Der Film „Lilja-4-ever“ beginnt mit seinem Ende: Ein verprügeltes Mädchen läuft die unwirtlichen Straßen einer Stadt entlang, dazu erklingt Rammstein mit „Mein Herz brennt“. Das Mädchen ist verstört, orientierungslos und steigt schließlich auf das Geländer einer Autobahnbrücke. Dann folgt eine Einblendung: Drei Monate früher, irgendwo in der ehemaligen Sowjetunion. Die junge Frau ist die 16-jährige Lilja, die ihrer Freundin freudestrahlend erzählt, dass sie die trostlose Satellitenstadt verlassen und mit ihrer Mutter sowie ihrem Stiefvater nach Amerika gehen wird. Ihre Freundin ist neidisch, verspricht Amerika doch Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es folgt die Ernüchterung: Liljas Mutter verkündet, dass sie ohne sie gehen wird und belässt sie in der Obhut ihrer Tante, die sie als erstes aus der Wohnung schmeißt.
Zerstörte Hoffnungen
Damit beginnt Liljas unaufhaltsamer Weg in den Abgrund. Anfangs findet sie noch Halt bei Freunden und hofft auf den Brief der Mutter, die sie irgendwann nachholen will. Mit einer Freundin fährt sie in die Innenstadt, dort hat diese Sex gegen Geld mit einem älteren Mann. Lilja sagt, sie würde es nie machen. Doch als bei ihrer Freundin das Geld entdeckt wird, behauptet diese, Lilja habe es ihr gegeben. Dadurch wird sie für eine Prostituierte gehalten, ihre Freunde wenden sich ab und auch der Brief der Mutter bleibt aus. Dennoch will Lilja sich behaupten, ritzt trotzig das titelgebende „Lilja-4-ever“ in eine Bank. Als das Geld knapp wird, folgt Lilja dem Beispiel ihrer verräterischen Freundin, fährt in die Stadt und lässt sich für Sex bezahlen. Anschließend übergibt sie sich vor lauter Selbstekel, als sie aber das Geld ausgibt, versucht sie sich darüber zu freuen. Dann folgt eine leider allzu bekannte Geschichte: Beim nächsten Mal lernt sie in dem Club einen netten jungen Mann kennen, der ihr eine Zukunft in Schweden verspricht. Sie glaubt ihm und landet schließlich in einer anonymen Hochhaussiedlung, eingeschlossen in einer Wohnung, aus der sie nur herausgeholt wird, wenn sie zu einem Freier gebracht wird.
Ohne Effekthascherei eindrucksvoll erzählt
Intensiv schildert der schwedische Regisseur und Drehbuchautor Lukas Moodysson in seinem dritten Spielfilm „Lilja-4-ever“ diese Hölle der Zwangsprostitution, in der die 16-jährige Lilja in der Hoffnung auf ein besseres Leben landet. Dabei zeichnet seinen Film nicht nur die realistische Erzählweise aus, die mit träumerischen Elementen durchzogen ist, sondern vor allem, dass er in keinem Bild ausbeuterisch und effektheischend ist. Vielmehr erzählt Moodysson von Prostitution und Gewalt gegen Frauen, ohne auch nur einmal nackte Brüste zu zeigen. Stattdessen sind die Gesichter der wechselnden Männer aus der Perspektive von Lilja zu sehen, so dass deren grausamer Alltag umso deutlich wird. Zu dem intensiven Eindruck das Films trägt neben den nahezu dokumentarischen Bilder von Kameramann Ulf Brantas insbesondere die schauspielerische Leistung von Oksana Akinschina bei, deren Aussehen aus heutiger Sicht an Carey Mulligan erinnert. Mühelos gelingt ihr der Wandel vom Kind zur Hure, ohne dass sie ihre Unschuld verliert – und es ist herzzerreißend mit anzusehen, wie sie ihre Hoffnung und ihr trotziger Willen zerstört wird. Beständig möchte man ihr zurufen, sie solle aufpassen – und dass immer die scheinbar guten Menschen die bösen sind. Sie kann sich lediglich auf Wolodja (Artyom Bobucharsky) verlassen, einen Jungen aus der Nachbarschaft, der ebenso verloren ist wie sie. Er warnt Lilja vor den falschen Versprechungen, doch sie hört nicht auf ihn – und so verlässt sie ihn wie ihre Mutter sie verlassen hat.
Es ist der nicht enden wollende Kreislauf ins Elend, der diesen Film so schwer zu ertragen macht. Lilja und Volodya sind unschuldige Opfer eines Systems und einer Gesellschaft, in der sie keine Chance haben. Das ist nicht weit hergeholt, vielmehr basiert der Film lose auf der Geschichte des litauischen Teenagers Dangoulè Rasalaité, die als 16-jährige nach Schweden verschleppt und zur Prostitution gezwungen wurde und dann von einer Autobahnbrücke gesprungen ist. Sie starb drei Tage später im Krankenhaus.
Nun wäre es schön, wenn ich über zehn Jahre nach Premiere des Films wenigstens schreiben könnte, dass sich etwas geändert hat. In Schweden gab es wohl eine Gesetzesänderung, nach der Zwangsprostituierte, die gegen die Zuhälter aussagen, ein Aufenthaltsrecht bekommen. Das hätte Lilja – sofern sie von der Regelung gewusst hätte – einen Ausweg geboten. In Deutschland steht indes eine Regelung noch aus, obwohl eine EU-Richtlinie einen besseren Schutz für Opfer von Menschenhandel verlangt. (Einen Überblick bietet dieser lesenswerte Beitrag bei der Deutschen Welle, aktuelle Informationen gibt es dort ebenfalls.)
Es kommt nicht so richtig durch, wie du den Film am Ende gefunden hast. Ich fand ihn ziemlich gut und effektiv, nur etwas by the numbers.
Übrigens Danke für den Vergleich mit Carey Mulligan. Ich dachte die ganze Zeit, dass ich die Schauspielerin irgendwo anders schonmal gesehen habe und das Gefühl hatte ich tatsächlich nur, wegen der Ähnlichkeit der beiden (auch wenn sie eine kleine Gastrolle in The Bourne Supremacy hatte).
Insgesamt gefiel mir Lilja 4-ever am besten, bis zu dem Punkt wo sie nach Schweden flog.
Guter Film, berührte mich aber bei weitem nicht so sehr, wie der andere Film des Regisseurs, den ich einen Tag vorher sah. Fucking Åmål.
Gut fand ich ihn ebenfalls, vor allem aber zeigt er, wie man einen Film über Zwangsprostitution auch drehen kann. Und das zu sehr “by the numbers” liegt meines Erachtens auch zu einem guten Teil in der Realität begründet.