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Skandinavische Filmtage Bonn 2015

Vom 7. bis 15. Mai 2015 finden in Bonn wieder die Skandinavischen Filmtage statt – leider ohne mich, dafür aber mit einem sehr guten Programm.

(c) NFI

(c) NFI

Den Auftakt macht am 7. Mai um 21 Uhr im Kino in der Brotfabrik der norwegische Film „Blind“, in dem Eskil Vogt – vor allem aufgrund seiner Drehbücher zu den Joachim Trier Filmen „Reprise“ und „Oslo, 31. August“ bekannt – kunstvoll von einer Frau erzählt, die erblindet ist und nun mit ihrer neuen Situation zurechtkommen muss.

Am 8. Mai folgt ebenfalls um 21 Uhr im Kino in der Brotfabrik der Film „I lossens time“ („In der Stunde des Luchses“) aus Dänemark, in dem Søren Kragh-Jacobsen von dem Jungen Drengen (Frederik Christian Johansen) erzählt, der scheinbar grundlos ein älteres Ehepaar erschlagen hat. Seither sitzt er in der Psychiatrie und wird dort Teil eines Versuchs, bei dem die Psychologin Lisbeth (Signe Egholm-Olsen) den Patienten Haustiere gibt, um ihre Kompetenzen zu stärken. Drengen glaubt jedoch, von seiner Katze die Stimme Gottes zu vernehme, die ihm befiehlt, sich selbst zu töten. Deshalb zieht Lisbeth Pastorin Helen (Sofie Gråbøl) hinzu – und nach und nach erfahren sie die ganze Geschichte des Jungen. Ein gut gespieltes, beklemmendes Drama.

(c) Meteor Film

(c) Meteor Film

Mit „Málmhaus“ („Metalhead“) wird am Samstag um 21 Uhr im Kino in der Brotfabrik einer meiner Lieblingsfilme der letzten Jahre gezeigt. Der isländische Regisseur und Drehbuchautor Ragnar Bragason erzählt mit Humor und Sensibilität die Geschichte von Hera (Thora Bjorg Helga), die sich in der Trauer um ihren Bruder in die Welt des Black Metal flüchtet – und liefert zugleich ein mitreißendes Plädoyer für die Außenseiter dieser Welt. Zu meiner Kritik.

Am Sonntag und Montag laufen jeweils um 19 Uhr im Kino in der Brotfabrik die beiden Filme, die ich nicht kenne: Der finnische Film „Oppipoika/Lärjungen“ („Der Lehrjunge“) und der schwedische Film „Nåntin måste gå sönder“ („Something must break“).

Am Dienstag, den 12. Mai ist um 19:30 Uhr im LVR-LandesMuseum „En chance til“ („Zweite Chance“) von Susanne Bier zu sehen. Gehofft hatte ich, dass sich Susanne Bier mit ihrer Rückkehr nach Skandinavien auch wieder auf ihre Tugenden besinnt, der Film ist indes ein schön ausgestattet und warm ausgeleuchtetes Drama, in dem das Handeln der Figuren kaum nachzuvollziehen ist. Zu meiner Kritik.

(c) NFI

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Seit zwei Jahren sage ich jedem, der es nicht hören will, dass „Jeg er din“ („Ich bin Dein“) einer der besten norwegischen Filme der letzte Jahre ist und unbedingt hier im Kino laufen sollte. Aber ein norwegischer Film, der keine Komödie ist und nicht in das verschneite Skandinavienbild passt, hat es schwer. Dank der „Nordlichter“-Kinotournee ist dieses beeindruckende und komplexe Porträt einer jungen Frau immerhin auf Kinotour durch Deutschland und am Mittwoch, den 13. Mai um 21 Uhr auch im Kino in der Brotfabrik zu sehen. Zu meiner Kritik.

Am Donnerstag ist Kurzfilmabend, am Freitag läuft dann um 21 Uhr im Kino in der Brotfabrik mit „Vi är bäst“ der Abschlussfilm von Lukas Moodysson. International wurde dieser Coming-of-Age-Film über eine Mädchen-Punkrockband gefeiert, mir hat er ebenfalls gut gefallen – aber von Moodysson hatte ich ein wenig mehr erwartet. Dennoch eine gute Wahl für einen Abschlussfilm. Zu meiner Kritik.

Eine Übersicht über das Programm ist hier zu finden.

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Ach, Onno

Im Frühjahr 2012 verfiel ich dem legendären „Charisma für Arme“ des Noppensocken tragenden Privatdetektivs Onno Viets, den Frank Schulz in „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ auf ein brutales Abenteuer mit eben diesem Irren schickte. Seither hoffte ich auf ein Wiedersehen. Nun hat sich diese Hoffnung erfüllt, aber – wie soll ich es anders sagen – mein Herz wurde gebrochen. Nicht etwa, weil „Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“ ein schlechtes Buch sei, nein, es ist sogar ein sehr gutes Buch. Aber ausgerechnet Onnos Seele baumelt weniger als sie taumelte, geradewegs in ein düsteres Nichts.

(c) Galiani

(c) Galiani

Seit seiner Begegnung mit dem „Irren vom Kiez“ sind sechs Jahre vergangen, die damaligen Erlebnisse haben indes Spuren bei Onno hinterlassen. Er leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung und hat die für ihn lebensnotwendige Ruhe verloren. Sein zweitbester Freund und Erzähler des Romans, Christoph Dannewitz, fühlt sich dafür mitverantwortlich, immerhin hat er Onno diesen ersten Auftrag vermittelt. Also will er ihm helfen und beschafft ihm abermals einen Auftrag, dieses Mal als Leibwächter seines Vetters Donald Jochemsen, der auf dem Kreuzfahrtschiff Flipper IV die von ihm verehrte Bordsängerin überraschen will. Aber Donald plagt – neben vielen anderen Erkrankungen – eine ausgeprägte Viktimophobie, er hat Angst, Opfer einer Straftat zu werden, und deshalb soll Onno ihn beschützen.
Diese zwei Kauze gehen also auf eine Kreuzfahrt – und damit hat Frank Schulz eine grundkomische Situation geschaffen. Onno und Donald sind beide fehl am Platze inmitten dieser feierwütigen Meute. Wenigstens ist der eine anpassungsfähig, freundlich und selbstlos, der andere jedoch misanthropisch, hypochondrisch und paranoid. Deshalb gibt es lustige Situationen und großartige Dialoge, in denen sich Frank Schuz bitterböse mit der Konsumkultur und Maßlosigkeit auseinandersetzt. Kaum Ort eignet sich besser zu einer bitterbösen Gesellschaftskritik als ein Kreuzfahrtschiff. Hier wird der Zwang zum Konsum, Erlebnis und Rausch, zur Party und Unterhaltung auf kleinen Raum gepresst, passend untermalt vom Sommerhit des Jahres „Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr“. Darüber hinaus steht am Ende eines jeden Aktes ein Nachspiel mit Kasper Spackennacken, einer satirischen Figur in bester Hanswurst-Tradition, die für derbe Witze und Wahrheiten sorgt und zugleich erneut auf die Bedeutung von Vulgarität, Exhibitionismus und Voyeurismus aufmerksam macht. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Die Farm“ von Max Annas

(c)diaphanes

(c)diaphanes

Bereits im ersten Absatz fällt der erste Schuss in Max Annas‘ „Die Farm“. Gerade noch stand Franz Muller neben dem Vertreter Kobus Print und sagte den ominösen Satz „Ich bin ja kein Rassist“, (…), „Aber …“ als es „plopp“ machte und der Vertreter auf den Boden sank. Dieser Schuss ist erst der Anfang einer neunstündigen Belagerung von Mullers Farm, die ihn zusammen mit seiner Familie, einer Nachbarin, einem Polizisten sowie seinen Arbeitern im Farmhaus einkesselt. Neun Stunden, in denen einige Menschen sterben. Neun Stunden, in denen sich jeder fragt, welche Gründe es für die Belagerung gibt. Und neun Stunden, bis die Polizei ahnt, dass auf der Farm etwas vorgehen könnte.

Die Ausgangssituation von „Die Farm“ erinnert an John Carpenters „Assault on Precint 13“, der wiederum eine Hommage an Howard Hawkes „Rio Bravo“ ist: Es kommt zu der Belagerung eines Gefängnis („Rio Bravo“), einer Polizeistation („Assault on Precint 13“) oder einer Farm und aufrechte Männer versuchen, die Ordnung aufrechtzuerhalten und Leben zu retten bis Hilfe kommt. Allerdings ist Franz Muller alles andere als aufrecht und unbescholten. Er ist ein weißer Farmbesitzer in Südafrika und schon das im ersten Absatz angefügte „aber“ verweist deutlich darauf, dass er ein Rassist ist. Für ihn gibt es eine gesellschaftliche Ordnung, die seit dem Ende der Apartheid aus den Fugen geraten ist – und wenngleich er es nicht gerne zugibt, fühlt er sich von seinen schwarzen Arbeitern bedroht. Deshalb weigert er sich sogar in der Belagerungssituation lange, ihnen ebenfalls Waffen auszuhändigen.

Lange glaubt Muller, es könnte einen Grund für die Belagerung geben, die mit ihm oder seiner Position als weißer Farmer zusammenhängt. Daneben haben aber auch die im Haus Festsitzenden verschiedene Gründe zu der Annahme, sie hätten diese Situation verursacht. So hat Mullers Sohn die Tochter eines Arbeiters vergewaltigt und Mullers Vorarbeiter half einst bei dem Verscharren einer Leiche. Dadurch gibt es bereits innerhalb des Hauses zwei Spannungsfelder: Was wollen „die da draußen“? Und: Wie sicher sind wir „hier drinnen“? Hinzu kommt die Situation der „da draußen“, die im Gegensatz zu Carpenters Film durchaus geschildert wird. Sie sind überrascht von der Gegenwehr, die aus dem Haus kommt, und bald zeigt sich zudem, dass ihr Vorgehen nicht gut genug geplant ist.

(c) Max Annas

(c) Max Annas

Dennoch ist „Die Farm“ keine Hommage an Carpenters Film. Max Annas nutzt die bekannte Ausgangssituation und erzählt auf 188 Seiten in kurzen, mit Zeitangaben übertitelten Abschnitten zum einen vom Alltag in Südafrika, in dem Farmen überfallen werden – und je entlegener die Farm, desto besser scheint sie sich zu eignen. Zum anderen zeichnet er anhand des Mikrokosmos einer Farm ein Bild von der Schieflage der südafrikanischen Gesellschaft. Dazu gehören Rassismus, der Hass der Schwarzen auf die Weißen und vor allem eine historisch bedingte, strukturelle Ungleichheit, auf die auch Jahrzahnte nach Ende der Apartheid keine Antwort gefunden wurde.

Und daneben ist noch etwas (leider) bemerkenswert: Die mutigste Person in „Die Farm“ ist eine Frau. Bereits Carpenter hat mit der Polizeisekretärin Julie (Nancy Loomis) eine tolle Figur geschaffen, die selbständig und besonnen handelt, aber gelegentlich Unterstützung von dem Gangster braucht und auch als love interest fungiert. Bei Max Annas ist die religiöse Nachbarin Jayne McKenzie schlichtweg die cleverste und vernünftigste Person im Haus, die Entscheidungen trifft und stark ist. Einfach so. Weil sie es kann.

Max Annas: Die Farm. Diaphanes 2014.

Andere:
Wort und Tat

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„black heart“ und die „Rache“-Trilogie von Mike Nicols

Es gibt Bücher, die stehen eine ganze Weile auf meiner Leseliste oder liegen hier in meinem Regal – ohne besonderen Grund, es kommt einfach immer ein Buch dazwischen, so dass mancher Titel nach und nach weiter nach hinten wandert. Bei einer Trilogie kommt dann irgendwann der zweite Teil, der einen daran erinnert, dass man den ersten Teil ja schon lesen wollte. Aber nun müsste ich ja erst den ersten Teil lesen, um den zweiten zu lesen – und schwupps! erscheint schon der dritte Teil. In einem glücklichen Fall bekomme ich dann für diesen einen Rezensionsauftrag. Als gewissenhafte Rezensentin lese ich daher nicht nur den dritten Teil, sondern auch die ersten beiden und so griff ich eines Nachmittags endlich nach hinten in mein Regal und begann mit Mike Nicols „payback“.

„payback“ ist der erste Teil der Rache-Trilogie über die ehemaligen Waffenhändler Mace Bishop und Pylon Buso, die ab 1994 in Kapstadt ein neues Leben in der Legalität einer Sicherheitsfirma anfangen wollen. Schon bald merken sie, dass im neuen Südafrika die Trennlinien nicht mehr zwischen schwarz und weiß, sondern arm und reich verlaufen – was oftmals, aber nicht immer gleichbedeutend ist – und dass alte Pfründe sowie neue Seilschaften weiterhin die Politik und Geschäftswelt korrumpieren. In den drei Bänden sind Verbrechen an der Tagesordnung, sie werden vom Staat, von Politikern, Polizisten und gewöhnlichen Gaunern verübt. Im Hintergrund spinnt zudem die Anwältin Sheemina February ihre Fäden. Sie hat noch eine Rechnung mit Mace Bishop offen, und er verfängt sich von „payback“ über „killer county“ bis hin zu „black heart“ beständig in ihrem unnachgiebig-intriganten Netz. Unaufhaltsam geht es daher mit ihm bergab, selbst bei kurzen Erfolgen ist zu ahnen, dass sie nicht von Dauer sein werden. Und am Ende offenbart sich dann das dem dritten Teil seinen Titel gebende düstere Herz.

(c) btb

(c) btb

Mike Nicols „Rache“-Trilogie wird von Teil zu Teil besser – und insbesondere „black heart“ hat mich mit voller Wucht getroffen. Am Ende habe mich deshalb vor allem eines gefragt: Warum habe ich mit dem Lesen solange gewartet?

Verlosung

Ich freue mich sehr, dass mir der btb Verlag ein Exemplar von „black heart“ zur Verlosung zur Verfügung gestellt hat. Wer also in die finstere Wirklichkeit Südafrikas eintauchen will, hinterlasse hier einfach bis zum 4. September 2014 einen Kommentar. Der Gewinner wird ausgelost, pro Haushalt nur eine Teilnahme.

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Krimi-Kritik: „Wanted“ von Jörg Juretzka

(c) Ullstein

(c) Ullstein

Ein Fremder kommt nach sechs Tagen hektischem Ritt in Buttercup, North Carolina an. „Es war Mittagszeit, heiß wie nur je ein Augusttag in dieser dumpf brütenden Ebene, und wer sich leisten konnte, ritt seine Mätresse oder lag sonst wie japsend im Schatten.“ Der Fremde bringt also sein Pferd („Erst das Pferd und dann der Reiter. Eine meiner kleinen Regeln. Man sollte nie vergessen, wer wen auf seinem Rücken trägt und warum eine Umkehrung dieses Arrangements keine gute Idee wäre.“) in einen Mietstall und begibt sich dann in den örtlichen Saloon.

Ja, „Wanted“ ist ein Kryszinski-Roman. Wenngleich der Privatdetektiv aus Mülheim an der Ruhr schwer verletzt im Krankenhaus in der „Perle des Ruhrgebiets“ liegt und sich ein Zimmer ausgerechnet mit Hauptkommissar Menden teilen muss, „mein Schatten an der Wand, mein Schwert des Damokles, mein Antipod, meine Nemensis“, gibt es doch Verbindungen zwischen Buttercup und Mülheim. Zwischen diesen Orten wechseln die Abschnitte des Buchs und so zeigen sich Parallelen und Überschneidungen, die sich allmählich zu einer Interpretation des Geschehens zusammenfügen. Dadurch ist „Wanted“ ein Roman, in den man erst einmal hineinfinden muss – und in dem es nicht immer simpel ist, die einzelnen Figuren und ihre Gegenparts zu identifizieren. Sobald man sich aber auf diese Geschichte und das Vorgehen eingelassen hat, macht es sehr viel Spaß, die Verbindungen aufzudecken. Dabei findet Juretzka für jede Figur ein passendes Wild-West-Gegenstück, was zu allerlei Amüsement führt. Und dass sich Journalisten als Zombies entpuppen, passt dann nicht nur gut ins Bild dieses eigenwilligen Romans. 😉

Dennoch ist „Wanted“ mehr als eine Genrespielerei des Autores: Die jeweiligen Plots um Grundstücksspekulationen, Bestechung, Korruption sowie Bedrohungen zeigen, dass es einige Vorgänge und Typen bereits seit über 100 Jahren gibt – und manchmal eine Stadt im Heute genauso vorgeht wie ein skrupelloser Großgrundbesitzer im Wilden Westen. In diesem Sinn: Reite weiter, einsamer Fremder!

Jörg Juretzka: Wanted. Ullstein 2004.

Jörg Juretzka im Zeilenkino:
„Prickel“
„Sense“
„Platinblondes Dynamit“

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Humbert Humbert in Florida – Über „Tampa“ von Alissa Nutting

Celeste Price ist 26 Jahre alt, wunderschön, Lehrerin an einer Junior-Highschool, verheiratet mit dem Polizisten Jack Ford und lebt in Florida. Ihr Mann sieht gut aus und ist reich, befriedigen kann er sie aber nicht. Denn Celeste ist pädosexuell: Sie giert nach 14-jährigen Jungen, nach deren schlaksigem Körperbau und Unschuld. Deshalb ist sie Lehrerin geworden und hält ihren Mann mit gelegentlichem, meist unter Alkohol- oder Tabletteneinfluss geschehenen Sex bei Laune. Sie behilft sich mit Teenagerpornos und dem Ansehen von Jungs im Einkaufszentren, vor allem aber wartet sie auf das neue Schuljahr. Dann wird sie mit ein wenig Glück einen Jungen finden, der ihr Verlangen stillt.

(c) Hoffmann und Campe

(c) Hoffmann und Campe

In Ich-Perspektive lässt Alissa Nutting in ihrem Romandebüt „Tampa“ die Lehrerin Celeste von ihrem Trieb erzählen. Von der ersten Seite an ist man ihrem Verlangen ausgeliefert, blickt mit ihren Augen auf ihre Umgebung und ihr Leben, folgt ihren Blicken und Empfindungen, steht mit ihr vor dem Haus des 14-jährigen Jack, auf den sie ein Auge geworfen hat, erfährt ihre Gedanken bei der Selbstbefriedigung, bei ihrer Annährung und schließlich dem Missbrauch von Jack. Der Skandal ist bei diesem Buch einkalkuliert: Es geht auf nahezu jeder Seite des Buches um Sex. Sicher gibt es Verweise auf Celestes Jugendwahn, mit Sport, Cremes, Kuren und Sex mit 14-Jährigen will sie jung bleiben, allerdings darf trotz aller gesellschaftskritischen Ansätze, die hier anklingen, nicht übersehen werden, dass sie vor allem jung aussehen will, damit junge Teenager mit ihr Sex haben wollen.

Über Celestes Sexleben ist daher viel zu erfahren, über ihre Vergangenheit und ihren Alltag hingegen nur wenig. Vielmehr wird man in eine Welt gezogen, in der sich jeder Gedanken darum dreht, den passenden Jungen zu finden – und nicht erwischt zu werden. Dass Celeste eines Tages auffliegen wird, ist von vorneherein klar. Außerdem wurde das Buch von dem Fall der Lehrerin Debra Lafave inspiriert, die vor knapp zehn Jahren wegen einer „Beziehung“ zu einem Schüler verurteilt wurde und zum Medienstar wurde. Sie wählte die Verteidigungsstrategie der engelsgleich aussehenden Unschuld, der kein Teenager widerstehen könnte – und auch Celeste sieht sich in erster Linie als verführerisch. Sie glaubt nicht, dass sie den Jungs schadet und würde nicht auf die Idee gekommen, dass der Sex, den sie mit ihrem minderjährigen Schüler Jack hat, Vergewaltigungen sind. Auch Jack glaubt, er sei in seine Lehrerin verliebt. Dennoch schließt sich das Buch dieser Verteidigungsstrategie, die sexuelle Übergriffe entschuldigt, keinesfalls an. Vielmehr schleichen sich Zwischentöne ein, in denen das Machtgefüge sehr deutlich wird. Celeste jammert darüber, dass Jack nicht so gefügig ist, wie er es sein sollte, oder sich nicht durch Sex beruhigen lässt – weder durch ihre Brüste noch Analverkehr. Mit der Dauer ihrer „Beziehung“ beklagt sie, dass er nicht mehr so unschuldig sei, außerdem ist ihr sehr bewusst, dass er bald zu alt sein wird. Und wenngleich Jack nur aus ihrer Perspektive zu erleben ist, sind Folgen des Missbrauchs zu bemerken: Jacks Noten werden schlechter, er wird fahriger, unkonzentrierter, seine Verzweiflung und Überforderung mit der Situation sind zu spüren. Obwohl sexuelle Übergriffe auf Mädchen und Jungen weiterhin von vielen unterschiedlich bewertet werden – auch wäre die Rezeption dieses Buches vermutlich anders ausgefallen, wäre Celeste ein Mann und Jack ein 14-jähriges Mädchen –, sind die Folgen indes gleich. Dieser Missbrauch hat Jacks Leben zerstört, und die Täterin wird weitermachen, solange sie es geht.

Alissa Nutting: Tampa. Übersetzt von Verena von Koskull. Hoffmann und Campe 2014.

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Ein Mafiagangster in Norwegen – Über die Serie „Liliyhammer“

Die schönste Überraschung enthält die letzte Folge der Serie „Lilyhammer“: Dort sitzt Ingrid Olava („Oslo, 31. August“) am Klavier und spielt ihr „Back to love“. Ohnehin ist die Musik ein Pluspunkt der Serie, und ihr wurde auf der Blu-ray sogar ein zugebenen kurzer Menüpunkt gewidmet. Aber von der Titelmelodie bis zu den gespielten Liedern sind die gute gemischten jazzigen und poppigen Töne weitaus origineller und einprägsamer als viele Handlungselemente dieser Serie.

Die Geschichte

(c) Studiocanal

(c) Studiocanal

Nachdem sein Boss gestorben ist und dessen Sohn und Nachfolger ihn umbringen lassen wollte, entscheidet sich Frank Tagliano (Steven Van Zandt) gegen dessen Organisation auszusagen und mithilfe des Zeugenschutzprogramms des FBI ein anderes Leben zu beginnen. Und da ihm seit der Übertragung der Olypmischen Spiele 1994 die norwegische Stadt Lillehammer wie das Paradies auf Erden erscheint, will er dort hin. Also bekommt er mit dem Namen Giovanni „Johnny“ Henriksen eine neue Identität, den guten Rat, nicht bei der Polizei aufzufallen, und geht nach Norwegen. Dort lebt er sich dank seiner alten „Überzeugungsmethoden“ überraschend schnell und kommt mit Erpressungen, Drohungen und vor allem Gefälligkeiten zu einer Kneipe, einem Führerschein, einer schicken Wohnung und schließlich sogar einer hübschen blonden norwegischen Freundin. Nach nur einer Nacht wird sie schwanger – denn wer denkt schon an Verhütung oder Schutz! –und nun scheint er sich endgültig in seinem neuen Dasein eingerichtet zu haben. Aber bald ist ihm ein übereifriger Polizist auf den Fersen und alarmiert durch seine tollpatschigen Nachforschungen auch alte Feinde in den USA.

Ein Amerikaner in Lillehammer

(c) Studiocanal

(c) Studiocanal

Ein Großteil der Unterhaltung entsteht durch den Zusammenprall der toleranten und liberalen Norweger mit dem knallharten Ex-Mafioso, für den Prügel eine stärkere Waffe als Worte sind. Anfangs sorgen diese Zusammenstöße für durchaus komische Momente, jedoch nutzt sich dieses Konzept ab und schon bald entsteht der Eindruck, die armen Norweger hätten nur auf einen starken Mann gewartet, der ihnen entweder den Mut gibt, selbst durchzugreifen, oder ihnen zeigt, wo es langgeht. Leider wurde auch in der deutschen Version die Serie komplett synchronisiert, während in den USA die norwegischen Teile untertitelt wurden. Und so bleiben nicht nur einige der Gags auf der Strecke, sondern die Einfachheit der Verständigung erstaunt über alle Maßen.

Johnny mit Freundin (c) Studiocanal

Johnny mit Freundin (c) Studiocanal

Aber auch im Original ist die Handlung vorhersehbar, außerdem bleiben die Nebenfiguren blass. Polizistin Laila Hovland (Anne Krigsvoll) ist durch ihr Äußeres und schrullig-schroffes Auftreten offensichtlich an Marge Gunderson aus „Fargo“ angelehnt, aber ihr fehlt sowohl Entfaltungsspielraum als auch der grimmige Humor. Johnnys Freund und Geschäftspartner Torgeir (Trond Fausa) ist erschreckend einfach gestrickt, Arbeitsamtsmitarbeiter Jan (Fridtjov Såheim) verspricht einiges, aber er bleibt kleinlaut und widerlich. Erst in der letzten Folge zeichnet sich eine Entwicklung ab, so dass aus seiner Rolle in der zweiten Staffel mehr gemacht werden könnte. Das bleibt auch für Johnnys Freundin Sigrid (Marian Saastad Ottesen) zu hoffen, die bis zur letzten Folge lediglich ein blondes love interest ist, das den Nachtclub, Johnnys plötzlichen Reichtum und seine neuen Freunde mit einem leicht staunend geöffneten Mund und erstaunlicher Naivität hinnimmt. Hier wäre es weitaus unterhaltsamer, wenn sie erkennt, wer er ist – und im Zweifelsfall einfach mitmischt. Und selbst Steve van Zandt greift mit der schiefen Körperhaltung und ‚coolen‘ Sprüchen auf seine Rolle des Silvio Dante aus den „Sopranos“ zurück.

Weder Drama noch Komödie

(c) Studiocanal

(c) Studiocanal

Insgesamt vertraut die Serie zu sehr darauf, dass die Grundidee eines Mafioso in Norwegen in Verbindung mit Steve van Zandt zwangsläufig eine Mischung aus typischen skandinavischen Krimikomödien und den „Sopranos“ ergeben muss. Einen eigenen Ton sucht man daher vergebens, vielmehr schwankt die Serie zwischen Drama und Komödie. Deshalb hadert Johnny mehr mit der plötzlichen Schwangerschaft seiner Freundin als seiner Situation, kommt es im Zweifelsfall zu einem Gag und nur wenigen bemerkenswerten Momenten. Das ist schade und sorgt dafür, dass „Lilyhammer“ wohl lediglich als erste Netflix-Serie in Erinnerung bleiben wird.

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