Die Schwierigkeiten bei einer Literaturverfilmung – Über „Die Wand“

Wie verfilmt man einen inneren Bericht? Mit dieser Frage sieht sich jeder konfrontiert, der Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ auf die Leinwand adaptieren will. Völlig aus der Sicht der namenlosen Hauptfigur erzählt, mit wenigen Ereignissen und vielen Seelenzustanden ist „Die Wand“ ein grandioser Roman – als Film aber schwer vorzustellen. Denn dazu sind gleich zwei literarische Hürden zu überwinden: die Ich-Erzählperspektive und die Inneneinsichten der Erzählerin

Über den Roman „Die Wand“

(c) List

Bereits 1963 entstanden ist „Die Wand“ Marlen Haushofers erfolgreichster Roman. Die namenlose Ich-Erzählerin schreibt einen Bericht über die Ereignisse der letzten Jahre, um in einem einsamen Winter in den Bergen nicht in eine Depression zu verfallen. Vor gut zwei Jahren ist sie mit ihrer Cousine und deren hypochondrischen Ehemann zu deren Jagdhütte in die Berge gefahren. Am Nachmittag brach das Ehepaar zu einem Besuch im nahegelegenen Dorf auf, war aber am nächsten Morgen noch nicht zurückgekehrt. Also machte sich die Frau mit dem Hund Luchs ebenfalls auf den Weg ins Dorf. Sie ging eine menschenleere Straße entlang, als sie plötzlich mit der Stirn an etwas stieß. „Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte etwas Glattes und Kühles: einen glatten, kühlen Widerstand an einer Stelle, an der doch gar nicht sein konnte als Luft. Zögernd versuchte ich es noch einmal, und wieder ruhte meine Hand wie auf der Scheibe eines Fensters.“ Anfangs ist sie irritiert, dann bemerkt sie, dass sie tatsächlich allein auf der Straße ist. Sie geht weiter zu einem kleinen Gehöft, entdeckt dort aber nur einen Mann, der bewegungslos an einem Brunnen verharrt. Sie kann zu ihm nicht vordringen, sondern wird abermals von der unsichtbaren Wand zurückgehalten.

Veränderung und Annäherung

Die Frau bei der Jagd (c) Studiocanal

In der Folgezeit erkundet sie die Grenzen, die die Wand ihr setzt, und richtet sich in ihrem neuen Leben ein. „Ich fühlte weder Kummer noch Verzweifelung, und es hätte keinen Sinn gehabt, diesen Zustand mit Gewalt herbeizuführen. Ich war alt genug, um zu wissen, daß er mir nicht erspart bleiben würde.“ Zunächst glaubt sie, dass das Dorf von einer Katastrophe heimgesucht wurde und sie womöglich die einzige Überlebende ist. Sie denkt an ein Experiment und vermutet, die Sieger werden sich zeigen. Also versucht sie, durch den Tag zu kommen: „Ich mußte mich ganz still verhalten und ihn einfach überstehen. Es war ja nicht der erste Tag in meinem Leben, den ich auf diese Weise überleben mußte. Je weniger ich mich wehrte, desto erträglicher würde es sein.“ Sie entdeckt eine Kuh auf einer Weide, die ihr Milch gibt. Außerdem kümmert sie sich um den Hund und eine Katze. Um ihr Überleben zu sichern, baut sie Kartoffeln und Bohnen an, schießt hin und wieder Wild und kommt langsam der Natur immer näher. Dadurch verschieben sich ihre Prioritäten und Aufmerksamkeiten. „Schon heute bin ich nicht mehr der Mensch, der ich einmal war. Woher sollte ich wissen, in welche Richtung ich gehe. Vielleicht habe ich mich schon so weit von mir entfernt, daß ich es gar nicht mehr merke.“

Freiheit und Gesellschaft

Beim Schreiben des Berichts (c) Studiocanal

Als sie den Bericht schreibt, wird sie vor allem von der Verantwortung für ihre Tiere am Leben gehalten. Zugleich reflektiert sie ihr bisheriges Leben als eine Frau, die „nie eine Möglichkeit (hatte), ihr Leben bewußt zu gestalten“ und denkt über das Verhältnis des Menschen zur Natur und zur Freiheit nach. „Um unsere Freiheit ist es sehr traurig bestellt. Wahrscheinlich hat es sie nie anderswo als auf dem Papier gegeben. Von äußerer Freiheit konnte wohl nie die Rede sein, aber ich habe auch nie einen Menschen gekannt, der innerlich frei gewesen wäre.“ Durch ihren erzwungenen Aufenthalt in der Hütte und den Bergen findet sie allmählich zu dieser Freiheit, wenngleich sie dafür die Isolation von anderen Menschen benötigt. Sie erkennt, dass sie das einzige „Wesen im Wald (ist), das wirklich recht oder unrecht tun kann“ und konstatiert, dass bisher der Mensch der einzige Feind in ihrem Leben gewesen sei. Die Wand hindert sie am Weitergehen in ihrem Leben und sie wurde gezwungen, ein neues Leben zu beginnen, „aber was mich berührt, ist immer noch das gleiche wie früher: Geburt, Tod, die Jahreszeiten, Wachstum und Verfall.“ Sie lernt, die Dinge mit eigenen Augen zu sehen und erkennt, dass ihr bisheriges Leben vor allem ein „Abklatsch“ von Taten anderer Menschen gewesen sei.

Adaption in Bild und Ton

Die Frau mit dem Hund Luchs (c) Studiocanal

Diese Reflexionen und Gedanken in einen Film zu transponieren, scheint eine fast unmögliche Aufgabe zu sein. Hinzu kommt, dass es nur wenig an äußerer Handlung gibt. Die Frau kümmert sich um ihr Überleben, sie geht auf die Jagd, zieht auf eine Alm und erkundet den Wald. Ein Unglück bricht über sie hinein – aber insgesamt konzentriert sich Marlen Haushofer auf das Innenleben dieser Frau. Sieben Jahre hat Julian Roman Pölsler an dem Drehbuch zu „Die Wand“ gearbeitet, nachdem es ihm zuvor gelungen war, die Rechte zu erwerben. Dabei hatte er – nach eigener Aussage – insbesondere mit den Erwartungen vieler Leser zu kämpfen.

Das Buch bietet eine Vielzahl verschiedener Interpretationen. Es wurde als Zivilisationskritik gelesen, als moderne Robinsonade einer Frau, aber auch als feministische Literatur über die Grenzen, die einer Frau zu dieser Zeit gesetzt waren. In seinem Film sei er nun seiner eigenen Vision gefolgt, wird Julian Roman Pölsler im Presseheft zitiert. Hierfür greift er hauptsächlich auf beeindruckende Naturaufnahmen und Marlen Haushofers Text zurück, der von Hauptdarstellerin Martina Gedeck aus dem Off – einem inneren Monolog gleich – vorgelesen wird. Dadurch bleibt nur wenig Spielraum für eigene Gedanken, zumal allzu häufig die Bilder mit Musik (vor allem Bach-Partiten) hinterlegt sind. Hier hätte Julian Rösler der „Stille der Natur“ – wie er im Presseheft sagt – vertrauen sollen so dass die Bilder ihre Wirkung entfalten können.

Die Wand im Film

Die Frau an der Wand (c) Studiocanal

Klugerweise lässt Julian Roman Pölsler die Bedeutung der Wand offen. Sie ist im Film unsichtbar, es erklingt lediglich ein Geräusch, wenn die Frau gegen sie läuft. Bereits im Roman gibt es zu der Wand verschiedene Interpretationen. Sie wird als Teil eines Experiment gesehen, als Schutz und als letzter „verzweifelte(r) Versuch eines gequälten Menschen, der ausbrechen mußte, ausbrechen oder wahnsinnig werden.“ Nun eröffnet der Film noch die Möglichkeit, dass die Frau eine Krise, vielleicht eine Depression, erlebt, die sie am Weitergehen hindert und an diese Hütte fesselt. Dazu trägt bei, dass Julian Roman Pölsler die Passagen nicht übernommen hat, in denen die Frau überlegt, die Grenzen der Wand zu überwinden. Anfangs überlegt sie, sich unter der Wand durchzugraben, nimmt aber aufgrund der Gefährlichkeit des Vorhabens und der Verantwortung für ihre Tiere Abstand von dem Gedanken. Dennoch weiß sie – im Roman –, dass sie nicht immer dort bleiben kann. Im Film konzentriert sich Julian Roman Pölsler hingegen auf das Hier und Jetzt der Frau, so dass die Wand zunehmend als Ausdruck einer persönlichen Krise scheint. Dabei gelingt es der hervorragenden Martina Gedeck, nicht nur rein äußerlich die Wandlung von der anfänglich fraulichen Erscheinung zu dem Menschen, der „seine Kraft braucht, um zu überleben“, überzeugend zu verkörpern, sondern zudem eine Verbindung zu dem Zuschauer aufzubauen. Dadurch wird man ihrer trotz ihrer enormen Präsenz auf der Leinwand und im Off nicht überdrüssig.

Ein unverfilmbares Buch?

Regisseur Roman Julian Pölsner mit Hauptdarstellerin Martina Gedeck (c) Studiocanal

Oftmals ist von vermeintlich unverfilmbaren Büchern die Rede, doch so etwas gibt es meiner Meinung nach nicht. Jedes Buch, jede Geschichte lässt sich verfilmen, sofern die Filmemacher eine eigene Position zu dem Text zu entwickeln und sich auf die Ausdrucksmittel des Films konzentrieren. Darauf verweisen auch in „Die Wand“ die Naturaufnahmen und selbst die gewählte Musik. Allerdings erinnert der Film durch die vielen gelesenen Passagen letztlich an einen Hörfilm zu dem Roman von Marlen Haushofer. Hier wären entweder ein größer Abstand zu der Vorlage oder eine experimentellere Inszenierung besser gewesen. Denn durch die allzu große Nähe zum gesprochenen Wort vernachlässigt Julian Rösler die Kraft des Visuellen.

(c) Studiocanal

Nach eigener Aussage hat „Die Wand“ Julian Rösler nicht losgelassen, seit er es vor 25 Jahren das erste Mal las, und er wollte mit seinem Film auch erreichen, dass die Menschen den Roman wieder wahrnehmen. Seinem trotz aller Kritik gutem Film wird dies hoffentlich gelingen. Denn Marlen Haushofers Roman ein wichtiges und eindringliches Buch.

Marlen Haushofer: Die Wand. Erschienen 1968 im Claasen Verlag. Nun bei List.

Der Film „Die Wand“ startet am 11. Oktober in den deutschen Kinos.

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2 Gedanken zu „Die Schwierigkeiten bei einer Literaturverfilmung – Über „Die Wand“

  1. Stefanie Laube

    Ich habe den Roman nicht gelesen, daher ist es umso interessanter, deine Vergleiche zwischen Buch und Film zu lesen. Ich habe mich nach dem Film auch gefragt, warum die Frau nicht weitere Anstrengungen unternommen hat, die Wand zu überwinden. Mein Eindruck war, dass sie es einfach nicht wollte. In meinen Augen ein sehr gelungener Film, der mich 108 Minuten lang gefesselt hat und über den ich noch lange nachgedacht habe: http://www.leselink.de/filme/robinsonade/die-wand-film.html

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  2. Lena

    Richtig, jedes Buch lässt sich irgendwie verfilmen. Man kann immer versuchen, für den abstrakten Kern filmische Entsprechungen zu finden.

    Ich finde jedoch nicht, dass die Kraft des Visuellen hier vernachlässigt wird. Es mag zwar stimmen, dass nicht für alles eine visuelle Übertragung versucht wird. Aber die Bilder haben ja trotzdem für sich genommen enorme Ausdruckskraft. Und ich finde gerade diese strenge Herangehensweise (zwei getrennte Ebenen von Bild und Wort zu etablieren, die aber in Beziehung treten) sehr reizvoll. Ein Hörfilm ist schließlich auch immer noch ein Film. Deine Forderung nach mehr Experiment kann ich dennoch verstehen, und, wie ich schon schrieb, man hat sicher andere Erwartungen, wenn man den Text vorher kennt.
    Irgendwann werde ich dann sicher auch das Buch lesen. Aber das soll eine eigene Erfahrung für sich werden und braucht daher tatsächlich etwas Abstand.

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