Übers Bloggen (und Twitter)

Seit ungefähr drei Jahren nehme ich mir regelmäßig vor, wieder häufiger und dafür kürzer zu bloggen – mit offensichtlich wenig Erfolg. Das hat Gründe: Mittlerweile werde ich meist dafür bezahlt, dass ich über Krimis schreibe, und ich will diesen Blog nicht zur reinen Zweitverwertungsstelle machen. Außerdem habe ich insbesondere im vergangenen Jahr so viel gearbeitet, dass für den Blog einfach keine Zeit mehr geblieben ist.

In den vergangenen Monaten habe ich nun viel über die und meine Kommunikation im Internet nachgedacht. Anlass war die Übernahme von Twitter durch einen größenwahnsinnigen, gefährlichen Milliardär. Sie hat mich zunächst dazu gebracht hat, meinen Twitter-Account nicht mehr zu nutzen. Ich war gespannt, wie das für mich wird, Twitter war immer „mein“ soziales Netzwerk. Ich habe so einige Menschen darüber kennengelernt, mit denen ich teilweise mittlerweile auch Kontakt im Offline-Leben habe und befreundet bin. Gerade bei Festivals war es toll, dadurch mit Leuten ins Gespräch zu kommen, das habe ich erst voriges Jahr beim African Book Festival erlebt. Dazu war Twitter eine meiner Nachrichtenquellen und Plattform zum Bewerben eigener Inhalte. Ich habe dort viel gelernt über die Welt, meine Perspektive hat sich fraglos erweitert – und das finde ich toll.

Aber schon vor dem Verkauf hatte sich einiges verändert: Weiterlesen

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Deutscher Krimi-Preis 2022

Und die nächste Jury-Entscheidung, an der ich beteiligt war, kann ich heute bekanntgeben: die Preisträger*innen des Deutschen Krimi-Preises stehen fest. Der Preis wird zum 39. Mal vergeben – ich habe mich über das Ergebnis sehr gefreut.

National:

1. Platz: Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen (Suhrkamp)

2. Platz: Oliver Bottini: Einmal noch sterben (Dumont)

3. Platz: Sybille Ruge: Davenport 160×90 (Suhrkamp)

 

International:

1. Platz: Riku Onda: Die Aosawa-Morde (Atrium) deutsch von Nora Bartels

2. Platz: Jacob Ross: Die Knochenleser (Suhrkamp) deutsch von Karin Diemerling

3. Platz: Cherie Jones: Wie die einarmige Schwester das Haus fegt (CulturBooks) deutsch von Karen Gerwig

 

Die Jury: Volker Albers (Hamburger Krimifestival) / Andreas Ammer (ARD) / Claudia Denker (Buchhandlung Chatwins, Berlin) / Jens Dirksen (WAZ Kultur) / Monika Dobler (Krimibuchhandlung glatteis, München) / Christiane Dreiling (Buchladen Neusser Straße einzigundartig, Köln) / Joachim Feldmann (Kritiker) / Tobias Gohlis (Krimikolumnist Die ZEIT) / Günther Grosser (Kritiker) / Sonja Hartl (Kritikerin) / Cornelia Hüppe (Krimibuchhandlung Miss Marple, Berlin) / Reinhard Jahn (Bochumer Krimi Archiv) / Christian Koch (Krimibuchhandlung Hammett, Berlin) / Alf Mayer (Kritiker CrimeMag) / Torsten Meinicke (Buchladen in der Osterstraße, Hamburg), Peter Münder (Kritiker) / Ulrich Noller (WDR) / Michaela Pelz (krimi-forum.de) / Thomas Przybilka (BoKAS) / Kirsten Reimers (Kritikerin) / Robert Schekulin (Kritiker, Buchhändler) / Jan C. Schmidt (kaliber38.de) / Joachim Schneider-Sacotte (Kritiker) / Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau) / Bettina Thienhaus (Kritikerin) / Jutta Wilkesmann (Krimibuchhandlung Die Wendeltreppe, Frankfurt) / Thomas Wörtche (Kritiker) Die Kritiker:innen der Jury stimmen nicht für Titel, an deren Veröffentlichung sie aktiv beteiligt sind. Thomas Wörtche stimmt zudem ausdrücklich nicht für Titel des Suhrkamp Verlags.

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Krimibestenliste 2022 – Die zehn besten Kriminalromane des Jahres

Jeden Monat stimme ich bei der Krimibestenliste ab und einmal im Jahr dann stimmen wir über das ganze Jahr ab. Heute wurde sie veröffentlicht, die Krimibestenliste des Jahres 2022. Eine kommentierte Liste mit mehr Informationen und ein PDF zum Herunterladen gibt es im Blog von Jury-Sprecher Tobias Gohlis.

(1) Riku Onda: Die Aosawa-Morde. Aus dem Japanischen von Nora Bartels. Atrium 2022. 568 Seiten.

(2) Sybille Ruge: Davenport 160×90. Suhrkamp 2022.

(3) Christoffer Carlsson: Was ans Licht kommt. Aus dem Schwedischen von Ulla Ackermann. Rowohlt 2022. 492 Seiten.

(4) Åsa Larsson: Wer ohne Sünde ist. Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger, Holger Wolandt. Bertelsmann 2022. 590 Seiten.

(5) Jacob Ross: Die Knochenleser. Aus dem Englischen von Karin Diemerling. Suhrkamp 2022. 376 Seiten.

(6) Oliver Bottini: Noch einmal sterben. DuMont 2022. 476 Seiten.

(7) Andrej Kurkow: Samson und Nadjeschda. Aus dem Russischen von Johanna Marx und Sabine Grebing. Diogenes 2022. 367 Seiten.

(8) Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen. Suhrkamp 2022. 265 Seiten.

(9) Cherie Jones: Wie die einarmige Schwester das Haus fegt. Aus dem Englischen von Karen Gerwig. CulturBooks 2022. 325 Seiten.

(10) Dror Mishani: Vertrauen. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Diogenes 2022. 351 Seiten.

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Netzfund: Literature Map

In dem Blog von Anke Gröner habe ich einen Link zu Literature Map gefunden – und musste es natürlich sofort ausprobieren. Das Prinzip ist einfach: Ich gebe eine*n Autor*in ein, dann werden mir weitere Autor*innen angezeigt, die mir auch gefällen könnten. Wie auf der Seite steht: „It is based on Gnooks, Gnod’s literature recommendation system. The more people like an author and another author, the closer together these two authors will move on the Literature-Map.“

Mein erster Versuch war mit Deborah Levy:

Die Schnittmenge zwischen den Autorinnen, die dort stehen, und die ich gerne lese, ist tatsächlich sehr groß. Allen voran natürlich Rachel Cusk, aber das ist nun wirklich auch eine offenkundige Verbindung. Candice Carty-Williams indes schon weniger oder auch Shirley Jackson, dennoch finde ich es sehr plausibel, dass sie dort stehen. Also musste ich natürlich noch weitere Namen durchtesten.

Zum Beispiel Mieko Kawakami:

Hier gefällt mir, dass es nicht nur um die Herkunft geht, sondern dort eine Menge junger feministischer Autorinnen steht. Sicherlich gibt es einige Lücken, gerade bei Debüt-Autor*innen. So kennt die Seite weder Wayétu Moore, Alia Trabucco Zéran noch Tomi Obaro, durchaus aber Abi Daré. Jacob Ross und Femi Kayode kennt sie nicht, Tade Thompson schon – offenbar aber eher als Science-Fiction. Autor. Auch gibt es nicht zu jedem Namen sehr viele Treffer:

Und da frage ich mich tatsächlich, worin diese Nähe wohl besteht. Wobei: auch mir stehen alle die im Regal.  Aber für mich ist mit der größte Spaß, dass manche Ergebnisse gleich interessante Einsichten mitliefern: So konstatiert die Seite eine enge Verbindung zwischen Simone Buchholz und Garry Disher. Offenbar bin ich nicht die einzige, die sowohl Derek Raymond als auch Hilary Mantel gerne liest. Und nicht nur das: Jennifer Egan ist eine meiner Lieblingsautorinnen – und sie steht ziemlich nah an Derek Raymond, was auf eine hohe Übereinstimmung deutet. Faszinierend.

 

Ergänzung: Leider ist es nicht nur ein harmloser Spaß, darauf hat mich Orkun Ertener unter meinem FB-Post aufmerksam gemacht. Auch Adolf Hitler wird dort als Autor geführt – und durch ihn kann man dann gleich eine ganze Reihe rechtsextremistischer Rassisten stoßen, die der Algorithmus einem “empfiehlt”.

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Eine Anmerkung zu Sybille Ruges „Davonpart 160×90“

(c) Suhrkamp

Seit Monaten will ich etwas schreiben zu Sybille Ruges sensationellen Debütroman „Davenport 160×90“ – und habe es die ganze Zeit nicht geschafft. Nun wurde bereits einiges zu diesem Roman gesagt und geschrieben, vielem stimme ich zu. Die Sprache ist großartig – sie kühn und treibt voran, ohnehin ist das Tempo hoch in diesem Roman. Er steckt voller Anspielungen, Referenzen und Verweisen – vieles wird im CrimeMag aufgedeckt, dort findet sich auch eine Plotzusammenfassung und viele weiterführende Hinweise in Alf Mayers begeistertem Text.

Tatsächlich wird Heiner Müller in den Reaktionen häufig genannt, diese Referenz ist ja durch den Paratext des Buches auch angelegt. Aber da gibt es etwas, was ich hinzufügen möchte. Denn ich musste beim Lesen nicht an Heiner Müller denken. Sondern an Derek Raymond. Genauer: Derek Raymond, in dessen „Nightmare on the streets“ es den Polizisten Kleber regelrecht zugrunde richtet, dass seine geliebte Frau an seiner Stelle gestorben ist. Natürlich gibt es stilistische Unterschiede, auch ist das Buch anders aufgebaut. Aber: in der wuchtigen, sprachlich scharfen Beschreibung der Trauer, die existentiell ist und sowohl Kleber als auch Sonja Slanski wirklich bis in die Knochen erschüttert, sind diese Bücher gewissermaßen aus einem ähnlichen Geiste heraus geschrieben – sie sind beide novels in mourning.

So hat Raymond in seinen „Hidden Files“ (dt.: Die verdeckten Dateien, Dumont Noir 1999. Übersetzt von Michael K. Iwoleit, Reinhold H. Mai) den Noir-Roman beschrieben: „Mit dem Wort Dasein meine ich den einzige für die Menschheit gültigen Vertrag. (…) Dieser Vertrag ist die Grundlage des Noir-Romans, dessen Abscheu vor der Gewalt, die so genau wie möglich geschildert wird, um Menschen daran zu erinnern, wie widerlich sie ist, ihn dazu veranlaßt, gegen jeden Tod zu protestieren, der einen Menschen vor seiner Zeit ereilt, und das ist es, was ihn zu einem Roman in Trauer macht.“ (S.129)

Aber es ist nicht der Tod, den Sonja Slanski betrauert – in ihm spiegelt sich auch eine Trauer über die Gesellschaft wider, die ihre eigenen Fehlentwicklungen hinnimmt und Verwerfungen für „normal“ hält. In beiden Büchern trauern zwei zutiefst nihilistische Menschen: Sonja Slanski glaubt an nichts und niemanden, sie verdient Geld mit Deals, die anderen zu schmutzig sind, einzig ihr russischer Ziehvater vermag es gelegentlich ihr eine Freude zu machen, indem er ihr etwas teures und abwegiges schenkt. Sonja Slanski erwartet nichts mehr, sie hat womöglich nie etwas erwartet. Aber dann weckt dieser Tod eine Wut, eine eiskalte und gefährliche Wut (wie z.B. die des namenlosen Sergeants in „Ich war Dora Suarez), die sie zu dem Täter führt. Kleber richtet seine Trauer zugrunde, er verfällt vor Leid und Schmerz dem Wahnsinn. Nur die Liebe, die ist für ihn überall, sogar wenn er zerschossen am Boden liegt.

Sybille Ruge: Davenport 160×90. Suhrkamp 2022. 264 Seiten. 15 Euro.

Mehr Derek Raymond und u.a. “Nightmare on the streets” gibt es auch in der ersten Folge meines Podcasts “Abweichendes Verhalten”, die unter diesem Link und bei allen gängigen Podcatchern sowie Spotify finden ist.

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Rezeption von “Ein einsamer Ort”

Die Neu-Übersetzung (Übersetzung: Gregor Runge) von Dorothy B. Hughes „Ein einsamer Ort“ lenkt nun erfreulicherweise Aufmerksamkeit auf diese von mir sehr geschätzte Autorin und deshalb verfolge ich die Rezeption aufmerksam – und dachte mir, ich könnte meine Gedanken dazu einfach mal aufschreiben.

Überrascht habe ich an verschiedenen Orten gelesen, sie ‚stelle hardboiled-Konventionen auf den Kopf‘ (so oder ähnlich formuliert). Das mag aus heutiger Sicht so anmuten und ich verstehe auch, was damit gesagt werden soll, aber: Dorothy B. Hughes hat die meisten ihrer Kriminalroman in den 1940er Jahren geschrieben, „In a lonely place“ erschien 1947 – sie stellt diese Konventionen nicht auf den Kopf, sondern das, was wir als hardboiled-Konventionen sehen, ist viel zu eng gefasst, weil diese Konventionen eben nicht die Bücher von Hughes und anderen Autorinnen mit einbezogen haben. Stattdessen wurden diese Erzählkonventionen vor allem aus den Werken von Chandler und Hammett – meist unter Nicht-Berücksichtigung einiger Unterschiede – und vielleicht noch von Cain abgeleitet. Durch die Formulierung , Hughes stelle etwas auf Kopf, wird diese historische Engfassung bestätigt, sie sollte aber meines Erachten korrigiert werden. Deshalb passt es schon eher, Dix Steele als Gegenstück zu Philip Marlowe zu sehen (wie Fritz Göttler in der SZ schreibt).

Interessant sind auch andere Positionierungen. In der Würdigung in der FAZ war zu lesen, dieser Kriminalroman spiele in einer Liga mit Hammett, Chandler und Cain – dieses Buch wohlgemerkt, nicht die Autorin selbst. Aber auch das reduziert Hughes auf dieses eine Buch und übersieht andere gute Werke von ihr. (Über zwei rede ich in der Folge zu Hughes in meinem Podcast.)

Sylvia Staude freut sich in der FR über diese Wiederentdeckung – und merkt auch an, dass Hughes Name nicht fällt, wenn vom amerikanischen Noir die Rede ist, obwohl sie zu Lebzeiten durchaus erfolgreich war. Und Eva Sager bezeichnet Hughes als “Pionierin des amerikanischen Noirs”. Und die Überschrift führt bei Hans-Peter Eggenbergers Würdigung in die Irre: dort steht, es sei der erste Serienmörder-Roman, im Text aber wird das relativ zu einer der ersten.

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Covers in distress – „Sie sind ein schlecher Bulle, gnädige Frau“ von Lydia Tews

Anfang der 1980er Jahre gab es so einige Autorinnen, die mit Ermittlerinnen auf dem deutsch- und englischsprachigen Krimi-Markt Bücher in Erscheinung traten. Cover- und Titelgestaltung sind wichtige Paratexte und gerade im Hinblick auf die (intendierte) Rezeption dieser Bücher eine wahre Fundgrube. Deshalb starte ich hiermit eine lose Reihe. Den Anfang macht:

Lydia Tews: Sie sind ein schlechter Bulle, gnädige Frau. Erscheinen bei Knaur 1982.

Lydia Tews war eine der ersten Autorinnen, die eine Krimi-Reihe mit einer Polizistin hatte und so ist eine Frau auf dem Cover zu sehen. Allerdings frage ich mich, was genau diese Frau eigentlich in dem Auto – ein wirklich hübscher R4 – macht. Tot ist sie nicht, denn ihre Füße sind klar angespannt. Sucht sie etwas? Warum hat sie dann ihren linken Schuh verloren? Und es sieht auch so aus, als würde sie eher auf dem Rücken liegen bzw. maximal auf der Seite. Hatten R4s überhaupt Handschuhfächer? Liegt sie in dem Auto, um sich auszuruhen? Wartet sie auf jemanden? Nochmal: Warum hat sie nur einen Schuh an? Meine erste Assoziation war, dass sie so halb im Auto liegt, weil sie eigentlich nur auf einen Mann wartet, der sie küsst. Deshalb auch der sinnlich verlorene Schuh. Nichts von dem passt zu einer professionellen Ermittlerin. Eine weitere Interpretation ist, dass das Cover eine Polizistin zeigt, die nachts ein verdächtiges Auto durchsucht, das von innen ziemlich hell beleuchtet ist. Dann sorgen die Beine und der elegant-leicht-lasziv-verlorene Schuh dafür, dass diese Frau möglichst feminin wirkt – und zwar trotz ihrer Arbeit.

Der Titel ist für mich eine klare Anspielung auf P.D. James „An unsuitable job for a woman“, im Original 1972 erschienen, wurde des bereits ein Jahr später von Heyne in der Übersetzung von Dietlinde Bindheim unter „Kein Job für eine Dame“ herausgebracht.

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