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Shots 02/2016

(c) Heyne Hardcore

(c) Heyne Hardcore

Offensichtlich lehnt sich Gregor Webers „Asphaltseele“ an zahllose noir und hardboiled-Stoffe an. Sein Protagonist Ruben Rubeck ist kinderloser Kommissar, geschieden, hat keine Ambitionen, raucht, trinkt, lebt im Frankfurter Rotlichtmilieu und gerät dann durch einen Zufall in eine Geschichte, die mit dem Bosnienkrieg, GSG9 und organisierter Kriminalität zusammenhängen. Erzählt wird alles in Ich-Perspektive, so dass Rubeck häufig Gelegenheit hat, seinen harten, desillusionierten, aber dennoch gewitzten Kern zu zeigen. Jedoch wird insgesamt zu sehr betont, wie anders Ruben Rubeck sein soll, so dass die im Grunde spannende Handlung auf der Strecke bleibt, auch fehlt dem begrüßenswerten Versuch, „harte“ deutschsprachige Kriminalliteratur die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit. Weiterlesen

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Shots 01/2016

Nachdem ich in den letzten Monaten nur sehr wenig zum Bloggen gekommen bin, arbeite ich doch erst einmal einige angefangene Kritiken ab – und belebe endlich meine Shots wieder.

Der Schriftsteller Latimer erfährt durch Zufall von einem Bösewicht namens Dimitrios und versucht herauszufinden, was diesen Mann dazu getrieben hat, Attentate auf den bulgarischen Ministerpräsidenten zu begehen und schließlich tot im Mittelmeer zu landen. Also begibt er auf den Spuren dieses gefährlichen Mannes auf eine Recherchereise durch Europa. Dabei erweist sich in dem Klassiker des Spionagethrillers aus dem Jahr 1939 schon Dimitrios als hochaktuelle Figur: er ist ein Flüchtling, der über das Mittelmeer von der Türkei nach Griechenland kam, dort Zeuge des Massakers an den Armeniern wurde und es gibt Durcheinander bei dem Ausstellen von Dimitrios’ Papieren. Später wird es um Menschenhandel, Drogenhandel und Geldwäsche gehen, die alle mit wirtschaftlichen Interessen, Politik und Spionage verknüpft sind. Sehr lesenswert.

Eric Ambler: Die Maske des Dimitrios. Übersetzt von Matthias Fienbork. Hoffman und Campe 2016.

Zum zweiten Mal ermittelt Christian v. Ditfurths Serienfigur Eugen de Bodt vom LKA in Berlin. Ein Bombenanschlag wurde auf die Wagenkolonne verübt, die die Kanzlerin und den russischen Präsidenten von Tegel nach Mitte bringen soll. Um die titelgebenden „Zwei Sekunden“ wurde dieser Wagen verpasst, stattdessen starben ein Assistent der Kanzlerin und Sicherheitsleute. Eine Taskforce wird eingerichtet, aber auf Wunsch der Kanzlerin soll de Bodt mit seinem Team selbst ermittelt. Aber auch er tappt lange Zeit im Dunkeln, da die äußerst professionell agierenden Attentäter scheinbar einen Fehler bei der Auslösung des Zünders gemacht haben. Daher findet de Bodt trotz der üblichen Verdächtigen – Tschetschenen, Ukrainer usw. – kein tragfähiges Motiv samt Tätergruppe. „Zwei Sekunden“ ist ein wenig zu lang geraten, die ein oder andere falsche Fährte ist überflüssig, auch ist de Bodt den anderen Ermittlern schon sehr überlegen. Aber die Auflösung ist interessant und die Actionsequenzen sind rasant.

Christian v. Ditfurth: Zwei Sekunden. carl’s books 2016

Ein großer Spaß ist Ken Bruens „Füchsin“, in dem die Southeast London Police Squad von Bombenattentätern erpresst wird. Aber Detective Sergeant Brant – aus „Kaliber“ bekannt – ist ein harter Hund mit eigenem Gerechtigkeitssinn und so treffen hier eine raffinierte Gangsterin und ein verdorbener Polizist aufeinander, die beide gleichermaßen verrückt sind. Genüsslich nimmt Ken Bruen den Polizeiroman auseinander, zerstört die Illusion, dass die Polizei aufrecht sei, streut viele Zitate und Verweise ein und schafft es, mit knapp 200 Seiten blendend zu unterhalten.

Ken Bruen: Füchsin. Übersetzt von Karen Witthuhn. Polar Verlag 2016. (Disclaimer: Mit dem Polar Verlag stehe ich in geschäftlichen Verbindungen.)

Donald Ray Pollocks „Die himmlische Tafel“ ist ganz anders als seine beiden vorigen Bücher: Es ist epischer angelegt, es erinnert an Jim Thompson und „Das Böse im Blut“. Angesiedelt im ländlichen Süden der USA im Jahr 1917 sind fast alle Menschen bitterarm, ungebildet und rassistisch, viele sind zudem brutal und bösartig. Nach dem Tod ihres Vaters müssen drei Brüder nun ohne dessen knüppelharte Hand zurechtkommen und ziehen schon bald in Anlehnung an den Pulp-Roman „Das Leben des Bloody Bill Bucket“, Banken ausraubend durch die Gegend und führen ein Outlaw-Leben. Dabei kreuzen sich ihre Wege mit einem herzensguten Sanitätsinspektor, einen schwulen todessehnsüchtigen Offizier, einem Serienmörder und vielen Figuren mehr. Pollock schafft ein Bild von USA voller Träumer, Verlierer und Psychopathen, durchzieht es mit Verkommenheit und sehr derben Humor.

Donald Ray Pollock: Die himmlische Tafel. Übersetzt von Peter Torberg. Liebeskind 2016.

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Shots – April 2015

Fluchtpunkt Los Angeles

(c) ars vivendi

(c) ars vivendi

Nach dem er in „Nebenan ein Mädchen“ und „Hemmersmoor“ von kleinen Dörfern in Norddeutschland erzählte, spielt Kiesbyes neuer Roman in einer nicht näher datierten Zukunft in Los Angeles. Der Kritiker Gray Harden ist nicht mehr so angesagt wie einst, deshalb lässt er sich darauf ein, für einen befreundeten Geldgeber einen Deal mit vermeintlichen chinesischen Geldgebern einzufädeln. Aber dann verschwindet der Maler, dessen Bilder verkauft werden sollten – und seine Bilder gleich mit. Nach und nach dämmert Gray, dass er nur eine Figur in einem Spiel ist, das er nicht durchschaut. Leider verwendet Kiesbye sehr viel mehr Sorgfalt darauf, die zukünftige Welt mitsamt an Google Glass erinnernde Brillen und optischen Spielereien als seine Figuren auszugestalten. Außerdem spricht er mit der Kunstwelt, den Folgen des digitalen Wandels und einer kunstpolitischen Verschwörung viele Themen, belässt es aber bei Andeutungen und Verweisen. Immerhin gelingt es ihm aber, mit seiner sperrigen Sprache eine unterkühlte, sterile Atmosphäre zu entwickeln. (Und noch eine kleine Anmerkung zur Gestaltung des Buchs: Ich hätte mir einen etwas breiteren Seiteninnenrand gewünscht, damit ich das Buch beim Lesen nicht so sehr knicken muss.)

Stefan Kiesbye: Fluchtpunkt Los Angeles. ars vivendi, 2015

Dark House

(c) Droemer

(c) Droemer

Zehn Freunde wollen ein Wochenende in einem abgelegenen Landhaus an der englischen Küste verbringen, auch ihr ehemaliger Professor wird anwesend sein. Kurz nach ihrer Ankunft gibt es einen ersten Toten, dem weitere folgen werden. Denn die Freunde und ihren Professor verbindet ein Jahre zurückliegendes Psycho-Experiment, das nicht bei allen den gewünschten Erfolg hatte.
Eine bestimmte Anzahl Charaktere in eine abgeschlossene Situation zu bringen, sorgt auch bei Kastura für Spannung, zumal „Dark House“ kein behaglicher Landhauskrimi, sondern ein ordentlicher Thriller ist. Ingesamt hätten es etwas weniger Wendungen sein können – insbesondere die letzte ist überflüssig –, und er reicht gerne Erklärungen und „Überraschungen“ (ich nenne es die Kaninchen-Methode) nach. Aber seine Figuren sind gut entwickelt, auch wissen sich Frauen bei Kastura selbst zu helfen.

Thomas Kastura: Dark House. Droemer 2015.

Das Verbrechen, Teil 1 bis 3

(c) Zsolnay

(c) Zsolnay

Alle drei Teile von David Hewsons „Das Verbrechen“-Reihe haben dasselbe Muster: Der aus der Serie bekannte Fall und die vertrauten Figuren werden verwendet, zwischendurch werden einige Leerstellen der Serie gefüllt und leichte Änderungen vorgenommen – insbesondere findet er (fast) jedes Mal eine etwas andere Auflösung, was insbesondere im ersten Teil durchaus bemerkenswert ist. Denn somit gibt es hier für einen Fall mit der Serie, deren amerikanischen Remake „The Killing“ und Hewsons Buch drei verschiedene Täter. Allerdings ist Hewsons Version stets in Dramatik abgeschwächt.

David Hewson: Das Verbrechen. Kommissarin Lunds 1. Fall. Übersetzt von Barbara Heller und Rudolf Hermstein. dtv 2014.
ders.: Das Verbrechen. Kommissarin Lunds 2. Fall. Übersetzt von Barbara Heller und Rudolf Hermstein. dtv 2015.
ders: Das Verbrechen. Kommissarin Lunds 3. Fall. Übersetzt von Barbara Heller und Rudolf Hermstein. Zsolnay 2015.

Lebt

(c) Scherz

(c) Scherz

Einen interessanten Kriminalroman über Identität und Wahrheitssuche hat Orkun Ertener mit „Lebt“ zweifellos geschrieben: Ghostwriter Can Evinmann sollte eigentlich mit der Schauspielerin Anna Roth an ihrer Autobiographie arbeiten, als sie feststellen, dass ihre Familiengeschichten miteinander zusammenhängen. Etwas zu ausführlich erzählt Ertener nun die Geschichten der sephardischen Juden in Thessaloniki und der jüdischen Gemeinschaft der Dömne, die eng mit der Herkunft Evinmanns verbunden ist. Hier wären einige Kürzungen gut gewesen. Insgesamt ist „Lebt“ aber ein bemerkenswertes Debüt, das auf mehr Bücher von Orkun Ertener hoffen lässt.

Orkun Ertener: Lebt. Scherz Verlag 2014.

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