Krimi-Stöckchen: Best Blog

Und durch das Stöckchen von Dennis erinnerte ich mich wieder daran, dass ich seit ähm, März schon Fragen von Nicole beantworten wollte. Also schiebe ich sie noch schnell hinterher – verzichte aber ebenfalls auf die Weitergabe.

Kannst du dich noch an deinen allerersten Krimi erinnern?
Ich habe scharf nachgedacht und vermute, es waren entweder die TKKG-Romane, die ich als Kind verschlungen habe – oder Kästners „Emil und die Detektive“. Damals habe ich sie nicht bewusst als Kriminalroman gelesen, aber sie waren meine erste Begegnung mit der Spannungsliteratur.

Seit wie vielen Jahren liest du Krimis?
Krimis habe ich schon immer gelesen – also sagen wir mal, seit gut 30 Jahren. 🙂

Über welchen Krimi hast du dich zuletzt so richtig geärgert?

Hmm, Leena Lehtolaniens „Wer ohne Schande ist“ fand ich arg vorhersehbar und vor allem viel zu lang.

Muss es in einem Krimi für dich immer zwangsläufig eine Leiche geben?
Nein.

Krimis werden immer blutiger – wie findest du das?
Gewalt kann ein notwendiger Bestandteil eines Verbrechens sein, aber sie ersetzt niemals die Spannung. Deshalb ärgert es mich, wenn Autoren seitenlang alle ekligen Details einer Tat beschreiben und glauben, nun hätte sie eine düstere Atmosphäre geschaffen. Umgekehrt stört mich aber in Serien und Filmen die oftmals ästhetisierte Darstellung von wirklich brutalen Verbrechen. Da wird – typischerweise – eine Frau ermordet aufgefunden, die misshandelt etc. wurde, aber es ist kaum Blut zu sehen.

Thema Regionalkrimis – wie stehst du dazu?
Zunächst habe ich leichte Schwierigkeiten mit dem Begriff: Ein Regionalkrimi ist für mich ein Kriminalroman, in dem die Region eine wichtige Rolle spielt. Das würde beispielsweise auch auf Ritzels Berndorf-Romane zutreffen, die sehr feine und kluge Kriminalromane sind. Meist wird darunter aber eine andere Sparte verstanden: eine Art Komödienstadl, in denen eben nicht mehr ein Nebenbuhler auftritt, sondern ein Verbrechen geschieht, das dann möglich humoristisch, immer aber lieblos und ohne Raffinesse aufgeklärt wird. Dass solche Bücher dann das Entdecken guter Regionalkrimis (beispielsweise von Rainer Gross) erschweren, finde ich schade.

Amiland ist Thriller-Land. Haben wir deiner Meinung nach auch in Deutschland gute Thriller-Schriftsteller?
Die Unterscheidung zwischen Krimi und Thriller ist schwierig – beispielsweise stand unter Zoë Becks letzten Buch auch ‚Thriller’ und würde sie damit zur Thrillerautorin, würde ich sagen, wir haben in Deutschland gute Thrillerautoren. Auch Markus Stromriedels „Die Kuppel“ hat mir gut gefallen.

Wieviele Krimis muss jemand lesen, um sich deiner Meinung nach “Experte” nennen zu dürfen?
Da gibt es keine konkrete Zahl, sondern ein „Experte“ ist jemand, der sich in der Breite und Tiefe des Genres gut auskennt, mehr Autoren gelesen hat als Bestseller- und Kritikerlisten hergeben, Querverbindungen und Rückschlüsse ziehen kann, sich in der Geschichte des Genres auskennt und sich am Diskurs zur Kriminalliteratur beteiligt.

Gibt es auch einen Krimischriftsteller, den du so gar nicht leiden kannst?
Meine Abneigung richtet sich eher gegen eine literarische Richtung denn eine Person.

Stell dir vor, dir gefällt der Krimi, den du gerade liest, nicht. Abbrechen oder bis zum bitteren Ende durchhalten?
Lese ich ihn beruflich, lese ich ihn bis zum bitteren Ende. Lese ich ihn privat, würde ich ihn abbrechen.

Möchtest du selbst mal einen Krimi schreiben?
Ich sage sehr gerne mal, „wenn ich mal einen Krimi schreibe …“ oder „hätte ich diesen Krimi geschrieben …“, aber im Fiktionalen habe ich keine schriftstellerischen Ambitionen.

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Stöckchen: Liebster Award

Dennis von den Filmosophen hat mich mit dem „Liebster Award“-Stöckchen beworfen ausgezeichnet – und mir elf Fragen gestellt, die ich beantworten soll. Also:

Wie bist du zum Bloggen gekommen?
Aus Lust am Schreiben. Angefangen habe ich mit einem Blog zu Filmpreisen, das wurde mir aber thematisch bald zu eng.

Über was genau bloggst du?
Filme und Literatur – insbesondere skandinavische Filme, Literaturverfilmungen und Krimis.

Was ist dein Lieblingsfilm?
„Chinatown“ von Roman Polanski

Wieviele Filme (Kino, DVD, etc.) schaust Du in der Woche?
Im Durchschnitt dürfte es so fünf bis sechs Filme sein.

Mit welchem Filmstar (Regisseur, Schauspieler, etc.) würdest du gerne mal essen gehen?
Falls Jim Henson als Filmstar zählt, würde ich mich mit ihm gerne unterhalten – und nach einem Praktikum als Puppenspielerin oder Muppet-Sitterin fragen.

Welchem Filmstar (Regisseur, Schauspieler, etc.) bist schon einmal persönlich begegnet und hast dich mit ihm unterhalten?
Hmm, wo fängt das Starsein an? Toll fand ich insbesondere meine Interviews mit Jan Troell, Hans Petter Moland und Michael Roskam.

Gibt es ein anderes Thema über das du gerne Mal einen Blog schreiben würdest?
Grundsätzlich will ich immer sofort zu allem schreiben. Aber ich bin mit meiner Themenwahl schon sehr glücklich.

Welchen Film hättest du 2014 lieber nicht gesehen?
In San Sebastian habe ich den spanischen Film „Dying beyond their means“ gesehen, den ich sehr, sehr schlecht fand.

Auf welchen Film freust du dich 2015?
Wenn ich nur einen nennen darf, dann nehm ich „Far from the Madding Crowd“ von Thomas Vinterberg.

Auf welche Serie freust du dich 2015?
Auf „The Legacy“, die gleich Anfang 2015 auf DVD erscheint.

Ein Neujahrsvorsatz für 2015?
Fokussierter zu sein.

Auf das Weiterwerfen verzichte ich, da gefühlt alle anderen Blogs bereits mitgemacht haben. Oder täuscht der Eindruck?

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Filmblog-Adventskalender – Türchen #15

Nachdem ich im letzten Jahr bereits bei dem Adventskalender von Alex (Real Virtuality) mitgemacht und meine Liebe für Elmore Leonard erklärt habe, geht es in diesem Jahr zum einen mit dem Adventskalender weiter. An 24 Tagen veröffentlichen 24 BloggerInnen 24 Geschenkideen. Im Gegensatz zum letzten Mal sind die Posts nicht bei Real Virtuality zu finden, sondern jeder veröffentlicht seinen Geschenke-Tipp im eigenen Blog und Alex sammelt sie alle hier.

Zum anderen geht es auch mit meinen Liebeserklärungen weiter – in diesem Jahr an den Noir. Seit ich zum ersten Mal „Die Spur des Falken“ gesehen habe, ist es um mich geschehen. Ich habe ein Faible für Filmfiguren mit Hüten, Licht und Schatten und vor allem Düsternis, Ambiguität und Aussichtslosigkeit. Dürfte ich für den Rest des Lebens nur noch eine Art von Filmen und Büchern lesen, wäre es der Noir.

Und nun ist im Taschen-Verlag ein Buch erschienen, über das ich mich sehr freuen würde – wenn ich es nicht bereits hätte:

(c) Taschen Verlag

(c) Taschen Verlag

In „Film Noir. 100 All-Time Favorites“ versammeln die Herausgeber Paul Duncan und Jürgen Müller 100 Films noirs inklusive Vorläufern und Nachwehen. Von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ bis zu „Drive“ werden die ausgewählten Filme auf acht Seiten mit tollen Bildern, Informationen zur Handlung und Beteiligten sowie Statements aus Zeitungen, Interviews usw. vorgestellt. Eingeleitet wird das Buch mit drei Aufsätzen von Paul Schrader, Jürgen Müller und Jörn Hetebrügge sowie Douglas Keesey, die Einführungen zum Film noir, zum Stil und zum Neo-Noir liefern. Das Register versammelt dann insgesamt 1000 Filme – und sicher mag man über die Auswahl des einen oder anderen Films streiten, aber für einen unterhaltsamen Streifzug durch die Geschichte des Film noir ist dieses Buch perfekt geeignet. Und dabei überzeugt der rund 3 Kilogramm schwere Band insbesondere mit den tollen großformatigen Bildern – und ein Lesebändchen im Filmrollen-Stil.

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Krimi-Kritik: „Lady Bag“ von Liza Cody

„Ihr denkt, ich kenne mich mit dem System nicht aus? Ich hab nicht immer so ausgesehen wie jetzt, wisst ihr. Ich bin nicht hier draußen geboren. Wenn ihr euch zu schnell ein Bild von mir macht, seid ihr genauso bigott wie dieser miese Vogel.“ Klare Worte von der Baglady, Hauptfigur und Ich-Erzählerin in Liza Codys großartigem Kriminalroman „Lady Bab“. Einst geboren als Angela May Sutherland, lebt sie seit einer Gefängnisstrafe mit ihrem geliebten Greyhound Elektra auf der Straße. Meist hat sie eine Flasche Roten dabei, bettelt und schlägt sich eben so durch. Gleich im ersten Kapitel begegnet sie dem Teufel, einem Mann namens Gram Atwood, der sie einst überzeugte, für ihn ins Gefängnis zu gehen. „Ja, ich war Hausbesitzerin und Angestellte einer Bausparkasse. Ich hatte eine Vertrauensposition inne, und genau das wurde mir zum Verhängnis – ich hatte so viele Erwartungen enttäuscht. Ich war noch viel schlimmer als ein Dieb: Ich war eine schlechte Frau. Es gibt nichts Schändlicheres.“ Nun sieht sie den Teufel wieder und noch dazu in Begleitung einer Frau – so wie sie einst begleitet hat. Deshalb folgt sie ihm, hört eine Adresse, die er einem Taxifahrer nennt und ist überzeugt, sie müsse die Frau warnen. Als sie sie jedoch nach einem Theaterabend anspricht, versteht die Frau nichts – und hier durchbricht erstmals die Erzählperspektive. Bisher erschien alles Geschehen in Anbetracht der Trunkenheit der Erzählerin mehr oder weniger klar, als sie nun aber versucht, mit der Frau an des Teufels Seite Kontakt aufzunehmen, hört diese nur Genuschel. Damit wird eindrucksvoll deutlich, in welchem Zustand sich die Baglady befindet, sie ist eine alkoholkranke Obdachlose, eine betrunkene Pennerin, die in der Gosse lebt – und zugleich eine betörende Ich-Erzählerin.

(c) Ariadne

(c) Ariadne

Nachdem ihr erster Versuch der Kontaktaufnahme gescheitert ist, muss sie andere Wege finden, also sucht sie die Adresse auf, stolpert über eine Leiche, wird zusammengeschlagen, lernt die hinreißende Transsexuelle Schmister kennen, überlebt nur knapp einen Brand und ist doch stets überzeugt davon, dass sie den Teufel nicht zur Strecke bringen kann. Dem Erzählfluss kann man sich ebenso schwer entziehen wie den Wahrheiten, die die Baglady zwischendurch äußert. So etwas wie „Hass ist Liebe mit Maden, die ihr bei lebendigen Leib das Fleisch von den Knochen fressen. Er ist umgestülpte Liebe, das Innerste nach außen gekehrt, so dass Eingeweide und Weichteile offen daliegen, leichte Beute für die Maden und den sauren Regen. Das habe ich im Gefängnis gelernt. Hübsch, oder?“ Oder etwas schlichter und prägnanter: „Hoffnung ist die große Blenderin.“

„Lady Bag“ verlässt sich stark auf die Persönlichkeit der Ich-Erzählerin und ihren berauschenden Stil. Dadurch reflektiert dieser Roman aber auch die heutige Gesellschaft. Hier gibt es zum einen das Leben einer Obdachlosen auf der Straße und das Verhalten der ‚anderen’ Menschen, die sie um Geld bittet, denn „die meisten Leute (sehen) nicht ein, warum sie einer Erwachsenen, die immerhin noch aufrecht gehen kann, überhaupt was geben sollen – weshalb sich die meisten von uns auf den Boden setzen, so dass wir klein und verletzlich wirken. Man sollte nie größer sein als die Leute, die man um Geld bittet.“ Angesichts der Obdachlosen, die man tagtäglich in den Straßen sieht, trifft diese Beobachtung zu. Aber die Baglady will kein Mitleid und sie ist auch nicht bemitleidenswert, sondern man leidet mit ihr – mit ihrem Kampf, ihren Wahrnehmungen und der Ignoranz, die ihr entgegengebracht wird. Zum anderen gibt es einen größeren Kontext, der ihr Verbrechen einordnet: „Also wurde ich gut in dem, was ich bei der Arbeit tat. Banken lieben emsige kleine Arbeitsbienen. Jedenfalls bis die Bienen sich auch mal am Honig bedienen. Eine Bank toleriert Diebstahl erst ab dem Rang des Direktors. Ja, wenn man ungestraft stehlen will, muss man in großem Stil stehlen. Ganze Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds abgreifen.“ Und auch diese Beobachtung ist schlichtweg wahr.

„Lady Bag“ war mein erster Roman von Liza Cody – und am liebsten würde ich nun alles andere von ihr lesen. Denn dies ist ein hinreißender Kriminalroman, der berührt, unterhält und nachdenklich stimmt.

Liza Cody: Lady Bag. Übersetzt von Else Laudan. Argument 2014. (Als eBook bei CulturBooks.)

Nachsatz: Ich begann „Lady Bag“ Mitte November, musste es dann aber beiseite legen, weil fünf Bücher mit Redaktionsschluss gelesen und rezensiert werden wollten. Ungefähr bei der Mitte machte ich daher eine Pause. Am ersten Adventssamstag ging ich dann durch Hannover und auf einmal fielen mir die vielen Obdachlosen mit Hunden auf. Sicher habe ich sie vorher auch wahrgenommen, aber es war vermutlich ein beiläufiges zur Kenntnis nehmen, so als gehörten sie zum Innenstadtbild. Doch nun sah ich sie tatsächlich. Wenn mich jemand fragt, was für mich ein gutes Buch ausmacht, antworte ich immer, dass es meine Wahrnehmung der Welt ein wenig verändert – und auf „Lady Bag“ trifft das voll und ganz zu.

Andere:
Crimenoir
Krimilese
Krimi-Welt
My Crime Time
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Krimi-Kritik: „Die Wut“ von Gene Kerrigan

(c) Polar Verlag

(c) Polar Verlag

Lange Zeit schien es, als habe Irland wirtschaftlich den Anschluss verpasst, doch dann setzte Mitte der 1990er Jahre ein Boom ein: Arbeitsplätze wurden geschaffen, überall schossen neue Häuser und schicke Restaurants aus dem Boden. „Celtic Tiger“ wurde der sagenhafte Aufschwung genannt, der das Land veränderte. Dann kam die Finanzkrise von 2008, die Wirtschaft Irlands brach zusammen und hat sich noch lange nicht von dem Kollaps erholt.

Vor diesem Hintergrund spielt Gene Kerrigans Kriminalroman „Die Wut“, 2012 mit dem Gold Dagger Award ausgezeichnet. Im Mittelpunkt stehen drei Personen: Detective Sergeant Bob Tidey, ein guter Polizist, der mit den Jahren gelernt hat, dass die Wahrheit nicht immer richtig ist; der kleine Gauner Vincent Naylor, der gerade aus dem Gefängnis gekommen ist und versucht, falsche Dinge nur noch für viel Geld zu tun; und die ehemalige Nonne Maura Cody, die falsche Taten aus der Vergangenheit bereut. Sie alle versuchen ihren Weg in der neuen irischen Gesellschaft zu finden. Lange verlaufen ihr Handlungsstränge parallel und werden aus verschiedenen Perspektiven geschildert, dann bringt ein Zufall sie zusammen: Bob Tidy untersucht Bob den Mord an einem Banker, der zu Hause überfallen und mit einer Schrotflinte erschossen wurde, als ihn ein Anruf von Maura erreicht. Vor ihrer Haustür steht seit einigen Tagen ein Lieferwagen, der ihr verdächtigt vorkommt. Und dieser Lieferwagen spielt wiederum eine Rolle in dem Überfall, den Vincent Naylor mit seinem Bruder plant.

Gene Kerrigan (c) Derek Speirs

Gene Kerrigan (c) Derek Speirs

„Die Wut“ ist ein intelligenter Kriminalroman, der von einigen Mustern des Irish Noir wohltuend abweicht. Hier gibt es keinen ständig betrunkenen, kaputten Ermittler, sondern Bob Tidey, einen hilfsbereiten, pragmatischen Polizisten, der Kontakt zu seinen Zeugen und Spitzel hält, stets das Richtige tun will, aber nicht immer mit legalen Mitteln weiterkommt. Im Gegensatz zu anderen hartgesottenen Ermittlern in Noir-Romanen will er Teil des Systems bleiben – und zögert deshalb bei einer Handlung, die ihm richtig erscheint, ihn aber seinen Job kosten könnte. Hier gibt es auch keine schillernden Verbrecher, die lange Reden schwingen, sondern Vincent Naylor ist ein Dieb, der gerade acht Monate im Gefängnis saß, weil er sich von einem „Freak“ provoziert fühlte. Seither will er seine Wut unter Kontrolle halten und seine Verbrechen kalkuliert angehen, deshalb widersteht er der Versuchung, eine Verkäuferin zu vergewaltigen und arbeitet weiter an seinem Plan, einen Geldtransporter zu überfallen. Besonders gewalttätig geht er dabei nicht vor, und so werden auch die Verbrechen nicht in allen grausamen Details geschildert.

Am Beispiel eines Cops, eines Diebs und einer Nonne spürt Gene Kerrigan somit den gesellschaftlichen und politischen Implikationen in einem Land nach, das den Katholizismus gegen den Kapitalismus eingetauscht hat, in dem Aufrichtigkeit eine altmodische Eigenschaft zu sein scheint, Moral die Existenz bedroht und an die Stelle der Reue bei vielen die Wut getreten ist. Nach Einschätzung von Bob Tidey und Maura Coady sind die Iren besonders gut darin, Unrecht zu vergessen und zu verdrängen, bis es so hoch kocht, dass sie es nicht mehr übersehen können. Deshalb reicht nun der Mord an dem Banker aus, dass schon bald erste Molotov-Cocktails auf Banken fliegen und Immobilienmakler verprügelt werden. Und hier weit „Die Wut“ auf Ereignisse voraus, die Gene Kerrigan beim Schreiben des Romans kaum erahnen konnte. Denn gerade gehen die Iren auf die Straße, um gegen eine ‚Wassersteuer‘ zu protestieren, und lassen ihrer Wut freien Lauf.

Gene Kerrigan: Die Wut. Übersetzt von Antje Maria Greisiger. Polar Verlag 2014

Disclaimer: Mit dem Polar Verlag stehe ich in geschäftlichen Verbindungen, die haben aber keinen Einfluss auf diese Rezension gehabt.

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Kurzkritiken zu den Filmen der Nordischen Filmtage 2015, Teil 2

Und nach dem ersten Teil folgt hier die Fortsetzung der Kurzkritiken:

„Kapgang“ („Speed Walking“) von Niels Arden Oplev

©Photo: Rasmus Videbaek

©Photo: Rasmus Videbaek

Coming-of-Age-Gescichte eines 14-jährigen Jungen, dessen Mutter kurz vor seiner Konfirmation stirbt und der fortan gleichzeitig mit seiner Trauer und aufkeimenden Gefühlen sowohl für eine Klassenkameradin als auch seinen besten Freund konfrontiert wird. Durchaus ergreifend, aber insgesamt zu lang. Außerdem werden wie bei „Itsi Bitsi“ komische Szenen eingestreut, die den Film auflockern sollen – und auch hier geht es dabei meist um Sex.

„Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ von Roy Andersson

(c) Neue Visionen

(c) Neue Visionen

Ein wunderbar skurriler Film über die Absurditäten des Alltags, der großartige Momente und Tableaus schafft und den lustigsten running gag des Kinojahres hat. Dabei bleibt einem am Ende bei manchen Szenen das Lachen doch sehr im Halse stecken – und Roy Andersson vermag dem Geschehen und den Bildern immer eine Wendung zu geben. Das ist Film als Kunst! (Und selten habe ich im Nachhinein zu einem Film derart unterschiedliche Meinungen gehört.)

„Mein Leben unter der Regie von Nicolas Winding Refn“ von Liv Corfixen

©Photo: Tiberius

©Photo: Tiberius

Mit ihren zwei Kindern hat Liv Corfixen ihren Ehemann Nicolas Winding Refn zu den Dreharbeiten zu „Only God Forgives“ nach Thailand begleitet und ihre Aufenthalt dort gefilmt, um sich selbst mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sie fortan nur die „Ehefrau von …“ sein will. Der Film liefert aber vor allem interessante Einblicke in die Arbeit von Winding Refn – und somit stellt sich leider durchaus die Frage, ob dieser Film nicht doch eher Selbstvermarktung denn Auseinandersetzung mit Rollenbildern ist.

„Turist“ („Höhere Gewalt“) von Ruben Östlund

©Photo: Fredrik Wenzel

©Photo: Fredrik Wenzel

Durch eine Lawine wird eine gut situierte schwedische Familie in ihren Grundfesten erschüttert. Formal strikter, streng durchdachter Film über moderne Rollenbilder, der nach dem Abspann zu Diskussionen führt – und einige beeindruckende Bilder bietet. Dabei bietet der Filme verschiedene Ansatz- und Interpretationspunkte, die einen noch lange beschäftigen.

„Morgen ist auch noch ein Tag“ von Johan Carlsson und Pehr Arte

Roy Andersson (c) SFI

Roy Andersson (c) SFI

Johan Carlsson und Pehr Arte haben die Dreharbeiten zu Roy Anderssons „Das jüngste Gewitter“ begleitet und geben mit ihrer Dokumentation sehr aufschlussreiche Einblicke in die Arbeitsweise des schwedischen Regisseurs, dessen Filmproduktionen immer mehrere Jahre dauern. Dabei fängt der Film Anderssons Akribie, den kunstvollen Setbau seiner Filme, die begrenzten Mittel und nicht zuletzt die Arbeit im Team sehr interessant ein und ist somit ein sehr guter Einstieg in die Welt des Roy Andersson.

„Brev til kongen“ („Brief an den König“) von Hisham Zaman

(c) NFI

(c) NFI

Flüchtlinge aus einem Heim machen einen Tagesauflug nach Oslo und nutzen die Zeit für Rendezvous, Abrechnungen und Hilfsgesuchte. Das Drehbuch ist nicht ganz ausgereift, die schauspielerischen Leistungen differieren sehr und der Rhythmus stimmt nicht immer. Aber Hisham Zaman gewinnt seinem Thema interessante Aspekte ab, außerdem ist in den Bildern sein Talent oft zu erkennen. Ich bin auf weitere Filme von ihm gespannt.

„Blind“ von Eskil Vogt

(c) NFI

(c) NFI

Ein kunstvoll erzählter Film über eine Frau, die erblindet ist und ist nun mit ihrer neuen Situation abfinden muss. Das Spiel mit den Ebenen und Bildern ist gelungen, zumal Eskil Vogt dabei stets sehr nah bei seinen Figuren ist. Dabei bleibt er die ganze Zeit in einem hermetischen Ort – und schafft doch eine gute Atmosphäre. Auch seine Schauspieler überzeugen auf ganzer Linie.

„Beatles“ von Peter Flinth

(c) NFI

(c) NFI

Die Verfilmung des Buches „Yesterday“ erzählt die Geschichte vierer Jungs im Norwegen der 1960er Jahre, die gerne genauso wie die Beatles wären. Viele Szenen sind zu lang, so dass die Lauflänge von 120 Minuten mühelos hätte gekürzt werden können. Hier fehlt eine klare Handschrift, dennoch ist der Film überraschend unterhaltsam. Dazu trägt sicherlich die Spielfreude aller Beteiligten bei. Allerdings bleibt stets der Eindruck, der Filme versuche zu sehr die Zeit wieder lebendig werden zu lassen.

„Fasandræberne“ („Schändung – Vergessene Spuren“) von Mikkel Nørgaard

© Christian Geisnaes

© Christian Geisnaes

Gut dreiviertel des Films macht Mikkel Nørgaard in seiner Verfilmung von Jussi Adler-Olsens Krimi vieles richtig, doch dann verliert er sich in der oberflächlichen Darstellung von Gewalt und Klischees. Dadurch geht die Spannung verloren – und man stellt sich die Frage, ob traumatisierte Rächerinnen grundsätzlich dunkle Kapuzenpullis tragen und dunkelhaarig sind.

„Klumpfisken“ („Mondfisch“) von Søren Balle

Kesse (Henrik Birch) (c) DFI

Kesse (Henrik Birch) (c) DFI

Fast eine Stunde lang ein erstaunlich unterhaltsamer und dank pointierte Dialoge lustiger Film über einen Fischer, der sich in eine Wissenschaftlerin verliebt und gegen den finanziellen Ruin kämpfen muss. Leider folgen unnötige, vorhersehbare Verwicklungen, so dass der Film seinen Charme verliert.

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