Krimi-Kritik: „Verdammte Liebe Amsterdam“ von Frank Göhre

Schorsch. Ein Mann, ein Name, könnte man denken. Aber offenbar ist Georg der sensiblere der beiden Köster-Brüder, zumindest in seiner Erinnerung. Ständig hat ihn der ältere Michael aufgezogen, wenn er geweint hat, sich weggeduckt hat oder etwas nicht wusste. Nun ist Michael tot. An einer Autobahnraststätte wurde er erschlagen. Jahrelang hatten die Brüder einander nicht gesehen, hatten keinen Kontakt zueinander. Nun beginnt Schorsch, sich für seinen Bruder und dessen Leben zu interessieren. Also vollzieht er dessen letzten Schritte nach und landet in Amsterdam.

(c) Culturbooks

Schnörkellos geht Frank Göhres „Verdammte Liebe Amsterdam“ los: „Am zwanzigsten kurz nach neun nahm Schorsch den Anruf entgegen.“ Fünfeinhalb Seiten später ist klar, dass die Brüder als Teenager in dasselbe Mädchen – Jutta Kotzke, noch so ein Name! – verliebt waren, es ein Unheil in der Vergangenheit gibt und mit Michaels Tod möglicherweise etwas nicht stimmt. Nach 158 Seiten wissen wir, was passiert ist, dass manches nicht in Ordnung kommt – und dass „Verdammte Liebe Amsterdam“ ein herausragender Kriminalroman ist.

Gut zehn Jahre liegen zwischen Göhres „Der Auserwählte“ und diesem Buch – das ist eine verdammt lange Zeit, zu lang, wenn man mich fragt. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, wie einzigartig seine Stimme in der deutschsprachigen Kriminalliteratur weiterhin ist. Es ist eine scheinbare Leichtigkeit, ja, Selbstverständlichkeit, mit der er die Handlung und die Figuren entwickelt.

In kurzen Abschnitten entfaltet sich das Geschehen. Sie wechseln zwischen den Figuren, bewegen sich in verschiedenen Zeiten. Da sind die Erinnerungen an einen Sommer 1976, der Schorsch und Michael für immer verändert hat. Da ist die Gegenwart, in der Schorsch seinem Bruder nachreist. Und die Zeit dazwischen. Bald hat Schorsch herausgefunden, dass sein Bruder Martina Campmann geholfen hat. Ihre Tochter Suse ist von zu Hause abgehauen, er hat sie gesucht und wohl in Amsterdam gefunden. Aber Martinas Freund Klaus Probst, Polizist wie ihr verstorbener Mann, hielt gar nichts davon.

Schorschi will nun Suse ebenfalls finden. Sie ist in Amsterdam, bei ihrem Freund Arif, den sie übers Internet kennengelernt hat. Ist sie eine von den jungen Frauen, die auf einen Loverboy hereingefallen sind? Noch zwingt er sie nicht zur Prostitution, aber auch Arif ist in einer Gang, er muss tun, was der Anführer sagt. Also bestehlen Suse und Arif Passanten. Im Hintergrund schwelt die dunkle Vorahnung, was Suse bevorsteht – wenngleich sie in einer grenzenlosen wie hoffnungsvollen Naivität an ihrer Liebe und dem Glauben festhält, dass Arif gut sei.

Göhre greift aktuelle Themen auf, verliert sich aber nicht in Erklärungen und Beschreibungen, sondern erzählt durch Handlungen, Dialoge, kurze Szenen. Sogar Figuren, die nur am Rand stehen wie Arifs Mutter, bekommen durch wesentliche Handlungen einprägsame Züge. Letztlich sind es die Beziehungsdynamiken, die in diesem Kriminalroman entscheidend ist. Platz für Romantik ist da aber höchstens in der Liebe einer Teenagerin. Und in der unverbrüchlichen, loyalen Freundschaft zwischen zwei Männern.

Frank Göhre: Verdammte Liebe Amsterdam. Culturbooks 2020. 168 Seiten. 15 Euro.

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