Zu „Last Shot“ von Hazel Frost

(c) Droemer

Welch ein Spaß hatte ich mit diesem Buch! „Last Shot“ ist rasant, witzig und überdreht, am ehesten würde ich es als Pulp mit einem Schuss Sozialrealismus beschreiben. Alleine schon der Anfang: Auf einen wunderbar blutig-verregneten-tragischen Prolog folgt eine Szene auf einem Parkplatz in den Bergen, auf dem drei Menschen erschossen werden, nur Dima, der erwachsene (nun ja) Sohn des nun toten Vaters kann flüchten, weil er vorgegeben hatte, pinkeln zu müssen, stattdessen aber Bewegung brauchte. Doch seine Flucht bringt ihn nicht weit: Aufgesammelt wird er von einem Junkie und einer Prostituierten, die wiederum eigene Pläne verfolgen. Auf dem Parkplatz hat mittlerweile ein Krankenwagen gehalten. Der Rettungssanitäter Laser war eigentlich auf dem Weg zur Berghütte seiner Eltern, wollte helfen und wird nun von der mutmaßlichen Täterin als Geisel genommen. Sie nennt sich November und scheint unwiderstehlich zu sein. Immerhin ist ihr vor Laser auch Dima schon verfallen. Es fehlen nun noch die Ermittler: Kamilla Rosenstock vom BKA und Kommissar Horst Horst. Sie entdecken, dass es eine Überlebende in dem Auto gibt. Ein kleines Mädchen.

Das ist nun der Anfang, eines Pulp-Romans würdig, aber glücklicherweise weiß Hazel Frost, was sie tut. Also dreht und wendet sie ihre irrwitzigen Figuren in bisweilen bizarren Verwicklungen, ohne weit verbreitete, faule Klischees zu bedienen oder einer ignoranten Verbrechensromantik zu frönen. Vielmehr entfacht sie ein regelrechtes Feuerwerk an bisweilen bizarren Ideen, ist sich aber den jeweiligen Abgründen ihrer Figuren und ihrer Taten sehr bewusst. Immerhin geht es hier auch im Zwangsprostitution und da liegt Romantik ausschließlich aufseiten allzu ignoranter Männer.

„Last Shot“ ist also ein dreckiges, kleines, wunderbares Stück Literatur, das mir sehr viel kürzer als die 362 Seiten vorkam, die es letztlich hat. Nur eines hat mich dann doch sehr verwundert: Geschrieben hat es Katja Bohnet, aber unter dem offenen Pseudonym Hazel Frost. Und damit ich hier nicht spekulieren muss, warum das so erschienen ist, habe ich einfach bei der Frau nachgefragt, die es wissen muss.

Katja, warum hast Du „Last Shot“ unter Pseudonym geschrieben?
Keine Ahnung. Welches Pseudonym? (Völlig normaler schizophrener Moment im Leben einer Schriftstellerin.) Zurück zur Frage: auf Wunsch meines Verlags.

War von Anfang klar, dass es ein offenes Pseudonym wird?
Nein. Ich habe lange dafür gekämpft. Warum? Ich möchte gern für meine Literatur einstehen. Selbst bei Veranstaltungen lesen und auf den Netzwerken kommentieren. Außerdem muss man für ein geschlossenes Pseudonym eine komplett neue, überzeugende Persönlichkeit entwickeln. Sie braucht vielleicht eine eigene Homepage. Ein eigenes Profil. Das Erfinden eines Pseudonyms kann eine tolle Sache sein. Namen sprechen, sie eröffnen Welten. Form follows function. Bedeutet, man kann mit einem Pseudonym den Charakter des Romans noch unterstützen oder herausarbeiten. Bei „Last Shot“ sind das z.B. die Bezüge zum amerikanischen Hardboiled, zu Road-Movie und Pulp.

(c) Benedikt Ernst

Welche Idee stand am Anfang von „Last Shot“?
Mehrere. Eine Frau, die erst alles verliert und sich dann alles wiederholt. Die Sukkuben. Frei zu sein und frei zu schreiben. Verschiedene Erzähl- und Zeitformen zu kombinieren.

Soweit ich weiß, ist „Last Shot“ teilweise in einem Krimi-Seminar entstanden. Kannst Du dazu etwas erzählen?
Ich habe mich mit dem Projekt bei der Bayerischen Akademie des Schreibens beworben. Verpflichtend waren drei Treffen innerhalb eines Jahres. Das konnte ich als Mutter von drei Kindern leisten. Aufenthaltsstipendien grenzen Mütter heute noch ganz natürlich aus. Aber eines habe ich schnell verinnerlicht. Warte nicht auf Stipendien, auf Geld oder Bewunderung! Es könnte so lange dauern, dass du darüber verstirbst.
Als ich den Zuschlag bekam, hatte ich schon viele Seiten verfasst. Ich habe mich riesig über die Zusage gefreut. Ich war zu alt für die Bewerbung, das Projekt ungewöhnlich und wurde dennoch akzeptiert. Ich hatte erst anderthalb Jahre vorher überhaupt mit dem Schreiben begonnen.

War das hilfreich? Falls ja, was hat es Dir gebracht?
Es war das Beste, was mir in meiner schriftstellerischen Laufbahn überhaupt passiert ist. Die Wertschätzung, die Schriftsteller*innen im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg und dem Literaturhaus München entgegengebracht wurde, hat mich überrascht. Ich kam mir vor wie Alice im Wunderland. Dort lernte ich Kollegen und Experten kennen. Ich konnte mich erstmals intellektuell reiben. Das hat mir in meiner eigenen Positionierung wahnsinnig viel gebracht. Im Literaturhaus arbeiteten Menschen, Profis, die mein Talent nicht nur erkannten, sondern auch schätzten und förderten. Ohne Menschen bist du nichts in dieser kleinen Welt des Buchs.

Würdest Du es wieder an so einem Seminar teilnehmen?
Immer wieder. Manche Lieben entzaubern sich. Die zum Literaturhaus München nicht.

Du hast mal zu mir gesagt, Hazel Frost darf nun richtig loslegen. Was darf sie, was Katja Bohnet nicht darf?
Katja Bohnet lebt in einer festen Beziehung mit Viktor Saizew und Rosa Lopez. Sie hat eine Verantwortung. Wie in jeder guten Beziehung ist die Freiheit eingeschränkt, aber Vertrauen und Kontinuität überwiegen. Das hat eine eigene, schöne Qualität.
Hazel Frost schreibt nah an der Groteske. In „Last Shot“ erweckt sie eine gnadenlose Frauenfigur zum Leben. November macht keine halben Sachen. Sie verfolgt nur ein Ziel. Sie handelt kühl und kalkuliert. Sie mordet und zerstört. Leben und Beziehungen. Sie bricht emotional nicht ein. Weder vor den Erwartungen der anderen Figuren, noch vor den Erwartungen, die Leser*innen heute an Romanfiguren haben. Diese Frauen müssen spätestens am Ende einer Geschichte Einsicht zeigen (besser noch früher), weich werden, sich wieder in die bestehenden Verhältnisse integrieren. November geht aber keine Kompromisse ein. Hazel Frost nimmt die Lesenden da hin mit, wo Akademiker nicht hinwollen. Dort hin, wo es Spaß macht, wo ständig geschossen wird. Da, wo es schnelle, harte Action gibt. Wo der Bodensatz der Gesellschaft seine eigenen Gesetze macht. Ganz nebenbei wird eine verzweigte Familiengeschichte über Jahrzehnte hinweg erzählt. „Last Shot“ ist eine Tragikomödie, in der beides leuchtet: Dunkelheit und Neonlicht.

Oder etwas formuliert: Welche Regeln gelten für Katja Bohnet?
Im Schreiben? Einige, wenn ich weiterhin Bücher verkaufen will. Im Leben? Im Literaturbetrieb? Genauso.

Gelten für Autorinnen ohnehin andere Regeln/Erwartungen/Konventionen als für Autoren?
In der Praxis dürfen wir als Autorinnen in der Sache mitreden, aber bloß nicht unbequem werden. Nur, weil wir Frauen sind, werden unsere Bücher von Kritikern nicht gelesen und selten besprochen. Falls unsere Romane besprochen werden, wird uns kein Genius zugestanden. Männliche Kollegen werden gern mal als genial geadelt, für sie gibt es ein anderes Vokabular. Frauen bekommen für ihre Literatur auf dem Zeugnis höchstens eine gute Zwei. Wir werden nicht von allen, aber von viel zu vielen systematisch klein gehalten, unsichtbar gemacht. Auch bei Nominierungen und Preisen. Männer verdienen das Geld. Die Männer — Kritiker, Journalisten und Schriftsteller — stehen vorn, sie halten Reden. Sie bestätigen sich gegenseitig. Sie akzeptieren keine Quoten. Egal, welche Regeln gelten, das Spiel gehört den Männern.
Hoffnungsschimmer im Noir: Immer mehr Frauen wollen keine Schriftstellerinnen, Journalistinnen oder Kritikerinnen zweiter Klasse mehr sein. Diese Frauen wachen auf. Manche wehren und vernetzen sich.

Diesen Beitrag teilen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert