Städteplanung in der Gegenwart – „The Human Scale“

Welchen Einfluss hat die Bauweise einer Stadt auf unser Leben? Mit dieser Frage beschäftigt sich der dänische Filmemacher Andreas M. Dalsgaard in seinem Dokumentarfilm „The Human Scale“ vor allem anhand des Lebenswerks des Städteplaners Jan Gehl.

Jan Gehl (c) NFP

Jan Gehl (c) NFP

Der Film beginnt mit den Vorstellungen einer modernen Stadt: Hohe Büroräume im Zentrum ermöglichen Erwerbstätigkeit, die Menschen wohnen außerhalb in Hochhaussiedlungen. Bei Straßen wird zuallererst an das Fortkommen der Autos gedacht. Jan Gehl hingegen hat den Mensch und seine Bewegungen in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt und sich auf den Raum zwischen den Gebäuden konzentriert. Er will die Lebensqualität der Menschen verbessern – und hatte in Kopenhagen beispielhaften Erfolg.

„Erst formen wir die Städte, dann formen die Städte uns.“

Madison Square (c) NFP

Madison Square (c) NFP

Jan Gehls Methode ist einfach: Er untersucht, wie sich Menschen im öffentlichen Raum verhalten, wie sie sich bewegen, welche Orte sie aufsuchen und welche sie meiden. Aufgrund dieser Erkenntnisse nimmt er Eingriffe in der Stadtplanung vor – beispielsweise begrenzt er den Verkehr auf zentralen Plätzen, stellt einige Blumenkübel und Bänke auf. In Kopenhagen sind auf diese Weise eine riesige Fußgängerzone und breite Radwege entstanden, auf denen sich die Menschen begegnen können. In New York sorgte ein ähnlicher Eingriff, dass der Madison Square zum beliebten Aufenthaltsort für Einheimische und Touristen wurde. Und in Christchurch, Neuseeland, haben die Bewohner entschieden, dass der Neuaufbau nach dem Erdbeben dem europäischen Modell einer Stadt folgen soll, so dass Gebäude nicht höher als vier Stockwerke sein sollen. Die Formel erscheint denkbar simpel: Mit mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer werden Städte wieder für die Menschen da sein und Begegnungen ermöglichen.

Grenzen des Ansatzes

Sportplatz in China (c) NFP

Sportplatz in China (c) NFP

In fünf Teilen, in denen jeweils eine Stadt vorgestellt wird, erzählt „The Human Scale“ von der Arbeit und dem Einfluss Jan Gehls. Dadurch bleiben Auseinandersetzungen seines Ansatzes und andere städtebauliche Modelle leider außen vor. Spätestens bei dem Abschnitt über die chinesische Megastadt Chongqing zeigt sich jedoch, dass der von Gehl entwickelte Weg in Europa und Nordamerika zwar erfolgreich ist, aber nicht einfach auf die Verhältnisse in China oder andere schnell wachsende Regionen übertragen werden kann. Hier entsteht allein schon ein Problem durch die Frage, wo die Menschen leben sollen. Andere Aspekte – wie beispielsweise die Begrenztheit der finanziellen Mittel in Städten wie Dhaka, Bangladesch – werden ebenso weitgehend ausgeblendet.

(c) NFP

(c) NFP

Daher bietet „The Human Scale“ vor allem interessante Einblicke in die Arbeit Jan Gehls und Anreize, sich mit diesem Thema weiter zu beschäftigen. Denn fraglos werden die größten Herausforderungen der kommenden Jahre die weiterhin andauernde Verstädterung und das Wachstum der Weltbevölkerung sein – und diesen gilt es zu begegnen.

„The Human Scale“ startet am 31. Oktober 2013 in den Kinos.

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Zum Beginn der Nordischen Filmtage 2013 – Übersicht und Verlosung

"Von Pferden und Menschen" (c) IFC

“Von Pferden und Menschen” (c) IFC

Heute beginnen in Lübeck die 55. Nordischen Filmtage 2013 – und ich bin bereits auf dem Weg in die Hansestadt. Von heute bis Sonntag werden dort 160 Filme aus Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Island, Lettland, Estland und Litauen gezeigt. Den Auftakt macht der isländische Film „Von Pferden und Menschen“ von Benedikt Erlingsson. Er ist einer von 16 Spielfilmen, die um den NDR-Spielfilmpreis konkurrieren. Darunter ist die Komödie „Vi är best“ („Wir sind die Besten“) von Lukas Moodysson und „I lossens time“ („In der Stunde des Luches) von Søren Kragh-Jacobsen. Sehr gespannt bin ich zudem auf „Pioner“ von Erik Skoldbjærg, „Nordvest“ von Michael Noer und „Metalhead“ von Ragnar Bragason.

Literaturverfilmungen bei den Nordischen Filmtagen

Lass sie bluten (c) SFI

Lass sie bluten (c) SFI

In der Specials-Sektion laufen gleich drei Literaturverfilmungen von Vorlagen, die hierzulande nicht nur veröffentlicht wurden, sondern erfolgreich waren: Mikkel Nørgaards Verfilmung von Jussi Adler-Olsens „Erbarmen“, Jens Jonssons Verfilmung des dritten „Snabba Cash“-Teils „Lass sie bluten“ von Jens Lapidus und Per Hanefjords Verfilmung von Camille Läckbergs „Engel aus Eis“. Im Wettbewerb läuft zudem die finnische Romanverfilmung „Tumman veden päällä” („Aus dunklen Wassern”), bei der Buch und Film von Peter Franzzén stammen.

Daneben widmet sich die Retrospektive unter dem Motto „Nord!wärts“ dem Wettlauf zum Pol, im Filmforum werden aktuelle NDR-Koproduktionen wie u.a. Christan Alverts „Banklady“ vorgestellt, es gibt ein tolles Dokumentarfilmprogramm und eine große Kinder- und Jugendfilmsektion, die in dem empfehlenswerten Kinderfilmblog vorgestellt wird.

Ich werde mich hauptsächlich auf den Spielfilmwettbewerb und die Specials konzentrieren, denn leider sind 160 Filme in viereinhalb Tagen nicht zu schaffen. Aber ich wäre schon froh, wenn ich meine geplanten 21 Filme auch alle sehe.

Für Daheimgebliebene:

NDR-Spielfilmreihe

Für alle, die nicht nach Lübeck reisen, gibt es im NDR wieder eine skandinavische Spielfilmreihe, die am 2. November mit „Mord am See“ startet. Höhepunkte sind aus meiner Sicht „Reykjavik – Rotterdam“ am 3. November um 0:05 Uhr, „Die ewigen Momente der Maria Larsson“ am 4. November um 23:15 Uhr und „Ein Mann von Welt“ am 11. November um 23:15 Uhr.

(c) MFA

(c) MFA

Verlosung

Außerdem verlose ich ein Exemplar des tollen isländischen Films „The Deep“, der in diesem Sommer in den Kinos gelaufen ist (meine Kritik bei kino-zeit.de). Darin erzählt Baltásar Kormákur die aberwitzige Geschichte eines Seemannes, der nach einem Schiffsunglück trotz Eiseskälte im Atlantik ausharrte. Hinterlasst einfach bis zum 6. November einen Kommentar unter diesem Beitrag. (Nur eine Teilnahme pro Haushalt.)

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Ein Film über Zwangsprostitution – „Lilja-4-ever“ von Lukas Moodysson

Lilja (Oksana Akinschina) auf der Flucht (c) Arsenal

Lilja (Oksana Akinschina) auf der Flucht (c) Arsenal

Der Film „Lilja-4-ever“ beginnt mit seinem Ende: Ein verprügeltes Mädchen läuft die unwirtlichen Straßen einer Stadt entlang, dazu erklingt Rammstein mit „Mein Herz brennt“. Das Mädchen ist verstört, orientierungslos und steigt schließlich auf das Geländer einer Autobahnbrücke. Dann folgt eine Einblendung: Drei Monate früher, irgendwo in der ehemaligen Sowjetunion. Die junge Frau ist die 16-jährige Lilja, die ihrer Freundin freudestrahlend erzählt, dass sie die trostlose Satellitenstadt verlassen und mit ihrer Mutter sowie ihrem Stiefvater nach Amerika gehen wird. Ihre Freundin ist neidisch, verspricht Amerika doch Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es folgt die Ernüchterung: Liljas Mutter verkündet, dass sie ohne sie gehen wird und belässt sie in der Obhut ihrer Tante, die sie als erstes aus der Wohnung schmeißt.

Zerstörte Hoffnungen

In der Hochhaussiedlung (c) Arsenal

In der Hochhaussiedlung (c) Arsenal

Damit beginnt Liljas unaufhaltsamer Weg in den Abgrund. Anfangs findet sie noch Halt bei Freunden und hofft auf den Brief der Mutter, die sie irgendwann nachholen will. Mit einer Freundin fährt sie in die Innenstadt, dort hat diese Sex gegen Geld mit einem älteren Mann. Lilja sagt, sie würde es nie machen. Doch als bei ihrer Freundin das Geld entdeckt wird, behauptet diese, Lilja habe es ihr gegeben. Dadurch wird sie für eine Prostituierte gehalten, ihre Freunde wenden sich ab und auch der Brief der Mutter bleibt aus. Dennoch will Lilja sich behaupten, ritzt trotzig das titelgebende „Lilja-4-ever“ in eine Bank. Als das Geld knapp wird, folgt Lilja dem Beispiel ihrer verräterischen Freundin, fährt in die Stadt und lässt sich für Sex bezahlen. Anschließend übergibt sie sich vor lauter Selbstekel, als sie aber das Geld ausgibt, versucht sie sich darüber zu freuen. Dann folgt eine leider allzu bekannte Geschichte: Beim nächsten Mal lernt sie in dem Club einen netten jungen Mann kennen, der ihr eine Zukunft in Schweden verspricht. Sie glaubt ihm und landet schließlich in einer anonymen Hochhaussiedlung, eingeschlossen in einer Wohnung, aus der sie nur herausgeholt wird, wenn sie zu einem Freier gebracht wird. Weiterlesen

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Media Monday #122

1. Mein liebstes Monster ist Uncle Deadly aus der Muppet Show.

media-monday-122

2. Wohingegen ich mit den meisten genetisch mutierten Tiermonstern überhaupt nichts anfangen kann, weil mich diese Riesentintenfische und Monsterhaie eher langweilen.

3. Standesgemäß gibt es auch dieses Jahr zu Halloween wieder einmal die hoffentlich guten Filme bei den Nordischen Filmtagen.

4. Der Film, der mich am meisten das Fürchten gelehrt hat, ist irgend so ein schwarzweißer Monsterspinnen-Horrorfilm, den ich in viel zu jungen Jahren mit meinem älteren Bruder und noch älteren Cousin gesehen habe. Seither habe ich einen ausgeprägten Ekel vor Spinnen.

5. Die Halloween-Filme habe ich nie gesehen.

6. Horror ist ja ein dehnbarer Begriff. Am gruseligsten finde ich es, wenn bei Folterszenen die Fingernägel herausgezogen werden. Allein beim Gedanken daran läuft es mir kalt den Rücken herunter.

7. Sich zu verkleiden ist hier im Rheinland ja mindestens einmal im Jahr Pflicht. Meist komme ich ihr bei meinem Besuch des Pink Punk Pantheon mit einem „lustigen“ Hut oder einer Perücke nach.

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Krimi-Kritik: „Schwarzlicht“ von Horst Eckert

Der Düsseldorfer Kommissar Vincent Che Veih wurde gerade zum kommissarischen Leiter der K11 befördert, als er es mit einem brisanten Fall zu tun bekommt: Walter Castorp, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ist sechs Tage vor der Landtagswahl in einem Swimming Pool ertrunken. Er hatte schon einige Skandale durchlebt, zuletzt wurde ihm vorgeworfen, er hätte im Stile von Watergate die Opposition bespitzelt. Dennoch deutet bei seinem Ableben alles auf einen Unfall hin, aber Vincent will die Ermittlungen gründlich durchführen und entdeckt bald Hinweise auf einen Mord. Also ermittelt er in den höchsten Kreisen von Politik und Prominenz in Düsseldorf – und tritt manchem gehörig auf die Füße.

(c) Wunderlich

(c) Wunderlich

„Schwarzlicht“ ist ein spannender Kriminalroman, in dem Horst Eckert viele aktuelle Themen aufgreift: Das Verhältnis der Bundes- zur Landespolitik beispielsweise, die Versuche der regierenden „Mutti“, unliebsame Konkurrenten aus dem Weg zu befördern, Skandale über illegale Abhörungen, vertuschte Gelder, die zu engen Verbindungen aus Politik und Wirtschaft, die Einmischung der Politik in polizeiliche Ermittlungen und vieles mehr. Von Schwarzgeldkoffern in der Schweiz bis zum Ehrenwort spielt daher fast jeder Skandal der letzten Jahre eine Rolle in dem Kriminalroman – und von Uwe Barschel bis zu Christian Wulff lassen sich auch die jeweiligen Beteiligten wiederfinden. Dabei behält Horst Eckert die Fäden seiner Handlung aber in der Hand und verknüpft sie zu einem spannenden Plot, in dem die Enttarnung der jeweiligen Hintergründe viel Vergnügen bereitet. Weiterlesen

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Lesenotizen zu „Straße der verlorenen Schritte“ von Lyonel Trouillot

In einer Nacht verbreitet sich in Port-au-Prince in Windeseile das Gerücht, dass etwas passieren wird – wieder einmal. Die Anhänger der Opposition wollen mit Gewalt die Macht erringen, und die Miliz des „großen Verblichenen Ewiglebenden Diktators“ könnte abermals ein Blutbad unter der Bevölkerung anrichten. In dieser Situation fährt ein Taxifahrer durch die nächtliche Stadt, erinnert sich eine alte Prostituierte und Bordellbesitzerin an vergangene Nächte und flüchtet sich ein junges Paar in das Haus eines Freundes. Sie werden mitgerissen in einen Strudel aus Erinnerungen und Gedanken, Vermutungen und Träumen.

(c) Liebeskind

(c) Liebeskind

„Das hier ist kein Land, sondern eine Fabrik des epischen Scheiterns“ – gemeint ist Haiti, Handlungsort von Lyonel Trouillots poetisch-düsterem Roman „Straße der verlorenen Schritte“. In eindringlicher Sprache schildert Lyonel Trouillot Schreckensszenarien, die in der beschriebenen Grausamkeit schön zu lesen ist. Eindrucksvoll wird dabei deutlich, wie sich in einer Gesellschaft Hass verbreitet, jedoch ist es nicht immer leicht, diesem Buch zu folgen. Fast zwingt Lyonel Trouillot seine Leser, sich mit der Geschichte Haitis auseinanderzusetzen. Nur dann sind seine oft bitterbösen Verweise zu verstehen und entfaltet sich das Leid dieses Landes vollständig. Auch muss man sich auf den Rhythmus einlassen, die Poesie auf sich wirken lassen und sehr langsam, am besten ein zweites Mal lesen. Dann entfaltet „Straße der verlorenen Schritte“ seine einzigartige Wirkung.

Zum Autor
Lyonel Trouillot wurde 1956 in Port-au-Prince geboren und verließ das Land in den 1980er Jahren, um in die USA ins Exil zu gehen. Heute lebt er wieder in Haiti und lehrt als Professor Kreolische und Französische Literatur. Er zählt zu den wichtigsten Autoren Haitis und wurde für „La belle amour humaine“ für den Prix Goncourt nominiert. Sein Debütroman „Straße der verlorenen Schritte“ erschien im Jahr 1998, seither hat er sechs weitere Romane veröffentlicht.

Lyonel Trouillot: Straße der verlorenen Schritte. Übersetzt von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz. Liebeskind 2013.

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Ein kurzer Blick auf „Nebraska“

Sobald ich irgendwo Merlot lese oder angeboten bekomme, denke ich an Alexander Payne, genauer gesagt an Paul Giamatti als Miles Raymond in seinem Film „Sideways“. Aber nicht nur deshalb gehört er zu meinem Lieblingsregisseuren, sondern er dreht in der Regel Filme, die eine auf den ersten Blick einfache Geschichte mit sehr feinem, tragischem Humor erzählen. Außerdem haben sowohl Jack Nicholson als auch Georgen Clooney unter seiner Regie hervorragend gespielt.

Deshalb freue ich mich sehr, dass am 16. Januar 2014 sein neuer Film „Nebraska“ in den deutschen Kinos starten wird. Darin erzählt er von dem grantigen Woody (Bruce Dern), der sich mit seinem Sohn David (Will Forte) auf eine Reise nach Nebraska begibt, die natürlich zu einer Reise in Woodys Vergangenheit wird. Der Film lief bereits in Cannes und hat dort sehr gute Kritiken bekommen, außerdem wurde Bruce Dern als bester Darsteller ausgezeichnet.

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