Netzfund: Literature Map

In dem Blog von Anke Gröner habe ich einen Link zu Literature Map gefunden – und musste es natürlich sofort ausprobieren. Das Prinzip ist einfach: Ich gebe eine*n Autor*in ein, dann werden mir weitere Autor*innen angezeigt, die mir auch gefällen könnten. Wie auf der Seite steht: „It is based on Gnooks, Gnod’s literature recommendation system. The more people like an author and another author, the closer together these two authors will move on the Literature-Map.“

Mein erster Versuch war mit Deborah Levy:

Die Schnittmenge zwischen den Autorinnen, die dort stehen, und die ich gerne lese, ist tatsächlich sehr groß. Allen voran natürlich Rachel Cusk, aber das ist nun wirklich auch eine offenkundige Verbindung. Candice Carty-Williams indes schon weniger oder auch Shirley Jackson, dennoch finde ich es sehr plausibel, dass sie dort stehen. Also musste ich natürlich noch weitere Namen durchtesten.

Zum Beispiel Mieko Kawakami:

Hier gefällt mir, dass es nicht nur um die Herkunft geht, sondern dort eine Menge junger feministischer Autorinnen steht. Sicherlich gibt es einige Lücken, gerade bei Debüt-Autor*innen. So kennt die Seite weder Wayétu Moore, Alia Trabucco Zéran noch Tomi Obaro, durchaus aber Abi Daré. Jacob Ross und Femi Kayode kennt sie nicht, Tade Thompson schon – offenbar aber eher als Science-Fiction. Autor. Auch gibt es nicht zu jedem Namen sehr viele Treffer:

Und da frage ich mich tatsächlich, worin diese Nähe wohl besteht. Wobei: auch mir stehen alle die im Regal.  Aber für mich ist mit der größte Spaß, dass manche Ergebnisse gleich interessante Einsichten mitliefern: So konstatiert die Seite eine enge Verbindung zwischen Simone Buchholz und Garry Disher. Offenbar bin ich nicht die einzige, die sowohl Derek Raymond als auch Hilary Mantel gerne liest. Und nicht nur das: Jennifer Egan ist eine meiner Lieblingsautorinnen – und sie steht ziemlich nah an Derek Raymond, was auf eine hohe Übereinstimmung deutet. Faszinierend.

 

Ergänzung: Leider ist es nicht nur ein harmloser Spaß, darauf hat mich Orkun Ertener unter meinem FB-Post aufmerksam gemacht. Auch Adolf Hitler wird dort als Autor geführt – und durch ihn kann man dann gleich eine ganze Reihe rechtsextremistischer Rassisten stoßen, die der Algorithmus einem “empfiehlt”.

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Eine Anmerkung zu Sybille Ruges „Davonpart 160×90“

(c) Suhrkamp

Seit Monaten will ich etwas schreiben zu Sybille Ruges sensationellen Debütroman „Davenport 160×90“ – und habe es die ganze Zeit nicht geschafft. Nun wurde bereits einiges zu diesem Roman gesagt und geschrieben, vielem stimme ich zu. Die Sprache ist großartig – sie kühn und treibt voran, ohnehin ist das Tempo hoch in diesem Roman. Er steckt voller Anspielungen, Referenzen und Verweisen – vieles wird im CrimeMag aufgedeckt, dort findet sich auch eine Plotzusammenfassung und viele weiterführende Hinweise in Alf Mayers begeistertem Text.

Tatsächlich wird Heiner Müller in den Reaktionen häufig genannt, diese Referenz ist ja durch den Paratext des Buches auch angelegt. Aber da gibt es etwas, was ich hinzufügen möchte. Denn ich musste beim Lesen nicht an Heiner Müller denken. Sondern an Derek Raymond. Genauer: Derek Raymond, in dessen „Nightmare on the streets“ es den Polizisten Kleber regelrecht zugrunde richtet, dass seine geliebte Frau an seiner Stelle gestorben ist. Natürlich gibt es stilistische Unterschiede, auch ist das Buch anders aufgebaut. Aber: in der wuchtigen, sprachlich scharfen Beschreibung der Trauer, die existentiell ist und sowohl Kleber als auch Sonja Slanski wirklich bis in die Knochen erschüttert, sind diese Bücher gewissermaßen aus einem ähnlichen Geiste heraus geschrieben – sie sind beide novels in mourning.

So hat Raymond in seinen „Hidden Files“ (dt.: Die verdeckten Dateien, Dumont Noir 1999. Übersetzt von Michael K. Iwoleit, Reinhold H. Mai) den Noir-Roman beschrieben: „Mit dem Wort Dasein meine ich den einzige für die Menschheit gültigen Vertrag. (…) Dieser Vertrag ist die Grundlage des Noir-Romans, dessen Abscheu vor der Gewalt, die so genau wie möglich geschildert wird, um Menschen daran zu erinnern, wie widerlich sie ist, ihn dazu veranlaßt, gegen jeden Tod zu protestieren, der einen Menschen vor seiner Zeit ereilt, und das ist es, was ihn zu einem Roman in Trauer macht.“ (S.129)

Aber es ist nicht der Tod, den Sonja Slanski betrauert – in ihm spiegelt sich auch eine Trauer über die Gesellschaft wider, die ihre eigenen Fehlentwicklungen hinnimmt und Verwerfungen für „normal“ hält. In beiden Büchern trauern zwei zutiefst nihilistische Menschen: Sonja Slanski glaubt an nichts und niemanden, sie verdient Geld mit Deals, die anderen zu schmutzig sind, einzig ihr russischer Ziehvater vermag es gelegentlich ihr eine Freude zu machen, indem er ihr etwas teures und abwegiges schenkt. Sonja Slanski erwartet nichts mehr, sie hat womöglich nie etwas erwartet. Aber dann weckt dieser Tod eine Wut, eine eiskalte und gefährliche Wut (wie z.B. die des namenlosen Sergeants in „Ich war Dora Suarez), die sie zu dem Täter führt. Kleber richtet seine Trauer zugrunde, er verfällt vor Leid und Schmerz dem Wahnsinn. Nur die Liebe, die ist für ihn überall, sogar wenn er zerschossen am Boden liegt.

Sybille Ruge: Davenport 160×90. Suhrkamp 2022. 264 Seiten. 15 Euro.

Mehr Derek Raymond und u.a. “Nightmare on the streets” gibt es auch in der ersten Folge meines Podcasts “Abweichendes Verhalten”, die unter diesem Link und bei allen gängigen Podcatchern sowie Spotify finden ist.

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Rezeption von “Ein einsamer Ort”

Die Neu-Übersetzung (Übersetzung: Gregor Runge) von Dorothy B. Hughes „Ein einsamer Ort“ lenkt nun erfreulicherweise Aufmerksamkeit auf diese von mir sehr geschätzte Autorin und deshalb verfolge ich die Rezeption aufmerksam – und dachte mir, ich könnte meine Gedanken dazu einfach mal aufschreiben.

Überrascht habe ich an verschiedenen Orten gelesen, sie ‚stelle hardboiled-Konventionen auf den Kopf‘ (so oder ähnlich formuliert). Das mag aus heutiger Sicht so anmuten und ich verstehe auch, was damit gesagt werden soll, aber: Dorothy B. Hughes hat die meisten ihrer Kriminalroman in den 1940er Jahren geschrieben, „In a lonely place“ erschien 1947 – sie stellt diese Konventionen nicht auf den Kopf, sondern das, was wir als hardboiled-Konventionen sehen, ist viel zu eng gefasst, weil diese Konventionen eben nicht die Bücher von Hughes und anderen Autorinnen mit einbezogen haben. Stattdessen wurden diese Erzählkonventionen vor allem aus den Werken von Chandler und Hammett – meist unter Nicht-Berücksichtigung einiger Unterschiede – und vielleicht noch von Cain abgeleitet. Durch die Formulierung , Hughes stelle etwas auf Kopf, wird diese historische Engfassung bestätigt, sie sollte aber meines Erachten korrigiert werden. Deshalb passt es schon eher, Dix Steele als Gegenstück zu Philip Marlowe zu sehen (wie Fritz Göttler in der SZ schreibt).

Interessant sind auch andere Positionierungen. In der Würdigung in der FAZ war zu lesen, dieser Kriminalroman spiele in einer Liga mit Hammett, Chandler und Cain – dieses Buch wohlgemerkt, nicht die Autorin selbst. Aber auch das reduziert Hughes auf dieses eine Buch und übersieht andere gute Werke von ihr. (Über zwei rede ich in der Folge zu Hughes in meinem Podcast.)

Sylvia Staude freut sich in der FR über diese Wiederentdeckung – und merkt auch an, dass Hughes Name nicht fällt, wenn vom amerikanischen Noir die Rede ist, obwohl sie zu Lebzeiten durchaus erfolgreich war. Und Eva Sager bezeichnet Hughes als “Pionierin des amerikanischen Noirs”. Und die Überschrift führt bei Hans-Peter Eggenbergers Würdigung in die Irre: dort steht, es sei der erste Serienmörder-Roman, im Text aber wird das relativ zu einer der ersten.

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Covers in distress – „Sie sind ein schlecher Bulle, gnädige Frau“ von Lydia Tews

Anfang der 1980er Jahre gab es so einige Autorinnen, die mit Ermittlerinnen auf dem deutsch- und englischsprachigen Krimi-Markt Bücher in Erscheinung traten. Cover- und Titelgestaltung sind wichtige Paratexte und gerade im Hinblick auf die (intendierte) Rezeption dieser Bücher eine wahre Fundgrube. Deshalb starte ich hiermit eine lose Reihe. Den Anfang macht:

Lydia Tews: Sie sind ein schlechter Bulle, gnädige Frau. Erscheinen bei Knaur 1982.

Lydia Tews war eine der ersten Autorinnen, die eine Krimi-Reihe mit einer Polizistin hatte und so ist eine Frau auf dem Cover zu sehen. Allerdings frage ich mich, was genau diese Frau eigentlich in dem Auto – ein wirklich hübscher R4 – macht. Tot ist sie nicht, denn ihre Füße sind klar angespannt. Sucht sie etwas? Warum hat sie dann ihren linken Schuh verloren? Und es sieht auch so aus, als würde sie eher auf dem Rücken liegen bzw. maximal auf der Seite. Hatten R4s überhaupt Handschuhfächer? Liegt sie in dem Auto, um sich auszuruhen? Wartet sie auf jemanden? Nochmal: Warum hat sie nur einen Schuh an? Meine erste Assoziation war, dass sie so halb im Auto liegt, weil sie eigentlich nur auf einen Mann wartet, der sie küsst. Deshalb auch der sinnlich verlorene Schuh. Nichts von dem passt zu einer professionellen Ermittlerin. Eine weitere Interpretation ist, dass das Cover eine Polizistin zeigt, die nachts ein verdächtiges Auto durchsucht, das von innen ziemlich hell beleuchtet ist. Dann sorgen die Beine und der elegant-leicht-lasziv-verlorene Schuh dafür, dass diese Frau möglichst feminin wirkt – und zwar trotz ihrer Arbeit.

Der Titel ist für mich eine klare Anspielung auf P.D. James „An unsuitable job for a woman“, im Original 1972 erschienen, wurde des bereits ein Jahr später von Heyne in der Übersetzung von Dietlinde Bindheim unter „Kein Job für eine Dame“ herausgebracht.

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Über „Müll“ von Wolf Haas

Im Grunde genommen lässt sich „Müll“ von Wolf Haas mit einem Satz besprechen: Wer die vorherigen acht Brenner-Romane mochten, wird auch diesen Roman mögen.

Die etwas längere Version geht folgendermaßen: Auf einem Wiener Mistplatz (in Berlin sagen wir dazu Recyclinghof) wird ein menschliches Knie gefunden. Es folgen weitere Leichenteile, nur das Herz fehlt. Die herbeigerufene Polizei hat schnell eine mögliche Erklärung gefunden: die Ex-Frau des Toten hat ihn getötet, entsorgt und ist nun auf der Flucht. Das sieht die Tochter des Paares aber anders – und nicht nur sie: der neue Mistler war mal bei der Polizei. Und deshalb sieht sich Simon Brenner die Sache etwas genauer an.

„Müll“ hat alles, was einen guten Brenner ausmacht: Zuallererst die Erzählstimme, die durch diese Geschichte führt und für allerhand Charme und bösen Witz sorgt. Die eigenwillige Mischung aus Verknappung und Ausführlichkeit. Dazu ist insbesondere der Anfang dieses Romans auf dem Mistplatz schlichtweg großartig: Mit wenigen Sätzen und originellen Charakteren schafft Haas eine so dichte, unwiderstehliche Atmosphäre – das muss man erst einmal können. Dazu gibt es diesem Roman so manche Witze, die nur funktionieren, weil man sich so bereitwillig auf die Erzählstimme einlässt: dass Kommissar Kopf immer aus dem Bauch heraus entscheidet. So geschrieben klingt es fast albern. Aber es ist bei Haas tatsächlich lustig.

Deshalb lese ich Haas einfach gerne – es gibt nicht viele, die einen so eigenen Sound und Stil haben, der niemals manieriert oder nur noch routiniert abgespult wirkt. Für die Krimibestenliste, bei der ich ausnahmsweise mitkommentieren durfte, habe ich es so formuliert: Gewohnt beiläufig. Gewohnt komisch. Gewohnt gut.

Wolf Haas: Müll. Hoffmann und Campe 2022. 288 Seiten. 24 Euro.

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Über die Highsmith-Verfilmung „Deep Water“ („Tiefe Wasser“)

Seit ich das erste Mal davon gehört, dass Adrian Lyne Patricia Highsmiths „Tiefe Wasser“ verfilmt, verfolgte ich diesen Film mit einer, ja, skeptischen Befürchtung. Denn Adrian Lyne ist bekannt für „erotische Psychothriller“, in denen in der Regel eine Frau amoralisch ist und den guten, armen, treuen Ehemann auf Abwege führt. Es sind Filme, wie sie heute kaum mehr gemacht werden, bei denen ich mich aber auch frage, wie ich sie wohl heute sehen würde. Der Trailer ließ dann Schlimmes befürchten – womit ich wirklich gar nicht gerechnet habe: „Deep Water“ ist ein unfassbar langweiliger Film. Und zwar noch nicht einmal langweilig-stylish, sondern einfach nur langweilig.

Inhaltlich hält er sich grob an die Highsmith-Vorlage: Vic Van Allen (Ben Affleck) ist ein reicher seltsamer Kauz, verheiratet mit der attraktiven Melinda Van Allen (Ana de Armas), die ihn vor den Augen der Gesellschaft der anderen Reichen und Schönen betrügt. Er gibt vor, ihre Affären stoisch hinzunehmen. Handlungsort im Film ist New Orleans, im Roman Neuengland. Die Verlagerung spielt aber lediglich für das Set Design eine Rolle: die Häuser sehen nach Louisiana und nicht Massachusetts aus, mehr aber nicht. Offenbar sind sie mit Paaren befreundet, die allesamt ebenfalls wohlhabend sind und sich ihre Zeit mit Partys vertreiben, auf denen sehr viel getrunken und über Sex geredet bzw. Sex gehabt wird. Aber das klingt nun schon spannender, als es jemals in diesem Film ist. Große Altersunterschiede zwischen den Paaren – auch Affleck und de Armas trennen 16 Jahre – sind dort eher Standard und werden nicht thematisiert. Auf einer Party behauptet Vic dann, er habe Melindas vorherigen „Freund“ ermordet. Das führt zu Gerüchten. Tatsächlich wird dieser „Freund“ später tot aufgefunden, aber im Film spielt das kaum weiter eine Rolle. Stattdessen guckt Ben Affleck weiter traurig in die Kamera und Ana de Armas trägt ein rückenfreies Kleid. Und auch das klingt nun wieder unterhaltsamer als es ist. Denn „Deep Water“ ist noch nicht einmal so schlecht, dass ich mich darüber aufregen oder amüsieren könnte. Weiterlesen

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Über „Am roten Strand“ von Jan Costin Wagner

Am Ende von „Sommer bei Nacht“ fragte ich mich, wie Jan Costin Wagner mit seiner Hauptfigur, dem pädophilen Polizisten Ben Neven, bloß weitermachen will. Nun: er macht in „Am roten Strand“ einfach weiter, wo er aufgehört hat.

Das Buch schließt gleich mehrfach an den Vorgänger an: der Fall, der dort aufgeklärt wurde, hat weitaus größere Dimension, so dass es eine bundesweite Ermittlung gibt, die sich insbesondere gegen vier Männer richtet, die Gewalt gegen Kinder verüben und Bilder sowie Videos davon vertreiben. Die Ähnlichkeiten des Falls in diesem Buch mit dem Fall auf dem Campingplatz von Lügde sind sicherlich nicht zufällig. Ganz vertraut Wagner aber diesem einen Fall doch nicht, dazu kommt eine Mordserie, die sich gegen die Verdächtigen richtet. Das ist schade, denn eigentlich braucht dieses Buch diesen zusätzlichen Strang nicht. Ohne ihn wäre noch deutlicher geworden, wie mühsam und kleinteilig diese Ermittlungen sein können – und es hätte auch Raum gegeben, um auf einen Aspekt des Falls zu verweisen, der auch in der öffentlichen Darstellung von dem Fall Lügde oft zu kurz kommt: das Versagen der öffentlichen Stellen, deren Aufgabe der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist – und auch die Tatsache, dass die Polizei bereits 2016 Hinweise auf die Taten bekommen hat. Weiterlesen

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