In einer besseren Welt wäre der Name Dorothy B. Hughes ebenso geläufig wie Chandler und Hammett, Highsmith und Christie. Tatsächlich aber scheint sie vielen unbekannt zu sein. Obwohl ihr Roman „In a lonely place“ (dt. „Einsamer Ort“) sogar mit Humphrey Bogart verfilmt wurde, eine deutsche Übersetzung erstmals 1980 im Goldmann Verlag erschien und es 1999 eine überarbeitete Ausgabe im Unionsverlag gab. Dennoch wissen nur wenige, dass Dorothy B. Hughes acht Jahre vor Tom Ripley einen Hochstapler erfunden hat, der sich mühelos in der Welt bewegt. Dass sie vor Jim Thompson, Shane Stevens und natürlich vor Thomas Harris einen Serienkiller-Roman geschrieben hat, der fast alles enthält, was heute von ihm erwartet wird: Einblicke in eine zerstörte Psyche, einen spannenden Showdown – allerdings ohne grausame Zerstücklungssequenzen. Dorothy B. Hughes blickt nicht in das Innere eines Killers, um seine Überlegenheit oder Grausamkeit herauszustellen, vielmehr lenkt sie den Blick auf die US-amerikanische Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und auf den Frauenhass, der hinter den Verbrechen ihres Erzählers steckt.
Sein Name ist Dix Steele, er ist ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, der derzeit in Los Angeles lebt; vorgeblich um einen Kriminalroman zu schreiben, tatsächlich aber vertraut er auf den monatlichen Unterhaltsscheck von seinem Onkel und sein Talent, wohlhabende Freunde auszunutzen. Fast die gesamte Zeit bleibt der Roman bei ihm und in seinem Kopf: Wie er in dem Nebel von Los Angeles an den vergangenen Ruhm der Kriegszeiten denkt; wie er darunter leidet, dass er mit der Uniform auch Ansehen und Status aufgeben musste; wie er seinen Hass auf Frauen schürt, die ihn in seinen Augen nicht genügend Aufmerksamkeit schenken. In Los Angeles trifft er zudem auf seinen alten Kriegskameraden Brub, der mittlerweile bei der Polizei arbeitet und nach einem Mörder sucht, der Frauen erwürgt.
Sehr früh ist klar, dass Dix Steele der gesuchte Täter ist – die Taten finden indes zwischen den Kapiteln statt, denn im Mittelpunkt stehen eben seine Psyche und die Gesellschaft. Dix Steele fühlt sich benachteiligt, weil er nicht in reiche Familie hineingeboren wurde, sondern sein mittlerweile wohlhabender Onkel von ihm verlangt zu arbeiten. Während er Frauen beobachtet – er beobachtet sie fortwährend, an Bushaltestellen, durch Fenster, in dunklen Straßen –, fürchtet er die Frauen, die ihn mit ihren Blicken regelrecht durchdringen. Er fühlt sich unverstanden, glaubt, er suche eine Frau, die ihn versteht; und fürchtet doch genau das.
Damit hat Dorothy B. Hughes einen der Prototypen des Noir geschaffen: einen traumatisierten Kriegsveteranen, der nicht das Trauma erkennt, sondern überfordert ist von den Veränderungen der Welt. Steeles internalisierter Frauenhass bricht immer wieder durch: Sein Kriegsfreund Brub ist „made different by being chained to a woman“. Alle Frauen sind gleich, sie sind „cheats, liars, whores. Even the pious ones were only waiting for a chance to cheat and lie and whore.“ Doch in seiner Wahrnehmung sind es die Frauen, die ihn verraten und verlassen. Genau damit ist er aber auch eine ungemein moderne Figur, man denke nur an die Männer, die in Isla Vista und Toronto Menschen ermordet haben, weil sie sich von Frauen zurückgewiesen und verkannt fühlten. Zudem hat Dorothy B. Hughes – wie Megan Abbott in ihrem lesenswerten Nachwort schreibt – hier bereits erkannt, worauf Kritiker und Gelehrte erst Jahrzehnte später hinweisen werden: Wie Trauma mit Gender und (toxischer) Maskulinität zusammenhängt und das es zu (sexualisierter) Gewalt führen kann.
In „In a lonely place“ stellt Dorothy B. Hughes Dix Steele zwei bemerkenswerte Frauenfiguren entgegen: Laurel, Steeles verführerische rothaarige Nachbarin, mit der er eine Affäre beginnt, und Brubs Frau Sylvia, eine intelligente, kühle Frau. Sie scheinen zwei typischen Figuren zu entsprechen, der femme fatale und dem good girl. Doch hier sind sie weder Opfer noch Täterinnen, sondern letztlich decken sie auf, dass Steele der Mörder sind. Sie durchschauen ihn – und je stärker sich Dix erkannt fühlt, desto hysterischer wird er. Es sind die Frauen, die klug, überlegt und rational bleiben, während die Männer am Ende die Nerven verlieren.
In dem kurzen Nachwort der deutschsprachigen Ausgabe von 1999 (ich vermute, von Thomas Wörtche) steht, dass Dorothy B. Hughes als Schriftstellerin im deutschen Sprachraum “erst noch zu entdecken” ist. Leider gilt das 20 Jahre später immer noch.
Dorothy B. Hughes: In a lonely place. NYRB Classics 2017.
Dorothy Hughes: Einsamer Ort. Übersetzt von Friedrich A. Hofschuster. Unionsverlag. 1999
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