Women in Crime: „The So Blue Marble” von Dorothy B. Hughes

(c) Prenzler Press

Sie glaubt, sie würde nicht bemerkt werden. Die 24-jährige Griselda Cameron Satterlee, ehemalige Hollywood-Schauspielerin, die nun als Modedesignerin arbeitet, ist auf dem Weg in das New Yorker Apartment ihres Ex-Mannes Con – nachts, alleine. „Her dress was black and her coat, with its black fox collar, but at night no one would know the fox was real. Her hat didn’t look as if it were a creation. Not at night, not with her pale horn-rimmed glasses; no one would look twice at a girl with glasses over her face.” Sie geht die Fifth Avenue entlang, es sind nur ein paar Straßen bis zur 55th. Dann nähern sich zwei junge Männer an. Offenbar wissen sie, wer sie ist, sprechen sie mit Namen an. Griselda hält sie erst für „Princeton boys or Yale“, dann drängen diese sich an ihre Seite, machen keinerlei Anstalten, zu verschwinden. Griselda überlegt, was sie tun soll. Einen Taxifahrer ansprechen? Aber womöglich hält dieser sie für verrückt. Also beschließt sie, an ihrem Apartmenthaus vorbeizugehen, aber die Männer drängen sie in den Eingang. Eigentlich war sie doch sicher, solche Dinge passieren Menschen wie ihr nicht. „No reason to feel nervous at night, not even at eleven-thirty at night, in the heart of New York. Nothing ever happened to her kind of people; things happened to people living down those cross streets in old red bricks or old brownstones.“ Aber diese Männer zwingen sie in ihr Apartment. Dort beginnen sie ihre Hüte abzulegen, die weißen Seidenhandschuhe und weißen Seidenschal auszuziehen:

„And only then was she really afraid, and for such a fantastic reason. Because one had honey-colored hair, sleek to his head, and one had bat-black hair; one had very blue eyes and one very black; one had the golden tan coloring of blonds and one the olive tan coloring of brunettes. But outside of that they looked exactly alike, unbelievably, frighteningly, alike.

Die Eindringlinge sind die Zwillingsbrüder Danny und David Montefierrow, sie wollen, dass Griselda die „blue marble“ herausrückt. Griselda gibt vor, nicht zu wissen, wovon sie reden. Aber sie weiß, dass ihr Ex-Ehemann Con ihr einst eine sehr blaue Glaskugel gezeigt hat. Dennoch weigert sie sich, sie den Zwillingen auszuhändigen, bestreitet weiterhin vehement, von ihrer Existenz zu wissen. Später wird sie sie in Cons Apartment finden und in einem hervorragenden Versteck verwahren: in einer Puppe zu verstecken, die sie ihrer besitzergreifenden zweijährigen Nichte schenkt.

Die Jagd nach der blauen Kugel
Von der ersten Seite an kreiert Dorothy B. Hughes in „The So Blue Marble“ eine ungeheuer beklemmende Atmosphäre: der Weg durch die Nacht, dann das Auftauchen der Zwillinge, ihre zunächst absurd erscheinende Forderung, die blaue Glaskugel herauszugeben. Diese Anspannung wird im Verlauf des Buchs nicht nachlassen. Die „so blue marble“ funktioniert ganz wie Hammetts Falke als Handlungsauslöser – als MacGuffin würde man heute sagen -, nicht nur die Zwillinge wollen sie haben, auch andere Parteien haben es auf sie abgesehen. Angeblich weist sie den Weg zu einem Schatz, sie verkörpert damit die Sehnsucht nach Macht und unendlichem Reichtum.

Auf der Jagd nach der blauen Kugel kommt es zu Morden und wiederholten Zusammentreffen von Griselda und den Montefierrows, zu denen sich schließlich auch noch Griseldas jüngere Schwester Missy gesellt. Missy ist – anders als Griselda und ihre ältere Schwester Ann – mit der desinteressierten Mutter in Europa aufgewachsen, dort ist sie den Montefierrows begegnet und hat sich ihnen angeschlossen. Missy glaubt, sie sei Teil eines Trios. Sie ist besessen von Danny, sie glaubt, „danger is sweet“, begehrt „violence, hate and the taste of blood“. Dass Danny sie physisch und psychisch missbraucht, nimmt sie hin. Für die Brüder ist sie ein amüsantes Anhängsel, sie sind durch und durch kaltblütige, überhebliche Mörder und töten leichthin Menschen, die ihnen im Weg sind. Diese Taten werden im Buch jedoch noch schrecklicher durch die sowohl gelangweilte wie gleichzeitig freudig-erregte Beteiligung von der rein äußerlich reizenden Missy.

Das Cover der französischen Ausgabe.

Mit diesem Gegensatz zwischen reizvoller Oberfläche und innerer Niedertracht arbeitet Hughes viel in diesem Buch. Handlungsort ist New York – und zwar in der „besseren Gesellschaft“. Griseldas Schwester ist mit dem Leiter einer Bank verheiratet, die Montefierrows kommen aus einer reichen, einflussreichen Familie. Es gibt Diners, Partys in den legendären El Morocco und Stork Club, Lunchtreffen im Plaza Hotel, Aufenthalte im Biltmore und St. Regis. Die Figuren dieses Romans sind reich, teilweise berühmt. Eine Schauspielerin und ihr Begleiter werden eine untergeordnete Rolle spielen, Aufenthaltsorte werden schon einmal an die Presse herausgegeben und für einen Block nimmt man sich ein Taxi. Die Vornehmheit dieses Settings wird durch die Taten und die Handlungen der Charaktere in ein spannungsreiches Verhältnis gesetzt, das das Grauen noch erhöht und das Treiben zu einem wahnsinnigen Albtraum werden lässt. Die Atmosphäre mag exklusiv sein. Die Taten aber sind genauso niederträchtig und schäbig wie überall sonst auf der Welt.

Tales of Terror

Cover der Erstausgabe


Die Erzählperspektive bleibt bei Griselda und dadurch durchzieht dieses Buch ein konstantes Gefühl der Unsicherheit. Versichert sie sich am Anfang noch selbst, dass sie auf den Straßen sicher ist, wird bald sogar das Apartment, in dem sie wohnt, zu einem unsicheren Ort. Eigentlich sollte das Zuhause ein Ort der Sicherheit sein. Tatsächlich ist es das für viele Frauen aber nicht. In Griseldas Apartment nun dringen immer wieder Personen ein, so dass sie schon bald ein Gefühl konstanter Unsicherheit verspürt, das sehr nachzuempfinden ist. Sie ist aber nicht einfach eine Substitution für den (männlichen) Detektiv. In die Handlung gerät sie nicht, weil sie angeheuert wurde, sondern weil ihre jüngere Schwester weiß, dass Con ihr einst diese Murmel gezeigt hat. Griselda will nun ihren Ex-Mann beschützen, deshalb verrät sie ihm anfangs auch nichts von den gefährlichen Besuchen der Brüdern. Allerdings ahnt Griselda nicht, in was sie tatsächlich geraten ist und erkennt schon bald, dass sie niemandem trauen kann. Sie ist eine Außenseiterin – eine Frau ohne Auftrag –, die mitten in einer geheimen Operation landet, in der es um das Böse in der Welt geht. Dabei erweist sie enorme Zähigkeit, auch ist sie durchaus eine handelnde, aktive Figur. Aber letztlich wissen die Männer um sie herum immer mehr – und allein, dass sie auf die Idee kommt, ihr rauer Ex-Mann brauche Hilfe, ist erstaunlich.

„The So Blue Marble“ ist Hughes’ Debüt und zweifellos ein spannender Roman aus dem 1940er Jahren, wenngleich er teilweise unausgewogen ist. Charaktere werden bisweilen sehr ausführlich eingeführt, obwohl sie dann kaum eine Rolle spielen. Manche Entwicklungen sind – freundlich ausgedrückt – abenteuerlich oder „a little maniac“ wie Sarah Weinman in der Los Angeles Review of Books feststellt. Aber dieser Wahnsinn, der in diesem Buch steckt, ist an sich bemerkenswert.

Dorothy B. Hughes: The So Blue Marble. Erstveröffentlichung 1940.

Zu den Ausgaben:
Dank der „Murder Rooms“-Reihe, in der englischsprachige Kriminalromane als eBook neu aufgelegt werden, ist das Buch recht einfach zugänglich. Außerdem gibt es eine sehr schöne Neuausgabe von 2018, als „The So Blue Marble“ die Reihe „American Mystery Classics“ von Penzler Press eröffnete.

Weiterführende Links:
Im Internet sind wundervolle Dinge zu finden, dazu gehört auch ein Blog, der sich ausschließlich Kleidung in Büchern widmet. Er hat auch einen Beitrag zu „The So Blue Marble“ .

Mehr zu Dorothy B. Hughes habe ich hier geschrieben.

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