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#Metoo und die Liebe zum Film – Über Winnie M. Lis “Komplizin”

Films were my first love – and they will be my last

Mit ersten Lieben ist es so: sie sind nie ganz vorbei, allen Enttäuschungen und Desillusionierungen zum Trotz. Winnie M Lis Protagonistin und Erzählerin Sarah Lai geht es in „Komplizin“ ähnlich wie mir: Auch ihre große Liebe sind Filme – aber die Realitäten der Filmbranche, das System dahinter haben diese Liebe fast zerstört. Deshalb arbeitet die 39-jährige am Anfang dieses Romans als Dozentin für Drehbuchschreiben an einem Community College in New York. Es ist das Jahr 2017, #Metoo nimmt an Fahrt auf und auch Sarah Lai hat Geschichten, die sie erzählen könnte. Dinge, die sie gesehen hat, die sie erlebt hat – und die sie verschuldet hat.

Films of the future

Sie wartet innerlich regelrecht darauf, dass irgendwann jemand darauf kommt, was vor über zehn Jahren passiert ist. Und dann kontaktiert sie der New-York-Times- Journalist Thom Gallagher. Er will mit ihr über den Produzenten Hugo North reden, mit sie einst gearbeitet hat. Sarah Lai ist nicht überrascht, dass er über North reden will. Sie weiß nur anfangs nicht, wie viel sie ihm erzählen will. Aber dann erzählt sie ihm fast alles: Von ihren Anfänge als unbezahlte Praktikantin bei einer kleinen Produktionsfirma. Von dem harten Kampf für den Debütfilm des Regisseurs Xander Schulz, der glaubt, er sei ein Genie. Von dem Erfolg, wie er alles verändert hat. Und von den Dreharbeiten zu Schulz‘ zweiten Film, an dem Hugo North beteiligt war und der die damals noch unbekannte Schauspielerin Holly Randolph zum Star gemacht hat.

And films of the past

Sarahs Gespräche mit Thom sind der Rahmen ihrer Erzählungen, dazwischen sind kurze Abschriften von Interviews mit anderen Frauen abgedruckt, die an der Produktion des zweiten Films beteiligt waren. Dadurch entwirft Winnie M Li ein Bild der Filmbranche in den USA, das nah an der Wirklichkeit ist: Es geht letztlich nur um Macht und Geld. Sie hat selbst im Filmgeschäft gearbeitet, sie weiß, wie es dort zugeht und das merkt man in den unzähligen kleinen Beobachtungen: wie Fotos von Schauspielerinnen innerhalb von Sekunden aussortiert werden, weil sie nicht heiß genug sind; wie innerhalb einer Sekunde alle Schwarzen Schauspielerinnen aus dem Casting herausfallen, weil der weiße Regisseur die Figur „so“ nicht gesehen hat; wie sich Regisseure als „ally“ positionieren, weil sie niemals Gewalt angewendet haben, aber ihre eigene Teilhabe an einem sexistischen und rassistischen System komplett ausblenden. Dass eine Karriere in der Branche nur selten ohne Verbindungen oder Eltern gelingt, die das Geld haben, ihre Kinder während unbezahlter Praktika zu unterstützten – hier ist Sarah Lai die große Ausnahme, auch weil ihre Eltern chinesische Immigranten sind. Wie eine ganze Branche davon lebt, dass die Menschen, die in ihr arbeiten, schon immer genau davon geträumt haben – und damit niedrige Bezahlungen rechtfertigt. Es gibt Einblicke in das Casting, Dreharbeiten, Produktionsprozesse, Festivals und Preisverleihungen; es geht um den Unterschied zwischen Eisenstein und Tarkowski; über die Schwierigkeiten, eine junge chinesisch-amerikanische Frau als verantwortliche Produzentin anzuerkennen. Es gibt Reflexionen über das Schreiben und das Erzählen im Film. Manche Szenen sind wie für einen Film entworfen – es gibt Rückblenden, geschnittene Einstellungen, neu angesetzte Szenen.

To live without films

Winnie M Li hat auch selbst sexualisierte Gewalt erfahren – davon erzählt sie in ihrem Roman „Nein“ – und sich mit den Folgen auseinandergesetzt. Hier weitet sie diesen Blick auf ein ganzes System. „Komplizin“ macht sehr deutlich, warum ein mächtiger Mann wie Harvey Weinstein so lange mit allem durchgekommen ist – aber auch, warum es nach einigen größeren Enthüllungen deutlich ruhiger geworden ist. Weinsteins Machtmissbrauch hat innerhalb eines Systems stattgefunden, in dem viele Menschen mitbekommen haben, was er macht. Aber in dem es so viele Abhängigkeiten gibt, dass ein Aufbegehren mit großem Risiko verbunden ist. Deshalb schweigen viele Menschen (und schweigen auch weiterhin).

Would be impossible to do

Dazu kommt, dass es weiterhin ausreichend Menschen gibt, die glauben, sexualisierte Gewalt sei ein Teil der Branche, den man hinnehmen muss – sie würden es niemals sexualisierte Gewalt nennen. Für sie sind manche Frauen „Kanonenfutter“, wie sie Sarah Lais an einer Stelle bezeichnet. Es sei etwas, dass vor allem in Hollywood vorkommt. Der Titel „Komplizin“ deutet es schon an: es geht nicht nur darum, dass mächtige Männer ihre Macht missbrauchen, sondern auch dass die wenigen Frauen in der Branche oftmals nicht genau hinsehen, weil sie die Unterstützung dieser Männer nicht verlieren wollen. Sarah Lai ist perfekt positioniert: sie war selbst Anfang 20, als sie in der Produktionsfirma zu arbeiten angefangen hat, sie kämpfte darum, in einem sexistischen und rassistischen Umfeld wahr- und ernstgenommen zu werden. Deshalb rechtfertigt sie kleinere Vergehen, übersieht gewisse Dinge. Aber es kommt unweigerlich zu größeren Vorfällen. Manche Anfängerin werden sexuell ausgebeutet, andere – wie Sarah – werden zur Mitwisserin, zur Unterstützerin dieser Ausbeutung. Und es ist ihre Scham, sind ihre Schuldgefühle, die sie hindern, darüber zu sprechen. Aber das sieht sie erst jetzt mit Ende 30 deutlicher.

In this world of troubles – my films pull me through

„Komplizin“ erzählt davon, wie Frauen an diesem System teilhaben, aber es würdigt auch die Frauen, die sich dagegen gewehrt haben und weiterhin wehren. Dabei geben sich weder Winnie M Li noch Sarah Lai der Illusion hin, dass sich nun fundamental etwas ändern wird. Von Anfang ist klar, wie die Geschichte laufen wird – denn leider haben wir sie schon oft gehört. Aber dass sie erzählt wird, ist ein Anfang. Und dazu passt perfekt die große Desillusionierung, die Sarah Lais Liebe zum Film erlitten hat, die aber nicht dazu geführt hat, dass sie von der Arbeit mit dem Film ganz die Finger lassen konnte. Vermutlich braucht sie einfach nur ein bisschen Zeit, die Liebe zum Film scheint nämlich unverbrüchlich.

Winnie M Li: Komplizin. Übersetzt von Stefan Lux. Herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp 2023. 475 Seiten. 18 Euro.

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Ein Ende des Jugendwahn in Hollywood?

Heute Morgen habe ich einen Artikel mit der Überschrift „Hollywood beendet Jugendwahn“ in der Online-Ausgabe der Rheinischen Post gelesen. Der vermeintliche Beweis: Meryl Streep ist die erfolgreichste Schauspielerin dieser Tage und sie sei ja immerhin schon 61 Jahre alt. Aber reicht das aus?

Meryl Streep 2008 (c) Andreas Tai

Lange Zeit galt sicherlich, dass Frauen ab 40 keine Rollen mehr in Hollywood bekommen, aber wie in fast allen gesellschaftlichen Bereichen hat sich auch hier die Grenze verschoben. Frauen wie Julia Roberts haben die 40 überschritten und spielen weiterhin in Filmen mit. Unter anderem als böse Königin in einer Neuverfilmung von „Schneewittchen“, aber auch in einer romantischen Komödie mit Tom Hanks. Darin ist sicherlich ein Trend erkennbar, Filme für ein älteres Publikum zu drehen – denn diese Zuschauer gehen noch ins Kino und laden die Filme nicht im Internet. Aber auch wenn Meryl Streep erfolgreicher war als „Angelina Jolie, Kristen Stewart oder Keira Knightley“ ist sie doch die einzige Schauspielerin dieser Generation, die derart erfolgreich ist. Klar, Helen Mirren hat einen Oscar gewonnen – für die Darstellung von Königin Elisabeth. Und auch der Oscar für die 50-jährige Melissa Leo ist vor dem Hintergrund, dass sie in „The Fighter“ die Mutter des immerhin fast 40-jährigen Mark Wahlberg spielt, kein Beleg für das Ende des Jugendwahns in Hollywood. Darüber hinaus wurden ältere Frauen schon immer für einen Oscar nominiert, allein sagt die Nominierung nur wenig über den Erfolg aus. Und ältere Schauspielerinnen im Publikum hat man wenigstens bei der diesjährigen Verleihung so gut wie gar nicht gesehen.

Grundsätzlich möchte ich dem Tenor des Artikels ja gar nicht widersprechen: Ja, es gibt mehr Rollen für ältere Frauen als noch vor einigen Jahren. Es ist begrüßenswert, dass die 50-jährige Julianne Moore für Bulgari und die 65-jährige Diane Keaton für L’Oreal werben. Und es ist schön, dass mittlerweile auch Frauen jenseits der 40 in Sex-Szenen zu sehen sein dürfen. Aber diese Veränderungen entsprechen dem Trend einer veränderten Wahrnehmung und hängen meines Erachtens zum großen Teil mit der Erschließung neuer Zielgruppen zusammen. Denn wie weit wenigstens Hollywood ist, zeigt schon ein Blick auf besagte „beispielhafte“ Meryl Streep auf dem Plakat zu „Wenn Liebe so einfach wäre“, deren Gesicht arg retuschiert wurde. Anscheinend sind Falten für die Werbeabteilung doch nicht so sexy. Und abgesehen davon spielt sie in einem ihrer nächsten Projekte die Mutter von Julia Roberts – im wahren Leben zwar möglich, aber auch schwer vorstellbar. Deshalb glaube ich, bei aller positiven Tendenz, dass von einer Beendigung des Jugendwahns noch lange nicht gesprochen werden kann.

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