(c) Piper
Müsste ich die Heinrich-Steinfest-Romane in eine Rangliste bringen, gäbe es zwei Spitzenreiter: „Ein dickes Fell“ und „Mariaschwarz“. In beiden Romanen werden Steinfests Vorzüge deutlich: In „Ein dickes Fell“ ist es sein episches, sein ausuferndes Erzählen, ja, seine Blick für die alltäglichen Kleinigkeiten. Bei „Mariaschwarz“ begeistert mich das Gegenteil, er ist für Steinfest ungemein konzentriert. Ohnehin ist Steinfest für mich immer dann am besten, wenn er sich auf die Fixpunkte seines Roman-Kosmos – Stuttgart und Wien – konzentriert.
In „Mariaschwarz“ ist es das österreichische Bergdorf Hiltroff, in dem der mysteriöse Vinzent Olander seit drei Jahren verharrt. Keiner der Dorfbewohner weiß, warum er ausgerechnet an diesem Ort bleibt, aber sie kümmern sich auch nicht weiter um ihn. Olander hat feste Gewohnheiten, so trinkt er jeden Tag in gleicher Reihenfolge zwei Gläser Portwein, Fernet Branca Menta, Quittenschnaps und einen bestimmten Whiskey. Diese Getränke nimmt er immer in der Kneipe von Job Grong zu sich, mit dem er die perfekte Gast-Wirt-Beziehung führt. Bis Grong ihn eines Tages vor dem Ertrinken rettet und daraufhin mehr aus dessen Leben erfährt als ihm lieb ist. Es stellt sich heraus, dass Olander überzeugt ist, seine unter ungeklärten Umständen verschwundene Tochter in Hiltroff zu finden. Wenig später wird im titelgebenden See Mariaschwarz ein Skelett gefunden und Kommissar Lukastik übernimmt die Ermittlungen in diesem Fall. Spätestens dann ist es mit der Idylle endgültig vorbei.
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Die ganze Situation in „Mariaschwarz“ hat Ähnlichkeiten mit Dürrenmatts „Das Versprechen“, wenngleich der Ort ein deutlicher Verweis an Thomas Bernhard ist – dessen Werk folglich einen wichtigen Hinweis liefert. Aber die Tote im See lässt noch eine weitere Parallele deutlich werden: zu Raymond Chandlers „Lady in the Lake“. Die Verfilmung dieses Krimis ist in die Geschichte eingegangen, weil der Regisseur Robert Montgomery versuchte, die Ich-Perspektive des Romans in den Film zu adaptieren. Erzählerisch setzt Steinfest andere Akzente, er lässt seine Figuren über ihr Dasein sinnieren, spielt auf fremde, aber auch auf die „Cheng“-Romane an, auf „Lilli Steinbeck“ und „Nervöse Fische“. Der Chandler-Verweis hängt indes nicht nur mit dem Whiskey-Konsum des Vincent Olander zusammen, sondern deutet auch schon das zukünftige Dasein von Lukastik an.
Einen wichtigen Hinweis für den Fall liefert hingegen der Film „Flight Plan“, den Kommissar Lukastik zufällig sieht. Dort behauptet eine Mutter (Jodie Foster) während eines Fluges, ihre Tochter sei verschwunden. Aber die Anwesenden behaupten, sie hätten kein Kind gesehen. Es geht in dem Film um Spuren, Behauptungen und vermeintlich objektive Beweise. Im Roman ist Olander stattdessen von der Existenz seiner Tochter derart überzeugt, dass er noch nicht einmal einen verschmierten Händeabdruck am Fenster als Bestätigung benötigt. Gerade dieser Glaube an sich beeindruckt Kommissar Lukastik, der ohnehin hat seit „Nervöse Fische“ eine erstaunliche Wandlung vollzogen hat. Mittlerweile glaubt er an Rätsel und fühlt sogar eine „Art Jediritter-Macht“, die ihm indirekt selbst in der Liebe ein Happy End finden lässt.
Auch wenn Lukastik an einer Stelle das zu befürchtende Ende des Romans eher eines Filmes mit Michael Douglasfür würdig hält – was offenkundig alles andere als eine Auszeichnung ist –, hat mich der Ausgang überzeugt. Über Seiten habe ich mit mir spielen lassen, ich habe Indizien gesammelt, nach Erklärungen gesucht und selbst auf Kleinigkeiten geachtet. Letztendlich aber habe ich wie vermutlich fast alle anderen Leser dieser Romans festgestellt, dass in einem Roman von Heinrich Steinfest – und auch wenn diese Anspielung für alle, die den Roman nicht kennen, äußerst kryptisch ist – meist die Löcher entscheidend sind.
Im dritten Teil folgt Steinfests „Gewitter über Pluto“!