Im Rahmen der Skandinavischen Filmtage in Bonn habe ich endlich das Drama „In einer besseren Welt“ von Susanne Bier gesehen, das in diesem Jahr den Oscar als bester fremdsprachiger Film gewonnen hat. Ob diese Auszeichnung gerechtfertigt war, ist im Grunde genommen keine wichtige Frage. Wie in jeder anderen Kategorie bei den Oscars spielen hier Vorlieben und Einschätzungen eine Rolle – und im Blick auf das Gesamtwerk von Susanne Bier ist die Ehrung sicherlich zu vertreten.
„In einer besseren Welt“ verhandelt den großen Themenkomplex von Schuld und Sühne, von Gewalt und Reaktion. Der idealistische Arzt Anton (Mikael Persbrandt), der viele Wochen im Jahr in einem afrikanischen Flüchtlingscamp arbeitet, lehnt Gewalt ab und hält im Zweifelsfall auch noch seine rechte Wange hin. Seine Ehe mit Marianne (Trine Dyrholm) ist indes gescheitert, und sein Sohn Elias (Markus Rygaard) ist ein Außenseiter in der Schule, der regelmäßig von Mitschülern drangsaliert wird. Elias lässt das Mobbing über sich ergehen, aber lernt er durch seinen neuen Klassenkameraden Christian (William Jøhnk Nielsen) die vermeintliche Macht von Gewalt kennen. Christian ahnt, dass auch er ein Opfer werden könnte, und verprügelt den Anführer der gewalttätigen Mitschüler, ehe er selbst angegriffen wird. Außerdem glaubt er, sich für Elias zu rächen. Dadurch entwickelt sich zwischen Elias und dem verschlossenen Christian eine Freundschaft, die in einer Katastrophe mündet.
Elias ist das Verbindungsstück zwischen den zwei Welten, in denen Susanne Biers Film spielt: Auf der einen Seite steht Elias‘ Vater, der sich von einem Mann ohrfeigen lässt und nicht reagiert, auf der anderen Seite Christian, für den Gewalt ein probates (Rache-)Mittel ist. Dabei erinnert die Parallelität zwischen den Entwicklungen in dem Flüchtlingscamp in Afrika und heimatlichen Dänemark sowie in den Leben von Anton und Elias oftmals an einen Versuchsaufbau, den Susanne Bier in größtenteils beeindruckenden Bildern filmt. Sie nimmt sich viel Zeit für die Landschaftsaufnahmen, die Übergänge zwischen diesen nur auf den ersten Blick verschiedenen Welten gelingen durch Kamerafahrten oftmals makellos. Leider mischen sich in diese Bildmächtigkeit auch einige Missgriffe: Die Spinne im Netz, die dahinziehenden Vögel und auch die offensichtliche Farbgebung sind allzu plakativ. Doch Susanne Bier hat ein herausragendes Gespür für Charaktere und Schauspieler, das ihren Film zu einem guten Drama werden lässt. Sie konzentriert sich – bei aller gesellschaftlichen Dimension ihres Films – vor allem auf die individuellen moralischen Dilemmata, in die die Figuren geraten. Hierbei wird die größte Stärke des Films offenbar: Jeder Charakter lädt Schuld auf sich. Dadurch unterbleibt jegliche Schwarz-Weiß-Malerei, stattdessen muss jede Figur letztendlich mit den Folgen der eigenen falschen Entscheidungen leben – und diese Erkenntnis hat zugleich etwas Tröstendes.
Abgesehen von den großen Themen erlaubt Susanne Biers Film aber auch ein Blick auf das heutige Dänemark, das größtenteils in berückend idyllischen Bildern eingefangen ist. Doch sie durchzieht diese heile Welt mit kritischen Seitenhieben auf Lehrer, die das Problem der Gewalt an Schulen herunterspielen, und auf Eltern, die die Kommunikation mit ihren Kindern einstellen; sie zeigt Fremdenhass und Intoleranz. Dabei überfrachtet sie ihren Film nicht, sondern verdichtet ihr Drama zu einem eindringlichen Erlebnis. Beispielhaft wird es in der Sequenz deutlich, in der der Schwede Anton in einer Autowerkstatt den Mechaniker Lars auf, der ihn zuvor vor den Augen seiner Söhne geohrfeigt hat. Anton will seinen Kindern zeigen, dass er keine Angst vor Lars hat – doch der Zuschauer fragt sich, warum der vermeintliche Vorzeigevater, der ein enges Verhältnis zu seinen Kindern hat, sie in diese Situation bringt. Zugleich wird an der Reaktion auf die unterschiedliche Aussprache des Namens Lars im Schwedischen und Dänischen auch der Fremdenhass des Mechanikers deutlich. Diese Sequenz sollte man tunlichst im Original sehen – was gestern glücklicherweise möglich war!
Insgesamt ist Susanne Biers „In einer besseren Welt“ ein eindringliches Drama, das mit einer sehr guten Besetzung und gelungenen Bildkompositionen überzeugt. Der Film erzählt von einer Gewalt, die keinen Anfang und kein Ende kennt, keinen Ort und keine gesellschaftliche Schicht. Doch bei aller Dramatik nährt insbesondere das Ende die Hoffnung auf einen versöhnlichen Ausgang.