Während der Berlinale habe ich mir vorgenommen, endlich wieder mehr Dokumentationen zu gucken. Das hat in den letzten Jahren vor lauter Büchern und Fiktionsfilmen zu sehr gelitten, dabei habe ich sie immer gerne gesehen und mich auch während meines Studiums viel mit ihnen beschäftigt.
Den Anfang dieses wiedergefassten Vorhabens macht der Dokumentarfilm „Searching for Sugar Man“, der Sonntagnacht einen Oscar gewinnen könnten. In seinem Film erzählt der schwedische Regisseur Malik Bendjelloul eine unglaubliche Geschichte. In den 1970er Jahren hat Rodriguez in Detroit zwei Platten aufgenommen, die von der Kritik wohlwollend besprochen und von Produzenten geschätzt werden. Aber sie verkauften sich einfach nicht – zumindest in den USA. In Südafrika jedoch wurde Rodriguez zu einer Ikone, die in einem Atemzug mit Elvis Presley und den Beatles genannt wird. Sein Song „Sugar Man“ erreichte Platinstatus und seine Texte ermunterten die weiße Anti-Apartheidsbewegung zu weiterem Protest. Doch Südafrika war zu dieser Zeit ein Land außerhalb der internationalen Gemeinschaft. Und so wussten anscheinend noch nicht einmal die Produzenten von Rodriguez von diesem Erfolg.
Malik Bendjelloul beginnt seine Dokumentation mit Erinnerung an die frühen 1970er Jahre. Detroit war zu dieser Zeit ein hartes Pflaster und Rodriguez der „inner city poet“ dieser rauen Industriestadt, der in seinen Liedern einen grimmigen Blick auf die Wirklichkeit wirft. Diese Desillusionierung und Härte fasst Malik Bendjelloul in eindrucksvolle Bilder, die von Rodriguez‘ Songs untermalt werden. So lässt er einen animierten Rodriguez an einer Häuserreihe entlanggehen, dazu läuft „Crucify your mind“ – und spätestens hier nimmt einen der Film für seine Geschichte und seine mystifizierte Figur ein. Dabei findet Bendjelloul sehr poetische Bilder, die den Mythos Rodriguez einfangen. Beispielsweise ist – wenn Produzent Dennis Coffey von seiner ersten Begegnung mit Rodriguez erzählt – ist der Schatten eines Mannes auf unterbelichtetem Filmmaterial zu sehen. Denn Rodriguez scheint ein Mann zu sein, der sich nicht in Bilder fassen lässt.
Dieses Mysterium wird zudem von den Gesprächen mit mit südafrikanischen Musikern und Rodriguez-Fans untermauert. Rückblickend erzählen sie, dass Rodriguez‘ Musik nur durch einen Zufall – vermutlich durch eine Touristin – in Südafrika gelandet ist. Obwohl seine Lieder so erfolgreich waren, haben sie niemals mehr über den Sänger erfahren – außer dass er sich auf seinem letzten Konzert umgebracht habe. Sie suchten nach biographischen Hinweisen in seinen Songtexten, kamen ihm jedoch lange nicht näher.
Durch die Montage entsteht ein wirkungsvoller Kontrast zwischen der Stimmung in den 1970er Jahren und der Suche nach den Ursachen des unterschiedlichen Erfolgs. Daraus entwickelt sich die weitergehende Fragestellung, wohin sind die Gelder aus den Plattenverkäufen geflossen sind – und es erfolgt eine Richtungsänderung des Films, die – wenngleich sie mittlerweile vielen bekannt sein dürfte – hier nicht verraten werden soll. Denn „Searching for Sugar Man“ ist auch ein Film, der die Verblüffung beim Zusehen braucht.
Sicherlich findet Malik Bendjelloul letztlich nicht auf alle Fragen eine Antwort, aber „Searching for Sugar Man“ ist poetisch, spannend und berührend. erzählt von Sehnsüchten und tragischen Entwicklungen, von dem Musikgeschäft und der Anti-Apartheidsbewegung. Es ist ein poetischer, spannender und berührender Film, der mich zudem überzeugt hat, mir eine Playlist mit Rodriguez‘ Songs anzulegen. Deshalb schließe ich auch mit einem Zitat aus „Crucify your Mind“ (auf dem Album „Cold Fact“) von Rodriguez:
Was it a huntsman or a player
That made you pay the cost
That now assumes relaxed positions
And prostitutes your loss?
Were you tortured by your own thirst
In those pleasures that you seek
That made you Tom the curious
That makes you James the weak?
Auf der Seite des deutschen Verleihers Rapid Eye Movies finden sich Kino-Termine zu dem Film.
Nachtrag:
Ähnlich begeistert äußert sich Stefan im Bücherplausch über diesen Film.