Seit Erscheinen stand „Fegefeuer“ von der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen auf meiner Leseliste, an einem verregneten Nachmittag an der Ostsee begann ich es dann zu lesen – und konnte es nicht mehr aus der Hand legen. Auf knapp 400 Seiten erzählt Sofi Oksanen anhand zweier Frauenleben das Schicksal einer Familie in Estland und Russland im 20. Jahrhundert. Die Geschichte beginnt mit einem Bündel, dass die estnische Bäuerin Aliide Truu im Jahr 1992 in ihrem Garten findet. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das Bündel als junge Frau. Zara wurde in der Hoffnung auf ein besseres Leben von ihrer Freundin nach Berlin gelockt und dort zur Prostitution gezwungen. Sie konnte fliehen und ist nicht zufällig bei Aliide gelandet. Vielmehr glaubt sie, dass Aliide die Schwester ihrer Großmutter sei. Auf zwei Ebenen entfaltet sich nun das Leben dieser zwei Frauen, die vor allem ein unbändiger Überlebenswille vereint. Weiterlesen
Von „Road Dogs“ bis zu „Wanderer der Nacht“– Meine Urlaubsbücher 2012
Zwei Wochen Urlaub an der Ostsee bedeuteten für mich vor allem viel Zeit zum Lesen. Zu einigen Büchern werde ich noch etwas längere Besprechungen schreiben, aber vorab schon einmal einige Anmerkungen zu den gelesenen Büchern (in Lese-Reihenfolge):
Sofi Oksanen: Fegefeuer
Ein packender Roman über die Geschichte Estlands, gespiegelt im Schicksal zweier Frauen. Eine Besprechung folgt.
Elmore Leonard: Road Dogs
Die Fortsetzung von „Out of Sight“ erzählt die Geschichte des Bankräubers Jack Foley weiter, bleibt aber hinter dem ersten Teil zurück. Auch hier folgt im Rahmen meiner Elmore-Leonard-Reihe ein ausführlicherer Beitrag.
Andrea Böhm: Gott und die Krokodile. Eine Reise durch den Kongo
Ein Buch, das ich schon lange lesen wollte, da ich mich sehr für Afrika im Allgemeinen und den Kongo im Besonderen interessiere. „Gott und die Krokodile“ ist ein Reportagebuch, in dem Andrea Böhm ein sympathisches und kritisches Porträt des Landes zeichnet, in dem „se débrouiller“ – sich durchwursteln – das Lebensmotto der Bewohner ist. Sehr schön verknüpft Andrea Böhm ihre Porträts und Geschichten mit der Historie, auch wenn ich mir mitunter etwas mehr Prägnanz gewünscht hätte. Aber zweifellos ein Buch, das sich gerade für eine erste Begegnung mit dem Land sehr gut eignet.
Pétur Gunnarsson: punkt punkt komma strich
Ebenfalls ein Buch, das schon sehr lange in meinem Regal lag. In „punkt punkt komma strich“ erinnert sich Pétur Gunnarssons episodenhaft an seine Kindheit in Island und zeichnet ein sehr genaues Bild des Landes in der Zeit um und nach dem Zweiten Weltkrieg. Voller Witz, Ironie und Lakonie ist dieses Buch ein sprachliches Meisterwerk, aus dem ich meinem Mann immer wieder Sätze vorgelesen habe – und auf dessen Fortsetzung ich mich freue.
Uta-Maria Heim: Feierabend
Diesen Kriminalroman habe ich auf der KrimiZeit-Bestenliste entdeckt und da ich immer auf der Suche nach guten deutschsprachigen Kriminalromanen bin auch gekauft. Allerdings hat mich das Buch letztlich nicht begeistert. Weiterlesen
Dogma light – „Italienisch für Anfänger“ von Lone Scherfing
Vertretungsweise hat Pastor Andreas (Anders W. Berthelsen, „SuperClásico“) eine Pfarrstelle in einer tristen Kopenhagener Vorstadt übernommen. Da sein Vorgänger lediglich suspendiert ist und weiterhin im Pfarrhaus wohnt, bezieht Andreas ein Zimmer in einem Hotel. Dort hat der Empfangschef Jørgen Mortensen (Peter Gantzler) gerade erfahren, dass er den Kellner Hai-Finn (Lars Kaalund) entlassen soll. Aber Hai-Finn ist seit langen Jahren sein bester Freund, sie besuchen nun sogar zusammen einen Italienischkurs von der Gemeinde, in dem Hai-Finn Frauenbekanntschaften such, während Jørgen Italienisch lernen will, um endlich die Kellnerin Giulia (Sara Indrio Jensen) anzusprechen. Diesen Kurs besucht auch die Bäckereiverkäuferin Olympia (Anette Støvelbæk), die von ihrem despotischen Vater tyrannisiert wird. Und später stößt noch die Friseurin Karen (Ann Eleonara Jørgensen) hinzu, die sich um ihre alkohol- und krebskranke Mutter kümmert. Sie alle erhoffen sich von dem Kurs eine Abwechslung von ihrem Alltag – und nach mehreren Todesfällen und Trauerfeiern reisen sie schließlich zusammen nach Italien. Weiterlesen
Die Sektion des amerikanischen Traums – „Jetzt und auf Erden“ von Jim Thompson
Das Leben ist für den Schriftsteller James „Dilly“ Dillon ein einziger Kampf – gegen den Alkohol, gegen eine Schreibblockade und gegen die Arbeit. Auch zu Hause findet er keine Unterstützung. Er lebt mit seinen drei Kinder, seiner Ehefrau, seiner Mutter und seine Schwester in beengten Verhältnissen, in denen seine Frau und Mutter einen Kleinkrieg gegeneinander ausfechten und ihn mit Vorwürfen konfrontieren. Selbst Dillons Beziehung zu seiner Frau ist weniger von Liebe denn von einer wechselseitigen Besessenheit geprägt. Seine Arbeit in einer Flugzeugfabrik hasst er, aber er muss seine Familie irgendwie durchbringen. Also setzt er sich der angespannten Atmosphäre voller Neid und der verabscheuten Tätigkeiten jeden Tag aufs Neue aus. Es ist sein Pflichtgefühl, das ihn irgendwie am Leben hält. Weiterlesen
Bachmann-Preis 2012 – Preisverleihung und Fazit
Mit der Preisverleihung sind heute die Tage der deutschsprachigen Literatur zu Ende gegangen. Auf die Shortlist wählte die Jury Leopold Federmair, Lisa Kränzler, Inger-Maria Mahlke, Olga Martynova, Stefan Moster, Matthias Nawrat, Matthias Senkel und Andreas Stichmann. Bei der ersten Abstimmung siegte dann denkbar knapp mit vier gegen drei Stimmen Olga Martynova den Bachmann-Preis vor Matthias Nawrat. Damit gab die Jury einem poetischen und spielerischen Text den Vorzug vor einer Familiengeschichte. Olga Martynova wurde verschiedentlich als Favoritin gehandelt und gehörte auch zu meinen Preiskandidaten, da sie einen originellen und sprachlich raffinierten Text vorgelegt hat. Weiterlesen
Bachmann-Preis 2012 – Tag 3 der deutschsprachigen Literatur
Heute war der letzte Tag beim Bachmannpreis-Lesen, aber der Text, der mich richtig begeistert hat, ist weiterhin ausgeblieben. Stattdessen gab es erneut einige Pubertätsgeschichten zu hören – und weiterhin spielten Tiere eine wichtige Rolle.
Den Auftakt am dritten Tag machte Matthias Nawrat mit seinem Text „Unternehmer“, in dem er von einer Schrottsammler-Familie im Schwarzwald erzählt. Mit starken Metaphern und gekonnten Wortbildungen entsteht in seiner Geschichte ein eigener Ton, darüber hinaus hat mir auch der starke Gegenwartsbezug gut gefallen: das Sammeln von Altmetall als Geldverdienst, der Traum vom Auswandern und die allgegenwärtige Arbeitslosigkeit. Leichte Schwierigkeiten hatte ich mit der Erzählerin der Geschichte. Sie ist die Tochter dieser Familie, ein fester Bestandteil als Assistentin des Vaters. Dabei wird sie sehr schön eingeführt – wie Hildegard Keller später sagte „aus dem Inneren“ heraus –, allerdings bringt sie die Veränderung in der Handlung von der Altmetall-Sammler-Familie hin zu einer Pubertätsgeschichte. Weiterlesen
Bachmannpreis 2012 – Tag 2 der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt
Die Hunde bleiben weiter präsent in den Texten, die in Klagefurt gelesen werden. Ansonsten aber war dieser zweite Tag stärker als der erste. Leider konnte ich heute keine der Lesungen live sehen, habe aber die Texte gelesen, in den Vortrag reingehört und mir anschließend die Jury-Diskussion angehört – bis auf die Diskussion zu Olga Martynova, dort wurde zweimal die Lesung anstellte der Diskussion eingestellt. Hier greife ich auf die ausführliche Zusammenfassung auf der Homepage des Bachmannpreises zurück.
Den Auftakt des heutigen Lesetages machte Inger-Maria Mahlke, die von Burghard Spinnen vorgeschlagen wurde. Ihr Romanauszug erzählt von einer allein erziehenden Mutter, die durch eine Freundin einen Job als Domina vermittelt bekommt. Bei Twitter von Wolfgang Tischer vom Literaturcafé amüsant beschrieben mit: „Das ist jetzt quasi „50 Shades of Grey“ fürs Bachmann-Publikum“, ist der eindringliche Text bei einigen Juroren auf sehr große Resonanz gestoßen. Hildegard Keller betonte die Virtuosität in der Beschreibung der Oberflächen, vermisste aber die Tiefe in dieser Selbstbefragung. Hubert Winkels lobte insbesondere die Perspektivität des Textes, sagt aber auch, dass ihm fast zu viel Geschichte ist. Für Caduff ist es ein eindringlicher Text über Ausweglosigkeit, die von einer Station zur anderen eilt, dagegen bezeichnet ihn Meike Feßmann als sprachlich öde. Mir hat ebenfalls gefallen, dass der Text eindringlich von dem Wunsch nach Kontrolle erzählt. Der Sohn Lukas kontrolliert sein Umfeld, in dem er zwanghaft ordentlich ist und kümmert sich um seine Mutter. Manchmal scheint es, als übernähme er die Verantwortung für sie. Dagegen flüchtet sich die Mutter in einen Waschzwang und bekommt schließlich die Gelegenheit, tatsächlich Kontrolle auszuüben, bleibt aber in ihrer Abhängigkeit. Weiterlesen







