„Ein dickes Fell“ – Steinfest und der Film, Teil VIII

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„Ein dickes Fell“ ist einer meiner Lieblingsromane von Heinrich Steinfest; er ist kunstvoll komponiert, die vielen Anspielungen greifen wunderbar ineinander und viele Knotenpunkte des Steinfestschen Universum werden hier aufgegriffen und neu verbunden. Auf die dicht verwobene Handlung werde ich hier nicht im Einzelnen eingehen – außerdem werde ich wesentliche Aspekte des Inhalts verraten. Also daher eine Anmerkung gleich zu Beginn: Es ist am besten, erst das Buch und dann diesen Beitrag zu lesen. 🙂

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Ein „Tiffany“-Erlebnis und „Léon – Der Profi“
In „Ein dickes Fell“ ist die weibliche Hauptfigur die Auftragsmörderin Anna Gemini. Sie wurde zu diesem Beruf von dem Film „Léon – Der Profi“ inspiriert, da er es ihr ermöglichte, erstmals diesen Berufsstand nicht als widerwärtig zu sehen. Denn in dem Film spielt Jean Reno einen „schüchternen, Milch trinkenden, melancholischen“ Killer, der sogar sein erhaltenes Geld kaum anrührt. Als nun das Nachbarmädchen Mathilda (Natalie Portman) in Not gerät, hilft er ihr und bildet sie auf ihren Wunsch im Umgang mit Waffen aus.

Mathilda und Léon (c) Kinowelt Home

Sowohl Léon als auch Anna sind Figuren, denen die Sympathien des Zuschauers bzw. Lesers gehören. Das liegt vor allem an der Präsentationsweise. In „Léon – Der Profi“ hat Luc Besson eine sehr stimmungsvolle Ästhetik gewählt, außerdem enthält seine Geschichte die romantische Idee von dem einsamen Killer, der Vatergefühle für eine forsche Göre entwickelt. In „Ein dickes Fell“ überzeugen die Cleverness und der Pragmatismus, mit der Anna ihren Einstieg in dieses Milieu plant – und ihre Taten werden elegant und kurz geschildert. Das Erstaunen ihrer Opfer, von dieser Frau getötet zu werden, steht im Vordergrund – und nicht die Tötungshandlung als solche.
Darüber hinaus hat Anna auch einen Grund für diese Berufswahl. Sie will ihrem Sohn, der auf dem geistigen Stand eines Kleinkindes geblieben ist, ein gutes Leben ermöglichen und außerdem viel Zeit mit ihm verbringen. Und dann hat sie noch ihr „Tiffany“-Erlebnis. In Anspielung auf das edle Kaufhaus, das in „Frühstück bei Tiffany’s“ für Holly Golighty der Ort ist, an dem sie sich wohl fühlt, entdeckt Anne eines Tages eine vernachlässigte Villa. Dort will sie mit ihrem Sohn leben – und für die Renovierung braucht sie einfach viel Geld.

Gartenbaukino in Wien

Wiener Filmkultur – Das Gartenbaukino und „Der dritte Mann“
Mit diesem Roman erweist Heinrich Steinfest auch der Stadt Wien eine filmische Referenz. Annas aktueller Auftrag sieht vor, dass sie den Filmmusik-Komponisten Apostolo Janota tötet. Als Tatort soll das Gartenbaukino in Wien fungieren, in dem Janota sein neustes Werk uraufführen will. Dieses Kino wurde bereits 1919 eröffnet und 1960 an selber Stelle wieder erbaut, es ist also eine traditionsreiche Adresse.
Auf dem Weg in dieses Kino wird Cheng noch an ein weiteres Kino-Denkmal erinnert. Er geht durch den Stadtpark und passiert dabei jene tunnelartige Öffnung des Wienflusses, die „Der dritte Mann“ weltberühmt gemacht hat. Dieser Film bleibt nicht der einzige Filmklassiker, dem Cheng im Rahmen seines Besuchs des Gartenbau-Kinos begegnet. Denn im Kino hängt ein Plakat, das den in Österreich-Ungarn geborenen Peter Lorre als Kindesmörder in „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ zeigt.

Und wieder Science Fiction – „2001“, „Fahrenheit 451“ und „Twelve Monkeys“
Ein solches Opfer gibt dem Erzähler (und dem Autor) viel Gelegenheit, über das Kino im Allgemeinen nachzudenken. So muss der Privatdetektiv im Gartenbau-Kino auch den Zusammenhang zwischen Sexualität und Kino in den 1970er Jahren denken, einer Zeit, in der man kaum eine Frau erobern konnte ohne zu begründen, warum „2001“ genial und „Fahrenheit 451“ „läppisch“ war. Was – nebenbei bemerkt – eine bemerkenswerte Auffassung für die Hauptfigur in einem Roman ist, schließlich ist doch Truffauts „Fahrenheit 451“ auch eine Hommage an die Literatur – wenngleich der Film sicherlich nicht an die Kraft von Bradburys Roman heranreicht.

Neben den Science-Fiction-Klassikern zieht Heinrich Steinfest auch einen Film aus den 1990er Jahren heran, mit dem Apostolo Janota sehr gut charakterisiert wird. Er stammt selbst aus der Zukunft – und hat sich in der Romangegenwart gewissermaßen verloren. Daher ist für ihn, der bereits mit Robert de Niro Klavier gespielt haben soll, ein Satz aus Terry Gilliams „12 Monkeys“ ungemein berührend. In diesem Film sagt der ebenfalls aus der Zukunft in die Vergangenheit gereiste Bruce Willis „Alle, die ich da sehe, sind schon tot.“

In dem nächsten Teil geht es dann um die Essenz von „Ein dickes Fell“ – genauer: um 4711 …

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