Krimi-Kritik: „Late Show“ von Michael Connelly

(c) Kampa Verlag

Michael Connelly ist vor allem durch seine Harry-Bosch-Romane und durch die empfehlenswerte Serienverfilmung bei Amazon bekannt. Nun schickt er mit Renée Ballard eine Polizistin in Serie. Sie arbeitet – wie Bosch – beim LAPD, allerdings in der Spätschicht der Hollywood Division, „Late Show“ genannt. Dorthin werden diejenigen geschickt, „die sich auf politischer Ebene mit dem Polizeiapparat angelegt hatten“. Ballard ist dort gelandet, weil sie sich über ihren Vorgesetzten wegen sexueller Belästigung beschwert hatte. Ihre Aufgabe ist es nun mit ihrem Partner an Tatorten, an denen ein Detective erforderlich ist, aufzutauchen, alles aufzunehmen und dann an die zuständige Abteilung weiterzugeben. Eigentlich – Ballard aber versucht hin und wieder, einen Fall eigenständig zu bearbeiten. Dazu gehört der Angriff auf eine Transgender-Prostituierte, die brutal zugerichtet halbtot am Santa Monica Boulevard aufgefunden wird. Und da außerdem zu einer guten amerikanischen Cop-Novel zwei Handlungsstränge gehören, gibt es noch einen weiteren Fall: In derselben Nacht werden in einem Club fünf Menschen erschossen. Ballards ehemaliger Boss leitet die Ermittlungen in dem Fall, sie kann aber dennoch nicht die Finger davon lassen.

Dass Michael Connelly nun eine Frau als Hauptfigur hat, mag auf den ersten Blick überraschen, aber spätestens bei der Lektüre wird klar, dass sie eine ganz typische Figur ist: eine widersinnige, unabhängige, unbeirrbar, mutige und vor allem der Wahrheit verpflichtete Einzelgängerin mit leichten Kindheitstrauma (ihr Vater ertrank), die gelegentlich mit Männern Sex hat, aber ansonsten mit ihrem Hund in einem Zelt am Strand schläft. An mehr als einer Stelle erinnert sie an eine jüngere weibliche Version von Harry Bosch. Dass sie eine Frau ist, sorgt in „Late Show“ lediglich dafür, dass sie sich „besser in weibliche Opfer hineinversetzen“ kann, außerdem wird es einen Angriff mit sexualisierter Gewalt auf sie geben und natürlich hat sie schon sexualisierte Gewalt erlebt. Das passt perfekt zu den #Metoo-Zeiten – wirkt aber eben auch alles ein wenig kalkuliert.

Deshalb ist „Late Show“ kein schlechter Kriminalroman. Michael Connelly ist in diesem Genre zuhause, er kennt das LAPD, er weiß, wie er einen spannenden Kriminalroman schreibt. Hier fügt sich alles schnurrend-unterhaltsam zusammen. Es ist in „Late Show“ wie in der Bosch-Reihe: alle Motive funktionieren – Korruption, Bestechlichkeit, Eigensinn, ein dunkler Teil im Charakter, ein Hauch Noir und L.A. –, aber es sind eben auch alles Motive, die hinlänglich bekannt sind. Dass Connellys Hauptfigur eine Frau ist, macht keinen Unterschied. Es gibt in „Late Show“ nichts zu entdecken, was nicht in seinen Bosch-Romanen steckt. Und dass Sexismus bei der Polizei und damit auch dem LAPD hinlänglich vorhanden ist, ist nun wirklich keine neue Erkenntnis.

Es war fraglos an der Zeit, Harry Bosch mehr oder weniger in den Ruhestand zu schicken. Bosch ist in den Romanen 1950 geboren, daran kommt Conelly, wie er auch in mehreren Interviews erzählt, nun einmal nicht vorbei. Deshalb hat er 2005 die Reihe mit Harry Boschs Halbbruder Mickey Haller gestartet. Aber richtig los kommt von ihm nicht. Hier ist er nur in zwei Anspielungen zu finden: ein Mordopfer hatte eine Statistenrolle in der Serie „Bosch“ und das Haus des einen Verdächtigen liegt in der Nähe von Boschs Haus. In dem zweiten und dritten Roman mit Renée Ballard, die in den USA bereits erschienen sind, ermittelt er dann mit ihr – einer dieser Romane ist übrigens die Grundlage der neuen Staffel der Bosch-Serie. Deshalb passt es dann doch sehr gut, dass „Late Show“ kein wirklicher Neuanfang, sondern routinierte Genre-Unterhaltung ist.

Michael Connelly: Late Show. Übersetzt von Sepp Leeb. Kampa Verlag 2020.

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