Eine Tradition ist der Jahresrückblick des CrimeMags, der in diesem Jahr insgesamt 84 Autor*innen versammelt. Auch ich blicke dort (und nun auch hier) auf mein Jahr zurück. Euch allen ein frohes 2020!
Januar bis März
Das erste Buch des Jahres ist gleich ein Volltreffer: Attica Lockes „Bluebird, Bluebird“. Hochspannende Hauptfigur, richtig schöner Südstaaten-Plot. Ohnehin ist der Januar ein großartiger Krimi-Monat: die Lit-Prom Tagung in Frankfurt ist dieses Jahr zum Thema „Global Crime. Ich rede mit Candice Fox über Psychopathen, quatsche Gary Victor todesmutig auf Französisch an, interviewe Jeong Yu-jeong und begegne vielen anderen interessierten Krimimenschen.
Es folgt: die Berlinale mit den unvergessenen „Systemsprenger“, „Der goldene Handschuh“ und „The Souvenir“. Graham Norton in London. Die Peanuts-Ausstellung in London. Ein Kreativmeeting mit tollen KollegInnen, das im Sommer zu einer Artikelreihe über Chemnitz führen wird. „High Flying Bird“, der beste Soderbergh- und beste Sportfilm seit langem, läuft weitgehend unbeachtet bei Netflix.
Außerdem: Sara Grans „Das Ende der Lügen“, Lesley Nneka Arimas „Was es bedeutet, wenn ein Mann vom Himmel fällt“, Annie Ernaux‘ „Der Platz“.
April bis Juni
Ich reise quer durch die Republik, um mit Autorinnen über Mutterschaft zu reden. In Paris treffe ich Deborah Levy. Ihr „Was das Leben kostet“ ist mein Buch des Jahres, es ist unfassbar klug und lustig; ich kenne niemanden, der so schreibt wie sie. Deshalb lese ich seither alles, was ich von ihr finde und was über sie geschrieben wurde.
Ich arbeite an dem Manuskript meines ersten Radio-Features, schaue den letzten Avengers-Film – nun sollen andere sich mit ihnen beschäftigen. (Ein Vorsatz, der der mittlerweile durch den „Black Widow“-Trailer zunichte gemacht wurde. Ich lerne es nie.). Reise nach Modena zur Franco-Fontana-Retrospektive, erlebe die unglaublichste Fußballwoche des Jahres (Go Spurs!) und sehe, wie Jackie Bradley Jr. einen Ball fängt, der unmöglich zu fangen ist.
Außerdem:
Die herzzerreißende Einsamkeit eines Kindes in Ray Billinghams „Ray & Liz“. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit in Ava DuVernays „When They See Us“. Anke Stellings „Bodentiefe Fenster“, Berit Glanz‘ Pixeltänzer, Jenny Offills „Amt für Mutmaßungen, Johannes Groschupfs „Berlin Prepper“.
Juli bis September
Eine Woche in Chemnitz, Recherchereise. Drei Wochen in Finnland, Urlaub. Ich lese unzählige Bücher, glaube für einen kurzen Moment, die Welt wieder zu verstehen. Dann kommt Boris Johnson und dieser kurze Moment ist wieder vorbei. Die Brüche werden größer, allenthalben.
Zum ersten Mal bin ich bei einem Podcast dabei, es geht um True Crime. Seit Jahren schaue ich „Grey’s Anatomy“ – die Folge „Stumme Schreie“ ( „Silent All These Years“) beschäftigt mich sehr lange. Selten wurde so deutlich, warum so wenige Frauen sexualisierte Gewalt anzeigen und wie wichtig Solidarität ist. Hoffentlich wird diese Folge verändern, wie im Fernsehen und anderen Medien über sexualisierte Gewalt verhandelt wird.
Krimis machen 4 in Köln. Drei Tage mit anderen Krimi-Menschen. Es ist toll, kontrovers, inspirierend. Weiterhin beschäftigt mich die Frage, wie sich Krimis positionieren – am Markt, im Feuilleton. Und wie es gelingen kann, dass wir nicht mehr nur zählen, wie viele Frauen wo von wem besprochen werden, sondern einen Schritt weiter zu kommen.
Außerdem: Gary Dishers „Kaltes Licht“, Tawni O’Dells „Wenn Engel brennen“, Paula Knights „The Facts of Life“, Denise Minas „Klare Sache“, Marja Kjos Fonns „Kinderwhore“.
Oktober bis Dezember
Buchmesse in Frankfurt, wie immer schön, lustig und anstrengend. Zurück in Berlin setze ich einen langgehegten Plan um: arbeite etwas weniger, lese querbeet vor allem ältere Titel und Sachbücher, bin viel in der alten Heimat.
Die Nationals schaffen das Unmögliche und schlagen die Astros; Sons 3:0 gegen Burnley ist das beste Tor des Jahres. Einer der besten Politthriller seit langem ist „The Report“, er läuft bei Amazon. Durch die zweite Staffel von „Fleabag“ verstehe ich, warum alle so begeistert von der Serie sind; nicht nur wegen des hot priest, sondern sie hat das perfekte Serienende.
Außerdem: Regina Nösslers „Die Putzhilfe”, Chanel Millers „Ich habe einen Namen“, Daniel Siemens‘ „Sturmabteilung“
Das ganze Jahr
Tolle Gespräche mit Kolleg*innen, die inspirierend und unterstützend sind. Lustige Abende bei Talk Noir. Hadern mit sozialen Netzwerken. Dorothy B. Hughes. Und natürlich: Deborah Levy. (Sie hat es verdient, hier wiederholt zu werden.)