Denise Mina hatte es lange Zeit schwer auf dem deutschsprachigen Buchmarkt: Sie war bei Droemer Knaur, ihre Reihen sind oftmals nicht in Chronologie erschienen und sie war mehr ein Geheimtipp. Bis zu bei Ariadne gelandet ist. Zunächst erschien erst 2018 das großartige „Blut Salz Wasser“, der fünfte Teil der Alex-Morrow-Reihe, dann 2019 der witzige, kluge, rasante Kriminalroman „Klare Sache“. Und 2020 ist dort „Götter und Tiere“ erschienen, der dritte Teil der Alex-Morror-Reihe – gewissermaßen eine wichtiger Lückenschluss, denn jetzt liegt die Reihe komplett in deutscher Übersetzung vor. (Die ersten beiden Teile „In der Stille der Nacht“ und „Blinde Wut“ sowie der vierte Teil „Das Vergessen“ sind bei Heyne erschienen.) Nun ist es nicht so, dass die Lektüre von „Götter und Tiere“ davon negativ beeinflusst wird – allerdings kann es am Ende passieren, dass man das unbändige Verlangen hat, nun „Das Vergessen“ doch noch einmal zu lesen – gerade wenn es doch schon ungefähr sechs Jahre hier ist, dass man das Buch gelesen hat.
„Götter und Tiere“ beginnt mit einem Raubüberfall in einer Postfiliale: Ein bewaffneter Räuber dringt in den Schaltraum ein. Ein älterer Mann, der mit seinem Enkel in der Schlange steht, scheint den Räuber zu erkennen. Er gibt seinen Enkelsohn dem Mann hinter ihm und wird erschossen. Alex Morrow ermittelt in diesem Fall, aber das ist nicht ihre einzige Sorge: Zwei Streifenpolizist*innen haben Schmiergeld angenommen. Dazu kommt – ganz dem Polizeiroman gemäß – ein dritter Handlungsstrang hinzu, der lange die anderen beiden nur tangiert: Der Labour-Lokalpolitiker Kenny Gallagher droht, wegen der „Affäre“ mit einer 17-jährigen Praktikantin seine Posten, seinen Einfluss und seine Ehe zu verlieren.
Diese drei Handlungsstränge ermöglichen Mina den Blick in sehr verschiedene Glasgower Milieus: der ermordete ältere Mann ist eine Arbeitergröße, ein alter Gewerkschafter, dessen Tochter mitsamt Sohn bei ihnen lebt. Sein Enkelsohn überlebt den Überfall auf dem Arm des jungen Mannes Martin Pavel, der vorgibt, Student zu sein, tatsächlich aber versucht, sein großes Erbe sinnvoll einzusetzen. Die Streifenpolizist*innen deuten auf die Korruption innerhalb der Polizei hin, die Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen in Glasgow zusätzlich verhindert. Der Lokalpolitiker indes kommt aus einem gehobenen bürgerlichen Haus, lebt scheinbar idyllisch mit Frau und zwei Kindern, glaubt stets klüger zu sein als alle anderen im Raum, ist aber im Grunde genommen ein armeseliger misogyner Wicht. Bemerkenswert ist wie Denise Mina schon lange vor #Metoo mit sexualisierter Gewalt umgeht. Die 17-jährige Praktikantin wurde von Kenny Gallagher nicht mit direkter Gewalt zum Sex gezwungen. Aber natürlich gibt es ein ungeheures Machtgefälle zwischen dem Politiker und der Praktikantin – ganz abgesehen davon, dass sie minderjährig ist und er erwachsen. Insbesondere in Bezug auf Kenny Gallagher wird deutlich, wie sehr sein Weltbild von einer abschätzigen Wahrnehmung von Frauen geprägt wird. Darauf muss Mina nicht mit dem Finger zeigen, sie markiert es mit den Worten, in denen er über Frauen denkt – als er eine Prostituierte in einem Hotelzimmer aufsucht, denkt er über sie als „es“, das er mehrfach durchficken wird.
Es ist dieser genaue Blick, die genaue Sprache, die kluge Wortwahl, die Minas Romane auszeichnet und „Götter und Tiere“ ist ein vielschichtiger, sorgfältiger und hochspannender Blick in die Stadt Glasgow der frühen 2010er Jahre. Es wird sehr deutlich, dass sich Kriminalität und Verbrechen überall findet, sogar in Morrows Familie: Ihr Halbbruder Danny McGrath ist einer der großen Gangsterbosse in Glasgow. Er sieht so manches, was Alex erst noch herausfinden muss. Und dazu gehört auch, wie einflussreich ihr Bruder tatsächlich ist. Aber dafür gibt es dann ja „Das Vergessen“.
Denise Mina: Götter und Tiere. Übersetzt von Karen Gerwig. Ariadne 2020.
In ihrem Vorwort weist Else Laudan auf die Seite Glasgow West End hin, auf der man Fotos zu der Gegend findet, in der der Roman spielt.