Women in Crime: „Ride the pink horse“ von Dorothy B. Hughes

(c) Goldmann

Ein Mann kommt in eine Stadt, um einen weitaus mächtigeren Mann zu erpressen – das ist der Ausgangspunkt von Dorothy B. Hughes‘ Kriminalroman „Ride the pink horse“, der in der deutschsprachigen Ausgabe von Goldmann 1981 den Titel „Der Tod tanzt auf den Straßen“ bekommen hat. Tatsächlich ist dieser Titel zwar weit weg vom Original, aber er beschreibt die Atmosphäre vor Ort: In der Stadt findet gerade eine Fiesta statt mitsamt Umzug und Prozession.

In der deutschsprachigen Ausgabe wird dieser Ort fälschlicherweise als „eine kleine Stadt in der Nähe von Chicago“ angegeben. Tatsächlich aber spielt der Roman in Santa Fe in New Mexico; das ist über 1000 Meilen entfernt von Chicago. Die Fiesta erinnert an die blutige Eroberung von Santa Fe durch die Spanier 1692, als die Spanier das Gebiet von den native americans, in diesem Fall die Pueblo, wieder zurückerobert haben.

Diese Ortsangabe ist leider nicht die einzige Ungenauigkeit in der Goldmann-Ausgabe. Das vorangestellte Personenregister (mit immerhin fünf Charakteren) führt die Hauptfigur Sailor als „Möchtegern-Pistolenheld“ an. Tatsächlich ist Sailor ein Verbrecher, aber nun nicht unbedingt ein Pistolenheld. Als Privatsekretär des ehemaligen Senator Douglass hat er dafür gesorgt, dass dieser krumme Geschäfte mit anderen Verbrechern machen kann, ohne sich selbst direkt die Hände schmutzig zu machen. Dadurch weiß Sailor etwas über die Ermordung der Frau des Senators. Und für sein Schweigen will er Geld vom Senator. An diesem Wissen ist nun wiederum der Polizist McIntyre interessiert, der ebenfalls nach Santa Fe gekommen ist, um Sailor und den Senator zu belauern. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Verdammte Liebe Amsterdam“ von Frank Göhre

Schorsch. Ein Mann, ein Name, könnte man denken. Aber offenbar ist Georg der sensiblere der beiden Köster-Brüder, zumindest in seiner Erinnerung. Ständig hat ihn der ältere Michael aufgezogen, wenn er geweint hat, sich weggeduckt hat oder etwas nicht wusste. Nun ist Michael tot. An einer Autobahnraststätte wurde er erschlagen. Jahrelang hatten die Brüder einander nicht gesehen, hatten keinen Kontakt zueinander. Nun beginnt Schorsch, sich für seinen Bruder und dessen Leben zu interessieren. Also vollzieht er dessen letzten Schritte nach und landet in Amsterdam.

(c) Culturbooks

Schnörkellos geht Frank Göhres „Verdammte Liebe Amsterdam“ los: „Am zwanzigsten kurz nach neun nahm Schorsch den Anruf entgegen.“ Fünfeinhalb Seiten später ist klar, dass die Brüder als Teenager in dasselbe Mädchen – Jutta Kotzke, noch so ein Name! – verliebt waren, es ein Unheil in der Vergangenheit gibt und mit Michaels Tod möglicherweise etwas nicht stimmt. Nach 158 Seiten wissen wir, was passiert ist, dass manches nicht in Ordnung kommt – und dass „Verdammte Liebe Amsterdam“ ein herausragender Kriminalroman ist.

Gut zehn Jahre liegen zwischen Göhres „Der Auserwählte“ und diesem Buch – das ist eine verdammt lange Zeit, zu lang, wenn man mich fragt. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, wie einzigartig seine Stimme in der deutschsprachigen Kriminalliteratur weiterhin ist. Es ist eine scheinbare Leichtigkeit, ja, Selbstverständlichkeit, mit der er die Handlung und die Figuren entwickelt. Weiterlesen

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Jahresrückblick 2019

Eine Tradition ist der Jahresrückblick des CrimeMags, der in diesem Jahr insgesamt 84 Autor*innen versammelt. Auch ich blicke dort (und nun auch hier) auf mein Jahr zurück. Euch allen ein frohes 2020!

Januar bis März

Das erste Buch des Jahres ist gleich ein Volltreffer: Attica Lockes „Bluebird, Bluebird“. Hochspannende Hauptfigur, richtig schöner Südstaaten-Plot. Ohnehin ist der Januar ein großartiger Krimi-Monat: die Lit-Prom Tagung in Frankfurt ist dieses Jahr zum Thema „Global Crime. Ich rede mit Candice Fox über Psychopathen, quatsche Gary Victor todesmutig auf Französisch an, interviewe Jeong Yu-jeong und begegne vielen anderen interessierten Krimimenschen.

Es folgt: die Berlinale mit den unvergessenen „Systemsprenger“, „Der goldene Handschuh“ und „The Souvenir“. Graham Norton in London. Die Peanuts-Ausstellung in London. Ein Kreativmeeting mit tollen KollegInnen, das im Sommer zu einer Artikelreihe über Chemnitz führen wird. „High Flying Bird“, der beste Soderbergh- und beste Sportfilm seit langem, läuft weitgehend unbeachtet bei Netflix. Weiterlesen

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Preisträger des Deutschen Krimipreises für das Jahr 2019

Die Preisträger des Deutschen Krimipreises für das Jahr 2019 stehen fest. Es sind:

National:
1. Platz: Johannes Groschupf: Berlin Prepper (Suhrkamp)
2. Platz: Regina Nössler: Die Putzhilfe (konkursbuch)
3. Platz: Max Annas: Morduntersuchungskommission (Rowohlt)

International:
1. Platz: Hannelore Cayre: Die Alte (La daronne). Übersetzt von Iris Konopik (Argument/Ariadne)
2. Platz: Dror Mishani: Drei (Shalosh). Übersetzt von Markus Lemke (Diogenes)
3. Platz: Denise Mina: Klare Sache (Conviction). Übersetzt von Zoë Beck. (Argument/Ariadne)

Der Preis wird seit 1985 vergeben, dieses Jahr nunmehr zum 36. Mal. Es entscheidet eine Jury aus 26 Kritiker*innen und Buchhändler*innen, ich bin seit 2018 in dieser Jury.

Weitere Links:
Mit Johannes Groschupf habe ich mich zu seinem Roman unterhalten.

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Über „Die Putzhilfe“ von Regina Nössler

Regina Nössler ist eine Autorin, die in der deutschsprachigen Krimi-Landschaft viel zu wenig bekannt ist – obwohl sie nach „Schleierwolken“ mit „Die Putzhilfe“ wieder einen hervorragenden Kriminalroman geschrieben hat, in dem sie gekonnt mit der identifikatorischen Lesart spielt.

(c) Konkursbuchverlag

Niemand darf wissen, wohin sie flieht: An einem Tag im November verlässt Franziska Oswald ihr Leben in einem kleinen Ort. Sie wirkt aufgelöst, gehetzt, geht aber dennoch planvoll vor und setzt sich schließlich in den ersten Fernzug, der kommt. So landet sie in Berlin. Statt in einem gediegenen Haus wohnt sie fortan in einer dunklen Hinterhofwohnung in Neukölln, statt als Soziologin an der Universität arbeitet sie bald als Putzhilfe bei der resoluten Henny Mangold in Dahlem, die sie zufällig im Museum kennengelernt hat. Ständig ist sie besorgt, dass ihr jemand auf der Spur sein könnte, insbesondere ihr Ehemann Johannes. Dabei übersieht sie, dass die Teenagerin Sina sie ins Visier genommen hat. Franziska wirkt einfach wie ein sehr leichtes Opfer und Sina ist gerade langweilig. Weiterlesen

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Über „Die Dinge beim Namen nennen“ von Rebecca Solnit

„Indem wir Dinge bei ihrem wahren Namen nennen, durchbrechen wir die Lügen, mit denen Untätigkeit, Gleichgültigkeit oder Weltfremdheit entschuldigt, abgeschwächt, vertuscht, verdeckt oder umgegangen werden oder der sie befördern“, schreibt Rebecca Solnit im Vorwort ihres Essaybandes „Die Dinge beim Namen nennen“. Tatsächlich reflektiert sie in den 20 Essays aus den Jahren 2006 bis 2018 immer wieder Namen, Bezeichnungen und Narrative, die zu den Themen gehören – und plädiert dafür, die ‚Geschichte zu brechen‘ – to break the story. Und zwar nicht im Sinne, als erstes über etwas zu schreiben oder zu sprechen, sondern tatsächlich die verbreiteten Erzählweisen zu hinterfragen. Dabei räumt sie auch gleich mit Vorurteil auf, es gebe objektiven Journalismus, indem sie Ben Bagdikian zitiert, den Journalisten, dem Daniel Ellsberg damals die Pentagon-Papers anvertraute: „Objektiv können Sie nicht sein, fair aber schon“, hat er damals seinen Studierenden erklärt. Solnit ergänzt: „Objektivität ist die Fiktion eines neutralen Beobachterstandpunkts – als gäbe es ein solches politisches Niemandsland, in dem man sich zusammen mit den Mainstream-Medien ganz entspannt aufhalten kann. (…) Wir neigen dazu, Menschen am politischen Rand als Ideologien zu behandeln und die in der politischen Mitte neutral zu finden – als ob die Entscheidung, kein Auto zu haben, eine politische wäre, die, eines zu besitzen, aber nicht: (…) Das Apolitische gibt es nicht, es gibt keine Unbeteiligtheit und keinen neutralen Boden; wir alle sind aktiv verstrickt.“

(c) Hoffmann und Campe

Aktivismus ist eines ihrer wiederkehrenden Themen: für Klimaschutz, gegen Donald Trump, gegen Rassismus und Sexismus. Pointiert und überzeugend arbeitet sie die Verbindungen des politischen Aktivismus von den Suffragetten in England über Gandhi, Luther King und die Anti-Atomkraftbewegung bis zu #BlackLivesMatter heraus. Ihre Haltung ist klar, auch sie ist zornig über die Gegenwart in den USA, zugleich aber auch voller Hoffnung. Denn die Menschen in den USA haben sich angesichts der politischen Lage nicht ins Private zurückgezogen, sie haben nicht gesagt, dass sie „Konsument*innen und keine Bürger*innen“ sind, sondern sie protestieren. „Ich bin nicht überzeugt, dass wir gewinnen werden, aber ich bin froh, dass wir wenigstens kämpfen“. Und sie ist noch überzeugt, dass die Menschen das Ruder herumreißen können, dass sie die Welt verändern können.

Diese Hoffnung ist bei Rebecca Solnit bei allem Zorn präsent, es ist keine naive, blinde Hoffnung, vielmehr die durch die Geschichte genährte Überzeugung, dass man manchmal zwar nicht unmittelbar sieht, was verändert wurde, langfristig aber der Keim für Veränderung gelegt wurde. Es passiert mir selten, dass ich nach der Lektüre von Essays über die Gegenwart tatsächlich gut gelaunt und voller Kraft bin. Rebecca Solnit aber ist das gelungen.

Rebecca Solnit: Die Dinge beim Namen nennen. Übersetzt von Bettina Münch und Kirsten Riesselmann. Hoffman und Campe 2019.

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Talk Noir im Januar 2020

Am 21. Januar 2020 treffe ich mich wieder mit Thomas Wörtche und Wolfgang Franßen in der Konrad Tönz Bar, um über Kriminalromane zu sprechen. Und dieses Mal reden wir über (fast) vergessene Klassikerinnen der 1940er und 1950er Jahre. Es wird gehen um:

Leigh Brackett: Raubtiere unter uns. Unionsverlag
Margaret Millar: Liebe Mutter, es geht mir gut … Diogenes
Dorothy B. Hughes: Der Tod tanzt auf den Straßen. Goldmann

Beginn ist 20 Uhr.

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