Nahtlos knüpft die erste Folge der zweiten Staffel von der sehenswerten BBC-Reihe „Sherlock“ an das spannende Ende von „Das große Spiel“ an: Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) und John Watson (Martin Freeman) stehen im Schwimmbad Moriarty (Andrew Scott) gegenüber, der scheinbar alle Vorteile auf seiner Seite hat. Aber dann erklingt sein Telefon – und dieser Anruf scheint ihm eine interessantere Alternative zu eröffnen.
Mit viel Spannung wurde die Fortsetzung der bei Kritikern und Zuschauern gleichermaßen erfolgreichen Serie erwartet. Und „Ein Skandal in Belgravia“ (Drehbuch: Steven Moffat, Regie: Paul McGuigan) erfüllt alle Erwartungen mühelos, übertrifft sie sogar. Vorbild der Handlung dieser Episode ist die Geschichte „Ein Skandal in Böhmen“ von Arthur Conan Doyle. Dort hat die gerissene Irene Adler eine Affäre mit dem König von Böhmen und ist im Besitz eines Nacktfotos, das Sherlock ihr abnehmen soll. In der modernen Adaption ist Irene Adler (gespielt Lara Pulver, auch bekannt als Claudine Crane in „True Blood“) eine nicht minder clevere Domina, die kompromittierende Fotos eines weiblichen Mitglieds des britischen Königshauses hat. Sherlocks Bruder Mycroft (Mark Gattis) möchte nun, dass Sherlock diese Bilder besorgt und das Königshaus vor Schaden bewahrt.
Eine neue Perspektive auf Sherlocks Sexualität
Irene Adler ist eine wichtige Nebenfigur in der Welt des Sherlock Holmes, obwohl sie wenigstens bei Conan Doyle nur in einer Geschichte erscheint. Aber sie bringt Holmes eine seiner vier Niederlagen bei – und offenbart eine neue Seite an ihm. In der Serie wird gerade diese Funktion von Irene Adler sehr deutlich. Sie legt Sherlocks Verletzlichkeit offen, die Benedict Cumberbatch mit seinem überzeugenden Spiel in der Folge sehr gut durchschimmern lässt. Zugleich eröffnet das Verhältnis zwischen Sherlock und Irene Adler den Raum für weitere Spekulationen über Sherlocks Sexualität. Bisher wurde vor allem auf seine vermeintliche Homosexualität angespielt, nun tritt der Verdacht hinzu, er könne noch Jungfrau sein. Dazu trägt auch bei, dass Lara Pulver gerade im Gegensatz zu Rachel McAdams in den Guy-Ritchie-Filmen Irene Adler mit deutlich mehr Frivolität und Gerissenheit spielt.
Gute Dialoge und rasant erzählt
Schon die erste Staffel hat beste Unterhaltung mit raffiniertem Erzählstil und originellen visuellen Ideen geboten. „Ein Skandal in Belgravia“ geht sogar noch einen Schritt weiter, da insbesondere die Texteinblendungen als bekanntes Stilmittel vorausgesetzt werden und daher weniger häufig eingesetzt werden. Die Fälle werden in mitunter atemloser Geschwindigkeit gelöst, dazu gibt es schnelle Schnitte und Ortswechsel. Hinzu kommen gelungene Anspielungen auf typische Sherlock-Requisiten wie die Violine und den karierten Hut. Sie weisen schon darauf hin, dass diese Folge insbesondere durch ihren Humor besticht. Sherlock und Watson zu Beginn Moriarty gegenüberstehen, wird ihre Rettung durch das Lied „Staying Alive“ als Klingelton angekündigt, auch Sherlocks Auftritt im Buckingham Palace ist famos. Hinzu kommen kleine Einfälle wie der richtige Code von Irene Adlers Telefon. Dadurch steigt der Unterhaltungswert beträchtlich an – und diese vergnüglichen Einfälle sowie die hervorragenden Dialoge lassen sogar vergessen, dass die Spannung nach dem fulminanten Anfang etwas nachlässt.
Anspielungen auf die Sherlock-Holmes-Geschichten von Arthur Conan Doyle
Schon der Titel macht deutlich, dass diese Folge hauptsächlich auf Arthur Conan Doyles „Ein Skandal in Böhmen“ („A Scandal in Bohemia“) basiert. In dieser Geschichte gibt es auch das Zitat „Für Sherlock Holmes ist sie immer nur die Frau“, dem in der Folge ebenfalls Referenz erwiesen wird, indem von Irene Adler nur als „die Frau“ zwischen Holmes und Watson gesprochen wird.
Daneben gibt es eine Vielzahl Anspielungen auf weitere Geschichten, die trotz der guten Synchronisation oftmals in der englischen Originalfassung besser zu erkennen sind. Dazu gehört „Der griechische Dolmetscher“ (im Englischen offensichtlicher: aus „The Greek Interpreter“ wurde der „Geek Interpreter“) und „Das gesprenkelte Band“ („The Speckled Band”; hier: die gefleckte blonde Leiche). Die wichtige Nachricht, die Irene Adler durch einen Regierungsmitarbeiter erhalten hat, und der Versteck ihres Mobiltelefons spielen auf „Das Marineabkommen“ („The Navel Treatment“) an. Außerdem gibt es noch Verweise auf „Der illustre Klient“ („The Illustrious Client“) und „Die Abteischule“ („The Priory School“). Und Watsons Blog-Eintrag „Sherlock Holmes Baffled“ ist der Verweis auf den gleichnamigen Stummfilm von 1900, in dem Holmes erstmals auf die Leinwand adaptiert wurde.
Nach diesem gelungene Auftakt folgt die Fortsetzung am Pfingstwochenende: Am 27. Mai wird um 21:45 Uhr „Die Hunde von Baskerville“ gezeigt, am 28. Mai um 21:45 Uhr „Der Reichenbachfall“.