Krimi-Kritik: „Das Fest der Schlangen“ von Stephen Dobyns

„Wenn in einer Kleinstadt ein schreckliches Verbrechen geschieht, ist das eine Tragödie. Ein zweites ist ein Fluch.“

Brewster ist ein kleiner verschlafener Ort in Rhode Island. Normalerweise bekommt es die Polizei dort mit Verkehrssündern und Einbrechern zu tun, doch nun ist im Morgan Memorial Hospital das Baby der 16-jährigen Penny Summers verschwunden und an seiner Stelle fand die Nachtschwester Schlangen im Babybett vor. Schnell macht diese Nachricht die Runde in der Kleinstadt – und es wird nicht bei diesem einen Verbrechen bleiben. Stattdessen sehen sich der reizbare Woody und sein Partner Bobby mit angriffslustigen Kojoten, Satanisten und anderen Kulten konfrontiert, die die Ermittlungen immer undurchschaubarer machen.

(c) C. Bertelsmann

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In seinem Thriller „Das Fest der Schlangen“ stürzt Stephen Dobyns eine Kleinstadt in ein Chaos, das ebenso vollständig wie glaubwürdig ist. Aus einer dezidiert allwissenden Perspektive schildert der Erzähler anfangs das normale Leben in diesem Ort ebenso wie die Verbrechen, kommentiert die Ereignisse und deutet auf spätere Entwicklungen hin. Dabei stellt sich – im Gegensatz zu beispielweise Arne Dahls „Bußestunde“ – im weiteren Verlauf nicht heraus, wer dieser Erzähler ist. Vielmehr entsteht durch diese Perspektive anfangs ein langsames Erzähltempo, das nach gut 50 Seiten deutlich anzieht.

Brewster ist eine typisch amerikanische Kleinstadt mit ihren Dinern und Einfamilienhäusern, umliegenden Farmhäusern und einer Polizeistation. Zugleich aber – und dieser Vergleich wird allein schon durch zwei Zitate auf dem Buchumschlag evoziert – liegt der Handlungsort in Rhode Island im Neuengland Stephen Kings, an den ich im Verlauf der Lektüre das ein oder andere Mal denken musste. Auch die Bewohner flüchten sich lange in übernatürliche Erklärungen für die Ereignisse, doch Stephen Dobyns findet für nahezu alles fast schon allzu menschliche Beweggründe. Ohnehin verzichtet er in seinem Roman erfreulicherweise gänzlich auf unnötige Kompetenzstreitigkeiten zwischen den verschiedenen Polizeibehörden, auf Einmischungen und Intrigen. Stattdessen werden sowohl die Vor- als auch Nachteile einer Kleinstadt deutlich: Die Leute kennen einander, mögen sich oder nicht. Aber letztlich kümmern sie sich auch umeinander. Dadurch stehen die Figuren sehr stark im Mittelpunkt: Woody wurde gerade von seiner Freundin verlassen und wird von Wutanfällen heimgesucht, der kleine Hercel fürchtet sich vor seinem Stiefvater und der kommissarische Polizeichef sorgt sich darum, dass er bei dieser ganzen Geschichte keine gute Figur abgibt. Daneben gibt es Krankenschwestern, überforderte Mütter und emphatische Polizistinnen – wie in einer ganz normalen Kleinstadt.

Bald ist auszumachen, worin der eigentliche Fall besteht – dafür überschlagen sich die Ereignisse zu schnell und scheinen anfangs auch nicht unbedingt im Zusammenhang zu stehen. Doch Woody – die Figur, die dem Leser am nächsten ist – ahnt von Anfang an, dass er sich auf den Kern des ganzen Durcheinanders konzentrieren muss. Und wenigstens für ihn geht letztlich auch alles gut aus.

„Das Fest der Schlangen“ ist ein sehr guter Thriller, der nach dem etwas langsamen Anfang an Spannung zunimmt – und bis zur letzten Seite anhält. Außerdem ist in diesem Fall der deutsche Titel dem Originaltitel klar vorzuziehen: Während „Das Fest der Schlangen“ rätselhaft bleibt, verrät der amerikanische Titel für meinen Geschmack etwas zu viel (deshalb wird er hier auch nicht genannt).

Stephen Dobyns: Das Fest der Schlangen. Übersetzt von Rainer Schmidt. C. Bertelsmann 2013.

Andere:
Hammett

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