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Über „Das Grab im Moor“ von Belinda Bauer

Als vor einigen Monaten die Longlist zum Man Booker Prize veröffentlicht wurde, fand sich unter den AutorInnen auch die Krimi-Autorin Belinda Bauer. Der Name sagte mir nichts, also dachte ich, lese ich doch den nominierten Roman „The Snap“. Doch dann unterhielt ich mich mit einem Kollegen, der sagte, ihr Debüt sei doch damals™ auch so gefeiert worden und tatsächlich finden sich zu „Das Grab im Moor“ allerhand werbende Superlative. Das machte mich noch neugieriger – und so las ich zuerst diesen Roman über einen Jungen, der die Leiche seines vor 20 Jahren ermordeten Onkels finden will und deshalb Kontakt mit dessen inhaftierten Mörder aufnimmt.

Jugendliche oder gar kindliche Protagonisten, die noch dazu auch als Erzähler fungieren, leiden oftmals darunter, dass sie schlichtweg viel zu klug und analytisch für ihr Alter sind. Das trifft bei „Das Grab im Moor“ nicht zu. Ganz im Gegenteil: Der 12-jährige Steve Lamb trifft allerhand unkluge Entscheidungen und ist von typischen Teenager-Unsicherheiten und -Sorgen betroffen. Doch er hat eine Mission: Er will im Exmoor die Leiche seines Onkels Billy finden, der vermutlich vor 20 Jahren von dem Serienkiller Arnold Avery ermordet wurde, als er ungefähr so alt war wie Steve jetzt ist. Steve ist überzeugt, dass nur der Leichenfund seine Leben verbessern wird: seine schroffe Großmutter steht noch immer jeden Tag am Fenster und wartet darauf, dass Billy zurückkehrt. „Sie hatte ihr Leben als Gloria Manners begonnen. Dann war sie Ron Peters‘ Frau geworden. Danach war sie Letties Mum gewesen, und dann Letties und Billys Mum. Dann war sie lange Die Arme Mrs. Peters gewesen. Jetzt war sie Stevens Nan. Doch sie würde immer Die Arme Mrs. Peters bleiben; nichts konnte daran etwas ändern, nicht einmal ihre Enkel.“ Und auch Lettie – Steves Mum – weiß, dass für ihre Mutter nur Billy zählt und muss sich selbst eingestehen, dass Billys jüngerer Bruder ihr Lieblingskind ist.

Die Lambs sind eine Familie der Unterschicht. Geld und Zuneigung sind knapp, enttäuschte Erwartungen und Hoffnungen an der Tagesordnung. Steve verfolgt sein Ansinnen heimlich und beharrlich, schließlich nimmt er sogar Kontakt mit Arnold Avery auf. Und Avery ist natürlich begeistert. Selbst als Vorzeigehäftling hat er bei einer Verurteilung wegen sechsfachen Mordes und dreifacher Kindesentführung nur wenig Hoffnung auf eine vorzeitige Entlassung, die Briefe des Unbekannten versprechen zunächst Abwechslung, als er schließlich bemerkt, dass der Absender ein Kind in genau dem Alter ist, das er bevorzugt, versprechen sie Macht und Befriedigung.

Belinda Bauer spürt in diesem Zusammentreffen von Kind(ern), Müttern und Mördern den persönlichen Folgen einer Gewalttat nach und entwirft das todtraurige Szenario einer Familie, die den Verlust des einen Kindes niemals verwunden hat – und darüber hinaus alle Lebenden zu vergessen scheint. Es ist als hätte sich Lettie und Gloria jegliches Glück versagt, eine Entscheidung, unter der Steve und sein Bruder leiden, Das Gefühl das Unglücks, der Trauer, der allzu großen Last überträgt sich regelrecht auf sie und droht auch ihnen jegliches Glück zu nehmen. Nur eine große Tat scheint diese Kette unterbrechen zu können und genau zu dieser will sich Steve aufschwingen. Dabei überblickt er nicht alle Konsequenzen und ist doch bereit, sie letztlich zu tragen. Und dadurch ist „Das Grab im Moor“ ein spannender, psychologisch ausgefeilter und eindringlicher Spannungsroman.

Belina Bauer: Das Grab im Moor. Übersetzt von Marie-Luise Bezzenberger. Goldmann 2010.

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Krimi-Kritik: „Ein dunkler Sommer“ von Thomas Nommensen

(c) Rowohlt

(c) Rowohlt

Für Entführung mit Todesfolge wurde Frank Brückner vor zehn Jahren zu einer Haftstrafe verurteilt. Damals soll er ein zehnjähriges Mädchen gekidnappt haben, das an dem Ort, an dem es gefangen gehalten wurde, gestorben ist. Nun hat er seine Haftstrafe abgesessen und wird frei gelassen. An die damaligen Ereignisse hat er nur eine bruchstückhafte Erinnerung, traut sich selbst daher nicht vollends über den Weg und will auf Anregung seines Psychiaters herausfinden, was damals passiert ist. Deshalb nimmt er Kontakt zu ehemaligen Zeugen auf, außerdem besucht er Orte, die eine Rolle gespielt haben. In der Gegenwart ermitteln Hauptkommissar Arne Larsen und sein Kollege Frank Kuhlmann an dem Mord an einem Werkstattbesitzer, der allerhand Dreck am Stecken hat und – wenig überraschend – an dem Prozess gegen Frank Brückner beteiligt war: Er änderte seine Aussage, so dass Brückner für die fragliche Zeit kein Alibi mehr hatte.

Mit kapitelweise wechselnden Perspektiven erzählt Thomas Nommensen in „Ein dunkler Sommer“ nun von Frank Brückner, einem dicken Jungen, der den Mord an dem Werkstattbesitzer beobachtet hat, dem pensionierten Kommissar Gregor Harms, der trinkt und unter Aussetzern leidet, der Familie des damals gestorbene Mädchens und anderen Personen. Dadurch dauert es einige Kapitel, bis der eigentliche Fall in den Mittelpunkt rückt, außerdem bekommt man schon sehr früh viele, vielleicht sogar zu viele Informationen. Von vorneherein steht fest, dass die Fälle zusammenhängen, auch scheinen fast alle Figuren, denen ein Kapitel gewidmet ist, involviert zu sein. Nimmt anfangs Gregor Harms viel Raum ein, der damals die Ermittlungen leitete, aber immer noch unter den Folgen leidet. Mit zunehmendem Verlauf rückt er indes an den Rand – fast glaubt man ihn vergessen –, um dann am Ende wieder aufzutauchen. Dadurch gehen Stringenz und Tempo verloren. Auch zieht sich der finale Showdown ungemein lange hin. Durch die Eliminierung jeglicher Verdächtiger im Vorfeld bleibt aber zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Täter übrig (den ich natürlich nicht verrate). Nachdem die erste Gefahr gebannt ist, wird zudem jede Kleinigkeit nochmals sorgsam erwähnt, weitere Hintergründe werden im Gespräch von Larsen und Kuhlmann geklärt, so dass jede Einzelheit gedeutet wird. Das nimmt dem gesamten Kriminalroman Spannung, vor allem aber dem Leser Raum für eigene Gedanken.

Schließlich folgt noch ein Epilog, der den Eindruck verstärkt, dass in diesem Buch die Ideen für zwei Geschichten zusammengefasst worden sind – oder nachträglich zu viel eingefügt wurde. Das ist schade, da zum einen die eine Grundidee auf den ersten hundert Seiten bereits gut eingeführt wird – die Sprache Brückners deutet schon daraufhin –, sie jedoch dann keine Rolle mehr spielt, sondern erst am Schluss durch eine unglaubwürdige Volte wieder aufgegriffen wird. Und zum anderen sorgt die Fülle an Ideen dafür, dass trotz über 400 Seiten über Arne Larsen, der ja die Hauptfigur dieser neuen Reihe werden soll, nicht viel zu erfahren ist – außer dass er gerne an Tatorten und Aufenthaltsorten von Verdächtigen ist, um ihnen näher zu kommen, aber kein Profiler sein will, und eine unsichere Beziehung mit einer Journalistin führt. Insgesamt gibt es daher viele vielversprechende Ansätze in diesem Krimi-Debüt, aber mit einer stärkeren Konzentration auf eine Geschichte und einen Hintergrund sowie rund 100 Seiten weniger wäre „Ein dunkler Sommer“ ein besserer Kriminalroman geworden.

Thomas Nommensen: Ein dunkler Sommer. Rowohlt 2014.

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