Januar
Das Jahr beginnt mit einem Wort, das ich neu lerne: Dauergebäck. Das ist es oft, was ich beim Bäcker am liebsten mag.
In der ersten Staffel von „Only Murders in the Building“ gibt es die wohl lustigste Scrabble-Szene, die ich jemals gesehen habe.
Das Knirschen und Krachen der Häuser und Körper in Megan Abbotts „Aus der Balance“ lässt mich nicht mehr los.
Februar
Ich weine wegen einer Ziege namens Destiny. Verantwortlich: NoViolet Bulawayo in „Glory“
Das Tolle an Freundschaften, die man im Erwachsenenalter schließt: manchmal entdeckt man ungeahnte Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel dass man so gut wie jedes Lied mitsingen kann, das Mary J. Blige in den 1990er Jahren veröffentlicht hat.
Percival Everetts „Die Bäume“ erscheint. Es wird sehr schwer werden, das Buch vom Platz 1 meiner Top-Listen zu verdrängen.
Ausgeprägtes Ross-Thomas-Lesen.
März
Nach über drei Jahren wieder im Theater – Elfriede Jelineks „Angabe einer Person“. Ich lache fast zwei Stunden, zwanzig Minuten lang. So böse, so witzig, so klug. Nur das Ende war ein bisschen drüber.
Mein großes, großes Podcast-Projekt „Auf Weltempfang“ startet.
James Kestrels „Fünf Winter“ erscheint. Kontroverse Meinung: die erste Liebe ist schöner als die zweite.
Nach Ross Thomas‘ „Am Rand der Welt“ erfolgt mein zweiter literarischer Philippinen-Besuch: „Last Call Manila“ von Jose Dalisay. Faszinierendes Land, ich will mehr darüber erfahren.
April
Nina Simones „Little Baby Blue“ am Ende von Saint Omer zerstört mich. Überhaupt: Nina Simone.
„Weißt Du, wer es ist?“ – Kim Koplins „Die Guten und die Toten“ löst ein Pseudonym-Rätseln aus. Viele sagen, Kim Koplin sei eine Autorin. Ich sage: ein Autor. (Aber ich weiß es nicht.)
Neue Nationalgalerie, Kunst der Sammlung 1900-1945. Christian Schad porträtiert 1927 die typische Berlinerin, die den Prototyp der unabhängigen modernen Frau verkörpern soll. Das Bild heißt: Sonja.
NBA-Playoffs: Jimmy Butler wirft 56 Punkte, so dass die auf Platz 8 gesetzten Miami Heat in Führung gegen die auf Platz 1 gesetzten Milwaukee Bucks gehen. Im nächsten Spiel wirft er 0.5 Sekunden vor Schluss zwei Punkte, erzwingt eine Verlängerung und die Heat ziehen in die zweite Runde ein. Nur die Knicks hätten sie nicht unbedingt rauswerfen müssen.
Mai
Ich treffe Leila Aboulela in Frankfurt. Am nächsten Tag besuche ich die Niki Saint-Phalle-Ausstellung in der Schirn.
Mit Marie Vieux-Chauvets „Tanz auf dem Vulkan“ tauche ich in haitianische Geschichte ein – es ist ein Schmöker im besten Sinne: leidenschaftliche Lieben, Gewalt, Tod, Aufopferung und eine differenzierte Darstellung der Gesellschaft vor der haitianischen Revolution.
Mehr Karibik: Mit Astrid H. Roemer geht es nach Suriname. Kolonialgeschichte, Familiengeschichte, Frauengeschichte.
Neue Erfahrungen sind wichtig. Deshalb sitze ich eines Abends in Berlin einer Taiwanischen Tee-Oper.
Juni
Meine erste Begegnung mit Seidenhühnern. Mein Leben wird niemals sein wie vorher. Nun muss ich nur noch jemanden mit Garten überzeugen, sich Seidenhühner anzuschaffen, damit ich sie besuchen und fotografieren kann.
Ich lese Lauren Groff, treffe Lauren Groff, rede über Lauren Groff. Am Ende steht ein Feature über Lauren Groff, das im Juli ausgestrahlt wird.
Jacob Ross‘ „Die Knochenleser“ hat mich schon begeistert, mit „Shadow Man“ legt er mehr als überzeugend nach. Miss Stanislaus ist meine aktuelle Lieblingsermittlerin.
Juli
Premiere von: Abweichendes Verhalten – Der Talk in Berlin. Thomas Wörtche, Matthias Wittekindt und ich schwitzen und schwatzen gemeinsam.
Yasmin Angoes „Echo der Gewalt“ lässt mich im Radio den Satz sagen: „Ihr Name ist Knight, Nena Knight“.
August
Große Werkschau das japanischen Fotografen Daido Moriyama im C/O Berlin – er hat sich viel mit Menschenwürde im Zusammenhang mit Fotografie und Medien auseinandergesetzt und bemerkt zu der Berichterstattung über die Entführung und den Tod eines Kindes: „Der übliche Realismus der Berichte und auch der falsche und naive Humanismus lösen das Problem in keinster Weise.“ Er veröffentlicht stattdessen Standbilder aus dem Fernsehen, die eine kriminalistische Ermittlung andeuten.
Novuyo Rosa Tshumas „Haus aus Stein“ fasziniert mich: sie verbindet die Geschichte einer Familie mit der Geschichte Simbabwes, hinterfragt, weile Rolle historische Narrative für die Identitätsbildung spielen und lässt alles von einem manipulierenden Erzähler erzählen. Klug und komisch.
September
Howard W. Frenchs „Afrika und die Entstehung der Welt“ verrückt mein Bild von der Welt abermals – und lässt mich zum wiederholten Male fragen, wie es sein kann, dass ich trotz ausgeprägten historischen Interesses, trotz Geschichts-LK und Geschichtsstudium so viel nicht wusste.
Victoria Kiellands „Meine Männer“ regt ein erneutes Nachdenken über den medialen Umgang mit Serienmörder*innen an.
Nach Bora Chungs „Der Fluch des Hasen“ betrachte ich meine Toilette mit ganz neuen Augen.
Welch ein Krimi-Monat: Frank Göhres neuer Roman, Regina Nösslers neuer Roman. Monika Geiers neuer Roman. Sara Grans neuer Roman!
Hinsichtlich Fotobearbeitung habe ich dieses Jahr so gut wie alles erreicht.
Oktober
Secessionen-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie. Ich bemerke ein neues Interesse an Druckgraphiken und Lithografien. Ich mag neue Interessen.
„Total Trust“ von Jialing Zhang liefert Einblicke in das gegenwärtige Leben in China – und wenn man glaubt, man könnte sich vorstellen, wie das Leben in einem „modernen“ Überwachungsstaat ist, sollte man sich diesen Film anschauen. Man kann es nämlich nicht.
In diesem Haushalt wird die beste zweite Liga aller Zeiten gesehen. Fortuna Düsseldorf liegt am 21.10. zur Pause 0:3 zurück. Endstand 4:3
November
Nach der Munch-Ausstellung in der Berlinischen Galerie kaufe ich mir die Werkausgabe von Dagny Juel. Und zwei Bücher über das Rathenau-Attentat.
Abdelaziz Baraka Sakins „Der Messias von Darfur“ haut mich um – wie klug und böse kann man über Geschichte schreiben! Müsste ich mich auf ein Thema festlegen, das mich in diesem Jahr am meisten beschäftigt hat, dann wäre es die Frage, wie man die Geschichte eines Landes erzählen kann, das von Gewalt, Kolonialismus und Diktaturen bestimmt ist.
Auf einer Veranstaltung fällt das Wort „Wonnegrusel“ – ich weiß leider nicht mehr, wer es sagte – und ich denke, es beschreibt ziemlich gut die Rezeptionshaltung vieler, die Kriminalromane zur Unterhaltung lesen.
Don Mee Chois „DMZ Kolonie” verbindet Gedichte, Fotos, Zeichnungen, Überlegungen zu Kolonialismus, Korea, Übersetzungen und Sprache. Ein großartiges Buch!
Düsseldorf führt zur Pause 3:0 und gewinnt am Ende knapp mit 5:3. Diese Spiele machen mich fertig. Und ich bin nicht der Fortuna-Fan in diesem Haushalt.
Aki Kaurismäki zeigt mit „Fallende Blätter“, worauf es im Kino wirklich ankommt. Und ich verstehe erstmals einen vollständigen finnischen Satz, gesprochen von einer Finnin (im Kino).
Dezember
Pirkko Saisios „Das rote Buch der Abschiede“ lässt klar erkennen, wie wichtig der Teil Fiktion bei dem Wort Autofiktion ist.
Die zweite Staffel von „Somebody, somewhere“ ist auf andere Weise doch genauso ehrlich, schräg und gemein-liebevoll wie die erste Staffel.
Achtelfinale DFB-Pokal. Es steht in der 90. Minute 1:1. Endstand nach 92. Minuten: 1:2 für Fortuna Düsseldorf. 10 Tage später: Fortuna Düsseldorf liegt zur Pause 0:2 zurück. Endstand: 3:2. Diese Mannschaft. Und manche Menschen fragen sich, warum ich gerne Sport gucke.