Schlagwort-Archive: USA

Krimi-Kritik: „Das Fest der Schlangen“ von Stephen Dobyns

„Wenn in einer Kleinstadt ein schreckliches Verbrechen geschieht, ist das eine Tragödie. Ein zweites ist ein Fluch.“

Brewster ist ein kleiner verschlafener Ort in Rhode Island. Normalerweise bekommt es die Polizei dort mit Verkehrssündern und Einbrechern zu tun, doch nun ist im Morgan Memorial Hospital das Baby der 16-jährigen Penny Summers verschwunden und an seiner Stelle fand die Nachtschwester Schlangen im Babybett vor. Schnell macht diese Nachricht die Runde in der Kleinstadt – und es wird nicht bei diesem einen Verbrechen bleiben. Stattdessen sehen sich der reizbare Woody und sein Partner Bobby mit angriffslustigen Kojoten, Satanisten und anderen Kulten konfrontiert, die die Ermittlungen immer undurchschaubarer machen.

(c) C. Bertelsmann

(c) C. Bertelsmann

In seinem Thriller „Das Fest der Schlangen“ stürzt Stephen Dobyns eine Kleinstadt in ein Chaos, das ebenso vollständig wie glaubwürdig ist. Aus einer dezidiert allwissenden Perspektive schildert der Erzähler anfangs das normale Leben in diesem Ort ebenso wie die Verbrechen, kommentiert die Ereignisse und deutet auf spätere Entwicklungen hin. Dabei stellt sich – im Gegensatz zu beispielweise Arne Dahls „Bußestunde“ – im weiteren Verlauf nicht heraus, wer dieser Erzähler ist. Vielmehr entsteht durch diese Perspektive anfangs ein langsames Erzähltempo, das nach gut 50 Seiten deutlich anzieht. Weiterlesen

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„Abschied von Atocha“ von Ben Lerner

(c) Rowohlt

(c) Rowohlt

Wer kennt ihn nicht, den typischen Protagonisten vieler amerikanischer Ostküsten-Romane: ein mehr oder minder erfolgreicher Schriftsteller, im Disput mit sich selbst oder seiner Umgebung, der in New York lebt und sich an seine Zeit im europäischen Ausland erinnert. Im Gegensatz zu diesen Protagonisten ist der jungen amerikanische Lyriker Adam Gordon noch ganz am Anfang seines literarischen Lebens, ja, er versteht sich selbst noch nicht einmal als Lyriker, sondern ist überzeugt, er gebe nur vor, ein Lyriker zu sein. Mit einem vermeintlichen Projekt über den spanischen Bürgerkrieg hat er ein Stipendium für einen Auslandsaufenthalt in Madrid erhalten und lebt nun ein Jahr lang in einer kleinen Wohnung an der Plaza Santa Ana. Sein Tag beginnt mit einem Kaffee und einem Joint, dann sieht er sich Bilder im Prado an, schlendert durch den Park, nimmt beständig Tabletten und durch seine anfangs geringen Spanischkenntnisse versteht er nicht immer, was seine Freunde ihm erzählen. Weiterlesen

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Zum 80. Geburtstag – Louis Begley und ich

Louis Begley (c) Jerry Bauer

Louis Begley (c) Jerry Bauer

Vor ungefähr fünf Jahren habe ich „Ehrensachen“ von Louis Begley gelesen, ein Buch über die Freundschaft dreier junger Männer in Harvard der 1950er Jahre: Sam und Archie stammen aus reichen Elternhäusern, während ihr Zimmergenosse Henry rothaarig, schlecht angezogen und zudem jüdisch ist. In einer Zeit, in der Herkunft alles ist, will Henry Zugang zu der Welt von Sam und Archie, er will Zugang zum amerikanischen Traum. Beim Lesen entwickelte dieses Buch einen eigentümlichen Sog, dem ich mich kaum entziehen konnte. Dennoch las ich es immer nur zwischendurch und kam nur sehr langsam voran, merkte aber, wie es eindringlich es war.

(c) Suhrkamp

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Dennoch folgte auf „Ehrensachen“ eine jahrelange Pause meiner Begley-Lektüre, so dass ich erst jetzt für einen Beitrag über US-Literatur, die im Herbst hierzulande neu erscheint, abermals auf ihn und sein aktuelles Buch „Erinnerungen an eine Ehe“ traf. Wieder faszinierte er mich mit seiner kleinen Geschichte über eine unglückliche Ehe, die zu einer bitterbösen Analyse des amerikanischen Traums führt. Zwischenzeitlich kann ich besser benennen, warum mich Louis Begley fasziniert: Es ist sein kühler, sezierender Blick, es ist die Gnadenlosigkeit seiner Figuren, zu denen der Erzähler und auch der Autor dennoch so viel Zuneigung hegt.

(c) Suhrkamp

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Am deutlichsten wird es wohl bei „Schmidt“, jenem Buch, das hierzulande vor allem durch die Verfilmung mit Jack Nicholson bekannt ist und mich in den Urlaub begleitete. Begleys Schmidt ist der frühpensionierte, einst hoch angesehene und wohlhabende New Yorker Anwalt Albert Schmidt, der von dem frühen Tod seiner Frau aus der Bahn geworfen wird. Immerhin hatte er sich doch ihretwegen früher zur Ruhe gesetzt. Nun offenbart ihm auch noch seine Tochter Charlotte, dass sie heiraten werde – und zwar ausgerechnet Schmidts Kanzleikollegen Jon Riker. Zusehends flüchtet sich Schmidt in Einsamkeit und Verbitterung, einzig die junge puertoricanische Kellnerin Carrie scheint seine harte Schale zu durchbrechen. Wahrlich ist Schmidt kein angenehmer Zeitgenosse, aber Louis Begley begleitet ihn mit so viel Zuneigung, dass ich ihn unweigerlich ins Herz geschlossen habe. Und fast nebenbei liefert Louis Begley noch eine vielschichtige Analyse der Gesellschaft ohne in Geschwätzigkeit zu verfallen.

Es ist diese klare Sprache, die kühle Analyse und die erzählerische Leichtigkeit, die ich an Louis Begley schätze. Im Gegensatz zu vielen Kollegen braucht er keine Vollständigkeit, keine bis ins letzte Detail auserzählte Geschichte. Vielmehr setzt er auf kleinere Leerstellen, die Deutung erlauben. Vor allem aber ist er ein Erzähler mit einem gnadenlos scharfen Blick für Lebenslügen und Selbsttäuschungen – schlichtweg ein großartiger Schriftsteller.

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Louis Begley: Ehrensachen. Übersetzt von Christa Krüger. Suhrkamp 2008.

Louis Begley: Schmidt. Übersetzt von Christa Krüger. Suhrkamp 1999.

Louis Begley: Erinnerungen an eine Ehe. Übersetzt von Christa Krüger. Suhrkamp 2013.

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Krimi-Kritik: „Manhattan Fever“ von Walter Mosley

(c) Suhrkamp

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Leonid McGill ermittelt wieder! In dem vierten Band der Reihe um den New Yorker Privatdetektiv wird Leonid abermals mit den Folgen seines vergangenen Tuns konfrontiert: Vor einigen Jahren hat er geholfen, Zella Grisham mit fingierten Beweisen für einen Raubüberfall ins Gefängnis zu bringen, den sie nicht begangen hat. Doch nun hat er – im Zuge seiner Läuterung – unauffällig für ihre Freilassung gesorgt, ihr eine Wohnung und einen Job besorgt. Doch dummerweise kann er seine Schuldgefühle auf diese Weise nicht loswerden: Ein Anruf der damals bestohlenen Versicherungsfirma kostet Zella Wohnung und Anstellung. Aber nicht nur das: Sie scheint von Unbekannten bedroht zu werden, die ebenso Leonid McGill das Leben schwer machen wollen. Also versucht er herauszufinden, was damals geschehen ist – und muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass er seinen Vater wiederfinden könnte und seine Geliebte Aura Ullman zu ihm zurückkehren möchte. Weiterlesen

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„Der amerikanische Architekt“ von Amy Waldman

(c) Schöffling

(c) Schöffling

Eine Kommission aus Kunstsachverständigen, Historikern und Hinterbliebenen soll entscheiden, wessen Entwurf als Denkmal für den 11. September 2001 am Ground Zero erbaut wird. Es sind schwierige Diskussionen, die letztlich auf zwei Entwürfe hinauslaufen: einen Garten und „das Nichts“, einen hohen Quader aus schwarzem Granit. Über die Architekten wissen sie nichts – und schließlich gelingt es der Hinterbliebenen-Vertreterin Claire, die Jury von dem Garten-Entwurf zu überzeugen. Als der Name des Architekten bekannt wird, sind alle Anwesenden schockiert: Es handelt sich um Mohammed Khan, einen Muslim. Aber darf ein muslimischer Architekt das Denkmal am Ground Zero bauen – und darf man diese Frage überhaupt stellen?

Eine Lektüre, die wütend macht
In der Folge treffen in Amy Waldmans Roman „Der amerikanische Architekt“ Vorurteile auf Liberalismus und unbequeme Fragen auf zu schnelle Antworten. Daher ist es vor allem Wut, die diese Lektüre begleitet: Wut über das Verhalten der Figuren, Wut über ihre Motive, Wut über ihre Fehler, Wut über die vielen Missverständnisse, Wut über das Nicht-Verstehen. Und genau damit trifft Amy Waldman den schmerzlichsten Punkt: Alle Reaktionen der Jury, ihrer Mitglieder, des Architekten und anderer beteiligter Charaktere sind nicht nur nachzuvollziehen, sondern sie erscheinen noch nicht einmal besonders unrealistisch. Wer sich die Empörung ansieht, die sich mühelos jeden Tag an den verschiedensten Themen entzündet, ahnt, dass die Wirklichkeit noch viel schlimmer ablaufen würde – gerade wenn es um Vorteile und einfache Urteile geht. Weiterlesen

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„The West Wing“ – Staffel 1

Vor lauter Begeisterung über „The West Wing“ weiß ich fast gar nicht, wo ich anfangen soll. Diese Dialoge! Diese Charaktere! Erwähnte ich schon die Dialoge? Sicherlich gibt es in der ersten Staffel noch viel mehr zu entdecken, als ich beim ersten Sehen wahrgenommen habe. Aber von der ersten Folge an bin ich dieser Serie verfallen – und weiß bereits jetzt, dass ich sie auf jeden Fall noch einmal, zweimal, dreimal sehen werde.

(c) WHV

(c) WHV

Großartige Charaktere
Vereinfacht gesagt erzählt „The West Wing“ von der Arbeit im Westflügel des Weißen Hauses, dem Teil des Gebäudes, in dem die offiziellen Büros des amerikanischen Präsidenten untergebracht sind. Neben dem Oval Office, dem Cabinet Room, dem Situation Room und dem Roosevelt Room befinden sich dort ebenfalls die Büros der Executive Offices und deren Angestellten. Dazu gehörten in der ersten Staffel von „The West Wing“ Leo McGarry (John Spencer), White House Chief of Staff, ein herrlich knurriger Politstratege der zweiten Reihe, der so ist, wie ich mir Peter Struck immer vorgestellt habe; Josh Lyman (Bradley Whitford), White House Deputy Chief of Staff, scharfzüngig, schlagfertig und romantischer als er zugeben mag; Toby Ziegler (Richard Schiff), White Communications Director, idealistisch, melancholisch, aufbrausend und mein bisheriger Lieblingscharakter; Sam Seaborn (Rob Lowe), Deputy White House Communications Director mit Frauenproblemen und Engagement, C.J. Cregg (Allison Janney), White House Press Secretary, die die Journalistenschar vor allem im Witz im Zaum hält und ein bißchen so ist wie ich gerne wäre; Mandy Hampton (Moira Kelly) als Media Consultant und natürlich Josiah Bartlet (Martin Sheen), Präsident der Vereinigten Staaten, sowie sein Personal Aide Charlie (Dulé Hill). Sie sind die Hauptcharaktere der ersten Staffel, allesamt differenziert und lebendig gezeichnet – einzig Mandy bleibt etwas blass und ist demzufolge im Verlauf der ersten Staffel immer weniger zu sehen. Weiterlesen

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„Abtauchen“ von Junot Díaz

Yunior lebt mit seinem älteren Bruder Rafa und seiner Mutter in Santo Domingo in der Dominikanischen Republik. Seine Mutter arbeitet in einer Schokoladenfabrik, das Geld ist ständig knapp und gelegentlich schickt sie ihre Söhne deshalb zu ihren tiós oder tiás, die eine Weile für sie sorgen. Der Vater ist vor einiger Zeit in die USA gegangen, aber er schickt nur unregelmäßig Geld und kaum einer weiß, ob er die Familie wirklich nachholen wird. Yunior kann sich kaum an ihn erinnern, kennt ihn im Grunde genommen nur von einem Foto. Als ein Besuch wieder einmal abgesagt wird, heult und schreit er dennoch tagelang – als würde er ahnen, dass ihm etwas fehlt. Später wird die Familie tatsächlich vom Vater in die USA geholt – und es ist Yunior, der mit seinem Vater und dessen Regeln die größten Schwierigkeiten hat.

Zehn Geschichten über hispanische Einwanderer erzählt Junot Díaz in seinem Erzählungsband „Abtauchen“, der bei Erscheinen 1996 bereits für Aufmerksamkeit sorgte. 9781573226066H Dazu trägt nicht zuletzt bei, dass es einige Parallelen zwischen seinen Protagonisten und dem Leben des Autors gibt. Sie stammen aus der Dominikanischen Republik und sind – wie Junot Díaz – in die USA eingewandert. Insbesondere bei Yunior, der Erzähler der meisten Geschichten dieses Bandes, gehen die Parallelen noch weiter: Weiterlesen

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