„Öl auf Wasser“ von Helon Habila

(c) AfrikaWunderhorn

Vergiftete Gewässer, verpestete Luft, brennender Fackeln und Ölfässer sind in Helon Habilas „Öl auf Wasser“ keine Requisiten einer apokalyptischen Vision, sondern Bestandteile der sehr realen Beschreibung der Dörfer um Port Harcourt im Delta des Niger. Ölgesellschaften sind hier auf der Jagd nach dem wertvollen Bodenschatz, sie zerstören und beuten das Land aus – geschützt von der Armee und Regierung. Rebellengruppen kämpfen dagegen an und entführen Mitarbeiter dieser Firmen, um Geld zu erpressen. Nun ist die weiße, britische Frau eines hochrangigen Mitarbeiters einer ausländischen Firma entführt worden – und dem Reporter Rufus bietet sich eine einmalige Chance: Mit einer Gruppe anderer Journalisten soll er sich mit den Rebellen treffen und das Lösegeld verhandeln.

Im Stil einer Reportage lässt Helon Habila seine Hauptfigur von seiner Reise zu den Rebellen erzählen, in deren Verlauf er an seine eigene Vergangenheit denken muss. Begleitet von dem in die Jahre gekommenen Ex-Starreporter Zaq gerät Rufus während seiner Reise zwischen alle Fronten und findet sich inmitten der Auseinandersetzungen der Rebellen, der Soldaten und Flussbewohner wieder. Sie führt ihn letztlich tief in die Gegenwart des Landes, in seine eigene Vergangenheit – und erlaubt auch einen Blick auf die Zukunft. Vor allem aber führt diese Reise dem Leser eindringlich vor Augen, wie die Realität in Nigeria aussieht.

Realität statt Utopie
Es ist eine mitunter bizarr anmutende Landschaft, die Rufus, Zaq, ein alter Fischer und dessen Sohn mit einem alten Kahn durchqueren. Eine labyrinthische Inselwelt voller Sumpf und Moder, umgeben von fauligen Gerüchen und Moskitos. Hier ist das Wirken der Ölfirmen allgegenwärtig, kämpfen Soldaten und Rebellen gegeneinander. Die Leidtragenden sind letztlich die Flussbewohner: Die Ölfeuer nehmen ihnen ihre Lebensgrundlage, die Armee durchkämmt auf der Suche nach Rebellen willkürlich die Ortschaften und nimmt Dorfbewohner gefangen, die Rebellen suchen die Dörfer ebenso heim. Auch Rufus‘ Dorf und Familie hat die Folgen unmittelbar gespürt: Durch die Ölfeuer wurde der Familie erst die Lebensgrundlage genommen, dann erlitt seine Schwester schwere Verbrennungen. Daher durchdringt Rufus‘ Reisebericht stets sein persönliches Schicksal – und die Geschichten der anderen Figuren. Dazu gehört Zaq, der ehemals große Reporter. Zur Zeit der Militärdiktatur in Nigeria ist er mit einer Reportage über die Prostituierten in Lagos berühmt geworden und hat unerschrockene Artikel geschrieben, die ihn ins Exil trieben. Aber nun steht er exemplarisch für Nigerias Ringen um Demokratie: Voller Hoffnung gestartet, ist er irgendwo gescheitert und dem Rausch verfallen. Seine Lage ist nun aussichtslos, wenngleich es für Nigeria und Rufus einen Hoffnungsschimmer gibt. Auf der kleinen Insel Irikefe lebt eine religiöse Gemeinschaft freundlicher Menschen in weißen Gewändern friedlich miteinander. Sie beten die auf- und untergehende Sonne an. Hier findet Zaq ein wenig Ruhe und Rufus in der Krankenschwester Gloria die Liebe. Diese auf Irikefe herrschenden Zuversicht scheint beständig und wehrhaft zu sein.

Ein wichtiges Buch, bemerkenswert erzählt

Helon Habila. Foto: Jide Alakija

Auch der Erzählstil spiegelt die Landschaft und die unübersichtliche Lage wider: knappen Passagen über die Medienlandschaft in Nigeria stehen poetische Landschaftbeschreibungen gegenüber, es gibt schnelle Perspektiv- und Zeitenwechsel und Brüche in der Erzählung. Dabei vermeidet Helon Habila jedes Klischee und verzichtet auf allgemeine Thesen oder eine moralische Botschaft. Vielmehr lässt er Rufus von seinem Leben und seinen Eindrücken erzählen, in denen die Unterscheidung zwischen Gut und Böse keine Rolle spielt. Es gibt auf Seiten der Rebellen und der Armee gute und böse Menschen, beide vereint aber, dass sie von ihren Handlungen und der Bedeutung ihres Auftrags überzeugt sind. Längst ist die Machtlage ebenso unübersichtlich wie die Flusslandschaft, daher gibt es auch keine deutlichen Schuldzuweisungen. Vielmehr erzählt Helon Habila in „Öl auf Wasser“ wunderschön und schockierend von einer Katastrophe, die sich gerade jetzt vor unseren Augen abspielt. Ölkonzerne beuten mit Zustimmung der nigerianischen Regierung das Land aus und produzieren eine Ölpest, die die Natur und die Menschen vergiftet. Doch anscheinend hat niemand ein Interesse, darüber zu berichten oder die Verflechtungen dieses „Ölkriegs“ aufzudecken. Und dieser Ignoranz setzt Helon Habila diesen wichtigen und ungemein lesenswerten Roman entgegen.

Helon Habila: Öl auf Wasser. Übersetzt von Thomas Brückner. AfrikaWunderhorn 2012.

Links:
Ein Bericht von Amnesty über die Ölschäden im Nigerdelta.
Eine Besprechung des Romans mit vielen Hintergründen bei CulturMag und der Zeit.
„Öl auf Wasser“ ist unter den letzten zehn Titel der Hotlist der unabhängigen Verlage 2012. Der Preisträger wird am 12. Oktober bekanntgegeben.

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