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Krimi-Kritik: „Spielarten der Rache“ von Seamus Smyth

Diesem Buch „einfach den IRISH NOIR Stempel aufzudrücken“ sei Frank Nowatzki und seinem Pulp Master Verlag „zu platt“. Das steht in dem Begleitschreiben, das meinem Leseexemplar von „Spielarten der Rache“ beigegeben war. Tatsächlich klingt aber zunächst alles sehr irisch an diesem Buch: Seamus Smyth wurde in Belfast geboren – und erzählt die Geschichte von Red Dock, der dem Waisenhaus in die Unterwelt Dublins abtaucht und sich einigen Reichtum ergaunert. Allerdings arbeitet Red Dock vor allem sorgsam an seinem Racheplan, mit dem er sich an denjenigen rächen will, die ihn und seinen Bruder in das Waisenhaus gebracht haben. Und Red Dock ist nicht nur völlig gewissenlos und raffiniert, sondern auch äußerst geduldig – und weiß zudem, wie er Institutionen und Menschen manipuliert.

(c) Pulp Master

(c) Pulp Master

„Spielarten der Rache“ ist ein zorniges und düsteres Buch über die Folgen des institutionalisierten Missbrauchs, den tausende Kinder in kirchlichen Waisenhäusern, Erziehungsheimen und Arbeitsschulen erlebten. Sie wurden dort psychisch und physisch misshandelt und ausgebeutet, von Menschen, die für die katholische Kirche arbeiteten und vom Staat bezahlt wurden. Viele wussten, was in diesen Heimen vor sich geht, doch niemand unternahm etwas. Eine solche Kindheit übersteht man nicht ohne Schäden, in einem solchen Land ist ein Aufwachsen in Unschuld nicht möglich. Deshalb gibt es in „Spielarten der Rache“ auch keine ‚heile‘ Figur: Red Dock ist ein Anti-Held, der klug, raffiniert und absolut skrupellos ist, und sogar Lucille, das vermeintliche Opfer in seinem Racheplan, ist durch ihre Erfahrungen kalkuliert und egoistisch geworden.

Mit verschiedenen Perspektiven, die mühelos Zeiten wechseln, entspinnt sich daher in „Spielarten der Rache“ ein Inferno der Rache, das nur wenige überleben werden. Jahre werden in wenigen Sätzen abgehandelt, sogar in vielen Büchern enervierende Anrede des Lesers fügt sich hier hervorragend in den Stil ein. Als ein Serienmörder, der Frauen gewissermaßen zerschneidet, hinzu kommt, dachte ich für einen kurzen Moment, nun kippt der Roman. Aber bei Seamus Smyth ist er lediglich eine perfide Beigabe, die eine kleine Kursabweichung erfordert – und eine weitere Facette des eigentlichen Themas beleuchtet.
Und deshalb hat mit Seamus Smyth nun ein weiterer nordirischer Autor die deutschsprachige Krimilandschaft betreten, der eine sehr eigene Stimme hat. Sein Roman ist nicht durchdacht politisch wie Gene Kerrigans Bücher, erinnert mehr an die britische denn amerikanische Noir-Tradition als Adrian McKintys Reihen und nutzt anders als Eoin McNamees blue-Trilogie die Fakten, um eine vor Wut und Raffinesse nur so strotzende Fiktion zu schaffen. Ein mitreißendes, brutales Buch!

Seamus Smyth: Spielarten der Rache. Übersetzt von Angelika Müller und Ango Laina. Pulp Master 2015.

Nachtrag:
Im CrimeMag ist eine erweiterte Fassung des sehr interessanten Nachworts zu diesem Buch von Frank Nowatzki zu lesen, in dem er u.a. über die Publikationsgeschichte, Irland und den Autor schreibt.

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Krimi-Tipp: „Der katholische Bulle“ von Adrian McKinty

(c) Suhrkamp

Als ich vor zwei Jahren „Der sichere Tod“ von Adrian McKinty las, hat mich das Buch nicht überwältigt. Es hat mir gefallen, vor allem aber wurde ich das Gefühl nicht los, dass das ein Autor ist, den ich im Auge behalten muss. Nun ist im Juni bei Suhrkamp mit „Der katholische Bulle“ der Auftakt zu McKintys Sean-Duffy-Trilogie erschienen – und dieses Buch ist der bisher beste Polizeiroman, den ich in diesem Jahr gelesen habe.
Eine Besprechung des Romans ist in der August-Ausgabe des Magazins BÜCHER erschienen, aber auch hier möchte ich dieses Buch allen Lesern von hardboiled-Kriminalliteratur und Polizeiromanen sehr ans Herz lesen. Es toller Protagonist, eine spannende Geschichte und mit Belfast im Jahr 1981 ein unwiderstehliches, melancholisches Setting. Nach der letzten Seite wollte ich vor allem eines: Sofort den zweiten Teil lesen.

Adrian McKinty betreibt regelmäßig einen Blog, in dem er nicht nur Besprechungen seiner Bücher sammelt, sondern auch Beiträge über Kriminalliteratur im Allgemeinen und über sein Leben schreibt. Ich lese ihn jedenfalls gerne.

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Krimi-Kritik: „Blutige Fehde“ von Stuart Neville

(c) rütten & loenig

Lesern von Stuart Nevilles Erstling „Die Schatten von Belfast“ wird eine der Hauptfiguren seines zweiten Thrillers „Blutige Fehde“ besonders bekannt vorkommen: Der Ex-IRA-Killer Gerry Fegan mordete dort, um die Schatten seiner Vergangenheit loszuwerden, und brachte dabei den Friedensprozess in Nordirland in Gefahr. In „Blutige Fehde“ belästigen ihn abermals die Schatten seiner Taten: Bull O’Kane hat das damalige Gemetzel überlebt und will sich nun an Fegan rächen. Deshalb heuert er den Killer „Der Nomade“ an, der vorerst in Belfast alte Rechnungen für ihn begleicht, sein Hauptziel ist allerdings der mittlerweile verschwundene Fegan. Um ihn wieder nach Nordirland zu locken, will O’Kane ihn an seinem einzigen schwachen Punkt treffen und Marie und deren Tochter Ellen entführen – die einzigen Menschen, die Fegan etwas bedeuten.

Korruption und alte Seilschaften
Während Stuart Neville in seinem Debüt noch dem Geflecht aus Gewalt, Politik und Korruption in Nordirland nachspürte, konzentriert er sich in „Blutige Fehde“ vor allem auf Police Inspector Jack Lennon, Ellens biologischen Vater und damit vordergründig auf die Korruption in der Polizei. Weiterlesen

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