen, bei Folter und einer minutiös geschilderten Verfolgungsjagd, deren Ende bereits Seiten vorher verraten wurde. Dadurch wird weder die Identifikation mit Jasna erhöht – ein Hauptgrund für persönliche Verwicklungen – noch wird sie als Figur komplexer. Dazu hätte André Georgi zusätzlich zu den spannenden äußeren Handlungen den Figuren auch ein ausgefeiltes Innenleben geben müssen. Damit ist „Tribunal“ als Pageturner dank der handwerklichen Fertigkeiten des Autors solide. Er ist spannend, durchaus unterhaltsam und eignet sich als Vorlage für einen Fernsehfilm. Aber leider steckt dieses Buch auch voller verschenkter Möglichkeiten.

André Georgi: Tribunal. Suhrkamp 2014.

Diesen Beitrag teilen

Krimi-Kritik: „Bis zum Hals“ von Jörg Juretzka

„Na, das hast Du ja sauber hingekriegt, Kryszinski.“ Wenn es etwas gibt, das ich an Kommissar Hufschmidt hasse – besonders hasse, heißt das, also mehr noch als alles andere, das ich eh schon hasse an ihm –, dann ist das seine gespielte Coolness im Angesicht des Entsetzlichen.“

Denn auch Kommissar Hufschmidt hat der Anblick des Toten auf der Straße mitgenommen. „Er war aschfahl und brauchte die offene Tür seines Opels als Stütze“, dennoch will er cool wirken. Zumal er überzeugt ist, dass er Kryszinski nun endlich erwischt hat. Für die Polizisten ist die Sache klar: Kryszinski ist vermutlich mal wieder total dicht viel zu schnell gefahren und hat den armen Kerl nicht rechtzeitig gesehen, den er dann überfahren hat. Als Kommissar Menden am Unfallort eintrifft, stellt Kryszinski die Sache aber klar – irgendwie: „Ich bin unschuldig“, war alles, was mir einfallen wollte. Menden sehen und diesen Satz äußern ist manchmal wie zwei Sektenwerbern die Tür öffnen und sie gleich wieder schließen. Es hat etwas Automatisches, Zwangsläufiges. Beide Seiten wären irgendwie baff, würde es anders laufen.“. Aber nicht nur das: „Außerdem war ich fühllos, entrückt, wie anästhesiert. Man fährt schließlich nicht alle Tage einen Menschen über den Haufen. Noch nicht einmal ich, sollte ich vielleicht hinzufügen. Und dann noch ohne Absicht.“ Denn tatsächlich ist Kryszinski unschuldig. Ihm wurde der bedauernswerte Mann einfach vor das Auto geworfen. Jedoch lässt Kryszinski sich nicht ohne weiteres als Mordwaffe gebrauchen und ermittelt deshalb auf eigene Faust. Er findet heraus, dass der Tote aus Russland stammt – und hat schon bald nicht nur verschiedene Geheimdienste, sondern auch die Hells Angels am Wickel.

(c) Ullstein

(c) Ullstein

Mit „Bis zum Hals“ kehrt Kryszinski nach seinen Ausflügen in die Schweiz, auf ein Kreuzfahrtschiff und den Wilden Westen wieder ins Ruhrgebiet zurück. Er trifft alte Bekannte wie Stormfuckers-Chef Charly und in dem Pathologen Dr. Korthner einen neuen Freund. Dieser hat früher als Laborarzt gearbeitet und die Blutproben polizeilicher Untersuchungen analysiert. Darunter war auch mal eine von Kryszinski. „Das Ergebnis hängt gerahmt im Büro des Stationsarztes.“ Er wirkte völlig begeistert. Ich weniger, denn unterschwellig ahnte ich, worauf das hinauslief. „Weder vorher noch jemals nachher ist eine höhere Dosis und größere Vielfalt an psychotropen Wirkstoffen in einer einzigen Blutprobe nachgewiesen worden. (…). Was meine Kollegen und ich uns immer gefragt haben: Sie wurden ja damals in Ausübung einer Straftat verhaftet, waren also nicht nur bei Bewusstsein, sondern obendrein aktiv. Wie … wie haben Sie es geschafft, diese Vielzahl an teilweise gegenläufig wechselwirksamen Substanzen physisch und vor allem auch psychisch zu koordinieren?“. „Schwer zu sagen“, gab ich zu. „Aber wenn ich mich recht erinnere, brachte eine halbe Flasche Wodka für gewöhnlich so was wie ein bisschen Ordnung in den ganzen Kuddelmuddel.“ Dank Korthners Begeisterung für seine Blutwerte erfährt Kryszinski etwas über den Toten, hat außerdem zukünftig eine Anlaufstelle für eigene Verletzungen und es wird bereits deutlich, dass Kryszinski über eine wichtigen Eigenschaft für Ermittlungen im Russenmilieu verfügt: eine hohe Alkoholverträglichkeit. Und angesichts der während dieser Ermittlungen konsumierten Wodka-Mengen hätten dort wohl nur wenige Privatdetektive bestehen können.

Durch die für Juretzkas Kryszinski-Reihe typische Ich-Erzählform und die vielen direkten Dialoge entsteht ein hohes Erzähltempo, außerdem unterhält und amüsiert er mit wenigen Worten. Darüber hinaus gibt es immer wieder Momente, in denen sich mit einem kurzen Satz eine ganze Welt offenbart. Nachdem Kryszinski mit Anoushka, der Frau des Toten, einen Zusammenstoß mit Unbekannten hatte, fliehen sie über die Autobahn, auf der vor kurzem ein Unfall stattgefunden hat und retten sich in ein Auto. „Der Abschleppwagenfahrer blickte überrascht, angepisst, verstehend, einsichtig. Alles binnen eines Fingerschnippens. Doch er sagte kein Wort. Stattdessen schwang er sich in seinen Sitz, knallte die Tür und startete den Motor. Sah noch mal zu uns rüber, zusammengepfercht auf einem Beifahrersitz, sah Anoushka an, barfuß, abgerissen nach einer Nacht auf der Flucht, ihren von Bindfäden zusammengehaltenen Koffer umklammernd wie einen letzten Halt in einer Welt ohne Boden, mich mit meiner schwellenden, blutenden Stirn, registrierte unsere gehetzten, immer und immer wieder nach hinten wandernden Blicke und fuhr einfach los. „Ich komme aus dem Kosovo“, sagte er, als er uns an einer S-Bahn-Haltestelle rausließ, und wünschte uns Glück.“ Dieser überraschende Moment der Solidarität der Flüchtenden berührt und bleibt in Erinnerung.

Dennoch ist „Bis zum Hals“ einer der konventionelleren Kryszinski-Romane: Der hartgesottene Privatdetektiv trifft eine femme fatale und jede Menge zwielichtiger Gestalten, es kommt zu einigen Scharmützeln und alles endet in einem übertrieben actionreichen Finale. Dass es alles unterhaltsam ist, steht außer Frage. Aber dass in der Reihe noch weit mehr Potential steckt, zeigt Juretzka insbesondere in den folgenden Romanen.

Jörg Juretzka: Bis zum Hals. Ullstein 2007.

Diesen Beitrag teilen

Krimi-Kritik: „Equinox“ von Jörg Juretzka

(c) Ullstein

(c) Ullstein

Nachdem er von seinem Ausflug in die Berge („Fallera“) heil zurückgekehrt ist, hat Kryszinski neuen Ärger am Hals. Schuld ist genau genommen sein Freund Scuzzi, der erst seinen Lieferanten verloren und sich dann trotz aller Warnungen mit albanischen Gangstern eingelassen hat. Erwartungsgemäß wurde er von ihnen über den Tisch gezogen, das konnte wiederum Kryszinski nicht mit ansehen, also hat er es ihnen auf seine Weise heimgezahlt. Nun ist den Albanern aber zu Ohren gekommen, wem sie den Verlust zweier Taschen voller Drogen verdanken – und so konnte er der Gelegenheit nicht widerstehen, an der Seite von Jochen Fuchs als zweiter Privatdetektiv auf dem Kreuzfahrtschiff „Equinox“ anzuheuern. Mit von der Partie ist auch Scuzzi, der beim Vorstellungsgespräch mehr als überzeugt hat: „Denn das war es, das war die unfassbare Wahrheit: Sie hatten Scuzzi hier auf dem Schiff zu so einer Art General-Musikdirektor gemacht. Einen Mann, der alle Alben von Supertramp besaß, von Lionel Richie und, mein Gott, sämtliche LPs und Singles von Phil Collins und Genesis. Ein Mann, dessen Plattenschrank man auch „die Top 10 000 der seichtesten Titel aller Zeiten“ nennen könnte“, dieser Mann bestimmt nun zu Kryszinski größter Qual über die gesamte Musik, die an Bord zu hören ist.

Kaum hat das Schiff abgelegt, findet sich ein erster Toter an Bord. Mit der Diagnose „Selbstmord“ des Bordarztes Dr. Koethensieker ist Kryszinsiki alles andere als einverstanden, deshalb ermittelt er haarsträubend auf eigene Faust und kommt den wahren Tätern auf die Spur. Dazwischen muss er mehrmals seinen eigenen Hals retten – im wahrsten Sinn des Wortes, denn der Täter enthauptet seine Opfer in der Regel – und sich vom Detektiv zum Animateur degradieren lassen. Das sorgt für eine filmreife Szene, in der Kryszinki die gelangweilten Kreuzfahrtpassagiere zu einem französischen „Kochkürs“ der besonderen Art einlädt.

Allein schon die Vorstellung von dem seit seiner Haft leicht klaustrophobischen und sich ständig mit Autoritäten anlegenden Kryszinski auf einem hierarchisch organisierten Kreuzfahrtschiff ist großartig. Dann teilt er sich noch eine Kabine mit dem pedantischen Fuchs und dem dauerzugedröhnten Scuzzi, dessen Musik er auf dem Schiff ohnehin schon ständig ausgesetzt ist. Das alles zerrt an Kryszinskis Nerven, hält ihn aber nicht davon ab, noch im Bord-Supermarkt zu betrügen und auf verdienstvolle Fertigkeiten zurückzugreifen, um inmitten eines besonderes rabbattierten Einkaufs an eine Stange Zigarretten zu kommen. „Und ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass das jahrelange Training im „Reise-nach-Jerusalem“-spielen nach dem Regelwerk des Rockerclubs „Stormfuckers“ ein ums andere Mal Früchte trug. Okay, ein paar der alten Knacker um mich herum nochten nie wieder so richtig auf die Beine gekommen sein, aber ich kriegte sie zu fassen, meine Stange Camel „ohne“, oh ja.“ Und diese Zigaretten braucht Kryszinski äußerst dringend, schließlich hat sich Fuchs von den Schiffsoberen einwickeln lassen und untersucht den Mordfall nicht mit vollem Einsatz, Scuzzi ist ebenfalls beschäftigt und ohnehin keine große Hilfe, also bleibt es allein Kristof überlassen, die Hintergründe zu ermitteln.

Dass Kryszinski auch außerhalb des Ruhrgebiets glaubwürdig bleibt, hat Juretzka mit „Fallera“ bereits bewiesen, nun ist sein Kumpel Scuzzi ebenfalls mit von der Partie. Daneben gibt es eine Vielzahl schrulliger Nebencharaktere, die mit Biss und Herz beschrieben sind. Dadurch ist „Equinox“ in erster Linie gewohnte Juretzka-Unterhaltung mit sehr viel Sprachwitz, tollen Charakteren und allerhand bissigen Seitenhieben auf den Tourismus und die Selbstgefälligkeit wohlhabender Menschen. Das bereitet ausreichend Vergnügen, dass mich die Vorhersehbarkeit des Plots und der Bösewichte beim Lesen nicht allzu sehr gestört haben. Aber „Equinox“ ist vor allem für Fans der Reihe ein Vergnügen.

Jörg Juretzka: Exquinox. Ullstein 2003.

Jörg Juretzka im Zeilenkino:
„Prickel“
„Sense“
„Fallera“
„Platinblondes Dynamit“

Diesen Beitrag teilen