Scorsese-Filme und Twitter-Battle

Heute beginnt bei ARTE eine Woche im Zeichen von Martin Scorsese, in der bis zum 26. Oktober sechs Spielfilme und eine Dokumentarfilmreihe zu sehen ist. Den Auftakt macht heute um 20:15 Uhr „Goodfellas“, direkt im Anschluss gibt es die dreiteilige Reihe „Eine Reise mit Martin Scorsese durch den amerikanischen Film“. Außerdem werden an den nächsten Tagen noch „Zeit der Unschuld“, „Hexenkessel“, „New York, New York“, „Taxi Driver“ und „The King of Comedy“ gezeigt. Das verspricht doch über eine Woche lang gutes Fernsehen!

Begleitend gibt es bis zum 31. Oktober bei Twitter Battle der „Gangs of Scorsese“ statt. Dort treten sechs Banden gegeneinander an, die sich für jeweils einen der ausgestrahlten Filme einsetzen. Gewonnen hat die Gang, deren Hashtag am Ende des Spiels am häufigsten verwendet wurde – und ihr winken verschiedene Preise, gestiftet von der Cinémathèque Française im Paris. Ich bin mit der kino-zeit.de-Redaktion in der Taxi-Driver-Gang – und wenn ihr mögt, schließt euch uns doch an und twittert, retweetet und favorisiert möglichst häufig alles mit dem Hashtag #GangofTaxi!

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Filmfest Hamburg – Tagebuch 3

Langsames WLAN und viel Arbeit tragen dazu bei, dass ich nicht so viele Filme gucke, wie ich gucken wollte, und nicht so viel blogge, wie ich bloggen wollte. Und nun ist für mich das Filmfest Hamburg schon fast vorbei, morgen geht es zu privaten Verabredungen nach Köln, dann kurz nach Berlin und am Mittwoch zur Buchmesse. Aber noch heißt es Filmfest.

Aufgefallen ist in den letzten Tagen, dass Kollegin Sophie (Filmlöwin) und ich in erstaunlich vielen Filmen zusammensaßen – sie guckt vornehmlich Filme von Frauen, ich aus Skandinavien und da gab es in diesem Jahr viele Überschneidungen. Ohnehin die Skandinavier: Die beiden Filme, die mir bisher am besten gefallen haben („Long Story Short“, „Rosita“) sind aus Dänemark, von einer Frau gedreht und haben noch keinen Verleih. Deshalb fange ich jetzt schon einmal an zu bedauern, dass das Bild des skandinavischen Kinos hierzulande einfach unvollständig bleibt, wenn es nur aus schwarzen Komödien wie „Men & Chicken“, Filmen mit Schnee und ein paar Kriegsdramen besteht.

Ansonsten habe ich bisher einige ganz gute Filme („Mustang“, „Son of Saul“) gesehen, der große Knaller war aber noch nicht dabei. Es mag daran liegen, dass ich die asiatische Sektion völlig außen vor lassen, allerdings bleibt mir dieses Jahr auch fast keine Zeit für Entdeckungen außerhalb des „Pflichtprogramms“ (zu besprechende und skandinavische Filme). Aber fünf Filme warten noch bis morgen Mittag auf mich. Vielleicht ist ja noch ein Knaller dabei.

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FFHH15: „Long Story Short“

Bestimmte Geschichten begegnen einem im Kino immer wieder. Dazu gehört auch die von einer Gruppe von Freunden, die im Verlauf des Films durch allerhand Beziehungen, Trennungen, Krankheiten und so weiter geht. Eine solche Geschichte erzählt der dänische Film „Long Story Short“ von May el-Toukhy auf ungemein warme, kluge, witzige und rührende Art und Weise.

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Der Film beginnt am Silvesterabend. Ellen (Mille Lehfeldt) liegt mit Sebastian (Ola Rapace) im Bett, er hat ihr ein Armband geschenkt und muss dann los. Der Handlungsort wechselt, Anette (Trine Dyrholm) bereitet eine Party vor und freut sich mit ihrer Freundin Maya (Danica Curic) auf eine Feier. Nach und nach treffen die Gäste ein, darunter ist Sebastian mit seiner Ehefrau sowie – mit Verspätung – Ellen, Ellens guter Freund Ralf (Peter Glantzler), Rolfs Schwester Bolette (Dya Josefine Hauch) und ihr Mann Adam (Janus Nabil Bakrawi), später wird auch noch Anettes Cousin Max (Jens Albinus) dazu stoßen. Im Verlauf des episodischen Films werden diese Freunde bei Hochzeiten, Namenstagen, zu Mittsommer und anderen Ereignissen aufeinander treffen, dadurch folgt der Film ihren Leben über Jahre hinweg. Es gibt neue Lieben, Trennungen, Geburten und Tod. Das eigentlich dramatische Ereignis geschieht dabei oftmals zwischen diesen Feiern, auf denen die Auswirkungen zu spüren sind und besprochen werden. Auf diese Weise wird man nach und nach ein Teil dieser Clique der Ende 30-, Anfang 40-jährigen, die mit ihren bisher getroffenen Entscheidungen zurechtkommen und deren Konsequenzen tragen müssen. Deshalb werden inmitten der Leichtigkeit der Feier lebensnahe – und schwierige – Fragen verhandelt: Kann man den Partner verlassen, mit dem man Kinder hat? Was passiert, wenn die große Liebe Kinder will, man selbst aber nicht? Man erkennt die Typen und Gespräche wieder, weil sie im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis zu finden sind. Denn wer kennt sie nicht, die Frau, die immer den Versprechen eines Mannes glaubt, obwohl sie und man selbst wissen, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Aber sie will seine Lügen für wahr halten – und als Freundin kann man nichts anderes tun, als sie auf die Wahrheit hinzuweisen und im Trennungsfall für sie da zu sein (bei einer Szene ging ein sehr kollektiver Seufzer durch das gesamte Publikum). Oder die Paare, die einfach jetzt nicht mehr zusammenpassen, obwohl sie einst so gut harmonierten – oder bei denen immer einer zurückstecken muss.

Zu dieser Lebensnähe kommen kluge Dialoge, erwachsenes Verhalten der Figuren, eine warme und präzise Kameraarbeit sowie eine nicht nur namhafte, sondern auch sehr gute Besetzung. Gerade Mille Lehfeldt ist sehr überzeugend als Ellen, die allzu leicht ein zu neurotischer Charakter hätte werden können. Aber so hofft man mit ihr auf ein gutes Ende – wohlwissend, dass es im Leben manchmal anders läuft.

Lang historie kort – Trailer from Det Danske Filminstitut on Vimeo.

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Filmfest Hamburg – Tagebuch 2

Eine der größten Herausforderungen bei einem Filmfest sind nicht Warteschlangen, nicht-funktionierende Ticketdrucker oder Vordrängler, sondern das Essen Wenn man am Tag – wie ich gestern schrieb – vier Filme guckt, über zwei schreibt, noch andere Arbeit erledigt und mit Kollegen plaudert, bleibt nicht viel Zeit zum Essen. In Hamburg sind die Bedingungen eigentlich gut: In der Nähe der beiden Kinos, in denen die Pressevorstellungen laufen, befinden sich Restaurants und Bäckereien (Abaton) oder ein Bahnhof (CinemaxX). Abgesehen von den beiden Kinos war ich bisher nur im Passage-Kino, auch dort gibt es Bäckereien usw. in der Nähe. Aber aufgrund der Zeit bleibt meist nur Zeit für ein Nahrungsmittel, das man mitnehmen und im Hotelzimmer oder in einer Schlange essen kann. Und da ich kein Fleisch esse, bleiben mir in der Regel Käsebrötchen – (in München entscheidend variiert durch Laugengebäck in allen erdenklichen Formen). Sie sind mit Hauptnahrungsmittel bei Filmfestivals, bei denen ich im Hotel wohne. Deshalb war mein Erschrecken groß, als ich am zweiten Tag hier in Hamburg feststellte, dass ich keine Lust auf Käsebrötchen habe. Das wird schwer in den nächsten Tagen.

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Ansonsten war mein Tag straff durchgetaktet: Vormittags blieb ich im Hotel um zu arbeiten, ab 12:30 Uhr sah ich vier Filme: „Unter dem Sand“ und „Harry Me“ werde ich für kino-zeit.de besprechen, über den sehr schönen „Long Story Short“ folgt ein separater Beitrag und daher bleibt noch „Nice People“, ein Film über ein somalisches Bandy-Team. Bandy würden wir wohl eher als Eis-Fußball bezeichnen: Es ist ein Spiel wie Eishockey nur statt Puck gibt es eine Art Fußball, außerdem sind die Schläger kürzer und ich vermute mal, dass auch die Regeln anders sind. Jedoch erzählt der Dokumentarfilm weniger über die Sportart als vielmehr von den Menschen rund um diese Idee: Der Schwede Patrik Andersson hatte die Idee, ein somalisches Team bei den Bandy-Weltmeisterschaften in Sibirien anzumelden – er wollte damit die Integration der vielen Somalier unterstützen, die in seinem Heimatort Borlange leben. Also folgt der Film seinen Bemühungen, das Team zu finanzieren, außerdem werden die somalischen Spieler immer wieder von dem Unterhaltungsduo Fredrik Wikingsson and Filip Hammar befragt. Diese Interviewsituationen vor der Kamera erinnern sehr an Castingshow-Gespräche, die die Kandidaten rund um den Auftritt führen. Ohnehin soll „Nice People“ wohl witzig sein, wird aber oft auch unfreiwillig komisch, so dass ich mich fragte, ob es wirklich ein Dokumentarfilm oder nicht eher eine Mockumentary ist (ist es nicht). Daneben gibt es plumpe Versuche, die Zuschauer mit emotionalen Geschichten zu rühren, die mich wiederum an gecastete Sendungen im Fernsehen erinnerten. Und dass die Kamera immer wieder Probleme zu fokussieren hatte, sollte vielleicht ein filmisches Mittel sein, dessen Sinn sich mir aber nicht erschloss. Alles in allem also ein Film, bei dem ich mich frage, warum er – abgesehen von der thematischen Aktualität – hier zu sehen ist.

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Filmfest Hamburg 2015 – Tagebuch 1

Auf ein Filmfest zu fahren klingt erst einmal sehr verlockend – wer will denn nicht den ganzen Tag Filme gucken? Und es ist auch tatsächlich eine sehr schöne Sache, die ich sehr genieße. Doch es gibt auch immer wieder falsche Vorstellungen von dem, was bei einem Filmfest tatsächlich abläuft. Da ich nicht privat hier bin, sondern beruflich, bedeutet es zunächst, dass ich nicht nur Filme ansehe, sondern im Schnitt über zwei Filme am Tag schreibe. Die Zeit brauche ich zusätzlich zu den sechs bis acht manchmal zehn Stunden, die ich im Kino sitze. Zwischendurch muss ich Karten für Vorstellungen holen oder zwischen den Kinos hin- und herfahren, dann muss ich noch essen und möchte mit Kolleginnen und Kollegen ein Bier trinken. Ihr ahnt längst, worauf es hinausläuft: Es sind großartige, aber auch lange Tage auf einem Filmfestival.

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Hinzu kommt, dass nicht alle Filme gut sind, manche müssen einfach durchgesessen werden. Außerdem bin ich nicht völlig frei in meinen Entscheidungen, welche Filme ich sehe. Manche muss ich sehen – weil sie einen Starttermin haben und ich sie gegen Bezahlung rezensieren kann (schließlich müssen die Unkosten für Anreise, Unterkunft und Verpflegung gedeckt werden) oder weil sie für den Filmdiskurs wichtig sind. Dadurch fallen auch Filme weg, die ich gerne sehen möchte, weil sie mich persönlich interessieren. Weiterlesen

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Ausgerechnet „The D-Train“

Beim Filmfest München 2015 habe ich zufällig kurz hintereinander drei amerikanische Komödien gesehen: „The Overnight“, „Dope“ und „The D-Train“ und schließlich mit Erstaunen festgestellt, dass weder die wunderbare Paar-Beziehungs-Sex-Komödie „The Overnight“ noch der wirklich gelungene Coming-of-Age-Ghettokid-Streifen „Dope“ einen Starttermin in Deutschland hat, sondern die unsympathische, menschenverachtende Looser-Komödie „The D-Train“. Vermutlich hängt damit zusammen, dass Jack Black die Hauptrolle spielt, eine andere Erklärung habe ich dafür jedenfalls nicht.

(c) Sony Pictures

(c) Sony Pictures

Jack Black spielt Dan Landsman, einen Typen, der schon in der High School ignoriert wurde, obwohl er sich stets um Aufmerksamkeit bemühte und zu den coolen Leuten gehören wollte. Mittlerweile ist er erwachsen, hat eine tolle Frau und einen fantastischen Sohn, aber das bedeutet ihm nichts. Er will immer noch beliebt und beneidet werden – insbesondere von den Leuten, mit denen er zur Schule gegangen ist. Also trumpft er bei der Organisation der 20-jährigen Highschool Reunion richtig auf und behauptet, er sei mit Oliver Lawless (James Marsden) befreundet und könne ihn zum Klassentreffen mitbringen. Lawless war nämlich der coole Außenseiter, in den alle irgendwie verliebt waren, der die Highschool abbrach und nach Los Angeles ging, um Schauspieler zu werden. Nun hat Oliver ihn in einer landesweiten Werbung gesehen und glaubt, mit Lawless an seiner Seite wird er endlich der coole Typ sein, der er immer sein wollte. Also betrügt und belügt er seinen sympathischen Chef und seine Familie, reist nach Los Angeles und drängt sich Lawless auf. Dabei ist für alle offensichtlich, dass Lawless den Durchbruch eben nicht geschafft hat, sondern einer der vielen gut aussehenden Kleindarsteller in Hollywood ist. Aber sie bieten einander dankbar die Projektionsfläche, die sie brauchen: Lawless kann sich bewundert und erfolgreich, Oliver beliebt und cool fühlen. Daher ziehen sie durch die Clubs, feiern und erleben die Nacht ihres Lebens, der schließlich in einem „One-Night-Stand“ mündet – zwischen Oliver und Lawless. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Spielarten der Rache“ von Seamus Smyth

Diesem Buch „einfach den IRISH NOIR Stempel aufzudrücken“ sei Frank Nowatzki und seinem Pulp Master Verlag „zu platt“. Das steht in dem Begleitschreiben, das meinem Leseexemplar von „Spielarten der Rache“ beigegeben war. Tatsächlich klingt aber zunächst alles sehr irisch an diesem Buch: Seamus Smyth wurde in Belfast geboren – und erzählt die Geschichte von Red Dock, der dem Waisenhaus in die Unterwelt Dublins abtaucht und sich einigen Reichtum ergaunert. Allerdings arbeitet Red Dock vor allem sorgsam an seinem Racheplan, mit dem er sich an denjenigen rächen will, die ihn und seinen Bruder in das Waisenhaus gebracht haben. Und Red Dock ist nicht nur völlig gewissenlos und raffiniert, sondern auch äußerst geduldig – und weiß zudem, wie er Institutionen und Menschen manipuliert.

(c) Pulp Master

(c) Pulp Master

„Spielarten der Rache“ ist ein zorniges und düsteres Buch über die Folgen des institutionalisierten Missbrauchs, den tausende Kinder in kirchlichen Waisenhäusern, Erziehungsheimen und Arbeitsschulen erlebten. Sie wurden dort psychisch und physisch misshandelt und ausgebeutet, von Menschen, die für die katholische Kirche arbeiteten und vom Staat bezahlt wurden. Viele wussten, was in diesen Heimen vor sich geht, doch niemand unternahm etwas. Eine solche Kindheit übersteht man nicht ohne Schäden, in einem solchen Land ist ein Aufwachsen in Unschuld nicht möglich. Deshalb gibt es in „Spielarten der Rache“ auch keine ‚heile‘ Figur: Red Dock ist ein Anti-Held, der klug, raffiniert und absolut skrupellos ist, und sogar Lucille, das vermeintliche Opfer in seinem Racheplan, ist durch ihre Erfahrungen kalkuliert und egoistisch geworden.

Mit verschiedenen Perspektiven, die mühelos Zeiten wechseln, entspinnt sich daher in „Spielarten der Rache“ ein Inferno der Rache, das nur wenige überleben werden. Jahre werden in wenigen Sätzen abgehandelt, sogar in vielen Büchern enervierende Anrede des Lesers fügt sich hier hervorragend in den Stil ein. Als ein Serienmörder, der Frauen gewissermaßen zerschneidet, hinzu kommt, dachte ich für einen kurzen Moment, nun kippt der Roman. Aber bei Seamus Smyth ist er lediglich eine perfide Beigabe, die eine kleine Kursabweichung erfordert – und eine weitere Facette des eigentlichen Themas beleuchtet.
Und deshalb hat mit Seamus Smyth nun ein weiterer nordirischer Autor die deutschsprachige Krimilandschaft betreten, der eine sehr eigene Stimme hat. Sein Roman ist nicht durchdacht politisch wie Gene Kerrigans Bücher, erinnert mehr an die britische denn amerikanische Noir-Tradition als Adrian McKintys Reihen und nutzt anders als Eoin McNamees blue-Trilogie die Fakten, um eine vor Wut und Raffinesse nur so strotzende Fiktion zu schaffen. Ein mitreißendes, brutales Buch!

Seamus Smyth: Spielarten der Rache. Übersetzt von Angelika Müller und Ango Laina. Pulp Master 2015.

Nachtrag:
Im CrimeMag ist eine erweiterte Fassung des sehr interessanten Nachworts zu diesem Buch von Frank Nowatzki zu lesen, in dem er u.a. über die Publikationsgeschichte, Irland und den Autor schreibt.

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