Ein vorläufiges Fazit zu „The West Wing“

(c) WHV

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Eigentlich wollte ich zu jeder Staffel der Serie etwas gebloggt haben. Sobald ich mich aber entscheiden musste, die Serie weiterzugucken oder über sie zu schreiben, entschied ich mich für ersteres. Dann habe ich diesen Beitrag angefangen, nachdem ich alle 154 Folgen der sieben Staffeln von „The West Wing“ gesehen haben. Aber ich habe ihn nie zu meiner Zufriedenheit fertig stellen können – dafür müsste ich wohl alle Folgen noch einmal sehen. Deshalb ist dieser Text mehr ‚work in progress‘, in der ich einige Beobachtungen und Überlegungen festhalte.

Über die Anlage und die Figuren habe ich in meiner Hymne auf die erste Staffel bereits einiges geschrieben, das werde ich hier nicht wiederholen. Auch wird dieser Text – wie sollte es anders sein – einige Spoiler enthalten. Wer die Serie also noch nicht kennt, sollte sie schleunigst nachholen und dann meinen Beitrag lesen. 😉

Erzählstil
Die ersten beiden Staffeln von „The West Wing“ sind großartiges Fernsehen und zeigen sehr deutlich, warum diese Serie als Übergang von den reinen Drama-Serien zu größeren, fortgesetzten Erzählungen heutiger Serien gilt. In fast jeder Folge wird ein politisches Thema behandelt, anfangs sind nur sehr wenige Handlungsstränge folgenübergreifend. Dabei erlauben die Folgen zweierlei: Zum einen werden politische Prozesse erklärt und in der Regel linksliberal interpretiert, zum anderen dienen die jeweiligen Themen der Weiterentwicklung der Figuren. In seinem Beitrag zur Serie hat Sebastian nach einer kompletten Zweitsichtung ausgeführt, dass der „Plot (…) für Sorkin nur das Vehikel (war), um Geschichten über die beteiligten Personen zu erzählen, ihren Charakter genauer zu beleuchten (auch wenn er selbstverständlich gerne den Oberlehrer mimt) und dabei fast immer zweitrangig“ war, steht für mich das Aufklärerische der Folgen etwas mehr im Vordergrund. Aber ich glaube, hier sind wie weniger weit voneinander entfernt als ich anfangs vermutete (vgl. hierzu die Kommentare).

Dieses Prinzip wird dann insbesondere in den mittleren Staffeln aufgeweicht, indem unter anderem mehr persönliche Geschichten erzählt werden. In der sechsten Staffel kommen Handlungsorte außerhalb des Weißen Hauses hinzu, durch die weitere Geschichten ermöglicht werden. Nicht alle waren notwendig – beispielsweise Donnas Verwundung und späterer Abschied –, aber spätestens mit dem Santos-Wahlkampf gewinnt die Serie viele Qualitäten zurück. Weiterhin ist der politische Prozess zwar interessant – selten war in einer Serie mehr über Politik zu lernen –, jedoch geht es weit mehr um den Fortgang der eigentlichen Handlung.

Die siebte Staffel ist von dem Versuch geprägt, das Ende der Amtszeit Bartletts und den Neubeginn mit Santos einzuläuten. Es war eine gute Entscheidung, diesen Wahlkampf zu zeigen, da die Serie in der Mitte des ersten Jahres der Präsidentschaft Bartlett begonnen hat und sich nun mit der siebten Staffel der Kreis gewissermaßen schließt, so dass „The West Wing“ tatsächlich von der Präsidentschaft vom Anfang bis zum Ende erzählt. Zumal es zwischen Santos und Bartlett auch einige Überschneidungen gibt: sie starten beide als Außenseiter und gelten als Idealisten – und wie schnell diese Ideale verloren gehen, hat die Serie hinlänglich gezeigt.

Die Figuren
Gerade am Anfang experimentiert Serienmacher Aaron Sorkin noch mit den Figuren. Präsident Bartlets (Michael Sheen) Präsenz in der Serie nimmt von Folge zu Folge zu, ursprünglich sollte sich die Handlung wohl stärker auf die Mitarbeiter und insbesondere Sam Seaborn (Rob Lowe) konzentrieren. Einige Figuren wie die Beraterin Mandy Hampton (Moira Kelly) verschwinden einfach, ihr Verbleib wird nicht erklärt. Hier wundert es mich schon, warum nicht einfach – wie später mit Ainsley Hayes (Emily Procter) – ein Satz ins Drehbuch geflochten wurde, der diese Abwesenheit erklärt. Meiner Meinung nach erfordert das die Serienfiktion. Besonders ärgerlich ist es beim vorläufigen Ausstieg von Sam Seaborn, der in Kalifornien an Wahlen teilnimmt, deren Ausgang unbekannt bleibt. Nun ist davon auszugehen, dass er die Wahl verloren hat, was er stattdessen macht, wird jedoch erst am Ende der siebten Staffel erklärt.

Im Großen und Ganzen ist es der Serie aber gut gelungen, ausscheidende Figuren mit neuen Charakteren zu kompensieren – zumal auch der Hauptcast weitgehend zusammenbleibt. Zwar steigt der Soap-Charakter mit Verlauf an, jedoch stieg auch meine Anteilnahme an den Figuren – und manchen Figuren habe ich dann ein funktionierendes Privatleben oder wenigstens etwas privates Glück gewünscht. Außerdem ging es in dieser Serie niemals um die Frage „wer mit wem?“, sondern lediglich im Vergleich zu den ersten Staffeln wurden das Privatleben der Figuren wichtiger.

  • Will Bailey
    Viele Schwierigkeiten der späteren Staffeln lassen sich an Will Bailey festmachen, der Sam Seaborn ersetzen soll. Er wird als brillanter Redenschreiber eingeführt und wird nach einer guten Rede erst Sams vorläufiger Vertreter, dann bekommt er Sams Job, woraufhin alle anderen Angestellten der Redenschreiberei kündigen – was zu einer unsäglichen Folge mit Praktikanten führt – und wird schließlich Head of Communications des Vizepräsidenten. Das ist nicht nur eine steile und nahezu unglaubwürdige Karriere, sondern sie lässt dieser Figur kaum Raum für Entwicklung. Von Anfang an ist er weniger loyal als Sam, jedoch womöglich talentierter. Allerdings können sich die Autoren nicht durchringen, ihm ein eigenes Profil zu verleihen, zumal er durch den veränderten Erzählstil auch weniger Möglichkeiten bekommt.
  • Toby Ziegler
    Die wohl ärgerlichste Figurenentwicklung durchläuft aber Toby. Er ist der prinzipientreue, moralische Head of Communications, beständig traurig und aufbrausend. Irgendwann in der ersten Staffel bekommt er eine Ex-Frau, später erfahren wir, dass die Ehe vor allem am unerfüllten Kinderwunsch scheiterte. Nun ist seine Ex Andrea aber dennoch schwanger, Toby will die Ehe retten und über zu viele Folgen erstreckt sich diese unsägliche Soap-Geschichte, die wenigstens in einer herzzerreißenden Aussprache mündet. Schließlich wird Toby aber in der siebten Staffel (vermutlich) zum Whistleblower und verrät ein Geheimnis der US-Regierung. Mit viel Mühe wäre diese Entwicklung aufgrund Tobys hoher moralischer Standards noch nachzuvollziehen, wenngleich sie angesichts seiner Treue gegenüber Bartlett schwierig bliebe. Es handelt sich nun aber bei dem verratenen Geheimnis nicht etwa um gefälschte Dokumente über den Uran-Ankauf des Iraks wie bei der anzunehmenden Vorbild-Affäre um Valerie Plame http://de.wikipedia.org/wiki/Valerie_Plame bzw. Lewis Libbyhttp://de.wikipedia.org/wiki/Lewis_Libby geht, die zu einem Krieg geführt haben, sondern um die Existenz eines militärisches Raumschiffs, dass drei Astronauten retten könnte. Als Begründung für Tobys Verhalten werden auch nicht seine ethischen Standards herangezogen, sondern es wird suggeriert, es hänge mit dem Freitod von seinem Bruder zusammen. Das ist bei einer Figur, deren Hingabe zum ‚public service’ so zentral ist, nicht nur unglaubwürdig, sondern unwürdig. (Interessanterweise sieht Schauspieler Richard Schiff das genauso) Daran ändern auch die weiterhin aufrecht erhaltenen Zweifel nicht, Toby könnte sich für eine andere Quelle geopfert haben.

Fazit
Acht Jahre lang erzählt die Serie von den Ereignissen rund um den Westflügel des Weißen Hauses – und sie mutet Figuren wie Zuschauern eine Menge zu. Nicht mit allen Entwicklungen bin ich einverstanden, auch erfordern die fünfte und sechste Staffel aufgrund unsinniger Handlungsideen, zu viel Melodramatik und zu wenig Humor einiges Durchhaltevermögen. Dafür sind aber insbesondere die ersten beiden Staffeln großartiges Fernsehen – und als eine der wenigen Serien gelingt „The West Wing“ ein ordentlicher Abschluss. Gerne würde ich die Serie noch einmal sehen, da es viel mehr zu entdecken gibt. Allein über die Kameraarbeit in den ersten Staffeln könnte ich einen eigenen Beitrag schreiben, von den Dialogen will ich gar nicht erst anfangen. Irgendwann werde ich mir die Zeit für eine Zweitsichtung nehmen – vielleicht im Doppelpack mit „The Wire“.

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Veranstaltungshinweis: Patrick Salmen liest aus „Ich habe eine Axt“

Foto: Fabian Stürtz

Foto: Fabian Stürtz

Am Sonntag, den 4. Mai 2014 liest Patrick Salmen um 20 Uhr im schönen Pantheon Casino aus seinem Buch „Ich habe eine Axt – Urlaub in den Misantropen“. Patrick Samen ist Lyrik- und Prosaautor aus Dortmund und wurde 2010 deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. In seinem Buch entlarvt er nach Verlagsaussage „mal spöttisch, mal böse“ „die Absurditäten und Idotien der Menschheit“. Das klingt vielversprechend!

Patrick Salmen: Ich habe eine Axt – Urlaub in den Misantropen. Knaur 2014.

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Krimi-Kritik: „Der Willy ist weg“ von Jörg Juretzka

„Holland! In dieser nach verklappter Schweinescheiße stinkenden, platten Ödnis möchte ich nicht tot überm Zaun hängen. Oh, ich war vergnügt. Von mir aus, dachte ich, soll sich die Nordsee das ganze Land zurückholen. Über Nacht. Sobald ich hier raus bin. Ah, ich war in trefflicher Stimmung. Ein Auge komplett dicht, die Zähne in, was man als ‘Zustand vor Tütensuppe’ bezeichnen muss, beide Klöten dick wie Pampelmusen, so hockte ich bibbernd im eiskalten Fahrtwind und fühlte mich prächtig. Ich hätte ein Liedchen gepfiffen, wenn es meine verschwollenen Lippen zugelassen hätten. Mann, das hatte ich fein hingekriegt. Ein Prachtstück von einer Packung hatte ich mir da gefangen, eine nur schwer zu überbietende Niederlage eingefahren. Ich mochte zwar mit leeren Händen zurückkehren, doch die Fresse hatte ich ordentlich vollgekriegt. Dumm nur, dass ich nicht beauftragt worden war, buntschillernde Hämatome und von der Härte des Straßenpflasters durchdrungene Räuberpistolen nachhause zu bringen, sondern eine 18-jährige. Eine kleine, zierliche 18-jährige mit einem riesengroßen Appetit auf Opiat.“ (Einen Vorabdruck gibt es bei kaliber.38)

(c) Unionsverlag

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Nach diesem ersten Absatz des Buchs „Der Willy ist weg“ von Jörg Juretzka steht außer Frage, dass Kristof Enrico Kryszinski mal wieder ordentlich vermöbelt wurde. Aber Kryszinski wäre nicht Kryszinski, würde er das erstens auf sich sitzen lassen und sich zweitens davon abhalten lassen, das 18-jährige Mädchen nach Hause zu holen. Zunächst aber fährt er in die Mülheimer Villa von Willy, dem Maskottchen der Stormfuckers, einer raubeinigen und schlagkräftigen Motorradgang, zu der Kryszinski mehr oder weniger gehört. Seit Willy das Anwesen in der vornehmen Wolfgang-von-Goethe-Allee geerbt hat, wohnt Kryszinski dort. Und da es kurz vor Weihnachten ist, findet in der Villa eine kleine Feier statt. Also tröstet sich Kryszinski mit jeder Menge Bowle – manche nennen sie „Schädelspalter“, andere „Weißer Stock“ oder auch „Chemische Keule –, der obligatorischen Reise nach Jerusalem und bricht wenig später mit Verstärkung wieder nach Holland auf. Schließlich hat er der Familie versprochen, dass das Mädchen bis Weihnachten wieder zu Hause ist („Ich habe mir einmal vorgenommen, sie Weihnachten nachhause zu bringen, und du weißt ja, wie das ist mit mir.“ „Ja“, nickte er (Charly), immer noch hustend. „Schlimm.“). Nebenbei sucht Krysziniski nach einem Unbekannten, der bei einer „großen amerikanischen Fastfoodkette, die wir hier und im Folgenden einmal McDagoberts nennen wollen“ Anschläge verübt – und dann ist auch noch Willy verschwunden.

Scuzzi und Kryszinski – Wie alles begann
Das ist ein munterer Beginn des dritten Kryszinski-Romans, der zeitlich vor seinen Vorgängern „Prickel“ und „Sense“ spielt. Dadurch lernt man die bekannten Charaktere zu einer früheren Zeit kennen. Charlie ist bereits Chef der Gang, der geborene Anführer, Pierfrancesco Scuzzi ist schon Dealer mit dem schlechtesten Musikgeschmack der Welt („Musik drang heraus in die Nacht. Ein Männerchor. Im Takt gehalten von stampfendem Disco-Beat. Eine schmissige Hymne auf die trefflichen Dienste, die der Christliche Verein Junger Männer einsamen, jungen Männern zu bieten hat. Und, ohne auch nur einmal Luftzuholen, folgte in direktem Anschluss eine Ode an die Vorzüge eines Lebens bei der Navy. Sie mussten Scuzzi an den Plattenteller gelassen haben. Nicht, dass wir uns hier missverstehen: Mein Freund Pierfrancesco ist nicht homosexuell. Er mag einfach solche Musik. Er mag, um es kurz zu machen, jegliche Musik. Einzige Voraussetzung ist, glaube ich manchmal, dass sie mir wider die Natur geht.“) Sogar Hauptkommissar Menden begegnet Kryszisnki in diesem Buch zum ersten Mal, und er kommt sowohl zu seiner Katze als auch seinem heiß geliebten Toyota Carina.

Daneben ist „Der Willy ist weg“ ein sehr witziges Buch, allein auf den ersten zehn Seiten von habe ich so viel gelacht wie bei wenigen Büchern. Dazu trägt sicher Juretzkas Sprachwitz und der etwas derbe Humor bei, vor allem aber gibt es in jedem seiner Bücher sehr viele originelle Einfälle – beispielsweise die bereits erwähnte Reise nach Jerusalem der Stormfuckers. Allein die Vorstellung, dass eine reichlich angetrunkene in Lederkluft gekleidete Gang dieses Spiel spielt, ist amüsant. Hinzu kommen noch die Regeln und die Erzählung: „Kaum rannten sie alle in eine Richtung um den Tisch, änderte ich mit zwei scharfen Pfiffen die Richtung. Kaum hatten sie das gemeistert, befahl ich mit einem langen Pfiff ‘Setzen!’. Alles schmiss sich auf die Stühle. Wessen Sitzmöbel zusammenbrach, war draußen. Und hatte gewonnen. Denn wer es bis zum Schluss nicht schaffte, einen Stuhl zu ruinieren, musste die ganzen Bruchstücke aufsammeln und das Feuer damit füttern. Außerdem bekam er die spitze gelbe Mütze aufgesetzt und musste sich bis zum nächsten Durchgang ungestraft ‘Lusche’ nennen lassen.“ Im Grunde genommen sind also die Stormfuckers anderen Vereinen recht ähnlich – höchstens etwas schlagkräftiger als beispielsweise ein Taubenzüchterverein. Auf die Fertigkeiten, die Kryszinski durch dieses Spiel erworben hat, greift er übrigens im fünften Roman „Equinox“ abermals zurück, als er sich plündernden Kreuzfahrtgästen im bordeigenen Supermarkt entgegen stellen muss. Und so zeigt sich auch an solchen Kleinigkeiten, dass Juretzkas Bücher eng verknüpft sind – und es meist noch eine weitere Ebene neben dem offensichtlichen gibt.

Ein bitterer Kern
Die Fälle, in denen Kryszinski in diesem Buch ermittelt, nehmen natürlich aberwitzige Wendungen, durch die er bald nicht nur Nazi-Biker, die Polizei und chinesische Zuhälter am Hals hat, sondern sich auch noch mit den Gangsterbossen des Ruhrpotts anlegt. Bei allem Humor steckt in „Der Willy ist weg“ jedoch auch bitterer Ernst. Durch Willys Entführung wird organisierte rechtsradikale Gewalt aufmerksam gemacht, auch offenbart Kryszinski schon auf der ersten Seite die schmerzhafte Erkenntnis über das Leben von Drogensüchtigen: Nachdem sich die Tochter aus wohlhabenden Haus geweigert hat, mit Kryszinski mitzugehen und bei ihren Zuhältern gelieben ist sowie sie angefeuert hat, als sie ihn verprügeln, überlegt er, ob ihren Eltern die Wahrheit sagen soll. Denn „(d)as, vor allem, könnte in einem jetzt den Eindruck erwecken, sie handele aus freien Stücken. Man könnte meinen, sie lebte dieses degenerierte Dasein als Ergebnis eines Entscheidungsprozesses, an dessen Ende die simple Maxime ‘Lieber arm und krank als reich und gesund’ gestanden hätte. Selbst ich hatte im Wegfahren noch gedacht, lass sie, du siehst es doch, sie will nicht anders. Selbst ich, der ich es besser wissen müsste, besser wusste. Denn ich weiß es. Ich weiß, wie es ist, wenn die Angst, von der Droge getrennt zu werden so groß wird, dass sie allen anderen Ängsten den Raum nimmt. Wenn sie größer wird als die Angst vor dem Verlust der Existenz, der Gesundheit, der Würde, des eigenen Lebens. Das ist groß. Das ist Angst. Und nichts anderes.“ Und durch diese Mischung aus Humor und Bitterkeit, die aber frei ist von Zynismus, ist dieses Buch so gut.

Jörg Juretzka: Der Willy ist weg. Rotbuch 2002. Als Taschenbuch beim Unionsverlag 2010.

Jörg Juretzka im Zeilenkino:
„Prickel“
„Sense“
„Platinblondes Dynamit“
„Fallera”

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Lesefreude: „Ein paar Tage Licht“ von Oliver Bottini

Blogger_Lesefreude_2014_LogoHeute ist Welttag des Buches und wie bereits im letzten Jahr nehme ich an der Aktion „Blogger schenken Lesefreude“ teil, die von den Buchbloggerinnen Christina (Pudelsmützes Bücherwelten) und Dagmar (GeschichtenAgentin) ins Leben gerufen wurde. Und Lesefreude verschenke ich mit einem großartigen Kriminalroman von einem der besten deutschsprachigen Krimiautoren.

Meine erste Begegnung mit Oliver Bottini fand im Urlaub an der Ostsee statt, den ich mit einer Freundin vor allem lesend und faulenzend verbringen wollte. Als erstes Buch griff ich zu „Im Sommer der Mörder“, das ich beim Stöbern in einer Buchhandlung entdeckt hatte und mir aufgrund des Klappentextes gekauft habe. Beim Lesen bemerkte ich sehr schnell, dass es der zweite Teil aus einer Reihe mit der Kommissarin Luisa Boni ist und ich sie chronologisch lesen möchte. Also unterbrach ich das Buch nach knapp 100 Seiten und verbrachte einen Großteil der folgenden Tage damit, Buchhandlungen nach dem ersten Teil systematisch zu durchforsten. Ein geplanter Ausflug nach Lübeck wurde daher vorgezogen und schließlich hatte ich es gefunden. Sieben Jahre und einige Bücher später habe ich nun im Januar Oliver Bottinis neuestes Buch „Ein paar Tage Licht“ für das Magazin BÜCHER rezensiert und war begeistert.

(c) Dumont

(c) Dumont

In „Ein paar Tage Licht“ verknüpft Oliver Bottini mühelos die Problematik deutscher Rüstungsexporte mit einer Kriminalgeschichte und liefert ein nuancenreiches Bild der Weltpolitik. Während andere Autoren vor zu großer Komplexität zurückschrecken, führt Oliver Bottini allein in den ersten fünf Kapiteln unterschiedlichste Figuren ein, die durch Algerien verbunden sind, entwickelt Handlungsstränge auf zwei Kontinenten, verbindet Algeriens Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit Waffenhandel, Terrorismus und Korruption und lässt sowohl idealistische als auch raffgiere Politiker, zweifelnde Lobbyisten und Terroristen, die vielleicht doch eher Freiheitskämpfer sind, als Figuren auftauchen. Die heutige Welt ist nämlich nicht einfach. Und wenngleich auf der einen Seite Politik, Geheimdienste, Botschaften und Behörden stehen, die statt der Wahrheit lieber simple Botschaften verkünden, sind auf der anderen Seite wir, die Öffentlichkeit, die diese Erklärungen allzu bereitwillig hinnimmt. Deshalb ist dieser spannende Kriminalroman zugleich ein aufrüttelndes Plädoyer, doch künftig mal genauer hinzusehen und zuzuhören.

Diesen spannenden, vielschichtigen und unterhaltsamen Kriminalroman könnt ihr bei mir gewinnen, indem ihr bis zum 30. April 2014 einen Kommentar hinterlasst, warum ihr das Buch gerne lesen möchtet. Der Gewinner wird ausgelost. Nur eine Teilnahme pro Haushalt.

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Die Brücke II – Transit in den Tod

(c) ZDF; Carolina Romare

(c) ZDF; Carolina Romare

Über ein Jahr nach dem Ende der ersten Staffel setzt die „Die Brücke II – Transit in den Tod“ ein: Ein Schiff rammt die Öresund-Brücke, von der Besatzung fehlt jede Spur, stattdessen befinden sich fünf betäubte Jugendliche an Bord. Da drei der Jugendlichen aus Dänemark kommen, erscheint eine Zusammenarbeit der Dänen und Schweden notwendig, also wendet sich Saga Norén (Sofia Helin, „Zurück nach Dalarna“) erstmals nach dem Tod seines Sohnes an ihren dänischen Kollegen Martin Rohde (Kim Bodnia, „In einer besseren Welt“). In der Zwischenzeit ist einiges passiert: Saga zieht gerade mit ihrem Freund zusammen und ist gewillt, eine Beziehung zu versuchen. Martin wohnt von seiner Frau getrennt und versucht weiterhin, den Tod seines Sohnes zu verarbeiten.

Weiterentwicklung der Charaktere

(c) ZDF; Carolina Romare

(c) ZDF; Carolina Romare

Bereits in der ersten Staffel waren die Hauptfiguren der größte Pluspunkt der Serie und hier knüpft die Fortsetzung überzeugend an. Martins Selbstsicherheit und seine Überzeugung, alles im Griff zu haben, wurden durch die Ermordung seines Sohnes erschüttert. Seither fühlt er sich von dem inhaftierten Täter Jens (Lars Simonen) verfolgt, findet aber keinen Ausweg – und auch die Therapie scheint ihm nicht zu helfen. Dann begegnet er Saga wieder, die ihn gemäß ihrer Art genauso behandelt wie vorher und er bemerkt, wie gut er sich dadurch fühlt. Deshalb bricht er die Therapie ab und glaubt schon bald, eine bessere Methode gefunden zu haben: Er will an den Polizisten in Jens appellieren, damit dieser an seinen Schuldgefühlen sein Leben lang trauert. Dadurch wird er Stück für Stück wieder zu dem früheren Martin, schlägt sorglos alle Warnungen in den Wind. Jedoch ist früh insbesondere durch das Verhalten seiner Ehefrau zu ahnen, dass der Weg zurück in das Familienleben weitaus schwieriger sein wird.

(c) ZDF; Carolina Romare

(c) ZDF; Carolina Romare

Auch die Grundidee zur Weiterentwicklung von Saga ist gelungen: Das Zusammenleben mit ihrem Freund stellt sie vor große Schwierigkeiten, fleißig liest sie Beziehungsratgeber, jedoch sind ihre Bemühungen, sich mit ihrem Verhalten der Umwelt anzupassen – bspw. über Scherze zu lachen – manchmal verstörend, oft aber komisch. Hier schlittern die Autoren haarscharf daran vorbei, sie zu einer Lachnummer werden zu lassen. Das verhindern vor allem die letzten beiden Folgen der Staffel, in denen immer mehr Emotionen auf sie einprasseln, und die großartige Sofia Helin. Vor allem bleibe ich durch diese zweite Staffel skeptisch, ob ich Saga tatsächlich einfach damit erklären möchte, dass sie das Asperger-Syndrom hat (siehe Kommentare zu Staffel 1). In der Serie wird es nicht benannt, sicher deuten ihre schnelle Kombinationsgabe und ihr Wissen darauf hin, aber sie ist als brüchiger Charakter viel zu faszinierend, als dass ich sie einfac mit einem Etikett versehen möchte, das scheinbar alles erklärt. (Hierzu äußert sich Sofia Helin auch in einem Interview)

Der Fall

(c) ZDF; Carolina Romare

(c) ZDF; Carolina Romare

Neben den Hauptfiguren ist natürlich auch der Fall wichtig. Hier dreht sich anfangs alles um eine Gruppe von Öko-Terroristen, die durch Anschläge mit Pestbakterien und anderen Erregern auf Umweltverschmutzung und ähnliche Verbrechen aufmerksam machen wollen. Die Identität der ersten vier Attentäter kennt der Zuschauer schnell, hier ist es schade, dass nicht alle vier Überzeugungstäter sind, sondern zwei mehr oder weniger zur Mitarbeit gezwungen werden. Würden sie aus Überzeugung handeln, hätten sich andere Themen ergeben (wie z.B. „The East“ eindrucksvoll zeigt), so bleibt es bei einer traurigen Geschichte über einen Jungen, der letztlich ohne großen Bruder aufwachsen wird. Dennoch hat mir insgesamt der Verlauf gefallen: Nachdem der Fall anfangs klar gesellschaftspolitisch angelegt ist, folgt mit hinzukommen Nebenhandlungen – meist kommentarlos begonnen – eine Wendung ins Private und im finalen Akt zurück ins Gesellschaftspolitische. Sicher sind es insgesamt viele Wendungen, die oft auch relativiert werden, aber letztlich fügt sich alles gut zusammen.

Das Ende

(c) ZDF; Carolina Romare

(c) ZDF; Carolina Romare

Im Gegensatz zu letzten Staffel, bei der die letzte Folge eine Katastrophe war, ist den Serienmacher dieses Mal ein guter und mutiger Schluss gelungen. Dass der Fall durch eine Volte wieder im Politischen landet ist bereits gut, dass es noch einen weiteren Mann im Hintergrund gibt, der gar nicht enttarnt wird, noch besser. Dieser Schluss lässt viele Möglichkeiten für eine Fortsetzung offen und erscheint zudem realistisch: Bei einem Terrornetzwerk ist der Täter schwieriger zu fassen, je höher er in der Hierarchie steht.

Die größere Überraschung hängt jedoch mit Martin zusammen. Nachdem alles so gelaufen ist, wie er sich gewünscht hat, und er in der ihm eigenen Überheblichkeit sogar in Sagas Vergangenheit geschnüffelt hat, um ihr zu helfen, muss er einsehen, dass seine Ehe endgültig gescheitert ist. Dadurch wird er aus der Bahn geworfen und muss zudem erkennen, dass damit auch alle andere Besserungen obsolet geworden sind. Als dann Jens tot in seiner Zelle gefunden wird, ahnt Saga, dass Martin dahinter stecken könnte. Und so endet die Staffel damit, dass er wegen Mordes verhaftet wird. Dieses Ende lässt einigen Raum für Spekulation. Auf der einen Seite würde Saga Martin nicht verhaften lassen, wenn sie keine Beweise hätte, außerdem betont sie ihm gegenüber auch, dass sie wisse, dass er der Täter sei. Damit hätte Martin eine ähnliche Entwicklung durchlaufen wie Jens, der nach dem Tod seines Sohnes auch zum Mörder wurde (wenngleich er weitaus mehr Menschen getötet hat). Außerdem würde es seinem Charakter auch eine düstere Seite hinzufügen, die bisher nicht zu vermuten war. Auf der anderen Seite könnte ich mir aber vorstellen, dass Martin vorhatte, Jens zu ermorden – deshalb hat Saga die entsprechenden Beweise gefunden –, es letztlich aber nicht getan hat. Damit stünde dann nach einer Aussprache auch einer weiteren Zusammenarbeit nichts mehr im Wege. Gespräche über eine dritte Staffel laufen jedenfalls bereits.

Am 2. Mai erscheint die zweite Staffel bei Edel:Motion auf DVD und Blu-ray.

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Funkhaus Europa – Krimi International Sondersendung

Am Ostermontag, den 21. April 2014, präsentiert Funkhaus Europa in einer Sondersendung von „Krimi International“ Kriminalistisches von lit.Cologne mit Auszügen aus den Lesungen von Denis Lehane, Robert Wilson, Håkan Nesser, Jussi Adler-Olsen und Hjorth & Rosenfeldt. Die Höhepunkte der Lesungen werden zwischen 8 und 12 Uhr gesendet, in der Nacht von 23 bis 3 Uhr sind kompletten Mitschnitte zu hören und stehen auf der Internetseite von Funkhaus Europa zur Verfügung.

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Krimi-Kritik: „30 Keller“ von Stephan Kaluza

(c) FVA

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Meisner ist reich, egozentrisch und skrupellos. Er genießt die Macht, die er über andere hat, ist stolz auf seinen Aufstieg, den er in erster Linie sich selbst und seiner Gewissenlosigkeit zu verdanken hat, und seinen Platz unter den reichsten Männern der Welt. Am Vorabend einer Operation geschieht jedoch etwas Unerwartetes: Sein angeblich nicht zu knackendes Sicherheitssystem wird überwunden und er wird entführt.

Als er in einem abgeschiedenen Kellerraum aufwacht, dessen Wände sich zu bewegen scheinen, will Meisner das Problem wie üblich mit der Zahlung von Lösegeld beseitigen. Doch schon bald wird ihm klar, dass er nicht Opfer einer üblichen Entführung geworden ist. Der Entführer Ronaldo weiß alles über ihn, kennt sogar das Bett seiner Kindheit. Außerdem erfährt er, dass mit ihm 29 ebenso reiche Männer an anderen Orten festgehalten werden.

In „30 Keller“ entwickelt Stephan Kaluka ein interessantes Gedankenkonstrukt: Was passiert, wenn bei einer Entführung die persönliche Bereicherung des Täters keine Rolle spielt? Was wäre, wenn die 30 reichsten Menschen der Welt entführt würden und bei jedem eine bestimmte Summe aus dem Vermögen einfach vernichtet und somit aus dem Geldkreislauf gezogen wird? In Dialogen spielen Meisner und sein Entführer diese Fragen durch, sie reden über den Zustand der Welt und den Einfluss von Geld, reflektieren Meisners Leben. Dadurch offenbaren sich immer mehr Ebenen in diesem Roman, die durchlässig sind und einander begegnen.

„30 Keller“ ist kein typischer Kriminalroman: die Handlung findet überwiegend in Dialogen statt – das Buch basiert auf Kaluzas Theaterstück „Absolute Zero“ –, in denen vor allem Überlegungen verhandelt werden, auch die Personen sind wenig differenziert entwickelt – Meisner ist durch und durch unsympathisch. Dadurch wird dieses Buch aber zu einer überzeugenden Parabel auf die heutige Welt, in der ein Mensch wie Meisner billigend in Kauf nimmt, dass sich seine Macht auf der Machtlosigkeit anderer gründet. Als sein Entführer ihn fragt, warum er seine 300 Milliarden Dollar nicht genutzt hat, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, kennt Meisner kennt keine Antwort. Denn sein Reichtum speist sich aus Gewissenlosigkeit und Egoismus. Und damit ist Kaluza äußerst nah an der Wirklichkeit.

Stephan Kaluza: 30 Keller. Frankfurter Verlagsanstalt 2014.

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