Schlagwort-Archive: Roman

Von einem, der auszog, die Welt zu erkunden – Über „Ein Mann von Welt“ von Antoine Wilson

(c) Insel Verlag

Oppen Porter lebt seit 27 Jahren in dem kleinen kalifornischen Ort Madera und ist stolz darauf, dass er von allem Mayor genannt wird – sogar von dem richtigen Bürgermeister. Jeden Tag fährt er mit dem Fahrrad von seinem Elternhaus in den Ort hinein, fragt seine Freunde, ob sie Arbeit für ihn haben und erledigt dann, was zu tun ist. Oppen ist zufrieden mit diesem Leben, doch dann stirbt sein Vater. Nachdem er ihn – seinem letzten Wunsch folgende – auf dem Grundstück zwischen den Familienhunden begraben hat, schalten sich die Behörden ein und verlegen den Vater auf einen Friedhof. Dann meldet sich seine Tante Liz und bringt Oppen zu der Einsicht, dass es für ihn am besten wäre, zu ihr nach Panorama City zu kommen. Dort – davon ist Oppen überzeugt – wird er ein Mann von Welt werden!

Antoine Wilsons „Ein Mann von Welt“ ist ein Roman, in dem eine vermeintlich dumme Hauptfigur mitunter erstaunliche Sichtweisen auf die Welt offenbart. In Tradition von Forrest Gump ist Oppen Porter ein liebenswürdiger, naiver, tapsiger Mann. Einen Meter achtundneunzig groß, überragt er die meisten seiner Mitmenschen und doch sehen sie auf ihn herab. Da er leicht zu beeinflussen ist, wird er des Öfteren ausgenutzt. Er freundet sich mit einem Trickbetrüger an, der sich auf Oppens Großmütigkeit verlässt, ihm aber auch etwas über das Leben beibringt, verbringt auf Wunsch seiner Tante Zeit mit einem Psychiater und bei einer Sekte, verguckt sich in eine Wahrsagerin und sieht vor allem in allen Menschen das Gute. Weiterlesen

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„Der Himmel über Greene Harbor“ von Nick Dybek

(c) mare

Auf der Halbinsel Loyalty Island im Bundesstaat Washington wird nicht nur dem Namen nach Loyalität großgeschrieben: Die Menschen leben dort vornehmlich vom Fischfang. Die Männer fahren sechs Monate lang zusammen zur See, ihre Kinder und Frauen warten indessen auf sie. In dieser Zeit vertrauen die Männer einander ihr Leben an, sind der Kälte, den Winden und den Meeren ausgesetzt, während die Daheimgebliebenen mit dem abwesenden Vater und Ehemann zurechtkommen müssen. Auch Cals Vater arbeitet auf einem der Schiffe des wohlhabenden Inselpatriarchen John Gaunt, um seine Familie über die Runden zu bringen. Das ist das Leben auf Loyalty Island, mit dem Cals Mutter ihre Schwierigkeiten hat. Zwar hat ihr Mann ihr einen Keller aus Rückzugsort eingerichtet, aber ihr fehlt ihr altes Leben in Kalifornien. Als nun John Gaunt stirbt, wird die Existenzgrundlage von Cals Familie bedroht. Zum einen befürchten Cals Vater und die anderen Fischer, dass Gaunts Sohn Richard die Flotte verkaufen wird. Zum anderen war John Gaunt der einzige Freund, den seine Mutter auf der Insel hatte. Inmitten dieser Ängste und Trauer belauscht Cal ein Gespräch von seinem Vater und drei anderen Fischern, das ihn schaudern lässt: Anscheinend haben die Männer vor, Robert Gaunt zu töten! Weiterlesen

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New Orleans und Katrina – „Zeitoun“ von Dave Eggers

(c) Kiepenheuer & Witsch

„Zeitoun“ von Dave Eggers steht schon eine ganze Weile auf meiner Leseliste. Nach jeder Folge „Treme“ denke ich, dass ich es lesen wollte. Nun ist Dave Eggers aktuelles Buch „Ein Hologramm für den König“ recht präsent in den Medien und er saß – so meine ich jedenfalls – auf dem Flug zur Leipziger Buchmesse hinter mir. Also habe ich über die Osterfeiertage endlich „Zeitoun“ gelesen. Es hat mich nach der Lektüre fassungslos zurückgelassen. Als ich anschließend im Internet ein wenig zu Dave Eggers und seinem Buch las, kam jedoch eine weitere Frage hinzu, die wohl jeden Kulturinteressierten immer wieder beschäftigt: Welche Rolle spielt die Wirklichkeit bei der Bewertung von Kunst. Aber zunächst zu dem Buch – und meinem Entsetzen. Weiterlesen

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„Glückskind“ von Steven Uhly

(c) Secession Verlag

Hans D. verlässt die Wohnung nur, um seinen Verlängerungsantrag für Hartz IV pünktlich zur Post zu bringen. Und wenn er sowieso schon einmal auf dem Weg ist, rafft er sich noch auf, wenigstens einige der vollen Müllsäcke aus seiner verwahrlosten Wohnung zu den Mülltonnen zu bringen. Dort macht er eine erschreckende Entdeckung: In den Mülltonnen liegt ein Säugling. Ein kleines Mädchen, das in den Müll geworfen wurde und das anscheinend niemand wollte. Sofort handelt Hans, holt das Kind aus der Mülltonne, wärmt es und bastelt notdürftig eine Flasche, damit es etwas trinken kann. Er fühlt sich dem Kind nahe. Schließlich ist er ebenso wenig gewollt wie das Baby.

Der Anfang von Steven Uhlys Roman klingt bedrückend, doch in „Glückskind” erzählt er eine warme Geschichte über Einsamkeit, Verzweiflung und Veränderung. Weiterlesen

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Daniel Kehlmann und Detlev Buck – Eine zweifache „Vermessung der Welt“

Mit seinem Roman „Die Vermessung der Welt“ stand Daniel Kehlmann über 37 Wochen auf der Bestseller-Liste und hat im In- sowie Ausland große Erfolge gefeiert. Und tatsächlich ist diese geschickt montierte Doppelbiographie von Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß ungemein lustig und gut zu lesen. Dabei bietet sie mit der Parodie auf klassische Lebensbeschreibungen intelligente Unterhaltung im besten Sinne. Nun hat Detlev Buck diesen Erfolgsroman in 3D verfilmt

Über den Roman von Daniel Kehlmann

(c) Rowohlt

Der Roman beginnt im Jahr 1828 – übrigens die einzige Jahreszahl in diesem historischen Roman – mit einer Reise von Carl Friedrich Gauß nach Berlin. Dorthin wurde er von Alexander von Humboldt zur 17. Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte eingeladen und hat sich widerwillig mit seinem Sohn Eugen auf den Weg gemacht. Der alte Gauß reist nicht gerne, sondern ist am liebsten zu Hause. In Berlin trifft er nun auf den reisenden Entdecker Alexander von Humboldt, der die Welt mit seinen Füßen erkundet hat. Ihre Begegnung bildet die Rahmenhandlung des Romans, in die die kapitelweise wechselnden chronologischen Lebensläufe von Gauß und Humboldt eingebunden sind. Beide haben die Welt erkundet – wenngleich auf verschiedenen Wegen. Humboldts Entdeckerdrang führte ihn nach seiner strengen Ausbildung und dem Tod der Mutter bis nach Amerika. Dort hat er mit seinem Assistenten Aimé Bonpland den damals bekannten höchsten Berg der Welt bestiegen. Dagegen forschte der aus armen Verhältnissen stammende Gauß am Schreibtisch und erkundet die Welt mathematisch. Seine sinnlichen Versuchungen sind die Frauen, während sich Humboldt eine strenge Askese auferlegt hat. Weiterlesen

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„Öl auf Wasser“ von Helon Habila

(c) AfrikaWunderhorn

Vergiftete Gewässer, verpestete Luft, brennender Fackeln und Ölfässer sind in Helon Habilas „Öl auf Wasser“ keine Requisiten einer apokalyptischen Vision, sondern Bestandteile der sehr realen Beschreibung der Dörfer um Port Harcourt im Delta des Niger. Ölgesellschaften sind hier auf der Jagd nach dem wertvollen Bodenschatz, sie zerstören und beuten das Land aus – geschützt von der Armee und Regierung. Rebellengruppen kämpfen dagegen an und entführen Mitarbeiter dieser Firmen, um Geld zu erpressen. Nun ist die weiße, britische Frau eines hochrangigen Mitarbeiters einer ausländischen Firma entführt worden – und dem Reporter Rufus bietet sich eine einmalige Chance: Mit einer Gruppe anderer Journalisten soll er sich mit den Rebellen treffen und das Lösegeld verhandeln.

Im Stil einer Reportage lässt Helon Habila seine Hauptfigur von seiner Reise zu den Rebellen erzählen, in deren Verlauf er an seine eigene Vergangenheit denken muss. Begleitet von dem in die Jahre gekommenen Ex-Starreporter Zaq gerät Rufus während seiner Reise zwischen alle Fronten und findet sich inmitten der Auseinandersetzungen der Rebellen, der Soldaten und Flussbewohner wieder. Sie führt ihn letztlich tief in die Gegenwart des Landes, in seine eigene Vergangenheit – und erlaubt auch einen Blick auf die Zukunft. Vor allem aber führt diese Reise dem Leser eindringlich vor Augen, wie die Realität in Nigeria aussieht. Weiterlesen

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Ein finnisch-estnischer Roman – „Fegefeuer“ von Sofi Oksanen

(c) Kiepenheuer & Witsch

Seit Erscheinen stand „Fegefeuer“ von der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen auf meiner Leseliste, an einem verregneten Nachmittag an der Ostsee begann ich es dann zu lesen – und konnte es nicht mehr aus der Hand legen. Auf knapp 400 Seiten erzählt Sofi Oksanen anhand zweier Frauenleben das Schicksal einer Familie in Estland und Russland im 20. Jahrhundert. Die Geschichte beginnt mit einem Bündel, dass die estnische Bäuerin Aliide Truu im Jahr 1992 in ihrem Garten findet. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das Bündel als junge Frau. Zara wurde in der Hoffnung auf ein besseres Leben von ihrer Freundin nach Berlin gelockt und dort zur Prostitution gezwungen. Sie konnte fliehen und ist nicht zufällig bei Aliide gelandet. Vielmehr glaubt sie, dass Aliide die Schwester ihrer Großmutter sei. Auf zwei Ebenen entfaltet sich nun das Leben dieser zwei Frauen, die vor allem ein unbändiger Überlebenswille vereint. Weiterlesen

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