Heute war der letzte Tag beim Bachmannpreis-Lesen, aber der Text, der mich richtig begeistert hat, ist weiterhin ausgeblieben. Stattdessen gab es erneut einige Pubertätsgeschichten zu hören – und weiterhin spielten Tiere eine wichtige Rolle.
Den Auftakt am dritten Tag machte Matthias Nawrat mit seinem Text „Unternehmer“, in dem er von einer Schrottsammler-Familie im Schwarzwald erzählt. Mit starken Metaphern und gekonnten Wortbildungen entsteht in seiner Geschichte ein eigener Ton, darüber hinaus hat mir auch der starke Gegenwartsbezug gut gefallen: das Sammeln von Altmetall als Geldverdienst, der Traum vom Auswandern und die allgegenwärtige Arbeitslosigkeit. Leichte Schwierigkeiten hatte ich mit der Erzählerin der Geschichte. Sie ist die Tochter dieser Familie, ein fester Bestandteil als Assistentin des Vaters. Dabei wird sie sehr schön eingeführt – wie Hildegard Keller später sagte „aus dem Inneren“ heraus –, allerdings bringt sie die Veränderung in der Handlung von der Altmetall-Sammler-Familie hin zu einer Pubertätsgeschichte. Da stimme ich Hubert Winkels und Burghard Spinnen zu, die diesen Umschwung enttäuschend fanden. Erstaunt war ich bei der Jury-Diskussion nach dem Vorlesen aber vielmehr von der Weltfremdheit der Juroren, die das Leben dieser Familie als Dystopie gelesen haben. So konnte beispielsweise Corina Caduff mit vielen der Metalle kaum etwas anfangen, auch das Leben vom Einsammeln der Stoffe kam ihnen unwirklich vor. In jedem Fall ist Nawrak ein Kandidat für den Publikumspreis – und Favorit bei dem Preis der Automatischen Literaturkritik.
Danach las Matthias Senkel seine „Aufzeichnungen aus der Kuranstalt“. Darin erzählt er mit originellen Ideen von einer Kuranstalt für Schriftsteller, die aus den verschiedensten Gründen nicht mehr schreiben können. Gefreut habe ich mich darüber, dass endlich ein witziger Text vorgelesen wird, wenngleich er mich sehr an eine weniger elegante Version von Leif Randts „Schimmernder Dunst von Coby County“ erinnerte. Darüber hinaus hat verlor der Text durch den Protokoll-Stil und die entsprechende Vorleseweise von Matthias Senkel an Originalität. Bei der Jury kam Senkels Romanauszug eher gemischt an. Winkels bemängelte ebenfalls den Protokoll-Stil, mochte aber die Endlosschleife, die dieser Text offenbart. Dagegen kritisierte Meike Feßmann, dass es eine typische Klagenfurt-Geschichte über das Schreiben sei und der Witz des Textes nur über die Ideen funktioniere, der Autor selbst aber keinen Stil habe. Außerdem sei der Text sprachlich arm. Dieser – in meinen Augen überzogene – Vorwurf wurde bei einer späteren Wiederholung von Paul Jandl mit einem entrüsteten „Frau Feßmann?!“ kommentiert. Vor allem hat die Jury aber an diesem Vormittag über sich und ihre Erwartungen gesprochen. In den letzten Tagen hatte sich diese Entwicklung bereits abgezeichnet, aber heute war es noch ausgeprägter. Hier frage ich mich, inwiefern es den Autoren und auch den Zuhörern etwas bringen sollte.
Nach einer Pause ging es dann weiter mit Leopold Federmair, in dessen Geschichte „Aki” sich eine ältere Kellnerin an ihr Verhältnis zu dem Sohn des Wirts erinnert. Der Anfang des Textes war sehr vielversprechend, ein wenig lakonisch mit gelungenen Bildern. Allerdings wurde sie zunehmend zu einer Coming-of-Age-Geschichte verdrängt und diese Wendung hat mich nicht vollends überzeugt. Darüber hinaus hätte gerade der lakonische Stil des Autors einfach einen stärkeren Plot gebraucht als diese Geschichte hatte. Die Jury zeigte sich überwiegend recht angetan von dem Text. Hubert Winkels lobte Schlichtheit und Inszenierung, Daniela Strigl deutet auf den Hintersinn hin. Dagegen kritisierte Meike Feßmann, den Text als „Pubertätsgeschichte unter der Maske einer Erzählerin“. Besonders gut fand ich vielmehr, dass Leopold Federmair während der Jury-Diskussion ungerührt Fotos machte.
Abschließend las dann Isabella Feimer den erotisch angehauchten Text „Abgetrennt”, der mir insgesamt zu gefühlsselig und auch kitschig war. Die Jury verstieg sich in eine Diskussion über die Frage, was Poesie ist und was nicht. Ich habe mir hingegen vielmehr Gedanken darüber gemacht, warum es in diesem Jahr so viele Coming-of-Age- und Tier-Geschichten gab. Dadurch fehlte die Abwechslung in den Themen, außerdem ging leider auch die Originalität mancher Texte ein wenig unter, weil ein „nicht schon wieder“ in den Sinn kam. Meine Favoriten sind nach diesem letzten Tag nun Inger-Maria Mahler, Olga Martynova und Andreas Stichmann. Gefallen haben mir zudem Matthias Nawrak, Cornelia Travnicek und Leopold Federmair. Die Favoritin für den Bachmann-Preis ist in meinen Augen weiterhin Inger-Maria Mahler, dicht gefolgt von Olga Martynova. Aber das werden wir erst morgen erfahren.
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