Wer kennt ihn nicht, den typischen Protagonisten vieler amerikanischer Ostküsten-Romane: ein mehr oder minder erfolgreicher Schriftsteller, im Disput mit sich selbst oder seiner Umgebung, der in New York lebt und sich an seine Zeit im europäischen Ausland erinnert. Im Gegensatz zu diesen Protagonisten ist der jungen amerikanische Lyriker Adam Gordon noch ganz am Anfang seines literarischen Lebens, ja, er versteht sich selbst noch nicht einmal als Lyriker, sondern ist überzeugt, er gebe nur vor, ein Lyriker zu sein. Mit einem vermeintlichen Projekt über den spanischen Bürgerkrieg hat er ein Stipendium für einen Auslandsaufenthalt in Madrid erhalten und lebt nun ein Jahr lang in einer kleinen Wohnung an der Plaza Santa Ana. Sein Tag beginnt mit einem Kaffee und einem Joint, dann sieht er sich Bilder im Prado an, schlendert durch den Park, nimmt beständig Tabletten und durch seine anfangs geringen Spanischkenntnisse versteht er nicht immer, was seine Freunde ihm erzählen.
Adam fühlt sich abgeschieden von der Welt, ein Exilant, ein Ex-Patrie, den im Gegensatz zu Hemingway und Co. nicht die wirtschaftliche Notwendigkeit oder das Abenteuer nach Europa zogen, sondern die finanzielle Verlockung eines Stipendiums. Dennoch will er diese Exil-Erfahrung, daher zieht er durch die Sprache einen Graben zu dem Rest der Welt, doch er kann nicht verhindern, dass er immer mehr versteht und diese Grenze durchlässig wird. Zugleich will er durch das Nicht-Verstehen geheimnisvoll erscheinen, aber auch hier kommen ihm insbesondere die Frauen, denen er begegnet, näher als er dachte.
Ben Lerners „Abschied von Atocha“ ist ein Roman, der sich vollends auf die Hauptfigur konzentriert, ohne dadurch egozentrisch zu werden. Vielmehr entsteht durch die vagen Sätze, vielen Anspielungen und Adams zögerliches Verstehen seiner Selbst ein bestechender Rhythmus. Da ihn in Madrid niemand kennt, kann sich Adam neu erfinden – und will eigentlich nur der von ihm empfundenen Durchschnittlichkeit entkommen. Er hat kein kaputtes Elternhaus, keine gestörten Eltern, sondern sie sind erstaunlich verständnisvoll, auch lebt er (noch) nicht in New York oder nur in der Nähe, wie es sich für den typischen Künstler gehören würde. Beständig reflektiert Adam sich selbst und sein Verhalten, bemüht sich um Anpassungen und Modifikationen. Dabei spielt Ben Lerner nicht nur mit den Klischees der amerikanischen Exil-Literaten, sondern auch den Erwartungen der Kunstwelt: Als die schöne Teresa in Adams Gedichten Kunst erkennt, will er auch ihren Bild entsprechen. Das führt zu weiteren Lügen, die ihn aber auch ein Stückchen der Wahrheit entgegen bringen. Dadurch ist „Abschied von Atocha“ ein moderner Künstlerroman und ein beeindruckendes Debüt, das geschickt über Heimatlosigkeit, Erwartungen, Sein und Schein philosophiert. Lesenswert!
Ben Lerner: Abschied von Atocha. Übersetzt von Nikolaus Strigl. Rowohlt 2013.