„Der amerikanische Architekt“ von Amy Waldman

(c) Schöffling

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Eine Kommission aus Kunstsachverständigen, Historikern und Hinterbliebenen soll entscheiden, wessen Entwurf als Denkmal für den 11. September 2001 am Ground Zero erbaut wird. Es sind schwierige Diskussionen, die letztlich auf zwei Entwürfe hinauslaufen: einen Garten und „das Nichts“, einen hohen Quader aus schwarzem Granit. Über die Architekten wissen sie nichts – und schließlich gelingt es der Hinterbliebenen-Vertreterin Claire, die Jury von dem Garten-Entwurf zu überzeugen. Als der Name des Architekten bekannt wird, sind alle Anwesenden schockiert: Es handelt sich um Mohammed Khan, einen Muslim. Aber darf ein muslimischer Architekt das Denkmal am Ground Zero bauen – und darf man diese Frage überhaupt stellen?

Eine Lektüre, die wütend macht
In der Folge treffen in Amy Waldmans Roman „Der amerikanische Architekt“ Vorurteile auf Liberalismus und unbequeme Fragen auf zu schnelle Antworten. Daher ist es vor allem Wut, die diese Lektüre begleitet: Wut über das Verhalten der Figuren, Wut über ihre Motive, Wut über ihre Fehler, Wut über die vielen Missverständnisse, Wut über das Nicht-Verstehen. Und genau damit trifft Amy Waldman den schmerzlichsten Punkt: Alle Reaktionen der Jury, ihrer Mitglieder, des Architekten und anderer beteiligter Charaktere sind nicht nur nachzuvollziehen, sondern sie erscheinen noch nicht einmal besonders unrealistisch. Wer sich die Empörung ansieht, die sich mühelos jeden Tag an den verschiedensten Themen entzündet, ahnt, dass die Wirklichkeit noch viel schlimmer ablaufen würde – gerade wenn es um Vorteile und einfache Urteile geht.

Daher erzürnt besonders Verhalten der vermeintliche liberalen Figuren, allen voran Claire. Sie wählt den Garten aus und hat als Vertreterin der Familien eine besondere Stellung in der Jury. Doch allzu bereitwillig hört sie Zweiflern zu, hinterfragt in keinem Moment den Inhalt der Einflüsterungsversuche einer Reporterin, obwohl sie sie als solche enttarnt. Sie will von dem Architekten Khan das Bekenntnis, dass er die Anschläge ablehnt – ein Bekenntnis, das sie von keinem andersgläubigen Amerikaner erwarten würde. Zugleich ist sie so zerrissen von ihren eigenen Unsicherheiten und dabei ständig um sich selbst besorgt, dass ihre Ohnmacht angesichts der Folgen ihrer Entscheidung ebenso wütend stimmt wie die vielen Selbstbetrügereien der anderen Figuren: Wenn sich die Reporterin Alyssa selbst beruhigt, nicht sie sei für die Folgen ihrer Beiträge verantwortlich, sondern Khan, der diese Artikel ja erst möglich gemacht habe, erschreckt so viel Verantwortungslosigkeit. Zumal Mohammed Khan – von seinen Freunden Mo genannt – in den USA aufgewachsen ist und bisher keinen Bezug zum Islam hatte. Vielmehr erscheint er als der Prototyp des ehrgeizigen, karriereorientierten Amerikaners, der in seinem Leben etwas erreichen will. Sicherlich hat er die Folgen des 11. Septembers bemerkt – beispielsweise wird er am Flughafen einer peinlichen Befragung unterzogen. Doch er will sich nicht eingestehen, dass er für einen von „denen“ gehalten wird. Die Diskussion um seinen Entwurf – ein Garten, der von seinen Gegnern als ein „Paradies für Märtyrer“ gedeutet wird–, die Ungerechtigkeiten und die Empörung verunsichern ihn zunehmend, so dass er sich ihnen verweigert und sich in Eitelkeit flüchtet. Dadurch erschwert er es Befürwortern, für ihn Partei zu ergreifen, und bleibt passiv. Jedoch sind alle diese Reaktionen und Verhaltensweisen in einer solchen Situation zu erwarten, ja, sie erscheinen verständlich.

Ein großer Gesellschaftsroman
Durch die Entscheidung der Jury entstehen immer mehr Fragen, die oft sehr schmerzlich sind: Sind ihre Zweifel an dem Entwurf legitim? Wird Ground Zero ein Mahnmal oder eine Stätte der Trauer für Angehörige sein? Dabei wird Amy Waldmans Roman wie Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ durch ein Ereignis und den daraus entstehenden Fragen zu dem Psychogramm der New Yorker Gesellschaft. Im Gegensatz zu beispielsweise Jonathan Safran Foer in „Extrem laut und unglaublich nah“ erzählt sie von einem einzelnen Schicksal oder dem einer Familie, sondern von den Folgen des Anschlags für die Angehörigen der Opfer, aber auch der Politiker, Einwanderer und Aktivisten. In ihren Dialogen werden Meinungen gegenübergestellt, so dass man beständig einige Positionen überprüfen kann. Oftmals wird klug argumentiert und fast nebenbei zeigt Amy Waldman, wie der Anschlag und dessen Folgen für verschiedenste Zwecke instrumentalisiert werden. Zugleich wird die Ohnmacht deutlich, die viele Menschen angesichts der Anschläge empfinden – und dadurch ist wie in Dave Eggers „Zeitoun“ auch nachzufühlen, wie sich extreme Strömungen in der Gesellschaft breit machen. Das macht Amy Waldmans „Der amerikanische Architekt“ zu einem beeindruckenden und klugen 9/11-Roman. Sehr lesenswert!

Amy Waldman: Der amerikanische Architekt. Übersetzt von Brigitte Walitzek. Schöffling 2013.

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